Der Tatort, das minimalistisch kriminalistisch verbrämte Volkserziehungs-Spektakel, war schon in den Vorab-Kritiken nicht gut weggekommen, so dass ich, um meine Rundfunkgebühren auch zu nutzen, beschlossen habe
- nach mehr als einem Jahr Pause nach akuter Übelkeit wieder mal nachzusehen, was Uthoff und von Wagner in der Anstalt so treiben, und
- danach das neue Format „Bosetti Late Night“ in Augenschein zu nehmen.
Die Anstalt
Die Anstalt muss – als ginge es um den Oskar – in unterschiedlichen Kategorien bewertet werden.
Spielfreude: war zu spüren. Von Wagner tut der Anstalt gut, weil er eben nicht nur die vorgegebene Message vermittelt, sondern darüber hinaus die Rollen wirklich mit Spaß daran verkörpert. Gut bis sehr gut.
Szenische Gestaltung: Was im Rahmen dieses Studios alles möglich ist, hat auch diese Folge der Anstalt gezeigt. Auch wo nur angedeutet wird, kommt die gewünschte Stimmung beim Zuschauer auf. Einfach prima.
Running Gags: Die Verfassungsrichterin in ihrer Doppelfunktion als Richterin und Helikopter-Mutter kam gut rüber. Davon hätte ich sogar noch mehr vertragen. Aber ich glaube, auch hier wurde der Punkt gefunden, von dem es heißt: „Wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören.“ Erheiternd, auflockernd, den Inhalt sogar konterkarierend.
Inhalt: Unterirdisch!
Die gute, alte Demokratie ist ja viel zu demokratisch, lässt sich alles gefallen, findet immer noch eine Rechtfertigung für den Willen des Volkes. Wenn man die nicht schützt, ist sie verloren. Also muss die AfD verboten werden, bevor sie gewählt werden kann. 1933 hat schließlich auch nur eine Wahl gereicht.
Und dann die Prognose, wie die AfD durch Einflussnahme auf die Besetzung des Verfassungsgerichts die Alleinherrschaft an sich reißen würde.
Mit einem Hauch von Langzeitgedächtnis müsste dem neutralen Wahlberechtigten auffallen, dass hier genau nachgezeichnet wurde, wie unsere Demokratie seit 1949 permanent umgeformt wurde und dass ausgerechnet die Schachereien um die Besetzung des Verfassungsgerichts, gekrönt mit der Ernennung von Stephan Harbarth zum Präsidenten des Verfassungsgerichts – mit erkennbarer parteipolitischer Präferenz – als Vorbild für die hier im Kabarett vorgetragene Prognose diente.
Ja. Kabarett darf alles. Damit lässt sich diese einseitige Aufführung immer noch rechtfertigen.
Der Verdacht, dass nach Schramm, Priol und Pelzig nun auch Uthoff und von Wagner nur so lange alles dürfen, solange sie sich nur das „richtige Objekt“ zur Brust nehmen, hat sich verfestigt. Noch schaffen sie das. Und wenn es einmal nicht mehr gehen sollte: Es gibt immer noch Kleinstkunstbühnen in der Provinz mit 70, 80 Plätzen, wo noch das wahre politische Kabarett eine Heimat hat.
Kaum hatte ich beschlossen, mindestens ein weiteres Jahr ohne Anstalt auszukommen, legte 3Sat auch schon mit der neuen Late-Night-Show los (immerhin, finster war es um 21.15 Uhr draußen schon).
Bosetti Late Night
Das war nun wirklich ein Jammer.
Stellen Sie sich Anne Will vor, die bis zur Ankunft der Studiogäste, kurz vor Ende der Sendezeit, einen marxistisch-sozialistischen Monolog, unterbrochen von gelegentlichen Einspielern, über den Unterschied zwischen vorne und hinten absondert und partout nicht verstehen kann, dass vorne und hinten ein ebenso unauflösliches Begriffspaar bilden wie oben und unten, links und rechts, oder eben arm und reich.
Selbst Dietmar Bartsch und Janine Wissler bringen mehr erhellendes Hintergrundwissen mit, wenn sie für mehr Verteilungsgerechtigkeit eintreten, als Sarah Bosetti in ihrer (hoffentlich nur gespielten) platt-naiven Darstellung einer total ungerechten Welt aus Erben und Armen, überbezahlten Managern und unterbezahlten Pflegekräften.
Diese Art der Argumentation, in ihrer grob-holzschnittartigen Machart, könnte selbst den gutwilligsten, sozial gesinnten „Etwas-Besserverdiener“ ins Lager der Manchester-Kapitalisten treiben, weil diese „Stimme der Armen“ schon vom Niveau her weiter von einer „Stimme der Vernunft“ entfernt ist als der Timmendorfer Strand vom Timmelsjoch.
Als die beiden Studiogäste endlich in ihren Sesseln versinken durften, hatte die Bosetti sich ein „Mitmachspiel“ ausgedacht. Die Studiogäste hatten einen „Bullshit-Buzzer“ vor sich am Platz und durften das, was ihnen nicht gefallen hat, ,mit einem Bullshit-Shitstorm bestrafen.
Die Chancen, die sich im Dialog zwischen der Selfmade-Unternehmerin und der reichen Erbin hätten ergeben können, hätte die Moderatorin ein bisschen mehr Erfahrung mitgebracht und Fragen gestellt, die nicht wie abgesprochen wirkten, wurden vertan.
So kam es dann auch, dass die Studiogäste vom Bullshit-Buzzer nur so sparsam Gebrauch machten, dass dieses Element für die Sendung praktisch keine Rolle spielte.
Alles in allem: „Woker Kindergartensozialismus“