2024 Krisis

„Die Krise bei den Krankheiten ist, wenn sich die Krankheiten
verstärken, nachlassen, in eine andere Krankheit umschlagen oder aufhören“.
(Pseudohippokratische Weisheit*)

Manches Siechtum ist so unerträglich, dass der Wunsch nach der entscheidenden Krisis übermächtig wird. „Lieber ein Ende mit Schrecken“, heißt es dann, „als ein Schrecken ohne Ende.“

Doch zwischen Drama und Tragödie zu entscheiden, auf den glücklichen Ausgang nach dramatischen Wendungen zu hoffen, oder in der unlösbaren Verstrickung des Schicksals zu resignieren, geht oft über das Menschenmögliche hinaus. Das Ergebnis ist ein zielloses Taumeln, in dem Glücksmomente wie ein Hohnlachen des Schicksals empfunden werden und schwermütig machen, weil ihr Vergehen mit ihrem Eintreten schon besiegelt ist, und schwerste Verluste keine Trauer mehr hervorbringen, sondern nur noch die bittersten Formen zynischen Galgenhumors.

Nicht jeder kann sich in dieser Schilderung selbst wiedererkennen, aber viele kennen Beispiele, die das Gesagte bestätigen.

Die Kalendermacher, in ihrer unergründlichen Weisheit, haben beschlossen, dass jeweils ein paar Tage nach der Wintersonnwende ein neues Jahr mit einer um eins erhöhten Nummer zu beginnen habe. Eine Markierung im Fluss der Zeit, mehr nicht. Auch alle diese Ersten Januare schwimmen mit dem Strom davon in die gleiche zeitlose Vergangenheit, in der gleichberechtigt auch alle jene Äonen versammelt sind, die der menschlichen Einteilung in Jahre, Monate, Wochen, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden noch entgehen konnten.

An dieser Stelle zitiere ich aus dem Buch einer jungen Autorin, das ich einst herausgebracht habe:

„Ich weiß,
dass ich die Dinge nicht so sehe,
wie sie sind.
Ich sehe die Dinge so, wie ich bin.“

Und, aus dem gleichen Buch, eine zweite, wichtige Erkenntnis:

 

Heute ist ein wichtiger Tag,
denn er ist der erste Tag
vom Rest meines Lebens.

Es war nicht meine Absicht, aus diesem Buch zu zitieren, als ich mit diesem Text begonnen habe. Es war meine Absicht, einen Aspekt jener Krisis sichtbar zu machen, die uns erschüttert, und deren Ausgang – ob Verstärkung, Abschwächung, Wandel, Tod oder Genesung – noch offen ist.

Der Aspekt, den ich aufgreifen wollte, ist die zunehmende Entfernung des Menschen von den Grundlagen seiner Existenz, der leider oft so wahrgenommen wird, als entfernten sich die Grundlagen der Existenz vom Menschen. Denn letzteres wäre ein Prozess in der Krisis, der vom Menschen nicht beeinflusst werden kann, es sei denn, er versucht, sich im gleichen Tempo von sich selbst zu entfernen. Doch es ist der Mensch, der sich, alleine um des Fortschritts willen, fortschreitend entfernt – um im Blick zurück zu erkennen, dass er in die Irre gelaufen ist.

Konkret gibt es eine Unzahl von Beispielen.

Eins davon ist die Gesunderhaltung des Körpers. Heilkundige Frauen, Medizinmänner, Schamanen, und wie sie alle genannt wurden, waren dem Menschen einst nahe. In der Familie, der Sippe, dem Stamm, waren sie vertreten und genossen hohes Ansehen. Ärzte und Apotheker traten ihre Nachfolge an, waren zumeist nicht mehr in der Familie, in der Sippe zu finden, wohl aber schon in den kleineren Städten.

Das Angebot an medizinischen Dienstleistungen ist im letzten Jahrhundert gewaltig gewachsen. Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken, die Physiotherapeuten und  Naturheilkundler, Rettungssanitäter und Notärzte waren überall schnell erreichbar, beziehungsweise zur Stelle. Heilkunst jeglicher Art versprach den Heilkundigen Reichtum. Apparatemedizin versprach noch größeren Reichtum. Die Vollauslastung der Apparate verhieß den größten Reichtum. Der Gesundheitsapparat saugte

  • die Patienten an, weil er ohne eine Mindestauslastung nicht bestehen konnte,
  • und damit die Krankenkassen aus.

Am Ende des Irrwegs sehen wir die Arztpraxen verschwinden und die Notaufnahmen der Krankenhäuser überlaufen, denn Termine für die oft dringend benötigten Fachärzte liegen Wochen und Monate in der Zukunft. Die Pharmaindustrie lässt billig in Indien und China produzieren, aber in den Apotheken herrscht Mangel. Mangel an Medikamenten, Mangel an Fachkräften – und es mangelt am Ertrag. Die Kliniken, die noch  arbeiten, leiden unter einem Mangel an Ärzten, Pflegern und Einnahmen und schließen vorsorglich ganze Abteilungen, andere Häuser werden ganz aufgegeben, und auch die Pflegeheime rauschen reihenweise in die Insolvenz.

Die gesamte Infrastruktur des medizinisch-pharamzeutischen Komplexes zerbricht und der kranke Mensch, der sich schon fast in der Wunderwelt der ewigen Jugend und vollster Gesundheit angekommen wähnte, fällt hilflos auf sich selbst zurück. Die Familie, mit der heilkundigen Frau, die Sippe mit dem Medizinmann hat er ja auch hinter sich gelassen und die Bequemlichkeit und Verantwortungslosigkeit des Single-Daseins genossen.

Ein anderes Beispiel findet sich in der Beschaffung der notwendigen, bzw. wünschenswerten Waren. Früh schon bildeten sich Formen des arbeitsteiligen Wirtschaftens heraus. Rings um die Bauern, den „Nährstand“, spezialisierten sich Maurer, Zimmerer und Schmiede in ihren Gewerken, doch alles war im eigenen Dorf zuhause. Reisende boten zwei, drei mal im Jahr Stoffe und Gewürze, Porzellan und Trödelkram an. Dann kam die Industrie mit der Massenproduktion und der für die großräumige Verteilung unerzichtbare Handel. Unbekannte stellten alles her, was der Mensch gebrauchen konnte, der seinerseits irgendwelche Dinge für ihm Unbekannte herstellte. Die Läden füllten sich, wuchsen zu Kaufhäusern und Supermärkten. Spezialitätenhändler schossen überall aus dem Boden, wo die Kaufkraft versammelt war. Die allgemeine Mobilität ermöglichte es bald auch den Bauern auf dem Lande sich in der Stadt mit allem zu versorgen, was draußen niemand anbieten wollte. Die Entfernung von den Grundlagen des Lebens wurde noch nicht wahrgenommen, auch dann noch nicht, als die Supermärkte und Factory-Outlets auf der grünen Wiese in die Höhe schossen, während die Fachhändler in den städtischen Zentren mehr und mehr auf Selbstbedienung umstellten, um am Personal das zu sparen, was der Umsatz nicht mehr einbrachte. Inzwischen ist auch die Kette zwischen Erzeuger und Konsument, die aus Import-/Export-Unternehmen, Großhandel und Einzelhandel bestand, vom Aussterben bedroht.  Die Monstercomputer der E-Commerce-Riesen haben das alles übernommen. Der Kunde begegnet einem Menschen nur noch in Form jener meist radebrechenden Boten, die tagtäglich eine Flut von Paketen von den Logistikzentren an die Haustüren bringen. Nicht mehr nur die Dörfer und die kleineren Städte sind leer, auch in den großen Städten veröden die Zentren.

Die kleinteilige, vielfach redundante, und daher hochgradig ausfallsichere Versorgungsstruktur der Vergangenheit ist bereits dem Tod geweiht. Der Kunde sonnt sich in der fast an das Schlaraffenland grenzenden Bequemlichkeit, vom Smartphone aus zu jeder Tages- und Nachtzeit, unterstützt von Vergleichsportalen und Bewertungsseiten, auf ein schier unendlich breites Angebot zugreifen zu können, und hilft freudig am Heranwachsen übermächtiger Monopole mit. Es ist doch inzwischen schon so, dass selbst Menschen, die ihr Einkaufsverhalten darauf ausgerichtet haben, den Erhalt des regionalen Einzelhandels zu sichern, nach langer vergeblicher Suche nach qualitativ und preislich Vergleichbarem am Ende doch – wenn auch mit schlechtem Gewissen – bei Amazon bestellen. Die Gefahr, die von den so entstehenden Monopolen ausgeht, ist aber nur das eine Problem. Das andere Problem besteht darin, dass die gesamte Distribution praktisch aller Waren, von der Tüte Spaghetti über das rezeptpflichtige Medikament aus der Versandapotheke bis hin zu Kühlschrank, Waschmaschine und Fernseher, auf die Verfügbarkeit des Internets angewiesen ist, und der gesamte Verteilungspfad ohne den Strom für die beteiligten Rechnersysteme zum Stillstand kommt.

Dass wir uns nicht nur bereits – buchstäblich – meilenweit vom Ursprung unserer Lebensgrundlagen entfernt haben, sondern dabei sind, in einem zweiten, noch gewaltigeren Schritt, auch die Sicherheit der Grundvoraussetzungen des Verteilungssystems zerstören und die Gefahr lange anhaltender, überregionaler Blackouts in Kauf nehmen, ähnelt immer mehr nur noch dem Russischem Roulette. Denn auch hier ist das Eintreten sicher – lediglich der Zeitpunkt ist ungewiss.

Ein Rückfall auf kleinteilige und vielfach redundante Strukturen, so schnell, dass die Verteilung funktioniert, bevor die halbe Bevölkerung verhungert ist, ist nicht mehr möglich.

Ein drittes Beispiel bietet der Staat. Auch der Staat zieht sich zurück. Verschanzt sich unerreichbar hinter  ausgeklügelten Telefonwartschlangen, Unzuständigkeiten, Personalmangel und Formularen. Immer weniger Anlaufstellten für immer mehr Bürger. Statt beim Stammtisch Bürgermeister und Gemeinderäten den Kopf waschen zu können, laufen heute E-Petitionen ins Leere und Demoskopen erzeugen mit geschickten Fragen und fragwürdigen Auswertungsverfahren die von den Auftraggebern bestellten Antworten. Das neue Wahlrecht begünstigt die auf Listenplätzen untergebrachten Zöglinge der Parteizentralen, während die vor Ort bekannten, für ein Direktmandat Kandidierenden, sich auf ein Lotteriespiel einlassen, bei dem diejenigen verlieren, deren Direktmandat nicht vom Zweitstimmenergebnis der Partei „gedeckt“ ist.

Die allgemeine Tendenz zur Zentralisierung bringt eine immer weiter wachsende Konzentration der Macht in den Händen weniger mit sich, zehrt  den Mittelstand aus, entmündigt den einfachen Bürger, wirft ihn aber nicht etwa auf sich selbst zurück, was ihm immerhin noch eine Chance ließe, sondern verbannt ihn in den engen Käfig strafbewehrter Verbote, Gebote und Abhängigkeiten, die alle darauf abzielen, Selbstvertrauen zu zerstören, Charaktere zu verbiegen und eigenverantwortliches Handeln unmöglich zu machen.

Die Hofschranzen haben ebenso Hochkonjunktur wie die Denunzianten. Speichellecker bespielen die Bühne der veröffentlichten Meinung. Wo in der realen Welt das schmale Einkommen durch Steuern und Abgaben aufgezehrt wird, noch bevor es in Empfang genommen werden kann, mästen sich nichtsnutzige Opportunisten aus dem Staatssäckel, zu dem ihnen freimütig Zugang gewährt wird, weil sie es sind, die eine Illusion von Demokratie und Rechtsstaat errichtet haben und aufrecht erhalten, hinter der Sinn und Wortlaut des Grundgesetzes verblassen müssen.

 

Nachdem ich aber mit der Aussage begonnen habe:

„Ich weiß, dass ich die Dinge nicht so sehe, wie sie sind.

Ich sehe die Dinge so, wie ich bin“,

erscheint es mir erforderlich, den Versuch zu unternehmen, aus dem möglichen Widerspruch zwischen „gesehener“ Krisis und der „wahren“ Natur der Dinge, einen Ausweg zu finden, der aus der Ratlosigkeit herausführt, hin zu einer Erkenntnis, die beides miteinander versöhnt und eine Lösung erkennen lässt.

Da hilft es wenig, mit einer naturwissenschaftlichen Interpretation des Sehens weiterkommen zu wollen. Das endet in den endlosen Weiten eines nahezu vollständig leeren Mikrokosmos, im Zwischenraum zwischen Protonen, Neutronen und Elektronen, wo nichts von dem, was wir mit menschlichen Augen zu sehen vermeinen, noch in Erscheinung tritt.

Zielführender erscheint es, vom „Sein“ herzukommen, bei René Descartes zu beginnen, der erkannte: „Ich denke, also bin ich.“ In dieser Logik scheint es zulässig, eine Synthese zu schaffen, die da lautet:

„Ich sehe die Dinge,  w e i l   ich denke.“

Die Grundvoraussetzung des Denkens ist aber die Unterscheidung. Was sollte noch gedacht werden, wenn alles gleich wäre? Wer nicht zu unterscheiden vermag, vermag auch nicht zu denken, also kann „er“ auch nicht sein, jedenfalls nicht als individuelles Ich.

Dem Unterscheiden folgt der Vergleich, und aus Unterscheiden und Vergleichen erwächst die Analyse, die wiederum das Gleiche im Verschiedenen festzustellen vermag. Blut und Wein lassen sich unterscheiden. Der Vergleich ordnet sie ein in die Rubrik „Flüssigkeiten“. Die Analyse erkennt, dass beide, so unterschiedlich sie auch sein mögen, so unterschiedlichen Zwecken sie auch dienen mögen, hauptsächlich aus Wasser bestehen.

Daraus ergibt sich die Folgerung, dass „die Dinge an sich“ erst dadurch aus der Masse des Gleichen heraustreten, dass ich sie unterscheide, vergleiche und analysiere, und dass sie alleine dadurch für mich „wahr und nehmbar“ werden.

Neben den Dingen hat das Denken aber auch die Abstraktionen hervorgebracht, die Ideen und die Ideologien. Damit begann der schöpferische Mensch in die Welt zu treten und sie zu formen und zu verändern. Die Idee, einen spitzen Stein an  einem Aststück zu befestigen, um so etwas wie einen Hammer, eine Axt, ein Messer, einen Pfeil mit harter Spitze zu erschaffen, war  vor dem Hammer, vor der Axt, dem Messer und dem Pfeil da. Jemand hat den Stein und den Ast und die Sehne eines  erlegten Tieres gesehen, und zwar nicht so, wie sie waren, sondern so, wie zuerst nur er sie sehen konnte.

Ideen, die sich auf die Gestaltung der Materie beziehen, haben den großen Vorteil, dass sie sich relativ schnell an und in der Realität überprüfen lassen. Entweder „es funktioniert“ wie gedacht, oder es funktioniert nicht so.

Für Ideen, die sich auf die Oganisation der menschlichen Gesellschaft beziehen, kann der eindeutige Beweis des Funktionierens nicht erbracht werden, allenfalls kann ihr Scheitern festgestellt werden.

Das Experiment, in dem wir – übrigens gemeinsam mit den Experimentatoren – momentan leben, beruht auf der Idee eines allsehenden und allwissenden Systems, dessen Schöpfer und Beherrscher sowohl allmächtig als auch im alleinigen Besitz der Wahrheit sind und sich daher berufen und ermächtigt fühlen, sich die Menschheit nach ihren Vorstellungen zurechtzubiegen und zurechtzuschneiden. Die Computertechnologie stellt die Mittel für die umfassende Überwachung und Kontrolle, für die Aufzeichnung aller Lebensäußerungen und deren Umsetzung in ein Bewertungssystem für jeden einzelnen Menschen ebenso zur Verfügung, wie die Möglichkeit, jedem einzelnen Menschen Privilegien zuzuteilen und sie ihm gegebenenfalls wieder zu entziehen, ihn, falls erforderlich, Schritt für Schritt vom Leben in  der Gemeinschaft abzuschneiden und ihn letztlich auf subtile Weise zu töten.

Dieses Experiment, bei dem China, soweit mir die Informationen zugänglich sind, am weitesten vorangekommen ist, scheint dort zu funktionieren. Selbst in Hongkong ist es ruhig geworden, so ruhig wie in Tibet und im Tarimbecken der Uiguren. Liegt es am wirtschaftlichen Aufschwung und wachsenden Wohlstand, dass der allmächtige Staat akzeptiert wird? Es gibt eine Parallele in der jüngeren deutschen Geschichte. Das Wirtschaftswunder, das die NSDAP innerhalb kürzester Zeit hervorbrachte, ließ die Menschen leichtfertig glauben, alles sei gut, weil es ihnen doch gutgehe.

Das hat sich in Westdeutschland mit dem so genannten „Wirtschaftswunder“ wiederholt. Der Glaube daran, dass alles gut sei, weil es den Menschen wieder gut und immer besser geht, war durch nichts zu erschüttern. Die Frage, warum die USA sich so rührend um ihr besetztes Deutschland kümmern, wurde gar nicht erst gestellt. Die Amis waren gut, weil es uns gutging.

Inzwischen hat sich der Wind gedreht.

Das Wirtschaftswunder ist Vergangenheit. Die Zeichen an der Wand sind alles andere als rosig. Die neuen besten Freunde der Amis sind immer noch die, deren Grenzen nahe an Russland heranreichen, aber das sind eben nicht mehr wir, sondern die Balten, die Polen, die Ukrainer, die Rumänen …

Wo es aber in jeder Hinsicht eng wird, beginnt die Volksseele damit, sich zu erhitzen. Das – so die aktuell grassierende Idee von der Organisation des Zusammenlebens der Gesellschaft – muss verhindert werden. Die Zügel zu lockern, kommt nicht infrage. Das widerspräche der Grundidee, die durchzusetzen oberstes Gebot ist. Also werden die Zügel strenger angezogen. Die Überwachung wird immer engmaschiger, die Sanktionen für die Abweichler werden immer drastischer. Das hat einen gewissen Anfangseffekt. Die Masse versucht, Abstand zu gewinnen, von den Abweichlern einerseits, weil deren Nähe eine Kontaktschuld entstehen lässt, vom Staat und den von ihm errichteten Schranken andererseits.

Nun ist es aber weiterhin eng.

Jede Absetzbewegung in der bestehenden Enge schafft nur neue Verdichtungsherde an anderer Stelle. Die Volksseele beginnt erneut, sich zu erhitzen. Da sind es die Gastronomie und ihre Gäste, die mit der Rückkehr zu 19% MwSt. in die Enge getrieben werden. Dort sind es die Öl- und Gasheizungsbetreiber, die mit der Erhöhung der CO2-Abgabe ebenso in die Enge getrieben werden, wie jene die auf einen zuverlässigen eigenen Pkw angewiesen sind und an der Zapfsäule ausgenommen werden.

So wie im anfänglich verfassungswidrigen Haushalt die Mittel hin und hergeschoben werden, werden spiegelbildlich auch die Bürger im zu engen System hin und hergeschoben und sprichtwörtlich „zusammengestaucht“. Schon brodelt es bei den Land- und Forstwirten, denen eine Milliarde Euro abgenommen werden soll. Wie lange noch, bis die Spediteure merken, dass die angehobene Maut auf wundersame Weise zu einem Rückgang des Transportvolumens und der Erträge führt?

Dass inzwischen nur noch jeder fünfte Befragte angibt, er glaube, die Regierung mache ihren Job gut, obwohl gleichzeitig schon fast jeder Zweite glaubt, seine Meinung besser nicht allzu frei äußern zu sollen, ist kein Widerspruch. Das zeigt nur an, dass bereits so weite Kreise der Bevölkerung der Regierung kritisch gegenüberstehen, dass die Äußerung dieser eher verallgemeinernden Auffassung relativ angstfrei erfolgt, weil es ja stimmt, weil ja alle so denken.

Das Problem setzt etwas tiefer an, nämlich da, wo das Gefühl, schlecht regiert zu werden, zur fundierten Kritik am konkreten Regierungshandeln wird. Solche Kritik zu äußern wird als gefährlich empfunden, und dies nicht zuletzt, weil bereits die entsprechenden Exempel statuiert wurden, wovon zumindest jene erfahren haben, die ein offenes Ohr für jene haben, die solche fundierte Kritik zu artikulieren wagen, bzw. wagten.

Nachdem wesentliche Symptome der Krankheit nun geschildert sind, wenn auch bei Weitem nicht alle, kann die Frage nach der Natur der Krisis mit Hoffnung auf eine tendenziell richtige Antwort gestellt werden.

Wird die Krankheit sich verstärken, nachlassen, in eine andere Krankheit umschlagen oder aufhören?

Um der Antwort näher zu kommen, gilt es nach Indizien zu suchen, die für angeführten, möglichen Entwicklungen sprechen.

  • Die wenigsten Indizien (tatsächlich kein einziges Indiz) deuten darauf hin, dass die Krankheit nachlassen könnte. Es gibt keine Entspannung bei der Energieversorgung, der Kaufkraftzuwachs wird auch 2024 nicht über der Inflationsrate liegen, Deindustrialisierung, Laden- und Höfesterben werden zwangsläufig weitergehen, Wohnungsnot und Bildungsnotstand werden fortbestehen und sich eher noch verschärfen, die von Deutschland aufzubringenden Kosten für Zuwanderung, Ukraine-Hilfen und Schuldzinsen dürften auf bis zu 150 Milliarden anwachsen und damit kaum noch Spielräume für Investitionen in die verfallende Infrastruktur übrig lassen. Immer offensichtlicheres Staatsversagen wird zu immer offener vorgetragenen und immer härteren Attacken gegen Regierungskritik führen. Die Bundesrepublik Deutschland zieht im Grunde jene abwärts gerichtete Entwicklungslinie nach, die von der DDR, wenn auch auf einem anderen Niveau beginnend, vorgezeichnet worden ist
  • Einige Indizien sprechen dafür, dass die Krankheit aufhören könnte. Das klingt zunächst paradox. Wie soll aufhören, was nicht nachlassen kann? Nun, es müsste sich um eine sogenannte Spontanheilung handeln. Das Immunsystem hat nach langen Kämpfen den Erreger besiegt. Die Krankheit hat aufgehört. Allerdings ist der Patient deshalb noch lange nicht wieder fit. Jetzt gilt es, ihn wieder aufzupäppeln und allmählich wieder an Belastungen zu gewöhnen. Indizien, die dafür sprechen, lassen sich zum Beispiel aus der erkennbaren Schwäche der Regierungskoalition ableiten, die schon mehrmals kurz vor dem Zerbrechen zu stehen schien, was sich auch in der an Olaf Scholz gerichteten Rücktrittsforderung  des CDU-Chefs Merz gezeigt hat. Ein weiteres Indiz ist der enorme Zuwachs der Zustimmung für die AfD. Selbst die Ergebnisse des Klimagipfels in Dubai, ein klares Bekenntnis der wichtigsten Staaten zur Kernenergie und eine lauwarme Absichtserklärung zur Abkehr von Öl und Gas, können nicht unbedingt als jener feste Grund angesehen werden, auf dem Habeck seine Dekarbonisierungspläne standsicher weiterführen kann.
    Dem stehen jedoch auch andere Indizien gegenüber. Es sieht nicht so aus, als reife innerhalb der Ampel die Überzeugung, es sei besser, sich jetzt aus der Verantwortung zu schleichen als zuzuwarten, bis vor den nächsten regulären Bundestagswahlen die Karre noch tiefer im Dreck steckt. Von alleine wird Scholz nicht abtreten. Es sieht auch nicht so aus, dass Merz den Mut fände, mit einem konstruktiven Missstrauensvotum gegen die Ampel anzutreten. Um die Kanzlermehrheit zu knacken bräuchte er nicht nur die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und die der am ehesten wechselwilligen FDP-Fraktion, sondern eben auch die Stimmen der AfD-Fraktion. Darüber hinaus, und daran fehlt es nach meiner Einschätzung auch und vor allen Dingen, bräuchte er einen Plan für die Reha, mit der Deutschland wieder aufgepäppelt werden und dabei seine Handlungsfähigkeit (Souveränität) wiedererlangen soll.
    Der große Knall liegt in der Luft, wird höchstwahrscheinlich aber ausbleiben, weil der Wille ihn auszulösen und durchzustehen nicht zu erkennen ist.
  • Einige Indizien sprechen dafür dass die Krankheit in eine andere Krankheit umschlagen könnte. Stellen Sie sich das so vor, wie den Tag, an dem der Arzt im Krankenhaus festgestellt hat dass der Oberschenkelhalsbruch gut verheilt ist, gleichzeitig aber, schon beim routinemäßigen Fiebermessen zu der Erkenntnis kommt, dass der Patient sich nun einen antibiotikaresistenten Krankenhauskeim eingefangen hat. Völlig andere Krankheit und keineswegs ein Zeichen baldiger Genesung.
    Diese andere Krankheit wäre im betrachteten Fall der Wechsel vom „Schlecht-regiert-Werden“ zur „Unregierbarkeit“.
    Seit Jahren schon weigert sich der Staat beharrlich, gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen von seinem Gewaltmonopol gleichermaßen Gebrauch zu machen, wie gegenüber den „braven“ Biodeutschen. No-Go-Areas sind keine Fantasie rechter Schwurbler und Verschwörungstheoretiker, sie sind real, mitten in Deutschland.
    Die WELT, 20.10.23 – Judenhass und No-Go-Areas
    Die Süddeutsche vom 4.7.23 – Unruhen – französische Verhältnisse?
    Hamburger Abendblatt vom 29.8.23 – der Jungfernstieg – vom Prachtboulevard zur No-go-Area?
    WA.de  vom 5.3.23 – No-go-Area Duisburg-Marxloh?
    Audiator Online vom 28.11.23 –
    Uni als No-Go-Area für Juden in Deutschland

Offenbar besorgt, offenen Aufstand zu provozieren, üben sich deutsche Gerichte bei ausländischen Straftätern aus der Migranten- bzw. Clan-Szene, in äußerster Zurückhaltung bei der Strafbemessung. Ob es um den Juwelenraub im Grünen Gewölbe geht, bei dem es zu einem Deal kam, der nicht einmal die vollständige Herausgabe der Beute zum Gegenstand hatte, aber dem Hauptangeklagten erst einmal „Haftverschonung“ gewährt, so dass er seine Strafe a) in Wohnortnähe, und b) erst „irgendwann später“ antreten muss (Die BILD schrieb hierzu von einem „Witz-Urteil„), oder um die Vergewaltigung einer 16-Jährigen, die hier nur als ein Beispiel von vielen angeführt wird: Die deutsche Justiz lässt milde walten. Der 23 Jahre alte Afghane Mohammed M. (im Übrigen eine Art Mehrfachtäter) verließ den Gerichtssaal als freier Mann. Weil er „voll integriert“ sei, so steht es in der Urteilsbegründung, kam er mit einer Bewährungsstrafe davon und der Auflage (zum Schieflachen!) künftig nur so viel Alkohol zu konsumieren, dass sein Blutalkoholspiegel 0,5 Promille nicht übersteigt. In Berlin, im Görlitzer Park, hat man den Straftätern sogar eigene Bereiche zugewiesen, in denen sie ihre Straftaten (Drogenhandel) ungestraft begehen können.
Diese drei Beispiele, von hunderten, von denen ich in den letzten Jahren gelesen habe, in Verbindung mit der in diesen Tagen ausgesprochenen Bitte von Berliner Polizei und Feuerwehr, man möge sie doch bitte, bitte in der Silvesternacht nicht (wieder) angreifen, zeigen, dass der Keim der Unregierbarkeit in Deutschland längst gelegt ist. Dabei sind die Straßenkämpfe, Gewaltaufmärsche und Rollkommando-Einsätze der Antifa noch nicht einmal erwähnt, denn hier könnte die Zurückhaltung des Staates, dem Anschein nach auch damit zu erklären sein, dass die Antifa maßgeblich dazu beiträgt, dem offiziellen Narrativ mit Nachdruck zur Geltung zu verhelfen und Kritiker mit Gewalt gegen Sachen und Personen einzuschüchtern.
Weil der Staat Schwäche zeigt, wächst die Versuchung, den Staat und die Staatsgewalt zu ignorieren. Noch sieht es so aus, als seien die No-Go-Areas einzelne Flecken auf der Landkarte, noch sieht es so aus, dass sich die wichtigsten in Deutschland aktiven Clans an den Fingern von vier Händen abzählen lassen, doch das Gefühl der Stärke wächst mit jedem Zurückweichen des Staates, mit jedem „Witz-Urteil“ eines deutschen Gerichts. Es ist nach meiner Einschätzung nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Bedrohungen zu einer einzigen, von einer Hand gelenkten Bedrohung vereinen.
Abgesehen davon: Schon die Streiks der Lokomotivführergewerkschaft führen zu Grenverschiebungen zu Lasten der Regierbarkeit. Wenn am 8. Januar, und von da an bis in den April hinein, die deutschen Landwirte wahr machen, was sie jetzt androhen, wird Olaf Scholz herausgefordert sein. Eine Aufgabe, die Kollege Macron in Paris schon kaum zu lösen vermochte, obwohl sich solche Auseinandersetzungen in Frankreich immer noch eher „spielerisch“ entwickeln. Wenn deutsche Bauern mit deutscher Gründlichkeit antreten sollten, muss Scholz entweder ganz tief einknicken, oder wir haben den Bürgerkrieg, denn die Spediteure und ihre Fahrer sind ebenfalls kampfbereit, und wer weiß, wer alles noch sich mitreißen lassen würde.

  • Die meisten Indizien sprechen jedoch dafür, dass sich die Krankheit verstärken wird.
    Einer schwachen und der Aufgabe nicht gewachsenen Regierung steht kein starker Block einer im Kern einigen Opposition gegenüber, was erforderlich wäre, um einen Richtungswechsel zu ermöglichen.
    Im Gegenteil: In der Union sind verstärkt Auflösungserscheinungen zu erkennen. Die Fronten zwischen so genannten Merkelianern und Anhängern der Werte-Union erscheinen immer schwerer zu überwinden. Gleichzeitig macht sich Markus Krall auf, um eine neue Partei zwischen Union und AfD zu etablieren. Die Chancen dieser Partei sehe ich als gering an, weil sich Krall mit seinen starken Ansagen inzwischen so weit vom tatsächlich Realisierbaren entfernt hat, dass sowohl Union als auch AfD seine programmatischen Aussagen in der Luft zerreißen werden. Dennoch wird diese Partei, sollte sie denn antreten, Union und AfD wichtige Stimmen kosten, im Zweifels- und Sonderfall der CSU sogar so viele, dass Bayern im Bundestag mit keinem einzigen Abgeordneten mehr vertreten sein könnte, was ich durchaus als einen Aspekt der totalen Verschlimmerung ansehen würde. Auch Sarah Wagenknecht will mit einer neuen Partei antreten, und dabei sowohl der LINKEn als auch der AfD als auch der SPD Wähler abspenstig machen.
    Noch ein Gespenst geht um, in Deutschland. Der Wunsch der linksgrünen Regierung in Berlin und praktisch aller Landesregierungen, das eigene Schäflein in Sicherheit zu bringen, ist inzwischen so übermächtig, dass der Ruf nach einem Parteiverbotsverfahren gegen die AfD inzwischen immer wieder laut genug zu hören ist, um die inneren Alarmglocken schrillen zu lassen. Die Erklärungen der Verfassungsschützer, weite Teile der AfD seien „gesichert rechtsextremistisch“ hat auf die Wähler nicht den gewünschten Eindruck gemacht, sie werden eher als amüsant empfunden. In Thüringen, wo bereits in diesem Herbst gewählt wird, denkt man über eine Änderung der Landesverfassung nach, um zu verhindern, dass ein AfD-Politiker Landtags- oder Ministerpräsident werden kann.
    Was derzeit in den USA gegen Donald Trump aufgeboten wird, dürfte so manchen in Deutschland ermutigen, Vergleichbares mit der AfD zu versuchen, und das Vergleichbare und zugleich das Mittel der Wahl wäre eben ein Parteiverbotsverfahren. Die Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts unter seinem Präsidenten Harbarth dürfte auch eher Zuversicht auf das Gelingen auslösen, und das alte NPD-Verbotsverfahren ist ja nicht an den Zielen der Partei gescheitert, sondern am viel zu geringen Einfluss der NPD. Darauf wird sich die AfD mit ihren Wahl- und Umfrageergebnissen nicht berufen können. Außerdem gibt es so etwas wie einen selbst erzeugten Zwang zur Tat. Man kann nicht jahrelang von einer rechtsextremistischen Partei reden, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünde, und dann nicht den entscheidenden Gang nach Karlsruhe antreteten, der in dieser Argumentation und unter der derzeitigen Situation im Parteiengefüge angeblich als  letztes Mittel eingesetzt werden muss, um Deutschland 90 Jahre nach der ersten Machtübernahme vor einer zweiten zu bewahren.
    Ich halte es für wahrscheinlicher, dass dieser Schritt gegangen werden wird als dass er unterlassen würde.

Es geht um die Macht. Da spielt die Höhe des Einsatzes keine Rolle.
Von daher ist die Verschlimmerung die wahrscheinlichste Prognose.

P.S.: Von dem eingangs erwähnten Buch „Sehen, beachten, erkennen“, Hardcover, 100 Seiten, darin 37 Farbseiten, habe ich noch einige wenige Exemplare auf Lager. Für 10 Euro, incl. Versand, würde ich mich davon trennen. Schicken Sie mir eine Mail.