Geburt des Mäusleins

Der Berg kreißte und ein Mäuslein ward geboren.

 

Die Wehen begannen am Abend des 24. September 2017. Das ist über ein Jahr her – und es war der Tag der Wahl zum 19. Deutschen Bundestag.

Die erste Wehe (oder war es das erste „Wehe!“) zeichnete sich schon früh ab. Gegen den  langen Trend stieg die Wahlbeteiligung um rund fünf Prozentpunkte.

Da waren sie wieder, die schon sicher sediert geglaubten Nichtwähler. Auferstanden von ihren Ruhekissen zeigten sie an, dass es vorbei war mit dem stillen Einverständnis des Souveräns.

Die zweite Wehe folgte mit elementarer Wucht dann gleich nach 18 Uhr als die Prognose und dann die ersten Hochrechnungen vorlagen. Die GroKo schwer beschädigt, Verluste der CDU, bezogen auf das Ergebnis von 2013, 21,4 Prozent. Mehr als ein Fünftel der Wähler von 2013 haben ihr Kreuz anderswo gemacht. Bei der SPD fast das identisch gleiche Bild, auch hier hat sich jeder Fünfte verabschiedet, die CSU kam etwas besser weg, nur jeder Sechste ging von der Fahne, doch die Schmerzensschreie der GroKo im Kreissaal hallten durchs ganze Land und jedermann fragte sich, ob die große Koalition im Kreißsaal ihr Leben aushauchen würde um neuem Leben eine Chance zu geben.

Tatsächlich sah es dann über Monate so aus, als könnte sich eine neue Formation bilden, mit den Farben Jamaicas: Grün als Fundament unten und Grün als Domina auch oben, Schwarz ganz links und Schwarz ganz rechts, und darüber, trennend, statt verbindend, ein gelbes Kreuz.

Doch Jamaica erwies sich als ein nicht lebensfähiges Frühchen, das nicht einmal für wert gehalten wurde, es im Brutkasten aufzupäppeln. Es landete bei all dem anderem Klinikmüll, der sich laufend so ansammelt und wurde ohne großes Aufhebens entsorgt.

Aber ohne dass es einer neuerlichen Befruchtung durch den Souverän bedurft hätte, schickte sich ein weiteres Wesen an, den Geburtskanal zu verlassen, ein Wesen, das die ganze Zeit ungeduldig hinter Jamaica gelauert hatte. Es sah der alten GroKo zum Verwechseln ähnlich, wirkte auch gar nicht jung oder neu, nur viel schlanker, und deswegen flutschte es jetzt auch nur so heraus, und Martin Schulz landete mit der Nachgeburt im Klinikmüll.

Bald stellte sich heraus, dass bei der Zeugung der neuen GroKo nicht eine regierungsfähige Einheit entstanden war, es handelte sich auch nicht, wie zuvor, um ein am Kopf zusammengewachsenes siamesisches Zwillingspaar mit links roten und rechts schwarzen Haaren – nein: Etwas Neues war entstanden. Die Drillinge mit den  Scherenhänden, aneinander gefesselt von der um die drei Hälse gewickelten Nabelschnur der gemeinsamen Mehrheit, versuchten sie permanent in alle Richtungen auseinander zu streben, um sich gleich darauf wieder mit den scharfen Scherenhänden blutige Verletzungen zuzufügen…

Dann kam die Bayernwahl. Erneut erschütterten schwere Wehenkrämpfe das Land. Die Vermutung, auch die GroKo sei nur eine vorauseilende Fehlgeburt gewesen, es käme nun endlich DAS NEUE machte die Runde.

Doch es vergingen noch einmal zwei Wochen.

Die Hessen wählten.

Die letzte, alles zerfetzende Presswehe ließ das Land sich aufbäumen – und dann geschah das Wunder:

 

In die bange Stille hinein tat ein rosiges Mädchen seinen ersten Schrei und der klang so:

Ich will noch drei Jahre die Kanzlerin aller jener sein,
die in dem Land, das mir gehört,
gut und gerne oder so leben –
und das mit all meiner Kraft
und neuem Schwung –
ohne die Last des Parteivorsitzes.

 

Leute! Ist das nicht fantastisch, wie stabil unsere Demokratie ist und jeden Sturm, jeden Erdrutsch unbeirrt, ja unbekümmert übersteht?

Selbst drei verheerende Wahlniederlagen in Folge haben unsere Qualitätsregierung nicht aus der Bahn werfen können.

Ich könnte heulen vor Stolz! Ist doch wahr!

Mit Angela Merkel auf der Brücke würde die Titanic auch heute, nach über hundert Jahren noch unsinkbar über die Weltmeere fahren und jeder Eisberg, der die Vibrationen der drei Schrauben der Titanic verspürt, würde, wie die Piraten bei Asterix  und Obelix, jedwede Möglichkeit ergreifen, der für ihn tödlichen Kollission zu entgehen – und sei es durch spontante Totalverdunstung.

Eine Teflon-Kanzlerin auf der Brücke, eine Drei-Wetter-Taft Kriegsministerin im War Room und das stärkste Mädchen der Welt, mit einem Pferd auf dem Balkon und Herrn Nilson im Genick als Dauerattraktion auf der Showbühne, das kann sich auf dieser Welt nicht jeder leisten, schon gar nicht in der felsenfesten Überzeugung, es handle sich um eine ganz normale Demokratie.

Bei Wilhelm Busch heißt es, in Anbetracht der tollen Streiche des unbesiegbaren Duos Max und Moritz schon im Vorwort:

Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!

 

Am Ende war es nicht die alte Witwe Bolte, die, mit ihrem letzten Zahne knirschend, den Diebstahl ihrer Hühner hinnnehmen musste, weil es ihr an Kraft und Vitalität fehlte, es war nicht der spindeldürre Schneider Böck, der ihr höhnisches „Meck, meck, meck“ unbeantwortet lassen musste, weil er sie nicht erwischen konnte, es war nicht der vergeistigte Lehrer und Orgelspieler Lämpel, der einem Sprengstoff-Attentat zum Opfer fiel, es war nicht der ewig schläfrige Onkel Fritze, es war auch nicht der Zuckerbäcker, der den beiden zwar einen ordentlichen Schrecken einjagte, sie dann aber doch wieder laufen ließ: Es war der zupackende Bauer Mecke, der sich pragmatisch mit dem Müller verbündete und dem unseligen Treiben ein Ende bereitete.

Als man dies im Dorf erfuhr,
war von Trauer keine Spur.

Kurz, im ganzen Ort herum,
ging ein freudiges Gebrumm:
„Gott sei Dank! Nun ist’s vorbei
mit der Übeltäterei!“

 

Ist allerdings leider nicht politisch korrekt, der Herr Busch.

Gesoffen haben soll er ja auch.

Heute gilt, dass jemand, der nicht bei den Streichen eins bis sechs, sondern nur am Ende des letzten Streiches lacht, ein Nazi ist und als sogenannter hate-laugher gelöscht werden muss.