Installatorische Allegorien Teil 1

Vor ziemlich genau 20 Jahren war es, als ich – verärgert über einen Mitmenschen, den direkt zu kritisieren nicht möglich war – den Weg über die allegorische Dichtung suchte und dessen herausragende Eigenschaften, die zugleich unübersehbare Schwächen waren, an jenem kleinen Gegenstand, der von Installateuren im Rohrleitungsbau als „Reduzierstück“ bezeichnet wird, in boshafter Absicht im übelsten

Lichte erscheinen zu lassen.

Ich fand Gefallen an dieser spielerischen Vermengung zwischen den Eigenschaften von Menschen und Gegenständen aus dem Bereich von Gas-, Wasser-, Heizungs- und Sanitärinstallateuren und erweiterte die Sammlung nach und nach auf insgesamt 21 „Sinnbilder“. Es wurde ein Büchlein daraus, das ich noch eigenhändig  gedruckt und gebunden, und dann hauptsächlich an „Brüder im Geiste“ verschenkt habe.

Die damals aufs Korn genommenen Personen sind entweder aus meinem Umfeld verschwunden, oder, soweit es sich um Prominente handelte, kaum mehr öffentlich wirksam. Von daher  halte ich – nach 20 Jahren – die Zeit für reif, diese 21 Charakterisierungen nach und nach einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Das beginnt  heute mit dem  uralten Vorwort und der Einführung in die Welt der „Rohrartigen“ und eben dem Kapitel über das Reduzierstück.

 

Einführung

Für den Fachmann, der ja durchaus auch – und gerade – zum Leserkreis der Installatorischen Allegorien zählen soll, mag die Begegnung mit diesem Büchlein mit einem nachsichtigen Schmunzeln beginnen, für den Laien kann ein erschrecktes, schadenfreudiges Gelächter am Anfang stehen, doch bald werden beide gleichermaßen dem Sinn und Hintersinn der Geschichten nachspüren und auch beim wiederholten Schmökern immer wieder neue Facetten entdecken.

Nehmen Sie sich also vor, ein Weilchen zu entspannen, wenn Sie dieses Büchlein zur Hand nehmen, lesen Sie ein einziges Kapitel und lassen Sie sich inspirieren. Dann erschließen sich in den Bildern der Installatorischen Allegorien neue Begriffswelten, Zeichen, Symbole, Ikonen des menschlichen Verhaltens, für die bislang die sprachlich-begriffliche Entsprechung fehlte. Am schönsten ist es dann, wenn das Leuchten der Erkenntnis aufblitzt und Sie von einem feinen Lachen geschüttelt zu sich selbst sagen:

„Oh ja! Das ist mein Freund Werner, das Reduzierstück. Herrlich!“

Und plötzlich haben Sie alle Figuren entschlüsselt und fragen sich, woher der Autor Ihren Chef, Ihre Kollegen, Ihre Kunden und Ihre Mitarbeiter kennt, um sie so präzise zu beschreiben und ihre Beziehungen zueinander auszudeuten. Geben Sie Ihren Freunden die Gelegenheit, an Ihrem Lächeln teilzuhaben. Packen Sie Ihre Anregungen für einen Menschen, der Ihnen wichtig ist, in einen handschriftlichen Vermerk auf der richtigen Seite und verschenken Sie dieses Buch an Freunde und Feinde, bevor es ein anderer tut!

 

Die ersten sieben Bilder

oder
Die Rohrartigen

Die Rohrartigen sind allesamt hohl und gerne beieinander und geben sich der wohltuenden Täuschung hin, als Mitglied von Wasser- oder Gas-Leitung hätten sie ebensolche Führungsqualität und -Verantwortung wie das Mitglied einer Geschäfts- oder Verbandsleitung, weil es primär doch auf die formgebende und richtungsweisende Kraft der Leitung ankomme, wogegen der letztlich austauschbare Inhalt, das Geleitete, eine zu vernachlässigende Größe sei.

Doch wir wissen: So viele Rohrartige sich auch zusammenschließen mögen, zu Vereinen und Vereinigungen, zu Interessengemeinschaften und Verbänden, sie sind immer abhängig vom Zustrom fremder Ideen, von fremdem Engagement und letztlich von einem fremden Willen. Wenn Rohrartige überhaupt etwas vermögen, dann ist es neben dem Leiten (i.e.S.: „Weiterleiten“) das Unterbinden. Oft genügt ein Rohrartiger, der sich sperrt, und schon läuft im ganzen schönen Rohrnetz nichts mehr.

Untereinander stehen sich die Rohrartigen nahe. Auch wenn sie nicht direkt verbunden sind, wie dies z.B. bei der Anordnung „Siphon und Schwenkhahn“ regelmäßig der Fall ist, können ausgeprägte soziale Beziehungen beobachtet werden. Der Fall des aufopferungsvollen Siphons, der eine spontane Selbstverstopfung herbeiführte, weil bei seinem Schwenkhahn nach Jahren intimen Zusammenlebens die Dichtung schwächelte und der so – mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln – half, einen unerwünschten Wasserfluss in den Kanal zu verhindern, hat in der klassischen Literatur über die Rohrartigen breiten Niederschlag gefunden.

Gerade in dieser rührenden Verhaltensweise wird aber auch eine liebenswerte Schwäche der Rohrartigen erkennbar: Sie sind nicht besonders intelligent und haben insbesondere sehr krude Vorstellungen von ihrer Aufgabenstellung, ihrem Lebenszweck.

Wer als Bahnhofsvorsteher, Bataillonskommandeur oder Weihbischof auf Rohrartige angewiesen ist, tut gut daran, auf äußerste Disziplin zu achten und insbesondere die Gnade der Frühpensionierung walten zu lassen, so oft es geht. Gerade im klerikalen Bereich wird diese Empfehlung allerdings häufig sträflich vernachlässigt, so dass es dort von irreversibel korrodierten Absperrschiebern, verkalkten Reduzierstücken und zittrigen Schwenkhähnen einige mehr gibt, als nach dem statistischen Durchschnitt anzunehmen wäre.Trotzdem, die Rohrartigen sind unentbehrlich. Lernen Sie jetzt die sieben hervorragendsten Exemplare kennen, schätzen und achten.

 

Die Rohrartigen auf einen Blick

1 Das Reduzierstück

Ein Hohlkörper mit zwei Gewinden. Mehr nicht. Aber die Welt ist voll von Reduzierstücken, offenbar also eine höchst angepasste, evolutionär erfolgreiche Gattung. Auch Sie kennen eines.

2 Der Absperrschieber

Vergessen für alle Zeiten rottet der Absperrschieber in finsteren Kellerräumen vor sich hin. Niemand braucht ihn. Depression und Resignation berauben ihn seiner Fähigkeiten. Tragisch.

3 Der Bypass

Immer einen Ausweg kennen, auf die „Second Source“ ausweichen können, so ein Bypass bringt’s in kritischen Situationen. Was aber in den ruhigen, unkritischen Zeiten? Vor dem Spieltrieb muss gewarnt werden.

4 Der Rohrtrenner

Ein flinker Geselle, der immer dafür sorgt, dass die Unterdrückten unten bleiben, auch wenn der Unterdrücker weg ist. Der Unterdrücker ist natürlich der Überdruck, aber „Überdrücker“ kann man nicht sagen.

5 Die Ringentlüftung

Teufelswerk, wo niemand mehr ein Rohr vermutet. Der Bohrer ist ihr Schicksal, es fragt sich nur wann. In der Ringentlüftung ist übrigens nicht Luft (die wird ja entlüftet) sondern Wasser, warmes, nasses. 

6 Der Siphon

Die letzte Schleuse vor dem Abgrund. Häufigster und zumeist erster Anlass, einen Installateur zu rufen. Der Siphon wird daher von der Branche geliebt und es werden ihm insgeheim Opfer gebracht. 

7 Der Schwenkhahn

Gerade weil er so wendig ist, ist er so gefährlich. Auch die Hamburger Flutkatastrophe von 1962 wurde nach bestätigten Geheimdienstberichten in Wahrheit nicht von Helmut Schmidt ausgelöst, sondern von einem verbitterten alten Schwenkhahn auf einer britischen Kanalinsel.

 

1 Das Reduzierstück

Ein Hohlkörper mit zwei Gewinden. Mehr nicht. Aber die Welt ist voll von Reduzierstücken, offenbar also eine höchst angepasste, evolutionär erfolgreiche Gattung.

Das Reduzierstück ist ein aus dem Rohrleitungsbau nicht wegzudenkendes Utensil, das von Installateuren geschätzt wird, weil sein Einbau den Anschein perfekter Planung vermittelt und gleichzeitig die Rechnung so schön unübersichtlich macht. Warum eine Rohrleitung mit 1 1/2 Zoll Durchmesser beginnt, aber nach einer kurzen Strecke schon auf 1 Zoll oder 3/4 Zoll herunterreduziert wird, um endlich als Halb- oder Viertelzöller da anzukommen, wo sie ankommen soll, bleibt in aller Regel das wohlgehütete Geheimnis des ausführenden Installateurs.

Ist es das reine „Vorhanden-Sein“ von Reduzierstücken, das zwangsläufig dazu führt, dass sie auch eingesetzt werden, also quasi die normative Kraft des Faktischen, oder ist es nur die dem Reduzierstücke innewohnende frohe Botschaft, die dem Installateur die Gewissheit gibt, dass der Durchmesser der auf dem Dach des Montagewagens mitgeführten Einzelrohre völlig bedeutungslos ist, solange nur die richtigen Reduzierstücke verfügbar sind?

Wir wissen es nicht und werden es möglicherweise auch nie erfahren. Von daher bleibt der wahre Zweck des Reduzierstückes im Dunkeln. Allerdings hat das Reduzierstück ein paar interessante Eigenschaften, die eine nähere Betrachtung trotzdem lohnen. Zunächst einmal ist es, zumindest in einer Achse asymmetrisch, wodurch sich Anfang und Ende unterscheiden lassen. In Fließrichtung gesehen ist es am Anfang dick und am Ende dünner. Das offene dünne Ende befindet sich bei richtigem Einbau immer ganz vorne am bis dahin montierten Strang. Das ist keineswegs paradox, es klingt nur so, wenn man zu langsam liest.

Das unbeschädigte, gebrauchsfertige Reduzierstück besitzt zwei Gewinde. Eines am dicken Anfang und eines am dünnen Ende. Dem Einbaufall entsprechend werden Reduzierstücke mit zwei Innengewinden oder zwei Außengewinden oder einem Außengewinde am Ende und einem Innengewinde am Anfang angeboten. Selten sind Reduzierstücke mit Innengewinde am Anfang und Außengewinde am Ende. Häufig ist eines der Gewinde als Linksgewinde ausgeführt, das andere als Rechtsgewinde, so dass ein armer Schlosserlehrling oft mehr Probleme mit dem Einschrauben hat, als es die Schöpfer der Windungen beabsichtigten.

Im Übrigen ist das Reduzierstück innen vollständig hohl, wenn auch hinten etwas weniger als vorne. Es hat kein Innenleben, keine innere Funktion, keine inneren Werte, es ist und bleibt – abgesehen von evtl. Ablagerungen, die sich im Lauf der Zeit zwangsläufig bilden – ein hohler Hohlkörper. Mit Gewinden. Linksgängig, rechtsgängig, innen, außen, ganz beliebig, ohne dadurch an Hohlheit zu verlieren.

Der Zweck des Reduzierstückes bleibt, wie eingangs erwähnt weitgehend im Dunkeln, aber seine Wirkungen lassen sich beschreiben. Während vor dem Reduzierstück der Rohrdurchmesser ausreicht, um mit dem vorhandenen Druck eine große Durchflussmenge pro Zeiteinheit zu erreichen, kommt nach dem Reduzierstück deutlich weniger an, was gelegentlich zum Anlass genommen wird, zum Ausgleich eine Druckerhöhungspumpe einzubauen. Denn mit erhöhtem Druck ist die alte Durchflussmenge – in berechenbaren Grenzen – auch bei geringerem Querschnitt noch zu erreichen, hektisch spritzend zwar, statt ruhig fließend, aber man kann eben nicht alles haben.

Wird das Reduzierstück verkehrt herum eingebaut und damit zum Deduzierstück gemacht, was gar nicht so selten vorkommt, verhält es sich in bestimmten Situationen näherungsweise wie ein Druckminderungsventil. Weil es aber keines ist, oszilliert die Abgabe am Ventil nach dem Reduzierstück umgekehrt proportional zur Absicht des Bedieners zwischen Schwall bei Öffnungsbeginn und Rinnsal bei vollständiger Öffnung.

Kennen Sie übrigens meinen Freund Werner?

Werner ist Gruppenleiter in der Antragsabteilung einer Assekuranz und zweiter Kassenwart beim Briefmarkenzüchterverein in Niederoberauenwald, wo er wohnt. Werner wirkt immer ein bisschen verkniffen. Und er ist auch immer ein bisschen verkniffen. Mit etwas mehr Lebensart und etwas mehr Selbstvertrauen hätte er es weit bringen müssen. Selbst als Sparminister beim Bund könnte ich ihn mir vorstellen – aber der richtige Finanzminister ist halt einfach der smartere Typ.

Werner hält nämlich die Dinge zusammen und nichts vom Gießkannenprinzip. Alles was ansteht wird gesammelt und erst bei wirklich dringendem Bedarf in kleinen, überschaubaren Mengen gezielt und kontrolliert weitergegeben. So macht er es mit den Versicherungsanträgen, die sich vor seinem Eingangskorb im Büro längst zur unüberwindlichen Mauer auftürmen und so macht er es mit den Beitragseinnahmen des Briefmarkenzüchtervereins in Niederoberauenwald, die sich auf dem Tagesgeldkonto vermehren, weil Werner dafür sorgt, dass immer weniger ab- als zufließt.

Aber der Werner ist halt kein besonders smarter Typ. Er ist so eingebunden, in seine Pflichten, dass er gar keinen Spielraum mehr hat. Bewegt er sich doch, geht ihm jedes Mal verdammt viel daneben, bis er wieder den rechten Halt gefunden hat.

Werner ist mein Freund. Das darf er sein, weil er so wenig sagt. Alles, was er erfährt, was ihn beschäftigt, was er wissen will und was er glaubt, erkannt zu haben, behält er für sich, das meiste jedenfalls und meistens. Wer aber glaubt, Werner könne sich nichts merken, würde stetig alles vergessen, der irrt. Denn des Öfteren,  oft im ungünstigsten Augenblick,  lässt er dann auch wieder einmal einen Schwall los, über die Bundesliga und den Beckenbauer und das neue Stadion in München und über die Bayern überhaupt, bis ich aufhöre, wegzuhören und hinzuhören[1] beginne. Dann versiegt er wieder, mein Freund Werner. Werner ist nicht einfach einfältig. Auch „beschränkt“ wäre das falsche Wort. Werner ist beschränkend. Deshalb hätte er auch Verkehrsminister werden und Tempo 80 auf Autobahnen einführen können, oder Innenminister und die Zuwanderung beschränken, oder Umweltminister und die Atomkraftwerksnutzungsdauer beschränken. Wär’ er halt nur ein bisschen smarter, der Werner. Aber man sieht es ihm an. So wie die Krone eines Apfelbaumes der Form des Apfels ähnlich ist und die Birne wiederum der Kronenform des Birnbaumes ähnelt (das gilt übrigens auch für die Glühbirne, nicht aber für den Apple II), ähnelt auch Werner einem Reduzierstück.

Achten Sie einmal darauf, wenn Sie in Niederoberauenwald von der Kohlweißlingstraße aus über den Holzweg zum Rathaus gehen. Da kommt er Ihnen entgegen, mittwochs immer um halb acht abends. Da gehen die Briefmarkenzüchter nach Hause, von Ihrer Versammlung im Ratskeller. Sie erkennen ihn schon an der Figur.
Vorne und oben ist er dicker als hinten und unten. Fragen Sie ihn nach dem Weg, wenn Sie sichergehen wollen und wenn er nicht mehr sagt als „do lang“ und mit dem Kinn in die Richtung zielt, die er meint, dann war er es. Und wenn er Ihnen eine lange Geschichte vom FC Bayern und der Fußballbundesliga und dem Beckenbauer erzählt und dann ganz zum Schluss „do schau“ sagt und mit dem Kinn hindeutet, dann war er es auch.

Sagen Sie selbst, man merkt es kaum, dass er innen vollständig hohl ist, oder? Nur wenn er immer wieder mit den Bayern und dem Stoiber und der neuen CSU im Stadion daherkommt und dann wieder ganz still wird, dann fragt man sich, wie man ihm helfen könnte.

Aber ihm ist nicht zu helfen und ich glaub’, er möcht’ auch gar nicht geholfen werden. Nach Verona wollt’ er immer verreisen. Aber über Oberoberauenwald ist er nicht hinausgekommen und das hätt’ er fast nicht überlebt. Aber das ist eine andere Geschichte. Die hat mit dem Reduzierstück nichts zu tun. Ehrlich.

 

[1] Zuhören ist gut. Weg Zuhören und Hin Zuhören sind bedenklich. Etwas Hinzu hören ist denkbar. Gemeint ist weg zu hören und hin zu hören nicht weg, zu hören oder hin, zu hören.