Zwei Idioten

Die unzureichende Fähigkeit, die Wirkungen und Folgen des eigenen Handelns zu erkennen, verbunden mit der unzureichenden Fähigkeit, sich mit den Wertvorstellungen, Handlungsalternativen und dem Selbstwertgefühl eines anderen bis zur Nachvollziehbarkeit zu beschäftigen, ist – in Verbindung mit anderen Defiziten – kennzeichnend für einen Idioten.

Für zwei Idioten gilt das Gleiche, eben nur in doppelter Ausführung. Ob sich die beiden Idioten dabei als Verbündete gegen einen gemeinsamen, vermeintlichen Feind zusammentun, oder ob sie sich gegenseitig  feindselig betrachten, spielt für den Ausgang keine Rolle. Idioten werden am Ende unter den Folgen ihrer Ignoranz zu leiden haben.

Was mir in diesen Kriegstagen immer wieder in großer Deutlichkeit in Erinnerung gerät, ist ein Geschehniss aus meiner Kindheit. Ich war damals neun, höchstens zehn Jahre alt und habe mich, einem Idioten gegenüber wie ein Idiot verhalten.

Es war ein kalter Tag Ende November. Nach der Erledigungen der Hausaufgaben war ich noch einmal aus dem Haus gegangen und streifte – eher ziellos – durch die Straßen.  Zwischen Alfredstraße und Eduardstraße kam mir am Schützenplatz ein Junge meines Alters entgegen. Wir kannten uns nur vom Sehen, er ging in eine andere Schulklasse.

„Ich habe eine Waffe!“, erklärte er mir und zeigte ein Stück Gasschlauch, vielleicht 30 Zentimeter lang, vorne und hinten mit metallenen Anschlussarmaturen versehen und der Schlauch selbst mit einem Metallgeflecht bewehrt. Das Ding schwenkte er mit dramatischer Mimik und Gestik hin und her und ließ es immer wieder durch die Luft pfeifen.

„Willst du auch einmal?“, fragte er mich und  drückte mir das Ding in die Hand. Ich wusste nicht so recht, was ich damit anfangen sollte. Alles, was andere  Jungs in meinem Alter an „Literatur“ über Kampf und Ehre, zumeist in Form billigst gemachter Bildergeschichten gierig verschlangen, war mir fremd, weil meine Eltern  solchen „Schund“ nicht duldeten. Ich hatte also keine Ahnung, worauf das Spiel hinauslaufen sollte und wollte ihm seine „Waffe“ zurückgeben. Er nahm sie aber nicht.

Stattdessen hielt er mir die linke Hand hin, mit offener Handfläche nach oben, und sagte: „Du traust dich nicht!“

„Warum sollte ich mich nicht trauen?“, fragte ich mich. Keine Ahnung, was  er von mir erwartete. Also blieb ich zögerlich stehen und tat erst einmal überhaupt nichts.

„Schlag zu! Oder traust du dich nicht?“

Wieso sollte ich mich nicht trauen, zuzuschlagen? Würde er mich anschließend ganz fürchterlich verprügeln? Nein. Das würde kaum geschehen. Ich schätzte mich als mindestens gleich stark ein, zumal er eher von schmächtiger Figur war. Warum ich mich nicht trauen sollte, wollte mir einfach nicht klar werden.

„Mach schon! Schlag zu! Aber du traust dich ja nicht! Feigling!“

Seine Handfläche, die von der Kälte ziemlich blass war, färbte sich erst in einem  langen Streifen dunkelblau und dann blutig rot. Laut brüllend rannte er davon. Ich hatte immer noch den Gasschlauch in der Hand. Verwundert, dass ich tatsächlich zugeschlagen hatte, entsetzt, was ich angerichtet hatte, legte ich mir meine Entschuldigung zurecht: Niemand sollte mich einen Feigling nennen und damit auch noch recht behalten.

Mir war klar, dass ich ihn mit dieser „Waffe“ weit mehr verletzt hatte, als ich mir das vorher ausmalen konnte. Aber schließlich war er selbst schuld, sagte ich mir. Er hat das Ding mitgebracht, er hat es mir in die Hand gedrückt, und er hat mich einen Feigling genannt, weil ich zögerte, damit zuzuschlagen.

Als ich nach einer ganzen Weile nach Hause kam, war seine Mutter längst bei meiner Mutter gewesen (kaum jemand hatte damals ein Telefon) und brühwarm erzählt, wie grausam ich ihren lieben, guten Jungen misshandelt hätte.

„Die Sache ruhig zu erklären und damit Verständnis für mein Handeln zu schaffen, war nicht möglich. In Anbetracht der Folgen waren alle Erklärungen von vorneherein obsolet. SO ETWAS tut man nicht. Nie. Und aus keinem Anlass!

Eine Tracht Prügel (das klingt viel schrecklicher als es war) sollte helfen, meine Erinnerung an das, was man unter keinen Umständen tut, zu festigen.

So lief ich also  einen halben Tag mit brennendem Hintern herum, während  mein Kontrahent nach ein paar Tagen auch wieder ohne Verband an der Hand aus der Ferne zu sehen war.

Du traust dich nicht!

Carlo Masala, Mililtärexperte an der Bundeswehr Uni in München:

„Wir stehen nicht vor einem Atomkrieg.“

Du traust dich nicht!

Matthias Hochstätter, FOCUS-Online Redakteur:

„Sie haben Angst vor dem Atomkrieg? In Wahrheit sind wir noch weit davon entfernt.“

Du traust dich nicht!

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender:

„Ich habe keine Angst.“ – „Wir wollen keine Ausweitung des Kriegs.“ – „Deshalb ist die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine enorm wichtig.“

Du traust dich nicht!

Alexander Bollfrass, Sicherheitsexperte ETH Zürich:

„Ich glaube nicht, dass Putin den Einsatz von Atomwaffen anordnen wird.“

Du traust dich nicht!

Annalena Baerbock, Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland, vom Völkerrecht herkommend:

„Völkerrechtlich ist die Lieferung schwerer Waffen kein Kriegseintritt.“ – „Welche Schritte Russland in dem Krieg noch geht, liegt allein im Ermessen von Präsident Wladimir Putin.“

Werdet nicht übermütig!

Bill Burns, CIA-Chef:

„Angesichts der möglichen Verzweiflung von Präsident Putin und der russischen Führung, angesichts der bislang erfahrenen militärischen Rückschläge, kann keiner von uns die Bedrohung durch einen möglichen Einsatz taktischer Atomwaffen oder Atomwaffen geringer Sprengkraft auf die leichte Schulter nehmen. Wir tun es nicht.“