Israel vs. Iran. Höchste Kriegsgefahr!

PaD 29 /2024 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 29 2024 Israel vs. Iran Kriegsgefahr

Israel hat wieder einmal einen Hamas-Führer „eliminiert“.

Dies allerdings mitten in Teheran.

Am 24. Juli, also vor einer Woche, habe ich in „EWK – Zur Lage“ gewarnt:

„Die Anzeichen, dass eine Ausweitung des Kriegs und die direkte Konfrontation mit dem Iran näher rücken, mehren sich.“

Der Schwarm-Angriff des Iran auf militärische Ziele in Israel, der (trotz vorheriger Ankündigung)von Israel und seinen Verbündeten auch mit einem Aufwand von rund 1 Milliarde Dollar verschossener Munition nicht vollständig abgeblockt werden konnte, und der nach einer Flugstrecke von 2.000  Kilometern  gelungene Drohnenangriff der Huthis auf Tel Aviv, waren durchaus ernsthafte Signale des Iran.

Der Angriff mit einer großen Zahl von von Kampfflugzeugen auf den jemenitischen Hafen von Hodeida, der praktisch über keine wirksame Luftabwehr verfügte, kann als der erste israelische Gegenschlag gewertet werden.

Der dreiste Angriff auf den Hamas-Führer, mitten in der iranischen Hauptstadt Teheran, kann als Vergeltung für den Angriff auf Tel Aviv und als Demonstration der Treffsicherheit israelischer Marschflugkörper begriffen werden.

Den Angriff auf den Hisbollah-Führer in Beirut zähle ich übrigens nicht in diese Reihe von Vergeltungsschlägen.

Es sieht immer noch danach aus, dass hier mit jeweils nur minimalen Eskalationsschritten das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zelebriert wird.

Die Brisanz der Situation zeigt sich allerdings erst dann in voller Schönheit, wenn man den Blickwinkel vergrößert.

Die Huthis, die de fakto die Staatsgewalt im Jemen darstellen, während die reguläre Regierung es vorgezogen hat, sich ins Exil zurückzuziehen, sind ja nicht erst seit Oktober 23 damit beschäftigt, die Palästinenser im Gaza-Streifen durch Angriffe auf Schiffe mit Israel-Bezug zu unterstützen.

Diese Huthis kämpfen seit 2015 gegen den großen nördlichen Nachbarn Saudi-Arabien, dessen Intervention im jemenitischen Bürgerkrieg trotz der randvollen Arsenale mit modernsten US-Waffensystemen keine nachhaltigen  Erfolge hervorgebracht hat, während die Huthis nebenher noch einen erfolgreichen  Krieg gegen die US-Marine im Roten Meer führen und Israel mit Drohnen angreifen.

Die Huthis, die Hisbollah im Libanon  und die Hamas in Gaza bilden dabei nur die Speerspitzen der Regionalmacht Iran, während Russland als der große Bruder im Hintergrund bleibt.

Auf der anderen Seite steht Israel  in der Region alleine. Britische- und US-Marineverbände befinden sich zwar vor Ort, aber eben kein starker regionaler Verbündeter, wie es die Saudis hätten sein können, wäre die Abraham Accords Declaration, mit der Animositäten zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn abgebaut werden sollten, nicht durch den neuerlichen Konflikt um Gaza schwer beschädigt worden, mit dem Ergebnis, dass sich Mohammed bin Salman eindeutig auf die Seite der Palästinenser gestellt hat.

In Bezug auf den regionalen Konflikt mit Israel zeichnen sich die ersten Ansätze einer Achse „Saudi Arabien – Huthis – Iran“ ab, die sich übrigens – wenn auch weniger klar –  auch schon darin gezeigt hat, dass Saudi-Arabien in Erwägung zieht, sich um die Aufnahme in die BRICS Gruppe zu bewerben, wo der Iran inzwischen Mitglied geworden ist.

 

In Israel dürfte inzwischen die Erkenntnis dämmern, dass der weitgehend gelungene Versuch, die Hamas zu vernichten, letztlich keinen spürbaren Effekt für die israelische Sicherheitslage, wohl aber Unverständnis für dieses Vorgehen bei einigen seiner Freunde gebracht hat, die sich mehr oder weniger deutlich auf Distanz begeben haben. 

Jetzt  einfach Siedlungen im Gaza-Streifen zu errichten, funktioniert auch nicht, denn da befinden sich immer noch um die zwei Millionen Zivilisten, deren Existenz auch Israel nicht einfach ignorieren kann.

Es zeigt sich nun in aller Deutlichkeit, dass die israelische Reaktion auf  die Hamas-Aktion vom 7. Oktober 2023 maßlos überzogen ausgefallen ist und Israel sich damit selbst in eine nicht mehr beherrschbare Situation gebracht hat.

Dies war frühzeitig absehbar. Am 17. April habe ich dazu ausgeführt:

Israel kann überhaupt nicht mehr zurück.

Der Status vom 6. Oktober 23 ist nicht mehr herstellbar. Ein Zustand, in dem gegenüber der „Vorkriegszeit“ so weitreichende Zugeständnisse an die Palästinenser gemacht würden, dass diese das Kriegsbeil endgültig begraben, ist erst recht nicht zu erreichen, denn das hieße, die Palästinenser zum Sieger der Auseinandersetzung auszurufen, was die Verhältnisse vollkommen auf den Kopf stellen würde. Ein Zustand weiterer Demütigung und Einhegung der Palästinenser, den diese um des Friedens willen akzeptieren, ist auch nicht vorstellbar, empfanden sie ihre Rolle doch ohnehin schon unerträglich.

Mag sein, dass sie sich in eine solche Rolle begeben müssen, weil die Kräfteverhältnisse nichts anderes zulassen, doch ihr Verlangen nach Rache würde dadurch nur verstärkt und auf einen neuerlichen Ausbruch oder eine nicht enden wollende Terrorserie hinauslaufen.

Es ist kalte, strategische Logik, dass Israel die permanente Bedrohung durch die Palästinenser nur beenden kann, wenn es Palästinenser im Gaza-Streifen und in der Westbank nicht mehr gibt, und nach meiner Einschätzung ist Israel gewillt, dieser Logik folgend zu handeln und erst die militärischen Ressourcen der Palästinenser zu zerstören, ihre Kämpfer zu töten, und dann die Kinder und die Alten zum Wegzug aus den Palästinensergebieten zu bewegen. Letzteres muss nicht kurzfristig und quasi „auf einen Schlag“ in Form einer völkerrechtswidrigen Vertreibung geschehen, sondern wird sich – unumkehrbar – über Jahre hinziehen, in denen die Jungen sich nach und nach absetzen und die Alten allmählich aussterben.

Vor ein paar Tagen habe ich dazu weiter geschrieben:

Dass Israel UN-Resolutionen ignoriert, ist nichts Neues. Dass Israel auf Wünsche der USA nicht reagiert, kommt schon etwas seltener vor. So ist es nicht verwunderlich, dass den dringenden Aufforderungen, den Krieg zu beenden, mehr humanitäre Hilfe zu ermöglichen und Zivilisten zu schonen allenfalls in Andeutungen nachgekommen wird.
Selbst die Drohung der USA, Waffenlieferungen zurückzuhalten, um den von Israel angekündigten Angriff auf Rafah zu stoppen, hat nichts bewirkt.
Wer Moby Dick gelesen, oder den Film gesehen hat, weiß, was ich meine, wenn ich sage: „Netanjahu erscheint mir immer mehr als Wiedergänger des Kapitäns Ahab.“

Die alarmierende  Lage am Morgen des 1. August 2024

  • Die Militäraktion im Gaza-Streifen hat sich totgelaufen. Es können zwar immer wieder noch einmal Bomben zwischen die Ruinen geworfen werden, die Zivilisten können von einer Ecke des Gebietes in die andere getrieben werden, aber irgendwelche „militärischen Erfolge“ sind – mangels Zielen – nicht mehr zu erzielen.
  • Im Norden sind nach wie vor Zigtausende Israelis  aus ihren Häusern geflüchtet, weil es nicht gelungen ist, die vom Libanon aus vorgetragenen Raketenangriffe der Hisbollah zu beenden. Der medial groß herausgestellte Treffer auf einen Sportplatz auf den Golanhöhen, dem – propagandawirksam – mehrere Kinder zum Opfer fielen, wurde mit einem singulären Angriff auf Beirut beantwortet, bei dem ein Hisbollah-Führer eliminiert wurde.
  • Die Ermordung des Hamas-Führers Hanija, mitten in Teheran, hat Ajatollah Ali Chamenei erst zu der Aussage gebracht: „Das kriminelle zionistische Regime hat unseren Gast in unserem Haus ermordet. Es wird eine harte Bestrafung geben“, um dies später mit dem Befehl, Israel direkt anzugreifen, zu konkretisieren. Erste Meldungen, die ich heute Morgen gehört habe, sprachen noch von einem Befehl an die Hamas, Israel anzugreifen. Wie die Hamas dies nach weitgehender Zerstörung ihrer Strukturen und massiven Verlusten an Kämpfern bewerkstelligen sollte, war dabei unklar. Inzwischen ist vom „Auftrag an die Hamas“ nicht mehr die Rede, nur noch vom allgemeinen Befehl, Israel anzugreifen.
  • Die Stimmung in der israelischen Bevölkerung entspricht nicht dem, was man sich unter Zustimmung zur Regierungspolitik vorstellt. Die gleiche Stimmung dürfte – wenn auch unter dem Deckel gehalten – in weiten Teilen des  Militärs herrschen, weil – vor allem durch die mehrjährige Wehrpflicht, samt Reservedienstzeiten für Männer und Frauen – die Grenzlinien zwischen Zivilisten und Militär verschwimmen. Dies kann sich für die militärische Führung noch als problematisch erweisen.

Wird daraus der große Nahost-Krieg werden?

Unterstellt, die Rhetorik der Mullahs, stimmt mit ihren tatsächlichen Zielen und Absichten überein, ist die Gelegenheit, Israel vernichtend zu schlagen momentan so günstig wie lange nicht mehr.

  • Israels Vorgehen im Gaza-Streifen hat nicht nur die arabische Welt empört. Auch der von den USA angeführte Wertewesten übt  Kritik. Als Ausnahme tritt Deutschland, vertreten durch Annalena Baerbock in Erscheinung, die jedoch keinerlei militärische Mittel einsetzen könnte, um Israel zur Seite zu stehen.
  • Die USA sind aktuell erkennbar führungslos. Bis im Januar der nächste Präsident vereidigt wird, sind die Reaktionen aus Washington nicht vorhersehbar, wobei ein zurückhaltendes Verhalten am wahrscheinlichsten zu erwarten ist.
  • Die israelischen Streitkräfte sind nach zehn Monaten Dauereinsatz erholungsbedürftig.
  • Wie es um die Munitionsvorräte aussieht, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Es kann jedoch angenommen werden, dass die Bestände im Augenblick nicht zu hundert Prozent aufgefüllt sind.
  • Die Umstrukturierung der israelischen Streitkräfte vom Angriffskrieg gegen einen unterlegenen Gegner auf einen Verteidigungskrieg gegen einen überlegenen Gegner erfordert Zeit. Der Angriff sollte also so früh wie möglich erfolgen, bevor die Vorbereitungen der Verteidiger abgeschlossen sind.

Die  große Unbekannte in der Rechnung ist die Frage, inwieweit Israel bereit sein wird, seine Atomwaffen zum Einsatz zu bringen. Die israelische Bombe kann – nach  allem, was dazu angenommen wird – sowohl von U-Booten aus gestartet als auch von Kampfflugzeugen ins Ziel getragen werden. Über die Fähigkeiten der iranischen Luftabwehr ist zwar wenig bekannt, doch einen lückenlos-zuverlässigen Abwehrschirm dürfte es kaum geben.

Von daher gehe ich davon aus, dass der Befehl, Israel direkt anzugreifen, wieder „nur“ in einer begrenzten Vergeltungsaktion münden wird. Es wird davon abhängen, ob Israel gewillt ist, das genauso zu sehen, oder ob der erneute Racheakt als der finale Angriff auf die Existenz Israels interpretiert wird. (Bitte erinnern Sie sich an die Interpretation des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober. Da sehe ich Parallelen. )

Der Iran muss – schon zur Gesichtswahrung – einen Gegenschlag unternehmen.

Das Gefährliche daran ist:

Israel wird daraus möglicherweise die Rechtfertigung für einen massiven Präventivschlag gegen den Iran ableiten.

Was danach auch immer folgen sollte:  Israels verkorkster Militäreinsatz im Gaza-Streifen wird dann kein Thema mehr sein.