Dilemma – oder nur Angst vor Entscheidungen?

Da sitzen Figuren, die Aktivisten genannt werden wollen, im Dannenröder Forst auf den Bäumen und werfen mit Fäkalien auf Polizisten.

Das ist nur ein Beispiel von Hunderten, doch ich will es bei diesem einen Beispiel belassen, weil es mir nicht darum geht, aufzuzählen, wo überall die gleiche fatale Situation entstanden ist, sondern warum sie entstehen konnte.

Im Grunde ist alles klar:

Es ist mit Rechtskraft und gegen alle Einsprüche festgestellt und beschlossen, dass ein Stück Autobahn durch diesen Wald gebaut werden soll. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist damit vollends Genüge getan. Die Arbeiten können beginnen. Dazu ist im Wald zunächst der Bereich der zu bauenden Trasse zu roden. Dann können die Bagger und Baumaschinen anrücken und Kies und Asphalt zur Straße aufgebaut werden. Ein Jahr später kann der Verkehr rollen.

Tatsächlich ist gar nichts klar:

Linke Verfassungsfeinde bilden paramilitärische Banden und schrecken nicht vor schweren Straftaten, auch gegen das Leben, zurück. Sie besetzen unrechtmäßig den Wald, fällen Bäume für den Bau von Plattformen, errichten Seilbahnen zwischen ihren Hütten in den Baumwipfeln, graben Tunnel, um sich unbemerkt bewegen zu können. Alles Aktionen, die nicht einmal der rechtmäßige Besitzer des Waldes veranstalten könnte, ohne sich in mehrfacher Hinsicht strafbar zu machen.

Seit Wochen ist die Polizei mit Hundertschaften vor Ort im imer wieder lebensgefährlichen Einsatz. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im hessischen Landtag, Günter Rudolph, berichtet darüber so:

„Der Einsatz der Polizistinnen und Polizisten im Dannenröder Forst ist nicht nur anstrengend, er ist auch unglaublich gefährlich. (…) Hier geht es unter anderem um einbetonierte Barrikaden, eingegrabene Nägelbretter, den Einsatz von Pyrotechnik, unübersichtliche Seilkonstruktionen, bis zum Bewerfen mit Exkrementen. Dieses Verhalten ist völlig inakzeptabel und kann mit nichts legitimiert werden.“

Aber was fällt ihm zu dieser Lage als angezeigte Maßnahme ein?

Nichts.
Außer, dass er vom Innenministerium eine Sonderzulage für die Polizei fordert.

Das ist das Dilemma.

 

Der Staat, der im Recht ist und den Bau der Autobahn vollziehen soll, hat ebenso Angst, sich vor den Augen der Öffentlichkeit lächerlich zu machen, wie er Angst hat vor jener wirkungsvollen Metapher Merkels, „unschöne Bilder“ müssten vermieden werden.

Es wären ja auch unschöne Bilder, wenn man Sondereinsatzkräfte von der Leine ließe (im Wortsinn, von Hubschraubern aus abgeseilt), die mit ihren Mitteln dem Spuk innerhalb weniger Stunden ein Ende setzen und die Besetzer unter Einsatz der erforderlichen physischen Gewalt festnehmen würden. Es wären vor allem unschöne Bilder, wenn einige der Besetzer dabei verletzt würden, oder in der Gefahr, in der sie sich begeben hatten, umkämen.

Also macht sich der Staat ein bisschen lächerlich, indem er die Besetzer mit Samthandschuhen einzeln von den Bäumen pflückt und rücksichtsvoll versucht, auch jene die sich in so genannten „Suizid-Fallen“ aufhalten, mit der Vorsicht und Umsicht von Bombenentschärfern herauszuholen, nur um festzustellen, dass sich das zu räumende Gelände am nächsten Tag schon wieder in eine Festung der Aktivisten verwandelt hat. Gleichzeitig kann er aber auch ein paar wenige unschöne Bilder nicht verhindern, wenn plötzlich ein „Aktivist“ aus fünf, sechs Metern Höhe ohne jegliche Fremdeinwirkung vom Baum fällt und schwerverletzt liegen bleibt. Da heißt es dann: Ohne den Polizei-Einsatz hätte der Mann keinerlei Veranlassung gehabt, auf den Baum zu klettern, die Schuld für seine Verletzungen liegt folglich beim Staat.

Nein. Es ist kein Dilemma.

Es ist die Angst der Verantwortlichen, eine Entscheidung zu treffen.

Wo aber der Staat schon Angst hat, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, um einen Konflikt zu beenden und damit seine Hilflosigkeit zu erkennen gibt, wird er damit nur immer mehr  „Aktivisten“ ermutigen, ein vermeintliches Recht unter Missachtung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen.

Das ist der bequeme Weg, an dessen Ende die Anarchie steht.

Worum geht es denn?

Es geht darum,

  • entweder den Entscheidungsprozess an dessen Ende der Beschluss stand, die Autobahn zu bauen, noch einmal im Lichte neuer Entwicklungen und Erkenntnisse zu hinterfragen und ggfs. zu dem Ergebnis zu gelangen, dass eben doch nicht gebaut wird. Damit wäre die Situation sofort befriedet.
  • Oder den Entscheidungsprozess, an dessen Ende der Beschluss stand, die Autobahn zu bauen, noch einmal im Lichte neuer Entwicklungen und Erkenntnisse zu hinterfragen und ggfs. zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Baumaßnahmen wie geplant erfolgen sollen. Dem müsste unmittelbar die konsequente Räumung mit geeigneten Mitteln folgen.

Wer sich weder für das eine, noch für das andere entscheiden kann, sondern mit Blick auf die Wähler die er entweder hier oder dort verlieren könnte, nur hilflos taktiert, dem fehlt jegliche Eignung zur Führungskraft, die sich ja gerade darin zeigt, den für richtig erachteten Weg auch dann zu gehen, wenn er damit einen Teil seiner Mitarbeiter, in diesem Fall einen Teil seiner Wähler, Sympathisanten und Hilfstruppen frustrieren muss.

Das politische Patt in Deutschland, das, ausgelöst durch die Schwäche der ehemaligen Volksparteien, nach den Wahlen von 2016 deutlich in Erscheinung trat und die ursprünglich angestrebte Koalition scheitern ließ, so dass noch einmal die GroKo als Notnagel weiterregieren durfte, ist darauf zurückzuführen, dass die Wähler nirgends mehr Lösungen erwarten und sich daher auch nicht mehr in der Verantwortung sehen, selbst auf das große Ganze zu schauen, sondern ihre Stimmen aus Protest dahin zu geben, wo nur noch Partikular-Interessen hochgehalten werden.

Die Ursache liegt darin, dass das politische Personal der Republik nicht mehr wagt, gerade dann, wenn es darauf ankommt, zu seinen Werten und Überzeugungen zu stehen, soweit diese nicht sowieso längst rund und abgeschliffen sind wie Flusskiesel.

Die Ergebnisse sind überall sichtbar, ob im Dannenröder oder im Hambacher Forst, ob in Berlin – nicht nur in der Rigaer Straße 94, ob in Hamburg – nicht nur in der Roten Flora, ob in Duisburg-Marxloh, in Berlin in Kreuzberg, Moabit oder im Görlitzer Park, ob in den von Clans besetzten Gebiete in Essen und Altenessen, in der Dortmunder Neustadt, in Alt- und Neustadt von Gelsenkirchen, ob in Wuppertal oder Solingen, ob in den Rocker-Milieus in Ludwigsburg, Konstanz und Stuttgart, überall das gleiche Bild:

Quasi rechtsfreie Räume!

Wollte man an Teile des Regierungshandelns die gleichen Maßstäbe anlegen, müsste man wohl auch das Kanzleramt – mit Einschränkungen – in diese Aufzählung aufnehmen. Da geht es allerdings nicht um Vermögensdelikte, um Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung  und Körperverletzung, sondern um „unvermeidliche“ (früher: „alternativlose“) Entscheidungen von ebenso weitreichender Wirkung wie ungeklärter verfassungsrechtlicher Zulässigkeit. Also lassen wir das Kanzleramt außen vor und begnügen uns damit zu sagen, dass dort vorbildhaft Maßstäbe für Grenzüberschreitungen geschaffen wurden.

Glücklicherweise wird das neue  „Gute-Demokraten-Förderungsgesetz“, mit dem 1,15 Milliarden Euro für die Gleichschaltung von Volk und Regierung ins Feuer geworfen werden, die hier geschilderten Zustände in der öffentlichen Wahrnehmung so verändern, dass es kaum noch möglich sein, darin kritikwürde Aspekte zu erkennen.