Neuwahlen in Istanbul

Was kümmerts mich, wenn in China ein Sack Reis umfällt?

Recep Tayyip Erdogan in der fernen Türkei steht vor dem Problem, dass die unabhängige Wahlkommission die Kommunalwahl in Istanbul annulliert hat, so dass seiner Partei, der AKP, ein erneuter Wahlkampf mit einer erneuten Abstimmung bevorsteht. Eine Wahl, die er nur verlieren kann.

Wo sich eine Mehrheit für die Opposition zur Regierungspartei in Ankara ausgesprochen hat, wird sich diese Mehrheit auch bei der Wahlwiederholung finden. Es ist eher damit zu rechnen, dass das Ergebnis für die AKP noch verheerender ausfällt.

Was kümmerts mich, wenn Istanbul nach den Neuwahlen am 23. Juni trotzdem einen AKP-Bürgermeister bekommen wird?

Die Türkei ist ein souveräner Staat, voller Türken, die zugleich Muslime sind. Da müssen wir nicht die Nase rümpfen. Das sind innere Angelegenheiten. Wenn die Türken unbedingt einen Gottesstaat und einen Diktator haben wollen, dann sollen sie sich darin halt einrichten.

Das bisschen Opposition, das vor drei Jahren einen Putsch versucht hat, ist doch irrelevant. Diese Leute braucht Erdogan nicht. Das hat er ganz klar gezeigt. Mindestens 110.000 Beamte, Soldaten, Polizisten und Richter wurden entlassen, ein erheblicher Teil davon sogar ins Gefängnis geworfen. Alle irgendwie mit dem Ex-Vertrauten und inzwischen geschassten und in die USA ausgewanderten Fethulla Gülen in Verbindung gebrachten Schulen und Universitäten, gemeinnützigen Einrichtungen und Gewerkschaften  wurden aufgelöst.

Und? Ist die Türkei deswegen untergegangen? Haben die USA und die Briten Sanktionen verhängt, einen Flugzeugträger an den Bosporus verlegt, den Regierungssitz Erdogans mit Cruise Missiles in Schutt gelegt?

Nichts von alledem.

Die Unsere hatte  kurz zuvor noch ihren Flüchtlings-Deal mit Erdogan unter Dach und Fach gebracht und dann nichts eiliger zu tun, als den „Putschversuch, im Einklang mit dem türkischen Präsidenten „aufs Schärste“ zu verurteilen. Kurz darauf erteilte sie Erdogan implizit ihre Zustimmung zu den Säuberungen, indem sie ihn schwammig ermahnte,  „die Verhältnismäßigkeit“ zu wahren.

(Können Sie hier noch einmal nachlesen, ist ja schon so lange her!)

Wenn in diesen Tagen die Gazetten und Sendeanstalten in einen Aufschrei der Empörung ausbrechen, dann kann das nur insofern ernst genommen werden, als auch damit wieder einmal suggeriert werden soll, wieviel besser es hierzulande zugeht als in der fernen Türkei.

Und so ist es schließlich auch.

In der Türkei gibt es unter den über 14-jährigen satte 12,3 Prozent Analphabeten,
in Deutschland hingegen ist die Zahl derjenigen, die lediglich nicht richtig lesen und schreiben können, in den letzten acht Jahren von 7,5 auf 6,2 Millionen zurückgegangen, was zeigt, dass wir das bessere Bildungssystem haben.

In der Türkei werden Flüchtlinge in Zelten in riesigen Lagern zusammengepfercht, bei uns winken ihnen im Vergleich dazu geradezu paradiesische Zustände.

In der Türkei unterhält der Staat eine Geheimpolizeil zur Unterdrückung der unerwünschten Opposition. Bei uns erledigen das die Kahane mit ihrer Stiftung und die zur Antifa freiwillig zusammengeschlossenen Gruppierungen auf ehrenamtlicher Basis.

Die türkische Lira wird von galoppierender Inflation geplagt und ihr Kurs an den Devisenmärkten ist im Keller. Die Deutsche Mark hingegen hält seit fast zwanzig Jahren ihren Kurswert im Verhältnis zum Euro absolut stabil.

In der Türkei waren schon 2016 90 Prozent der Medien gleichgeschaltet. In Deutschland hingegen schreiben nur knapp 90 Prozent der Medien gewissenhaft voneinander ab.

Die türkische Hauptstadt liegt zwischen dem 39. und dem 40. Breitengrad. Unser Berlin kommt da locker auf 12 Breitengrade mehr.

Mit dem Bau des neuen Flughafens in Istanbul wurde sehr spät, nämlich erst am 7. Juni 2014 begonnen. In Berlin war man den Türken mit dem ersten Spatenstich um volle acht Jahre voraus.

Die Frau des türkischen Präsidenten Erdogan muss in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen. Herr Sauer hingegen ist emanzipiert und trägt sein Haar offen.

 

Ach ja, und bei den Wahlen geht es bei uns auch immer mit rechten Dingen zu.

Einfach mal nach Christian Breunig und Achim Goerres googeln, oder gleich dem Link hier folgen. Denn zu der Studie der beiden Wissenschaftler, in der die Bundestagswahlen 1990 bis 2005 auf signifikante statistische Auffälligkeiten untersucht wurden, ist in den Online-Angeboten der Mainstreammedien nichts zu finden.

Allerdings gab es dazu eine Anfrage der Fraktion die LINKE im Deutschen Bundestag, die – samt der Antwort darauf – nur noch im Google-Cache zu finden ist. Hab ich für Sie ‚rausgesucht.
Interessant übrigens, wie in der Antwort die Begriffe „empirisch“ und „stochastisch“ argumentativ eingesetzt werden.

Also: Was kümmerts mich, wenn in China ein Sack Reis umfällt?