Ich bin nur ein alter Affe im Zoo

Sehr geehrte Personen und Personen und Personen,

das Gefühl, wie ein Wundertier begafft zu werden, ist nicht immer schön. Mir ist, als sei die Evolution an mir spurlos vorübergegangen. Draußen, vor meinen Gitterstäben wandelt sich die Welt wie verrückt. Ich aber bleibe hinter meinen Gitterstäben immer noch der alte Affe. Ein männlicher Affe, das muss zum Verständnis betont werden.

Vor den Gitterstäben tummelt sich ein modernes, aufgeklärtes, weltoffenes Volk, bunt gemischt wie die bizarren Figuren eines Science Fiction Films in einer galaktischen Kneipe im Nirgendwo hinter dem Pferdekopfnebel. Halbmännliche Lesboide neben biveganen Queerulanten, promiskuitive Päderastoide, transpotentielle Nymphen mit ihren unverwechselbaren Janusvulven, siebenschwänzige  Autofellatoren und sternenstaubkoksende Transformatoren der Gattung capitibus aquam, neben einigen wenigen wahren und bedauernswerten Hermaphroditen.

Nun, ich kann das nicht erkennen. Mir fehlt der geschulte Blick. Ich kann nur Männer und Frauen und Mädchen und Jungen unterscheiden, auch wenn sie sich noch so toll maskieren, ver- und entkleiden,  um sich mehr als nur halb nackt auf den Christopher-Street-Day-Wagen geiferlüstern zur Schau zu stellen.

Was bin ich froh, dass ich im Zoo geblieben bin. Hinter meinen Gittern bin ich sicher. Ich habe eine zutrauliche Pflegerin, die mich versorgt. Das Gehege wird gereinigt, da muss ich mich nicht drum kümmern, und vor allem: Ich darf Affe bleiben, ohne vor Gericht gezerrt zu werden.

Einer meiner Brüder, der sich damals, als alle Zootiere vor die Wahl gestellt wurden, entweder freiwillig zu bleiben, oder sich auf Mensch umschulen zu lassen, für die Umschulung und das Leben in der Wildnis vor den Gitterstäben entschieden hat, hat es weit gebracht. Er muss jetzt arbeiten, er bekommt auch Geld dafür, aber er darf keine Fehler machen. Nun hat er einen Fehler gemacht.

Er arbeitet bei der Bahn. Da hat er mit der Kundenkommunikation zu tun. Aber trotz aller Umschulung und Vermenschlichung hat er den gleichen Sehfehler wie ich auch. LBTSQ_*X kann er nicht von Männern und Frauen unterscheiden. Er hat nicht einmal eine Idee davon. Also hat er, wie unter uns alten Affen üblich, in der Kommunikation mit den Kunden ohne jegliches Unrechtsbewusstsein die Formulierungen „Sehr geehrter Herr“ und „Sehr geehrte Frau“ gewählt. Das hat die Creme de la Creme der gendergeübten Altmenschen, die ihren Affenverstand längst verloren haben, auf die sprichwörtliche Palme getrieben. Mit Krokodilstränen in den Augen versicherten sie sich gegenseitig, sie würden durch solcherlei Missachtung  ihrer selbstgewählten sexuellen Identität nicht nur verhöhnt: Nein, so sensibel wie eine selbstgewählte sexuelle Identität den Menschen macht, stünden viele von ihnen direkt am Abgrund des Suizids.

In der Realität war es natürlich keine Palme, sondern das Landgericht Frankfurt, und dort klagten auch nicht alle, sondern nur eine Person nichtbinären Geschlechts auf das Recht auf eine nichtbinäre Anrede.

Mir will es nicht in mein Affenhirn gehen, aber das Landgericht Frankfurt befand den Arbeitgeber meines Bruders der Diskriminierung für schuldig und verwies dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das schon länger befunden habe, es gäbe nicht nur geschlechtliche Binärität, wie sie  sinnbildlich bei Topf und Deckel, Schraube und Mutter, Kolben und Zylinder zu erkennen sei, sondern daneben eben auch eine theoretisch unendliche Anzahl von Träger_X*innen nichtbinärer sexueller Identitäten, denen zwingend eine von „Herr“, bzw. „Frau“ abweichende Anrede zur Wahl gestellt werden müsse.

Ich habe meinem Bruder empfohlen, wieder zurückzukommen, in unseren Zoo, es wäre für ihn noch genug Platz unter uns alten Affen. Doch die Umschulung zum Menschen hat zu tiefe Spuren hinterlassen. Unter Tränen versicherte er mir, dass die ja wahrscheinlich Recht hätten, schließlich könne das Verfassungsgericht nicht irren, und dass er sich für mehrere Seminare angemeldet hätte, auch mit Rollenspielen, und dass er sicher sei, künftig jene hohe Kunst, jede Spielart von LBTSQ_usw._X intuitiv zu erkennen, zu beherrschen.

Unter Menschen würde  man sagen, soviel weiß ich: „Damit macht er sich zum Affen.“ Unter uns Affen sagt man, mit gleicher Bedeutung: „Jetzt macht er sich aber völlig zum Menschen.“

Ich greif‘ mir jetzt ein Bündel Bananen, klettere in meinen alten Autoreifen, der von der Decke hängt und schaukle mich mampfend in den Schlaf.

Da werden sie wieder glotzen, draußen vor den Gitterstäben, und sich ärgern, dass der alte Affe ihnen keines seiner Kunststücken zeigt.

Wenn die wüssten, wie mich ihr Verhalten belustigt …

Ich werde nun allerdings auch wegziehen. In Deutschland vergeht ja kein Tag mehr, an dem ich nicht wegen meiner Rückständigkeit gehänselt, verlacht und auch bedroht werde. Es macht einfach keinen Spaß mehr. In Budapest, so trommelt es der Buschfunk, soll es noch Männer und Frauen geben, die, wenn sie gemeinsam Kinder haben, Väter und Mütter genannt werden, genau so, wie es früher war.

Niemand weiß allerdings, wie lange die Ungarn noch so denken dürfen. Die EU droht mit Liebesentzug, nun ja, sie nennen es „Unverzeihliche-Rechtsstaatlichkeitsverletzungs-Sanktionen“, sollten die Ungarn sich nicht der allgemeinen babylonischen, sodom- und gomorrhianischen Werteverwirrungsgemeinschaft anschließen, aber für meine letzten Jahre in diesem Leben wird es vielleicht gerade noch reichen.