Keine mildernden Umstände

Der Präsident aller Deutschen, und außerhalb des vom Grundgesetz gesetzten Rahmens wohl zusätzlich auch der Präsident aller, die sonst hier leben, es sei denn, diese hätten sich explizit für Erdogan und nur für Erdogan und nichts als Erdogan entschieden, soll etwas gesagt haben, was alle Wähler erschrecken soll, sie sollten nämlich weder aus Versehen, auch wenn das gerade noch hinzunehmen wäre, noch keinesfallss bewusst und absichtlich die CSU wählen.

Nein. Nein. Das hat er nicht gesagt und nicht gemeint.

Das wäre eine ganz und gar bösartige Unterstellung, denn der Präsident aller (siehe oben) käme nie auf die Idee, davor zu warnen, eine auf dem Boden des Grundgesetzes stehende, demokratische Partei zu wählen, schon gar nicht bezogen auf jene – im Bundesmaßstab: Splitterpartei – die, wenn auch gelegentlich Anklänge oppositionellen Gedankengutes erkennen lassend, so doch immer noch zum engeren Freundeskreis der maßgeblichen Eliten gezählt werden kann, muss und soll.

Nein. Er hat ja gar nicht davor gewarnt, die falsche Partei zu wählen, wie ihm von kritischer Seite unterstellt worden ist.

Steinmeier warnte die Seinen, also uns, vor „Kräften“.

Kräfte, die zur Verrohung unser Gesellschaft und zur Aushöhlung unserer freiheitlichen Demokratie beitragen.

Wer die stärkt, sehenden Auges, und zudem Wähler ist, dem droht er an, ihn werde die volle Härte des Gesetzes treffen.

Das hat er natürlich auch nicht gesagt. Er gehört ja weder der Legislative, noch der Exekutive, noch der Judikative an. Auch der vierten Gewalt, wie die Presse einst genannt wurde, ist er nicht zuzurechnen.

Er kann es also gar nicht bestimmen. Seine Kenntnisse müssen aus Beobachtungen stammen, die er in seiner Rede nun auf den Punkt gebracht hat. Beobachtungen, die er offenbar billigt, gutheißt, und Bereitschaft zeigt, Gesetze zu unterschreiben, die das – mit dem Wegfall mildernder Umstände – nicht länger dem Ermessen der Richter überlassen.

Gut. Nachdem dies soweit geklärt scheint, bleibt allerdings immer noch die Frage offen, welche Kräfte der Bundespräsident wohl gemeint haben könnte.

Suchen wir nach Beispielen für Kräfte, die zur Verrohung unserer Gesellschaft beitragen.

Verrohung, das ist nach meinen Maßstäben jener Zustand, der eintritt, wenn Freundlichkeit und auch Höflichkeit im Umgang miteinander verschwinden, wenn sich Feindseligkeit breit macht und im täglich neu erfoderlichen Aushandeln des Zusammenlebens, ob nun in Eisenbahnzügen oder Omnibussen, ob in Grünanlagen und Parks oder in Schwimmbädern, ob auf offener Straße oder in Restaurants, Amtsstuben oder Kirchen, mit den Mitteln physicher Gewalt, unter Zuhilfenahme von Eisenstangen, Macheten, Klapp- und anderen Messern, versucht wird, sich Respekt zu verschaffen.

Das kann er aber nicht gemeint haben, denn Beispiele, bei denen Einmann, Gruppen, oder Verwandte,

eben nicht unter Heranziehung aller erdenklichen mildernden Umstände – zum Beispiel auch dem mildernden Umstand, der doch recht gut gelungenen Integration, im Falle des Vergewaltigens eines minderjährigen Mädchens in Regensburg –

statt mildester Urteile zu echt harten Strafen – unter Ausschöpfung der Möglichkeiten des Gesetzbuches – verurteilt worden wären, scheint es in Bezug auf diese Kräfte bisher nicht gegeben zu haben.

Nein. Nein. Diese Kräfte dürfen wohl weiterhin angstfrei gestärkt werden.

Verrohung? Verrohung?

Da gibt es auch Kräfte, die man schon fast als den militanten Arm bestimmter parlamentarischer Kräfte ansehen könnte, hätten sie denn überhaupt eine greifbare Struktur und wären nicht in tausende autonomer Grüppchen zerfallen. Das sind, soweit es bekannt geworden ist, gut trainierte Schläger, die stets vermummt auftreten, sich im Internet über eine eigene, unverbietbare Seite austauschen und zu Straftaten verabreden. Häuser beschmieren, Fenster einwerfen, Autos anzünden, Passanten verprügeln, Polizisten mit Steinen bewerfen, Gastronomen unter Androhung so manchen Übels nötigen, ihre Räumlichkeiten missliebigen Personen nicht zur Verfügung zu stellen, und was der rohen Taten mehr sind.

Hier ist die Sachlage bezüglich mildernder Umstände vollkommen unklar. Sie sind, wie der Meisterdieb im französischen Spielfilm, einfach nicht zu erwischen, bleiben unerkannt, und nur in den allerseltensten Fällen kommt es einmal zu einer Verurteilung. Mir fällt da nur der Prozess gegen die Hammerbande ein, also gegen Leute, die andere Leute und deren Gewohnheiten ausspioniert, sie dann überfallen und mit dem Hammer auf sie eingeschlagen haben, bis zwei oder drei Gelenke zertrümmert waren.

Da ist es wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und weil zwischen 2018 und 2020 mehrere Menschen von der Hammerbande schwer verletzt wurden, zu einer Haftstrafe von 5 Jahren und drei Monaten für die Hauptangeklagte Lina E gekommen.

Keine mildernden Umstände?

Gegenüber der Strafforderung der Bundesanwaltschaft von von acht Jahren ist das immerhin eine Milderung um mehr als ein Drittel. Also doch auch in diesem Fall so etwas wie strafmildernd wirksame Umstände …?

Die rohen Kräfte, die ansonsten gewöhnlich nicht ermittelt werden können, und auch keine organsiatorische Struktur besitzen, die verboten werden könnte, hatten schon im Vorfeld der Urteilsverkündung versprochen, für jedes Jahr Gefängnis, das ins Urteil für Lina E. geschrieben wird, in deutschen Städten Sachschäden im Umfang von einer Million Euro anzurichten. Sicherlich haben sich die Richter davon nicht beeindrucken lassen, es sieht aber so aus, als habe sich auch sonst niemand davon beeindrucken lassen. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass nach den Urhebern dieser Drohung gefahndet worden oder auch nur eine, diesen Kräften zuzurechnende Person – in Vorbereitung oder in flagranti – bei einer dieser Rachestraftaten ermittelt und festgenommen worden wäre.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bundespräsident ausgerechnet diese Kräfte gemeint haben könnte. Schon deshalb, weil so eine Million pro Jahr doch eher unter „Peanuts“ oder „Jugendstreiche“  eingeordnet werden muss, und keinesfalls, nie und nimmer, geeignet sein könnte, zur Aushöhlung unserer freiheitlichen Demokratie beizutragen.

Da gilt es doch klug abzuwägen und keinesfalls das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Welche Kräfte also?
Kann man das Ausmaß des Schadens zum Kriterium machen?

Vollkommen abwegig. Da müsste er ja die Grünen gemeint haben, die sich mit dem Merkel’schen Wahlspruch: „Wir schaffen das!“, frisch ans Werk gemacht haben, die Deindustrialisierung Deutschlands zu vollenden. Doch da fehlt der Aspekt der Verrohung. Wer wollte Habeck oder Baerbock wohl Verrohung unterstellen? Im Gegenteil, mit Stylisten, Friseuren und Hoffotografen weisen sie nach, dass sie eher der Kunst der letzten höfischen Feinheit zelebrieren, bis hart an die Grenze des Narzismus.

Außerdem fehlen Beispiele für mildernde Umstände, sieht man von den Klimaklebern ab, denen diese regelmäßig zugebilligt werden. Aber die gehören ja nicht zu den Grünen. Das sind ja von Philantropen bezahlte Gelegenheitsarbeiter, die in einem streng hierarchisch aufgebauten Aktivisten-Unternehmen nur ihren Job machen und im Urlaub schon mal schnell auf die Malediven jetten. Ein Verhalten, dass bei echten Grünen so nicht vorkommen kann. Wenn die um die halbe Welt düsen und wieder  zurück, dann gibt es dafür wichtige Gründe.

Ja. Es ist zum Verzweifeln.
Die kann unser Bundespräsident auch nicht gemeint haben.

Es muss noch einmal nach Fällen gesucht werden, wo es in jüngerer Vergangenheit keine mildernden Umstände gegeben hat.

Gibt es die bei unserer total überlasteten Kuscheljustiz überhaupt noch?

Heureka!

Jawoll! Die gibt es doch noch.

Ärzte! Haufenweise Ärzte!

Die werden jetzt verknackt, verlieren die Approbation und werden mit Geldstrafen auf ewige Zeiten in die Privatinsolvenz getrieben.

Die Verrohung? Das darf man nicht immer nur mit Gewalt und Körperverletzung in Verbindung bringen. Es gibt auch eine geistige Verrohung, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass man die staatliche Autorität missachtet und schlicht und einfach den Wunsch des Patienten und seine körperliche Unverversehrtheit höher achtet, als staatliche Anordnungen. Wobei die schlimmsten dieser Ärzte ja noch so weit gehen, die staatlichen Anordnungen für falsch, unsinnig, ja sogar schädlich zu erachten. Es darf doch nicht darauf ankommen, was wir heute wissen, dass zum Beispiel die Masken keinen Schutz vor Übertragung geboten haben, längeres Maskentragen aber gesundheitliche Schäden nach sich ziehen kann. Zum Beispiel, dass die Impfung keinen Schutz vor Ansteckung, schwerem Verlauf oder Tod mit sich brachte, wohl aber einen ganzen Sack voll Nebenwirkungen, von denen nicht wenige mit dem Satzanfang „Plötzlich und unerwartet …“ in die Anzeigenteile der Zeitschriften gelangten.

Es gilt der wissenschaftliche Konsens unter den Beratern der Regierung zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnungen. Da hat kein Arzt das Recht, sich eine andere Meinung zu bilden und die Verordnungen als Kokolores abzutun.

Dass wir hinterher klüger sind, also mindestens so viel klüger wie Karl Lauterbach nach und nach einzuräumen bereit ist, kann das Begehen insubordinativer Straftaten zum damaligen Zeitpunkt doch nicht nachträglich heilen!

Wo kämen wir da hin? Da könnte ja jeder seine eigenen Wahrheiten postulieren und die staatlich genehmigten, bzw. verordneten Wahrheiten und die daraus abgeleiteten Gesetze und Verordnungen kraft eigener Selbstvollkommenheit ignorieren. Das zerstört doch das Vertrauen in die Rechtsordnung, dieser verrohte Umgang mit der an die Sorgfaltspflicht gebundenen Staatsgewalt. Und von da ist es bis zur Aushöhlung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nur noch ein kleiner Schritt mitten in die tiefste Anarchie!

Mein Gott, Herr Bundespräsident!

Warum haben Sie das nicht gleich gesagt.

Stundenlanges Grübeln wäre mir und vielen weiteren der Ihnen Anempfohlenen erspart geblieben.

Sollte ich mich allerdings immer noch auf dem Holzweg befinden, wäre ich für ein klärendes Wort, welche Kräfte Sie wohl meinten, ausgesprochen dankbar. Schließlich argumentiere ich äußerst ungern einfach immer nur so ins Blaue hinein.