Karma – oder was?

Es mag etwa 30 Jahre her sein, dass mir im Baumarkt eine Dose der 450 mL-Gattung zugerufen hat: „Kauf mich! Mich kannst Du immer brauchen!“ Ich höre auf solche Zurufe. Jedenfalls dann, wenn der Preis keine allzu große Lücke ins Budget reißt. 

Vor gut einer Woche höre ich Julie aus dem Keller rufen: „Wolfgang! Wasser! Es steht alles unter Wasser!“

Tatsächlich hatte sich im Waschkeller eine Lache ausgebreitet, die mit den Standplätzen von Waschmaschine und Trockner recht gut übereinstimmte. Die Arbeit mit Feudel, Schrubber und Eimer erbrachte ungefähr 5 Liter Wasser, der Rest verdunstete dann von alleine. Die Frage, woher dieses Wasser wohl gekommen sei, beantwortete ich mir erst einmal auf die einfachste Weise: Der Trockner, der nicht an die Abwasserleitung angeschlossen ist, hat einen Tank für das auskondensierte Wasser. Der ist womöglich beim letzten Mal versehentlich nicht geleert worden und nun übergelaufen. Dumm gelaufen. Besser aufpassen. Schludrigkeit schafft schlechtes Karma.

Drei Tage später gehe ich am Morgen in den Keller, um etwas zu holen. Es riecht schon am Ende der Kellertreppe irgendwie modrig.

Ich denke: „Nee. Nicht schon wieder“, doch die Bescherung ist nicht zu übersehen. Die Grenzen der Lache reichen viel weiter in den Raum hinein. Nach einer Stunde mit Wischen und Wringen befinden sich fast 10 Liter Wasser im Eimer. Der Rest darf wieder von alleine verdunsten. Aber es ist klar: Der Trockner war das nicht. So viel Wasser holt der nicht aus einer Trommel Wäsche. Es muss doch die Waschmaschine sein, die leckt. Ich habe Herrn Google befragt, was es wohl mit dem Wasser in unserem Keller auf sich haben könnte. Herr Google meinte, es gäbe grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder die Türdichtung hat einen Riss, oder irgendwo im Ablaufsystem gibt es ein Leck. Die von Herrn Google angebotenen Videos zur Instandsetzung von Türdichtung oder Ablaufsystem flößten mir tiefe Ehrfurcht vor den Männern in blauen Overalls ein, die sich geschickt, Schraube um Schraube, Klemme und Klemme in die Innereien der baugleichen Waschmaschine hineinarbeiteten. Also ein Anruf beim Händler meines Vertrauens, der auch versprach, den Service vorbeizuschicken. Am Freitag letzter Woche war es so weit. Zwei Experten arbeiteten sich im spärlichen Licht der Kellerbeleuchtung und der Taschenlampen-App ihrer Smartphones in die Maschine hinein. Nachdem ein erster kurzer Probewaschgang trotz demontierter Front,  offenem Deckel und ausgeklappter Bedienblende keinen Wasseraustritt erkennen ließ, folgte ein zweiter, etwas längerer Probewaschgang mit Schleudergang.

Wieder nichts.

Der Größere und Wichtigere meinte dann: „Einen Fehler zu finden, der sich nicht zeigt, ist sehr schwierig. Entweder, die Maschine wird jetzt wieder zusammengebaut und wir warten alle ab, was als Nächstes passiert, oder wir packen die Maschine, so entkleidet wie sie ist, ins Auto und lassen sie in der Werkstatt in paar Stunden durchlaufen.“

Ich habe mich für die Werkstatteinweisung unserer Waschmaschine entschieden. Ein paar Stunden später stand sie wieder in unserem Keller. Sie hatte sich auch in der Fachwerkstatt standhaft geweigert, ihr Geheimnis preiszugeben.

Am Samstag hat Julie gewagt, erst die Waschmaschine und dann den Trockner wieder zu benutzen. Es ist alles trocken geblieben. Wir sind an diesem Samstag alle zwei, drei Stunden in den Keller um nachzusehen. Alles trocken. Staubtrocken. Wie verhext. Sonntagmorgen: Immer noch trocken.

Ich weiß nicht, ob Sie dieses Gefühl kennen, dass zwischen Aufatmen und Sorge hin und her pendelt. Da war was. Aber was?
Ist es jetzt vorbei?

Der Monteur hat ja gesagt: „Das kann man nicht sagen, dass das Hin- und Herfahren einer Maschine nichts bewirkt. Ich hatte das zweimal bei einer Spülmaschine. Da war wohl ein Fremdkörper, Münze oder so, irgendwo im Ablaufsystem verklemmt, der hat sich durch den Transport gelöst, und alles war wieder gut.“

Gegen Abend war das Problem verschwunden. Es meldete sich nicht mehr alle paar Minuten mit Aufruf, nachzuschauen, ob immer noch alles gut ist. Wir hatten ein anderes Problem. Das Zusammenspiel zwischen dem älteren Fernseher, dem sehr neuen DVD-Player und der frisch gekauften DVD produzierte ein nicht anschaubares Bild mit vielen breiten, hellen Streifen die den Bildschirm von oben nach unten durchzogen. Aus dem geplanten Filmabend wurde also nichts.

Julie denkt sich: „Tu ich noch etwas, was sowieso getan werden muss“, schnappt sich den mit leeren Flaschen gefüllten Getränkekorb und zieht in den Keller.

„Wolfgang! Wasser! Viel Wasser. Sehr viel Wasser …“

„Nee, ne. Du willst mich veräppeln. So nicht.“

„Doch. Im Ernst. Alles schwimmt.“

Ich also  runter. Das Wasser steht tatsächlich schon im Kellergang. Eimer. Feudel. Schrupper. Wischen. Wringen.

Irgendwetwas knackst.

„Das wird die Gefriertruhe sein“, dachte ich mir. Die hatte ich am Morgen auf Super gestellt, weil sie am Montag abgetaut werden soll.  Es knackt öfter und lauter und dann höre ich, dass es nicht wirklich knackt, sondern „patsch, patsch“ macht.

Ich schaue mich suchend um, und dann sehe ich es. Dicke Wassertropfen fallen über der Gefriertruhe aus der Kellerwand und klatschen in eine Pfütze, halb hinter der Gefriertruhe. Da hatte der Vorbesitzer vor langer Zeit ein Loch in die Außenwand des Kellers gebohrt und eine Verteilerdose davor montiert. Aus der Dose tropfte es. Ich habe die Dose ziemlich brutal mit dem großen Schraubenzieher abgesprengt und dahinter eben dieses Loch gefunden, aus dem die abgeschnittenen Enden zweier dicker Erdkabel noch ein paar Zentimeter weit herausragten. Mit dem Absprengen der Dose veränderte sich das Tropfen jedoch schnell in ein kräftiges, unermüdliches Rinnen.

Ich renne also nach oben, suche ein Gefäß, das zwischen Truhe und Wand Platz findet und die losgebrochene Flut erst einmal auffängt. Es rinnt munter weiter. Jetzt allerdings zum größten Teil nicht mehr auf den Kellerboden, sondern in dieses Gefäß.

Regenwasser.

Sorry, Trockner. Sorry, Waschmaschine! Ich habe euch zu Unrecht verdächtigt. Es ist Regenwasser, von draußen, das nach einer halben Ewigkeit ohne Probleme zu bereiten nun seinen Weg ins Haus gefunden hat.

Abdichten. Das muss jetzt abgedichtet werden. Aber womit? Mit den Kabeln im Loch, die sich von innen nicht bewegen lassen, lässt sich kein vernünftiger Stopfen da reindrücken. Papier? Weicht auf. Lappen? Heißkleber aus der Pistole? Hält nicht auf nassem Untergrund.

Und dann höre ich sie wieder: „Kauf mich! Mich kannst Du immer brauchen!“

Ihr Bild entsteht vor meinem geistigen Auge. Kleine Dose, sehr viel schwarz außen. Dicht-Masse.

Ich kann nichts wegwerfen. Die Zahl meiner nie oder nie mehr benutzten Besitztümer geht wohl in die Tausende. Ein Teil befindet sich in der zur Werkstatt umgewandelten Garage, ein Teil im Gartengerätehaus, ein Teil in der Abstellkammer in der Wohnung, ein Teil in Keller 1, ein Teil in Keller 2, ein Teil im Heizungskeller, ein Teil im Waschkeller.

„Im Keller zwei bin ich, in diesem schmalen hohen Regal, in dem sich hauptsächlich Malersachen befinden. Hol mich. Du kannst mich jetzt brauchen.“

Tatsächlich. Da ist sie. Griffbereit, quasi – und nach dreißig Jahren immer noch jungfräulich ungeöffnet. Noch eine Spachtel. Dose aufhebeln. Hin ans Loch und  spachteln, gegen das rinnende Wasser, weiter spachteln, zusammenschieben, eindrücken, es hilft? Nein – da rinnt es wieder. Spachtelmasse drauf, nochmal drauf. Zuammenschieben, eindrücken. Vielleicht noch was dazwischenstopfen. Ich finde ein Stück Luftpolsterfolie. Reiße es in kleinere Stücke, drücke die mit dem Schraubenzieher ins Loch, eines nach dem anderen, dann wieder Spachtelmasse …

Es tropft nur noch alle drei Sekunden einmal.

Ich wende mich wieder  dem Feudel und dem Eimer zu. Alle zehn Liter gehe ich nach oben, eine Zigarette rauchen. Nach fast zwei Stunden sind vierzig Liter aufgewischt, mir tut das Kreuz weh und die Hände sind rau vom vielen kalten Wasser.

Es tropft nicht mehr.

Ich mache Schluss.

Den kleinen verbliebenen Wasserrest habe ich dann heute Morgen noch aufgewischt.

Welche Dose das war?

Dicht-Fix.

Von MEM.  Gekauft bei MEA in Aichach. Die Stellen Bau- und Industrieproduktie rings ums „Wassermanagment“ her und hatten vor langer Zeit in Aichach einen eigenen Baumarkt betrieben, bevor der ins OBI-Franchise-System übernommern wurde. Da konnte man als Privatkunde so etwas kaufen.

Auf der Dose stehen die folgenden, für den Wasserschadensbetroffenen tröstlichen Worte:

Sofort absolut wasserdicht – auch bei Regen, Schnee und Frost“! Dralon / Carbonfaserverstärkt – rißüberbrückend bis 10 mm, für alle Bereiche bestens geeignet für Dach und Flachdachprobleme.

Dauererlastisch – streich und spachtelbar, haftet auf allen baulichen, auch feucht nassen Untergründen, innen und außen anwendbar, UV-beständig, bitumen- teer- und asbestfrei.

Diese Eigenschaften waren es, die mir zugerufen haben: „Kauf mich! Mich kannst du immer brauchen!“

Ich würde heute noch hinzufügen: Im geschlossenen Gebinde nahezu unbegrenzt haltbar.