SWP – Sahra-Wagenknecht-Partei

Intelligenz, gepaart mit Pragmatismus, so würde ich – auf den Punkt gebracht – Sahra Wagenknecht charakterisiern. Dass eine Frau mit diesen Eigenschaften, die es auch schafft, zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik zu unterscheiden und dabei vernünftige Prioritäten zu setzen, gerade weil sie sich als Kommunistin versteht, innerhalb der LINKEn als Fremdkörper eine Abstoßungsreaktion hervorgerufen hat, ist unschwer nachvollziehbar.

Wo die LINKE halbherzig „möchte“, bringt Wagenknecht ihren Willen zum Einsatz  und die Bereitschaft, für die hohen Ziele auch große Opfer zu bringen. Wer das unterstützt, muss ebenfalls wollen und sich anstrengen. Wer die Anstrengung scheut, und von daher zum Wollen gar nicht kommt, kann Sahra Wagenknecht bestenfalls nicht unterstützen, schlimmstenfalls muss er sie verdammen.

Nun hat Frau Wagenknecht schon lange verstanden, dass sie innerhalb der LINKEn nicht viel bewegen kann. Wie lange sie sich mit der Frage beschäftigt hat, ob es außerhalb der LINKEn, ob in einer der anderen Parteien, ob als maßgebliche Kraft einer NGO oder eben mit einer eigenen Parteil möglich sei, mehr zu bewegen, kann ich nur vermuten. Nun hat sie öffentlich gemacht, dass es in einigen Monaten die Gründung einer neuen Partei in Deutschland geben wird.

Inzwischen wird viel gerätselt, welchen Parteien diese  Neugründung am meisten schaden wird.

Nach meiner Einschätzung ist das die falsche Fragestellung.

Viel wichtiger erscheint mir die Frage, welche Bevölkerungsgruppen sich von der Gründung der Sahra-Wagenknecht-Partei (SWP) einen Nutzen versprechen.

Zu allererst taucht bei mir da jene Grauzone zwischen SPD und Die LINKE auf.

  • SPD-Mitglieder und treue SPD-Wähler, denen ihre Partei schon lange nicht mehr sozialdemokratisch genug ist, wobei deren „Sozialdemokratie“ ungefähr von Willy Brandt bis Helmut Schmidt reicht, von denen die einen sich mehr „Soziales“, die anderen mehr „Anpacken“ erwarten. Beides erscheint in der Figur Sahra Wagenknecht möglich.
  • Mitglieder der Partei Die LINKE, die sich das Gleiche erwarten, nämlich die Kraft, mehr „Soziales“ durchzusetzen, statt sich in innerparteilichen Grabenkämpfen verzehren zu müssen. Auch das ist das noch unausgesprochene Versprechen der gerade am östlichen Horizont aufgehenden neuen Partei.

Will man das quantifizieren, wird es verdammt schwierig. Die SPD ist bereits auf 20 Prozent zusammengeschrumpft, hat dabei viel an die Grünen verloren, ein bisschen sicherlich auch aus Protest an die AfD und die Nichtwähler. Wenn jeder Zehnte die Wagenknecht-Partei als wirksamer für seine Interessen ansehen sollte, dann erscheint das schon ziemlich viel. Aber lassen wir das so stehen, dann hat Wagenknecht bei den nächsten Bundestagswahlen schon einmal 2 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt. Die Trutzburg der LINKEn ist weniger ergiebig. Wer sich da eingereiht hat, der will es so, wie es ist, und begnügt sich im Zweifelsfall mit der Feststellung: „Wir wüssten ja, wie es geht. Aber uns wählt ja keiner.“ Diejenigen, die wegen Wagenknecht noch in der LINKEn geblieben sind waren zu wenig, um Wagenknecht dort zu halten. Vielleicht jeder Zwanzigste, und das könnte weitere 0,25 Prozent Wählerstimmen bringen.

Können die Grünen angezapft werden?

Normalerweise nicht. Wer Grün wählte, wollte auch Grün und kann gar nicht genug Grün bekommen. Da würde Sahra Wagenknecht die Richtung zwar nicht maßgeblich ändern, aber eben doch mit Besonnenheit bremsen und die schönsten Blütenträume auf ein verträgliches Maß zurückstutzen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die nach der grünen Schablone gezimmerte Regierungspolitik der Ampel in den beiden Jahren bis zur Bundestagswahl  auf die Zufriedenheit der Wähler auswirken wird. Ich kann mir vorstellen, dass einige Grün-Wähler begreifen werden, dass Inflation und Energieknappheit, Deindustrialisierung und rasant wachsende Staatsverschuldung im direkten Zusammenhang mit den Vorstellungen der Grünen stehen. Davon wiederum wird ein Teil zu finden sein, der dies aus tiefstem Herzen begrüßt, ein anderer Teil aber auch, dem Angst und Bange wird, sollte diese Politik bis zum bitteren Ende durchgezogen werden. Das könnte auch bei den Grünen jeder Zwanzigste sein, und das  ergibt einen weiteren Prozentpunkt für die neue Wagenknecht Partei.

Bei CDU, CSU und FDP wird außer einigen wenigen irrlichternden Wechselwählern nichts zu holen sein.

Wie sieht es aber bei der AfD aus?

Sah es vor 10 Jahren noch so aus, als sei die Stimme für die AfD eine verlorene Stimme, was gemäßigte Konservative davon abgehalten hat, ihr Kreuz bei der AfD zu machen, so ist das  nun vollkommen anders. Die AfD hat ihren Platz in den Kommunen, in den Länderparlamenten und im Bundestag gefunden und wird diesen auch in absehbarer Zukunft behalten. Dennoch ist es immer noch nur eine „halbe Stimme“, weil es den übrigen Parteien gelingt, von ein paar Stadträten und noch weniger Bürgermeistern abgesehen, die AfD aus der Regierungsverantwortung auszuschließen. Da bleiben immer noch genügend Wähler übrig, die diesem Zustand Rechnung tragen und anders wählen, je nach Grundeinstellung eben Union, FDP, SPD oder sogar die Grünen. Aus diesem Kreis heraus könnte Wagenknecht einen Teil der Protestwilligen, die sich aber nicht für die AfD entscheiden wollen, für sich gewinnen. Diesen Anteil würde ich, ohne dass der AfD dadurch nennenswert Stimmen abhanden kommen, mit  etwa 0,5 Prozent annehmen.

Schluss, aus Ende. 3,75 Prozent für die „SWP“,
ein Platz unter den Sonstigen.

Doch so einfach ist es nicht.

Die fehlenden 1,25 Prozent für den Einzug in den Deutschen Bundestag, die sind leicht zu finden.

Es gibt innerhalb der so genannten „Sonstigen“ ein großes Potential so genannter „Verzweiflungswähler“. Die wollen ihre Stimme abgeben, weil sie an die Demokratie glauben, sie wollen sie aber keiner der etablierten Parteien geben, weil sie deren Absichten ablehnen, oder aber nicht mehr an deren Versprechungen zu glauben wagen. So kommen Stimmen für die Tierschutzpartei, die Veränderungspartei (Veränderung, Vegetarier und Veganer) und rund 50 weitere Splitterparteien zusammen. Alleine aus diesem Bereich könnte Sahra Wagenknecht zwei Prozentpunkte abziehen, wenn es ihr gelingt, eine andere, sozialere Alternative für Deutschland zur Wahl zu stellen.

Damit nicht genug. Es steht immer noch das gigantische Potential der Nichtwähler zur Verfügung. Wenn aus diesen rund 40 Prozent der Wähler nur jeder Zehnte in der Wagenknecht-Partei einen neuen Hoffnungsschimmer erkennt, dann könnte die „SWP“ im Herbst 2025 mit bis zu 9 Prozent der gültig abgegebenen Stimmen  rechnen und damit nach Union, AfD, Grünen und SPD als fünftstärkste Fraktion in den Bundestag einziehen. Das Überspringen der 5-Prozent-Hürde erscheint auf alle Fälle gewährleistet.

Der Schaden für Union, SPD und Grüne hält sich dabei in Grenzen. Hier in die Domäne der Altparteien einzubrechen, wird erst eine ernsthafte und öffentlich erkennbare Oppositionsarbeit ermöglichen.