Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Dieser Tage hat mich ein langjähriger Leser meines Blogs darauf angesprochen, dass es sehr, sehr lange her sei, seit er das letzte Mal auf meiner Seite etwas „zum Lachen“ gefunden habe.

Mein Problem ist allerdings, dass es nichts mehr zum Lachen gibt. Selbst die Lachsäcke, die in den späten sechziger  Jahren pandemisch aufgetreten sind, finden heute kaum noch Käufer.

War es früher ein beliebtes Stilmittel, durch Übertreibung und die Fortschreibung von Entwicklungen die Absurdität erkennbar und die Vorhaben damit lächerlich zu machen, führen Übertreibung und Fortschreibung von Entwicklungen zwar immer noch ebenso in die Absurdität, doch kann über diese Absurdität kann niemand mehr lachen, weil alle schon darauf eingestellt sind, das auch die nächste Absurdität schneller Realtität werden wird als man bis drei Zählen kann. Vor allem dann, wenn die Absicht noch am Vortag vehement bestritten wurde.

Habe heute an zwei verschiedenen Stellen zwei ähnliche Statements gelesen. Da hieß es:

Die Geschützten müssen vor den Ungeschützten geschützt werden,
indem man die Ungeschützten dazu zwingt,
sich mit dem Schutz zu schützen,
der die Geschützten nicht geschützt hat.

Wenn das vor 40 Jahren Dieter Hildebrandt im „Scheibenwischer“ vorgetragen hätte – und das war durchaus seine Art, die Dinge so auf den Punkt zu bringen – hätten sich die Freunde des politischen Kabaretts vor Freude auf die Schenkel geschlagen. Heute liest man den Satz und sagt sich: Stimmt. Da sind wir angekommen. Die Pressekonferenz nach der Ministerpräsidentenkonferenz machte deutlich, dass dem hier zitierten und sicherlich einmal satirisch gemeinten Text Rechtskraft verliehen werden soll, wenn sie ihm nicht schon verliehen worden ist.

Man sollte Rechtskraft übrigens niemals verleihen! Meistens bekommt man sie nie wieder zurück. Das ist wie mit der vom Volke ausgehenden  Staatsgewalt, die kommt auch nie zurück zum Volk, wenn sie erst einmal ausgegangen ist. 

Haben Sie die letzten Folgen der „Anstalt“ (ZDF) gesehen? War da noch irgendetwas zum Lachen, oder haben Sie auch den volkserzieherischen Impetus wahrgenommen, der die einst krachend fröhliche und kritische Sendung von Urban Priol in ein kühles Leichentuch gehüllt hat?

Natürlich gibt es noch jene Knallchargen, die mit Blödeleien auf Volltrunkenheitsniveau ihre naiven Witze rings um Fäkalien und Genitalien erzählen und damit naive Konsumenten zum Lachen bringen.

Aber wer will darüber denn lachen?

Ich will über die „Großen“ mit den „großen Klappen“ lachen können, weil ich in der Demokratie das Recht habe, ihre Fehler und Irrtümer nicht nur zu erkennen, sondern auch mit spitzer Feder aufzuspießen.

Das Problem ist, dass ich mir weder der Demokratie, noch des Rechts auf Meinungfreiheit noch sicher bin.

Schließlich gibt es seit 2021 den §188 StGB in dieser schönen Fassung:

§ 188 Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung

(1) 1Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine Beleidigung (§ 185) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
2Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.

(2) Unter den gleichen Voraussetzungen wird eine üble Nachrede (§ 186) mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und eine Verleumdung (§ 187) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Glimpflicher kann man beim Bundespräsidenten davonkommen. Die „Tat“ wird nämlich nur verfolgt, wenn der Bundespräsident dazu ermächtigt:

§ 90 Verunglimpfung des Bundespräsidenten

(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) den Bundespräsidenten verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2), wenn nicht die Voraussetzungen des § 188 erfüllt sind.

(3) Die Strafe ist Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, wenn die Tat eine Verleumdung (§ 187) ist oder wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt.

(4) Die Tat wird nur mit Ermächtigung des Bundespräsidenten verfolgt.

Natürlich wandeln sich mit der Zeit die Bewertungen. Ich bin mir sicher, Dieter Hildebrandt, dessen Sendung nur ein Mal und nur im Sendegebiet des Bayersichen Rundfunks von den Sendetechnikern auf Anweisung der Staatskanzlei schlicht abgeschaltet wurde, wäre heute auf Twitter und Facebook und Instagram sowas von gesperrt, seine Videos wären auf Youtube sowas von gelöscht …

Dabei stellt sich mir die Frage, jetzt wieder beim Hundertachtudachtziger, wie weit die rote Linie gezogen ist, die im politischen Leben des Volkes stehende Personen beschützen soll. Dass auch die kommunale Ebene eingeschlossen ist, also selbst jedes Mitglied des Gemeinderates von Hintertupfing, das steht explizit im Gesetz.

Es steht aber nicht drin, was unter dem politischen Leben „des Volkes“ zu verstehen ist. Es weiß ja schon lange niemand mehr, was „das Volk“ ist.

Da hilft  auch Merkels Definition, von jenen, die schon länger hier leben, nicht wirklich weiter. Ist tatsächlich nur das „Staatsvolk“ gemeint, also die Staatsbürger, die ihre Staatsbürgerschaft wenn es darauf ankommt, mit dem Staatsbürgerschaftsausweis nachweisen können?

Da gibt es nämlich seit 1992  im Artikel 28 des Grundgesetzes eine interessante Weiterung:

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 28

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

Das muss man so deuten, dass diejenigen Personen, die im politischen Leben des Volkes stehen, dem „eigentlichen Volk“ gar nicht anzugehören brauchen, um im politischen Leben des Volkes stehen zu können.

Aber das ist ja immer noch weit weg von der Frage zwischen wem  – und dem Volk – dieser Schutzzaun verläuft, der die Gefährder von den Gefährdeten trennt um Letztere zu schützen. Ich wage die Frage kaum zu stellen, denn wenn sie zu bejahen wäre, hätte man davon doch irgendwann einmal etwas erfahren müssen. -Stellen Sie sich den nächsten Satz bitte ganz leise geflüstert vor:

Wie ist das denn mit den Abgeordneten der AfD?
Sind die – nach dem Verständnis der Mehrheit – nicht
eigentlich dem Lager der Gefährder zuzuschlagen?

Ich glaube, im Grunde gehören diese in ihrer Funktion zum Kreis der Geschützten. Dass sie dennoch vom hundertachtundachtziger keinen Gebrauch machen können, mag in der einschränkenden Bedingung liegen, dass die Beleidigung geeignet sein muss, das öffentliche Wirken des Beleidigten erheblich zu erschweren. Nun, es ist eine Binsenweisheit, dass die AfD bisher öffentlich nichts bewirken konnte als den Kampf gegen rechts auszulösen. Wo aber nichts bewirkt werden kann, da kann das Wirken gar nicht erschwert werden – und damit ist die ganze Strafandrohung in Bezug auf diese Gruppe, die ja nun auch nicht wirklich im politischen Leben des Volkes steht, sondern völkisch abgesondert irgendwo daneben, von vornherein hinfällig. Das wäre ja noch schöner.

Aber auf der anderen Seite steht kaum eine Person mehr im Zentrum des politischen Lebens des Volkes als Greta Thunberg!

Muss man dieser mutigen Heranwachsenden, die weder die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, noch wenigstens in einem Gemeinderat einer deutschen Kommune hin und wieder einen Satz zur Tagesordnung absondern darf, nicht auch den Schutz des §188 angedeihen lassen? Ganz bestimmt!

Sind mit Greta Thunberg dann aber nicht gleichzeitig auch Jan Böhmermann, Oliver Welke, Dieter Nuhr, Bill Gates, George Soros, Joe Biden vor alledem zu schützen, wovon sie sich beleidigt, übelbenachredet oder verleumdet fühlen könnten? Die trampelnstehen doch alle rücksichtslos mitten im politischen Leben des Volkes herum. Aber, da darf man die Klappe nicht so weit aufreißen. Da muss man für die Schere im Kopf schon auch mal unbezahlte Überstunden anordnen. Ich könnte doppelt so viel schreiben, müsste ich nicht Stunden damit verbringen, alles wieder rauszustreichen, was mir ursprünglich die Motivation zum Schreiben verschafft hat.

Sie können jetzt getrost zum Lachen in den Keller gehen. Es wird Ihnen schon noch vergehen. Ich bleibe bierernst, weil das Stilmittel der Überzeichnung längst nicht mehr lustig, sondern nur noch furchteinflößend ist, weil auch die größte Absurdität schon morgen gelebte Demokratie sein kann und dann auch so genannt werden muss, will man nicht mit den §§ 90 und 188 StGB in Konflikt geraten.

Zum Schluss ein Witz, der nach dem Ende der vorletzten beendeten Diktatur auf deutschem Boden straffrei erzählt werden durfte:

Wo gibt es die meisten Warenhäuser?

In Berlin.

Überall, wo man hinschaut, waren Häuser.