Wer war Soddy?

Eine Biografie zu rezensieren, gehört zu den schwierigeren Aufgaben, wenn man sowohl der Person, deren Leben und Wirken darin beschrieben wird, als auch dem Autor – in diesem Falle den beiden Autoren – gerecht werden will. Eine Steigerung der Schwierigkeit stellt sich dann ein, wenn dem Rezensenten die Person, um die es geht, bis dahin vollkommen unbekannt war, und sich in den Nachschlagewerken, einschließlich der Wikipedia, nur wenige dürre Sätze dazu finden lassen.

Entschuldigen Sie daher bitte, wenn ich es mir leicht mache und zur Einstimmung ein paar Sätze aus dem Aufsatz von Claude Million zitiere, der Frederic Soddy 2006 in der Zeitschrift für Sozialökonomie (Jahrgang 43/Folge 151) unter der Überschrift:

„Frederic Soddy und die Physik des Schuldensmachens“,

wie folgt vorstellte:

Claude Million über Soddy

Einer der interessantesten und originellsten Geldreformer der 1920er und 1930er Jahre war der englische Chemiker Frederick Soddy (1877-1956). International bekannt wurde Soddy zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch seine Forschungsarbeiten über atomare Strukturen und Radioaktivität. 1913 führte er den Begriff der Isotopen ein, entwickelte dieses Konzept in den darauf folgenden Jahren weiter und wurde dafür 1921 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. Soddys Interessen waren nicht auf sein Spezialgebiet beschränkt, sondern umfassten Politik, Sozial-, Wirtschafts- und Wissenschaftsgeschichte. Er las auch Science Fiction Romane und dachte über die soziale Verantwortung von Wissenschaftlern nach.

(…)

Nach dem Ersten Weltkrieg wandte er sich zunehmend von den Naturwissenschaften ab und befasste sich bis 1936 intensiv mit dem Studium des Geldes aus Sicht der Thermodynamik und publizierte Bücher und Broschüren zum Thema.

(…)

Für Soddy war es unerklärlich, warum im Zeitalter industrieller Produktionsmethoden und dem dadurch ermöglichten Warenüberfluss viele Menschen Hunger leiden, obdachlos sind oder in Slums leben.

Im Buch von Helmut Federmann und Philipp Kapp,

„Soddy – Wegbereiter einer naturwissenschaftlichen Ökonomie“,

finden sich statt dieser, von mir bei Claude Million ausgeliehenen Kurzbeschreibung, viele detailreiche Seiten, die das Leben Soddys und seiner Weggefährten nachzeichnen. Das Zusammentreffen mit Millions Ausführungen zur „großen Frage Soddys“ findet sich auf Seite 66 des Buches.

Die Ausgangsfrage: Das ökonomische Paradoxon

Nach Ende des 1. Weltkrieges und mit seiner Ernennung zum Professor an der Universität Oxford beschäftigt sich Soddy intensiv mit allgemeinen wissenschaftlichen Fragestellungen. Ihn bewegt das Missverhältnis zwischen den ungeheuer großen Fortschritten, insbesondere in den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, und den geringen Verbesserungen in den sozialen Lebensverhältnissen der Bevölkerung.

Damit erklärt sich für mich das Interesse von Philipp Kapp, den ich vor Jahren persönlich kennenlernen durfte, an der Person Frederic Soddy, und ich nehme an, dass Helmut Federmann, der für den ersten, überwiegend biografischen Teil des Buches verantwortlich zeichnet, aus einer vergleichbaren Motivationslage die Details des Lebens und der Entwicklung Soddys vom Chemiker und Physiker zum Wirtschaftswissenschaftler zusammengetragen hat. Ebenso ist mir an dieser Stelle klar geworden, warum das Rezensions-Exemplar den Weg auf meinen Schreibtisch gefunden hat: Wo es um die Funktion, bzw. das Wesen des Geldes geht, ist mein Interesse für neue, oder mir bisher unbekannte Aspekte der Thematik immer zu wecken.

Zwei Seiten später beginnen die Ausführungen, die mich dann tatsächlich fesseln. Soddy hat sich bemüht, ganz an den Grund des Brunnens zu gelangen, hat sich an Armut und Reichtum, Geld und Vermögen, Schulden und Zinsen, Handel und Wandel, Steuern und Abgaben, Mechanisierung und Rationalisierung vorbeigearbeitet und ist ganz tief unten auf die Frage gestoßen, die ihm absolut essentiell erschien:

„Wovon lebt die Menschheit?“

Die Antwort gab Soddy 1921 in einem Vortrag vor Studenten und Wissenschaftlern des Birbeck Colleges und der London School of Economics. Er sagte:

„Bezogen auf den heutigen Kenntnisstand der Wissenschaften lautet die Antwort auf die Frage, wovon die Menschheit lebt, genauso wie für alle anderen Lebewesen: von Sonnenenergie.“

Soddy ging von dieser Aussage aus auf das Wesen der Energie ein, bezog sich auf die Lehrsätze der Thermodynamik und führte anschaulich aus, dass die Gesetze der Thermodynamik nur einen Weg der Energie zulassen, von der höherwertigen zu der geringwertigen Nutzung, und zierte diese Aussage mit dem Beispiel, dass es unmöglich sei, dass sich ein Tier dauerhaft und in stets wiederholender Weise von seinen eigenen Exkrementen ernähre. (Dafür gibt es von mir einen Pluspunkt für anschaulichen Humor.)

Er kommt dann auf einen Unterschied zwischen Vermögen, im Sinne von Wohlstand und Geldbesitz einerseits und Schulden andererseits zu sprechen, den er wie folgt beschreibt:

Anders als Wohlstand, Reichtum und Vermögen, welche den Gesetzen der Thermodynamik unterworfen sind, verschwinden Schulden nicht mit ihrem Alter und werden nicht im Lauf des Lebens verbraucht.

Soddy sieht im Verhalten der Schulden, die durch den Zinseszins-Effekt wachsen, ein Phänomen, das im Bereich der Physik so undenkbar ist, wie das Perpeteum mobile.

Spätestens hier wird klar, dass diese Biografie mehr ist als nur Biografie. Das Buch von Federmann und Kapp ist die Wiederentdeckung einer Theorie über das Geld und die Finanzmärkte, die in der neuen, ökologischen Ökonomie große Beachtung findet. Soddys Vorträge über die „Kartesische Ökonomik“, ins Deutsche übersetzt von Philipp Kapp, bilden daher den zweiten Hauptteil dieses lesenswerten Buches, das auch jene ansprechen wird, welche die Problematik des Geld- und Finanzwesens und mögliche Lösungswege erst für sich erkunden wollen.

 

 

Helmut Federmann – Philipp Kapp,

„Soddy – Wegbereiter einer naturwissenschaftlichen Ökonomie“,