Demokratieverstärker preiswert abzugeben

PaD 42 /2020 – Hier auch als PDF verfügbar: PaD 42 2020 Demokratieverstärker preiswert abzugeben

 

Ein Paket ist geschnürt worden.

Mit 89 Absichtserklärungen zur Verstärkung der Demokratie reicht dieses Paket nur knapp an Luthers 95 Thesen heran. Luthers lautere Absicht war allerdings ebenfalls eine Stärkung, nämlich die Stärkung von Kirche und Glauben. Geschaffen hat er eine fundamentale Spaltung, die uns noch heute im christlichen Spagat zwischen Georg Bätzing (Nie gehört? Sonntagsblatt lesen!) und Heinrich Bedford Strohm regelmäßig vor Augen geführt wird.

So kann man aus der Geschichte die Lehre ziehen, dass  Absicht und Ergebnis oft weiter auseinander klaffen als Wunsch und Wirklichkeit,  Wollen und Können oder Plagiat und Doktorhut.

Doch lassen Sie uns unvoreingenommen an die Sache herangehen. Der Wunsch, eine wehrhafte Demokratie zu stärken, ist ja im Grunde zu befürworten.

Eine wehrhafte Demokratie stelle ich mir so vor,

dass das Volk, als Ganzes, in Wahlen und Abstimmungen, wie es im Grundgesetz geschrieben steht, der alleine von ihm ausgehenden Staatsgewalt Ziel und Richtung gibt.

Der Aspekt des „Wehrhaften“ kann dabei nur darauf abzielen,

dieses Prinzip wie eine kostbare Reliquie zu verehren und es bis zum letzten Atemzug vor jeglicher Verwässerung zu bewahren.

Hier allerdings hakt es bereits. Das Paket wurde ja nicht von jenem „Volk“ geschnürt, von dem im Grundgesetz die Rede ist, auch nicht von dessen gewählten Vertretern im Parlament, deren Aufgabe es sein sollte, der Exekutive, also der Regierung, den Rahmen ihres Handelns durch Gesetze fein säuberlich abzustecken – nein, wieder einmal wurde der umgekehrte Weg gegangen.

Die Regierung hat sich etwas ausgedacht.

Die Regierung ist aber,

anders als der Bundespräsident, der Präsident des ganzen Volkes sein sollte,

ganz explizit die Interessenvertretung der Spitzenfunktionäre der Koalitionsparteien, die sich zum Regieren verabredet haben. Ob die Regierung damit zugleich die Interessen der Wähler der Koalitionsparteien vertritt, ist bei den offenkundigen Diskrepanzen zwischen Wahlversprechen, Koalitionsvereinbarung und tatsächlicher Politik nicht so leicht und eindeutig zu beantworten,  zumal die Koalition auf dem Wahlzettel gar nicht angekreuzt werden konnte.

Hier sehe ich tatsächlich einen wichtigen Ansatzpunkt, eine in die Jahre gekommene und von Abnutzungserscheinungen geplagte Demokratie zu stärken.

Prima, Frau Lambrecht! Wenn es darum geht, stimme ich Ihnen zu.

Werfen Sie also Ihr fein geschnürtes Paket in den Papierkorb und gedulden Sie sich, bis das Parlament von sich aus auf die Idee kommt, einen entsprechenden Maßnahmenkatalog zu erstellen, durchzudiskutieren und frei von Fraktionszwängen zu verabschieden.

Ich weiß, ich weiß, um Ihr Vorhaben zu verstehen, musste ich Sie missverstehen, Frau Lambrecht, aber das wollte ich eben gern von Ihnen selbst hören. Dass Sie auf den Beifall von der falschen Seite gerne verzichten, und wie man dann sonst so argumentiert …

Sie haben ja auch keinen Zweifel daran gelassen, dass es Ihnen eigentlich überhaupt nicht um die Stärkung der Demokratie geht, sondern um etwas ganz anderes, nämlich um Kampf.  Einen Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Was dieser Kampf mit der Stärkung der Demokratie zu tun habe soll, erschließt sich mir nicht.

Demokratie ist die Form – nicht der Inhalt!

Eine Regierung, die in demokratischen Wahlen die notwendige Mehrheit erringen konnte, ist deswegen doch nicht „die Demokratie“!

Noch nicht einmal die Parteiprogramme der Regierungsparteien können für sich in Anspruch nehmen „Demokratie“ zu sein, denn Demokratie ist etwas qualitativ vollständig anderes.

So handelt es sich also nicht um ein Maßnahmenpaket zur Stärkung der Demokratie, noch nicht einmal primär um Maßnahmen zur Stärkung von Minderheiten, sondern um Kampfmaßnahmen gegen von der Regierungslinie abweichende Meinungen, die als unterschiedlichste „…ismen“ benannt werden.

Die Endung „ismus“ bezeichnet jedoch stets Geisteshaltungen, Einstellungen, und Zielrichtungen, Ideologien oder Gesinnungen, nicht aber Handlungen. In einem Land, dessen Grundgesetz als „Freiheitlich demokratische Grundordnung“ bezeichnet wird, neue Kategorien von Gesinnungsstraftaten einzuführen, widerspricht dem freiheitlichen Ansatz ebenso, wie dem demokratischen Anspruch. Ich empfehle dringend Art. 4, Satz 1, zur Lektüre, wo explizit auch weltanschauliche Bekenntnisse geschützt werden.

Auf diesem „weltanschaulichen Bekenntnis“ mag ich nun ein wenig herumhacken, weil es durchaus auch mit dem angestrebten Kampf gegen sonstige gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit korrespondiert, wie ich gleich darlegen werde.

Um mit einem harmlosen Beispiel zu beginnen:

Handelte es sich bei dem in der DDR praktizierten „Sozialismus“ um ein weltanschauliches Bekenntnis?

Schließlich gehörte zu dessen Regeln unter anderem, dass eine Dissertation nicht nur die darin nachgewiesene, systematische Vertiefung der Kenntnisse der theoretischen Grundlagen des betreffenden Wissenschaftszweiges, sondern Gleiches auch  auf dem Gebiet des Marxismus-Leninismus erforderte, sowie  die aktive Mitarbeit bei der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft.

Falls ja, handelte es sich dann schon um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, als Christian Lindner am 28. Oktober 2019 twitterte: „Die Linke ist eine sozialistische Partei und möchte unser SYSTEM ändern“?
Immerhin handelt es sich bei „Die Linke“ um eine Gruppe (Partei) mit weltanschaulichem Bekenntnis (Sozialismus), der Lindner unterstellt, sie möchte unser System (GG Art. 20, 1-3) ändern. Würde sie das wirklich wollen, müsste sie verboten werden. Da sie nicht verboten ist, frage ich mich: Spricht aus Lindner ein menschenfeindlicher Antisozialismus?

Ein weiteres Beispiel:

Die PEGIDA-Bewegung bekannte sich weltanschaulich dazu, die Islamisierung des Abendlandes verhindern zu wollen.

Wäre dieses Bekenntnis, nach den Vorschlägen zur Stärkung der Demokratie nun schon ein Schlachtfeld im Kampf gegen die Muslimfeindlichkeit?

Und, anders herum, wäre die massive Kritik an PEGIDA, die teilweise durchaus als Hetze in Erscheinung getreten ist, nach den Vorschlägen zur Stärkung der Demokratie ebenfalls eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit?

Ich habe nicht den geringsten Zweifel, wie die Antworten auf diese Fragen ausfallen werden. Die Erinnerung an patriotische Selbstverständlichkeiten, die den CSU-Generalsekretär Blume im heiligen Impf-Eifer überkommen hat, war sicherlich nur ein Ausrutscher und bezog sich ausschließlich auf den politisch korrekten Patriotismus, den PEGIDA nur allzugerne für sich beanspruchen würde, aber als eine des – im Strafgesetzbuch erst noch aufzunehmenden – Völkischen Denkens verdächtige, wenn nicht gar überführte Gruppe gar nicht in Anspruch nehmen kann.

Folglich ist PEGIDA schon dem Namen nach muslimfeindlich und hat daher den Schutz vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit für sich von Anfang an verwirkt.

Drittes Beispiel (fiktional):

Vertreter der australischen Aborigines, der Efe-Pygmäen in Zentralafrika, der Yupik von der Tschuktschen-Halbinsel und der Schwarzfuß-Indianer aus der Blackfeet Indian Reservation in Montana, USA, reichen bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Petition ein, in der sie, als Vertreter von Urvölkern, eine Reihe von Maßnahmen zum besonderen Schutz ihrer vom Aussterben bedrohten Rassen einfordern.
Das ließe sich durchaus ebenfalls als ein weltanschauliches Bekenntnis, hier: zur eigenen Rasse, interpretieren.

Müsste Deutschland in der Vollversammlung dagegen stimmen, weil es nach deutschem Recht keine Rassen geben darf?

Müsste die Vollversammlung ganz im Gegenteil dafür votieren, dass im australischen Busch, im Norden der Volksrepublik Kongo, am Rande der Arktis und am Fuße der Rocky Mountains Migranten, die ursprünglich in die EU migrieren wollten, angesiedelt werden, um den diese Landschaften Bevölkernden überzeugend vor Augen zu führen, dass es Rassen nicht gibt?

Oder müsste die Bundesrepublik Deutschland per UN-Resolution dazu aufgefordert werden, den frisch gestrichenen Begriff „Rasse“ doch wieder ins Grundgesetz aufzunehmen um die Diskriminierung der Aborigines, der Efe, der Yupik und der Blackfeet Indians durch boshaft erniedrigende Gleichsetzung mit allen alten weißen Männern dieser Erde zu beenden?

Je länger ich darüber nachdenke, desto stärker wächst mein Zweifel daran, dass es um die Stärkung der Demokratie gehen soll.

Stattdessen wächst mein Verdacht, dass mit diesem neuerlichen Angriff auf die Möglichkeiten, konservatives Gedankengut überhaupt noch straffrei zu formulieren, die Meinungsfreiheit noch weiter eingeschränkt und damit der wahren Demokratie der Boden unter den Füßen weggezogen werden soll, um den Pluralismus der Lebensentwürfe, Werte und Strebungen durch einen staatlich reglementierten, kritikunfähigen Einheits-Pluralismus in aller denkbaren Vielfalt der Spielarten der Einfalt und der sexuellen Orientierungen zu ersetzen.

Der Versuch, einen Spagat zu erzwingen, bringt für Bänder, Sehnen und Gelenke erhebliche Gefahren mit sich. Selbst ein Dammbruch (medizinisch)  ist nicht auszuschließen.

Gleichzeitig zu behaupten

Alle Menschen sind gleich.
und
Jeder Mensch ist einzigartig.

ist ein solcher schmerzhafter Spagat, aus dem man nur wieder herauskommt, wenn man erkennt, dass es hier nicht um „und“, sondern um „entweder – oder “ geht. Die Entscheidung für die richtige Auffassung ist einfach, denn sie tut einfach jedem Menschen gut.