Es knirscht im Gebälk der Alpenrepublik.
„Jemand“ hat im Jahr 2017, vor den Wahlen zum Nationalrat in Österreich, in monatelanger, konspirativer Arbeit eine Falle für den FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache aufgestellt. Es wurden Kontakte zu Straches Umfeld geknüpft, es wurde eine Villa auf Ibiza angemietet, womöglich unter falschem Namen. In diese Villa wurde ein Überwachungssystem eingebaut, und endlich gelang es, Strache in diese Villa zu locken und ihm verräterische, peinliche, unmögliche Sätze zu entlocken.
Wie es dann bis heute weiterging, liegt im Dunkeln. Ob es weitere Kontakte mit der „Oligarchen-Nichte“ gegeben hat, ob Strache noch versucht hat, sie wieder zu kontaktieren, ob es auf Ibiza zu einer Verabredung kam oder ob das Treffen ergebnislos zu Ende ging – davon haben wir nichts gehört.
Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass Strache – wenn es sich um einen echten Kontakt mit einem Geldgeber gehandelt hätte – nicht anders reagiert hätte. Diese charakterliche Schwäche, der Versuchung nicht widerstehen zu können, bleibt an ihm hängen, und hat seine Reputation beschädigt.
Dass er zurückgetreten ist, ehrt ihn allerdings und stellt ihn in der Reihe der für Vorteilsnahme Anfälligen mindestens einen Platz vor die Riege der Ehrenmänner der deutschen CDU, angeführt von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl, der lebenslänglich darauf pochte, sein Ehrenwort nicht brechen zu brauchen, gefolgt von Wolfgang Schäuble, über dessen Köfferchen mit den 100.000 DM drin die Wahrheit auch nie ans Licht gekommen ist, und schließlich Roland Koch, der eigens „jüdische Vermächtnisse“ erfunden hat, um die wahren Parteispender nicht verraten zu müssen.
Was wir nicht wissen, ist etwas darüber, ob Strache, wie es das Ibiza-Video suggerieren will, sich tatsächlich eines ähnlichen Vergehens schuldig gemacht hat.
Hier gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz: In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten.
Was wir auch nicht wissen, ist eine Erklärung dafür, warum dieses Video zwei Jahre lang im Dornröschenschlaf liegen musste,
um jetzt, nachdem Strache mit der ÖVP eine Regierung bildete und eine ganze Weile als Vizekanzler mitregierte, kurz vor den Wahlen zum EU-Parlament, an die Medien durchgestochen zu werden.
Dieser Weitblick – eingefädelt vermutlich schon 2016, ausgeführt 2017 – aus der reinen Vermutung heraus, dass Strache tatsächlich Vizekanzler werden könnte und dass im Vorfeld der EU-Wahlen sich EU-weit ein starker konservativer, EU-kritischer Block herausbilden könnte, ist nicht vorstellbar.
Vorstellbar ist etwas anderes:
Böhmermanns Produktionsfirma, die bildundtonfabrik (btf GmbH) in Köln-Ehrenfeld, gegründet von Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann, wo ja auch das Böhmermann-Format „Neo Magazin“ ersonnen wurde, hatte die großartige Idee, vor den österreichischen Nationalratswahlen die FPÖ bloßzustellen. Es fehlt dort weder an Geld, noch an Möglichkeiten, eine Story zu erarbeiten und Schauspieler als Lockvögel zu gewinnen.
Der Coup wurde durchgezogen. Vermutlich bestand die Absicht, die Geschichte in eine Böhmermann-Sendung einzubinden, doch das ZDF verweigerte die Ausstrahlung. Man wollte sich nicht so offensichtlich in die Wahlen in Österreich einmischen, zumal ja noch gar nicht klar war, wie die FPÖ abschneiden würde.
Das war’s dann erstmal.
Doch unter allen, die dieses Video vor zwei Jahren gesehen hatten, muss sich mindestens einer befunden haben, der jetzt, kurz vor der EU-Wahl und in Anbetracht der sich abzeichnenden rechten Phalanx im EU-Parlament beschlossen hat, darauf zurückzugreifen.
Gehen wir davon aus, dass das Video urheberrechtlich der btf gmbh zuzuordnen ist, dass Böhmermann im Vorfeld informiert war, vielleicht um seine Sendung zum „Ereignis“ gestalten zu können, gehen wir weiter davon aus, dass die Übermittlung des Videos an die „Süddeutsche“ und den „Spiegel“ offiziell unentgeltlich erfolgte, ergibt sich die Frage, wessen Interessen an der Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt so groß waren, dass er bereit war, die Produktionsfirma für ihren Aufwand klammheimlich und großzügig zu entschädigen.
Es stellt sich die Frage nach dem oder den Nutznießern.
Sebastian Kurz kommt eher nicht in Frage. Es soll zwar in der Koalition nicht alles zum Besten gestanden haben, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er nicht viel lieber ohne diesen Skandal weiterregiert hätte, statt mit Neuwahlen in der Zeit der Greta-Hysterie zu riskieren, mit den österreichischen Grünen regieren zu müssen.
Die Grünen in Österreich könnten durchaus ein Interesse gehabt haben, einerseits im Hinblick auf die EU-Wahlen, andererseits im Hinblick auf eventuelle vorgezogene Neuwahlen, einen starken Gegner vernichtend zu treffen. Es ist allerdings fraglich, ob sie von der Existenz des Videos überhaupt Kenntnis hatten. Daher scheiden sie meines Erachtens ebenfalls aus.
An die SPÖ will ich gar nicht erst denken.
Sind wir also, wie Strache vermutet, bei ausländischen Verdächtigen angekommen.
Die USA / CIA wissen zwar alles, was auf der Welt so vorgeht, ihr Interesse an Strache und der FPÖ geht jedoch eher in die andere Richtung, eine schwache, zerstrittene EU ist schon immer das Ziel und Partner für bilaterale Vereinbarungen in beiderseitigem nationalen Interesse zu finden, steht zumindest seit der Präsidentschaft Trumps auf der Agenda.
Israel / Mossad sind im Interesse der jüdischen Bevölkerung Europas auch eher daran interessiert, dass nationalkonservative Kräfte dafür sorgen, dass die „Islamisierung des Abendlandes“ aufgehalten wird, zumal es für sie sehr viel einfacher ist, die antisemitischen Kräfte muslimischer Abstammung in ihren Heimatländern gebündelt unter Kontrolle zu halten als vereinzelt in souveränen, europäischen Staaten.
Bleibt einzig die Europäische Volkspartei, deren Spitzenkandidat Manfred Weber, CSU, Kommissionspräsident im Sinne der Union werden will, was durch starke nationale Kräfte in vielen EU-Mitgliedsstaaten, eben auch durch die FPÖ in Österreich gefährdet ist.
Die Drähte zwischen ZDF und der CDU-Parteizentrale dürften mehr als nur intakt sein, so dass die Info über das Video schon vor zwei Jahren dort angekommen sein sollte. Es jetzt herauszuholen, das ist die panzerbrechende Granate gegen Salvinis Pläne eine starke europäische Rechte zu schmieden. Das Medien-Interesse in der ganzen EU ist sicher, die Wirkung auf mögliche Wähler der Rechten kann als verheerend eingestuft werden. Vor allem auch in Deutschland dürften viele Protestwähler zu dem Schluss kommen, dass auch die Nationalen für jede Schweinerei zu haben sind, und entweder gar nicht zur Wahl gehen, oder ihr Kreuzchen doch wieder bei der Union, der SPD, den Grünen oder der FDP machen.
Dies ergäbe einen Sinn.
Der Veröffentlichungstermin, gerade mal eine Woche vor dem Wahltermin, bietet zudem die Gewissheit, dass die Aufklärung über die Hintermänner nicht gelingen wird, bevor die Stimmen ausgezählt sind.
Und die Hoffnung, dass die Wahrheit nie ans Licht kommt, beflügelt auch in Bezug auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.
Wie gesagt, es ist so vorstellbar. Eine Verschwörungstheorie.
Es mag die falsche Theorie sein.
Dass Strache Opfer einer Verschwörung geworden ist, steht jedoch nach Lage der Fakten zweifellos fest.