Markus Krall und die Hyperinflation

Dr. Markus Krall, der in jüngerer Zeit mit seinen Vorträgen und Videos ein breites Publikum für sich gewonnen hat, indem er vor einem neuen Finanzcrash, vor dem Währungsverfall und der Hyperinflation warnt, hat seine Prognosen noch einmal konkretisiert und dabei eine Formel vorgelegt, welche exakt Auskunft geben soll, wann die Hyperinflation einsetzen wird.

Die Warnung vor einer großen Inflation ist dabei keineswegs von der Hand zu weisen, auch spricht vieles für die Annahme, dass diese Inflation eher in naher Zukunft zu erwarten ist, statt noch viele Jahre auf sich warten zu lassen, doch die Behauptung, dass sich dieses Geschehen „auf den Punkt“ vorhersagen ließe, ist mit Vorsicht zu genießen.

In seinem Aufsatz: „Wann die Gelddruckorgie an ihr Ende kommt“, prognostiziert Dr. Markus Krall, die Hyperinflation werde spätestens zum Ende des Jahres 2021 den Euro weggespült haben.

Die Argumente, die er dafür ins Feld führt, müssen jedoch kritisch hinterfragt werden.

Krall nimmt die Seigniorage als Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Der „Gewinn“ der einem Staat zufließt, in dem er „Geld“ emittiert, sei abhängig von einem „Seigniorage-Kapital“. Dieses Seigniorage-Kapital entspreche in seiner Höhe dem BIP (des jeweiligen Jahres) – und es werde durch Geldschöpfung „aufgezehrt“. Übersteige nun die von der EZB im Laufe der Jahre bereitgestellte Geldmenge (Zentralbank-Geld) das BIP des jeweiligen Jahres, sei dies der Startschuss für die Hyperinflation.

Ich habe das hier so verkürzt wiedergegeben, um die vermeintlichen Zusammenhänge leichter erkennbar zu machen, kann aber versichern, die Lektüre des Originaltextes macht den Gedankengang keineswegs leichter nachvollziehbar.

Geht man korrekterweise davon aus, dass die – von der EZB bestrittene – Staatsfinanzierung durch die Notenpresse in der Realität tatsächlich stattfindet,  kann man Krall darin noch zustimmen, dass den Staaten des Euro-Raumes die Mittel aus der Geldschöpfung tatsächlich zufließen. Als Seigniorage, also als „Gewinn“ (aus dem Nichts) kann man diesen Liquiditätszufluss jedoch nicht bezeichnen, handelt es sich doch nach wie vor um eine Kreditaufnahme, bei welcher dem Liquiditätszufluss entsprechende Neuverschuldung gegenüber steht. Im Gegensatz zum echten „Geldschöpfungsgewinn“, also der Differenz zwischen Herstellungskosten und Nennwert der emittierten Zahlungsmittel, entsteht dabei kein Vermögenszuwachs.

Krall erklärt nun, sobald das von der Zentralbank emittierte, nicht durch werthaltige Sicherheiten gedeckte Geldvolumen die Höhe des jährlichen BIP übersteige, käme es zwangsläufig zu Hyperinflation. Diesen Punkt sieht er – bei fortgesetzter Geldschöpfung der EZB im gegenwärtigen Ausmaß – in etwa neun Monaten als erreicht an.

Gegen diese Theorie sprechen zwei gewichtige Argumente, die ich hier vortragen will.

  1. Inflationswirksam ist einzig die am Markt verfügbare Liquidität. Die jedoch steht in den Büchern der Geschäftsbanken und nicht im Hauptbuch der EZB. Bei einer so kurzfristigen Betrachtung, wie Krall sie anstellt, wäre das kaum mehr als M1 – allenfalls aber M3, also auch alles, was noch fest angelegt ist, aber im Laufe der nächsten 24 Monate zu Liquidität werden könnte. M3 lag im Mai 2020 bereits bei 13,8 Billionen Euro, also deutlich über jenem Wert von 9,5 Billionen die Krall als den Knackpunkt ansieht – und sogar das Aggregat M1 übersteigt diese Marke, wenn auch nur knapp um 200 Milliarden.

Inflationswirksam ist zudem nur jene Liquidität, die nicht einfach nur gehalten wird, sondern die auf den Waren- und Gütermärkten nachfragewirksam auftritt.

Die aktuelle Krise hat allerdings weltweit nicht nur zu einem Produktionseinbruch geführt, sondern – eher in noch größerem Maße – zu einem Einbruch der (Massen-) Nachfrage, die in weiten Bereichen auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden kann. Von daher bewegen wir uns realwirtschaftlich betrachtet eher in eine deflationäre Phase, die, wenn die Prognosen stimmen, erst 2022/23 wieder vollständig überwunden sein wird.

In Bezug auf die Assets ist hingegen eine kommode Inflation zu betrachten, die sich sowohl bei den Edelmetallnotierungen als auch bei den Preisen für Immobilien – nicht zuletzt auch an den Aktienbörsen niederschlägt. Darin zu beobachtende Maximal-Ausschläge, wie sie beim Tesla- und beim Delivery-Hero-Wahnsinn auftreten, erinnern inzwischen allerdings mehr als deutlich an die Tulpenmanie von vor 400 Jahren!

Dass die Preise dieser Assets (ausschließlich) vom billigen Geld beflügelt werden, das (nicht nur) von der EZB an die Geschäftsbanken fließt, die alle Hände voll zu tun haben, kritische Aktiva in Richtung EZB zu entsorgen, wo die Ankaufprogramme kein Ende nehmen wollen, während die frisch erworbenen Euros irgendwie „rentabel“ wieder angelegt werden müssen, ist im Hinblick auf die konjunkturelle Entwicklung eindeutig und auffällig.

Dies hat jedoch mit dem BIP nicht mehr zu tun als ein Spielcasino mit einer Autoreifenfabrik.

Natürlich spiegelt sich darin das schwindende Vertrauen in die Währung „Euro“. Doch letztlich handelt es sich nur um eine Prolongation des Nullsummen-Spiels, von der gehofft wird, sie möge die Kaufkraft eines Vermögens – unabhängig von den jeweiligen Nominalwerten – möglichst unbeschädigt über „die Krise“ tragen.

Mit jedem Euro, der dabei als Kaufkraft aus dem Kreislauf der Realwirtschaft entnommen und in die Finanzsphäre übertragen wird, ändern sich jedoch die Verhältnisse auf den Warenmärkten in Richtung Deflation.

Betongold wird zu allererst einen Einbruch erleben, weil kalkulierte Mieten nicht mehr erzielt werden können. Kreditfinanziertes Betongold wird aus der Not heraus „verschleudert“ werden, der Erlös in die Tilgung fließen und die Liquidität vermindern. Wo Schnäppchen zu haben sind, gehen auch die Preise für bis dahin unbelastete Immobilien auf Talfahrt.

Dann werden die Aktienkurse rutschen, zunächst selektiv, weil die Frage, welches Unternehmen die Krise überleben wird, wichtiger wird als das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis, doch daraus wird relativ schnell ein Trend, der die gesamte Börse in einen Bärenmarkt verwandelt.

Es bleiben nur noch zwei – ebenfalls riskante – Wege  offen: Gold und Staatsanleihen. Gold, in der Krise gefragt, wird nach der Krise rapide fallen, weil statt Gold wieder Liquidität gebraucht wird. Staatsanleihen, die Sicherheit bieten, jedoch mit negativer Rendite akzeptiert werden, werden nach der Krise ebenfalls rapide an Wert verlieren, wenn es wieder höher verzinsliche Papiere und Investitionsmöglichkeiten gibt.

 

  1. Das BIP ist eine untaugliche Einheit für die Bestimmung der Geldmenge.Warum sollte ausgerechnet eine „Jahresscheibe“ der Wirtschaftsleistung der (maximalen) Liquiditäts-Aufnahme-Fähigkeit der Wirtschaft entsprechen?

Auf der Konsumgüterseite ist der Geldbedarf weitgehend in Monats-Tranchen aufgeteilt, die an den monatlichen Gehaltszahlungen hängen.
Eine Hälfte des BIP, nämlich die Brutto-Entgelte der Arbeitnehmer, geht folglich nur mit einem Zwölftel in den Liquiditätsbedarf ein.

Von der anderen Hälfte weiß man es nicht so genau. Ein erklecklicher Teil der zweiten Hälfte verschwindet einmal jährlich bei den Gewinn-Ausschüttungen in Richtung Anlagevermögen, der Rest streut über das Jahr, vermutlich unter dem Strich ebenfalls in etwa gleich großen Raten, in Richtung Investitionen.

So betrachtet sollte maximal ein Liquiditätsbedarf in Höhe von 50 bis 60% des BIP bestehen. Da derzeit alleine in M1 rund 100% BIP vorhanden sind, ist das eher ein empirischer Beweis dafür, dass Liquidität – als Anlageform – immer noch hoch geschätzt wird und eben nicht als Nachfrageüberhang in den Markt drückt und damit Inflation auslöst.

Da dem so ist, kann die These,

    • Liquidität sei bis zur Höhe des BIP  unschädlich,
    • bei Überschreitung jedoch Auslöser der Hyperinflation,

m.E. nicht gehalten werden. Schon gar nicht, wenn die Liquidität am Umfang des Zentralbankgeldes gemessen wird, dessen Einfluss auf die reale Geldmenge kaum vernünftig bestimmt werden kann, weil die Geschäftsbanken ausschlaggebend dafür sind, welche Wirkungen die Zentralbankgeldmenge entfalten kann. (Dass das Inflationsziel von knapp unter 2 Prozent auch nach Jahren der darauf abzielenden Geldpolitik der EZB nicht erreicht werden konnte, mag dafür als indirekter Beweis dienen.)

 

Folgerungen 

Selbst wenn die realwirtschaftliche, tendenziell deflationäre Entwicklung vollständig ausgeklammert wird und der Fokus nur auf die Assets gelegt wird, ist der proklamierte Zusammenhang zwischen EZB-Geldmenge und BIP nicht zu erkennen.

Dass die längst in Staatspapieren geparkte und vom Staat längst aufgezehrte Liquidität durch die Ankaufprogramme der EZB einer Reanimation durch Frischgeld-Injektion unterzogen wird, ist im Grunde nichts anderes als die „zu guten Zeiten“ gängige Praxis der Finanzminister, alte Schulden mit neuen Schulden für Zins und Tilgung zu bedienen. Der Unterschied liegt darin, dass die EZB nun als ein dominierender Gläubiger für die Staatsschulden der Euro-Zone auftritt und damit eine Machtfülle auf sich vereint, vor der einem schwindelig werden kann.

Das Agieren der Troika in Bezug auf Griechenland war nur eine kleine Kostprobe davon, wie die EZB im Zweifelsfall für den zwangsweisen Zusammenhalt der EU instrumentiert werden kann.

Da auch das Corona-Hilfsprogramm der EU nichts an den Konstruktionsmängeln der EU verändern wird, und weil die „Hilfsmittel“ letztlich nur das Nötigste für das Überleben von Unternehmen und Konsumenten beibringen, aber trotz aller Balkonreden weder einen Innovationsschub, noch einen Wachstumsimpuls auslösen können, wird dem zügigen Abbau von Arbeitsplätzen relativ bald die Kapitalflucht folgen. Es ist nur noch nicht sicher, ob in Richtung USA oder in Richtung China. Das wird sich erst nach der US-Präsidentschaftswahl im November herausstellen.

Die EZB stellt zwar das Potential für eine großartige Inflation bereit, doch erst wenn die Nachfrage nach Anlagegütern zu einem mit Geldbomben geführten Krieg um die letzten Angebote ausartet, wenn also unter den Anlegern Torschluss-Panik ausbricht, kommt die Hyperinflation tatsächlich.

Der Zeitpunkt dafür kann so präzise, wie Markus Krall dies anzeigt, nicht vorhergesehen werden. Die Relation „Zentralbankgeld/BIP“ ist zwar ein Indikator für eine drohende Inflationsgefahr, hat jedoch für die Terminierung des Beginns der Hyperinflation keine hinreichende Relevanz.