Aus den Gleisen gesprungen

In München, unter der Hackerbrücke, hat es am Freitagabend einen Meridian erwischt, der aber gar keiner war, sondern ein geborgter Ersatzzug, den die private bayerische Oberlandbahn schon seit dem Frühjahr einsetzt, ohne dass er vorher mal aus den Schienen gesprungen wäre.

Wer, wie ich, praktisch nie mehr selbst Bahn fährt, weil der nächste brauchbare Bahnhof einfach zu weit weg ist, um mit der Bahn schnell weit weg zu kommen, erfährt nur durch solche Meldungen davon, dass die Bahn als Aktiengesellschaft im hundertprozentigen Bundesbesitz nicht das ist, was sich auf jenem Schienennetz bewegt, das der DB Netz AG gehört, die wiederum eine hundertprozentige Tochter der hundertprozentig im Staatbesitz befindlichen Deutsche Bahn AG ist, aber nur 87,5% des deutschen Streckennetzes betreut. Der Rest ist schon wieder fremd vergeben.

Also erfahre ich – und erinnere mich dumpf, es ähnlich schon einmal gehört zu haben – dass das Betreiben von Bahnstrecken, zum Beispiel  hier, in diesem Fall, der Betrieb der Bahnstrecke zwischen München und Kufstein, privaten Anbietern überlassen wird, die – ebenso unsinnig wie die Müllabfuhr – in regelmäßigen Abständen Ausschreibungen gewinnen müssen, um ihre Strecken, bzw. ihre ihre Müllsammelreviere nicht zu verlieren. Diese Ausschreibungen für den Betrieb von Bahnstrecken sind ein sonderbares Ding. Gerade eben schreibt die Bayerische Eisenbahngesellschaft wieder den Betrieb von Strecken in Ostbayern aus. 

Diese Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) ist ein Unternehmen des Freistaates Bayern und zu 100% in dessen Besitz und Eigentum. Sie ist „Aufgabenträger“ des Schienenpersonennahverkehrs in Bayern, kümmert sich um die Fahrpläne und die Beförderungskapazitäten auf allen Strecken. Sie ist auch für die Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs zuständig und zwar so:

Der Gewinner einer Ausschreibung für den Betrieb einer bestimmten Strecke erhält dafür von der BEG das so genannte Bestellerentgelt, und das ist genau das, was dieser Ausschreibungsgewinner in der Ausschreibung als seinen Preis für den ordnungsgemäßen Betrieb dieser Strecke angeboten hat. Im Prinzip handelt es sich um das Entgelt für die Bereitstellung einer bestimmten Anzahl von Sitzplatzkilometern mit definierten Haltestellen. Dem Anbieter kann es folglich scheißegal sein, ob die Züge, die er zu den von der BEG vorgeschriebenen Zeiten mit der vorgeschriebenen Anzahl von Waggons von A nach B und C und D und zurück nach C und B und A rollen lässt, leer sind, oder rammelvoll, er hat kein Interesse an einer hohen Auslastung, denn die Auslastung wird vorher in der BEG durchaus planwirtschaftlich festgelegt, und er kann eine geringe Auslastung nicht durch den Ausfall von Zügen zu kompensieren versuchen, er hat seinen Plan einzuhalten. Und weil sich leere Züge am kostengünstigsten bewegen lassen, während Passagiere nur zusätzliche Kosten verursachen, ist das Interesse an der Zufriedenheit der Passagiere bei den Chefs der Bahnbetriebsunternehmen dem wirtschaftlichen Erfolg ihrer Unternehmen eher hinderlich, um es einmal so auszudrücken.

Das ist aber noch nicht der eigentliche Hammer.

Der eigentliche Hammer besteht darin, dass dieses „Besteller-Entgelt“ nur etwa zur Hälfte aus Fahrpreiserlösen finanziert wird, während die andere Hälfte aus Steuermitteln draufgelegt wird.

2018 wurden in Bayern 1 Milliarde und 61 Millionen Euro Bestellerentgelte bezahlt, also etwa 530 Millionen Euro Steuermittel in den innerbayerischen Schienenpersonennahverkehr gesteckt. Und selbst diese massive Subvention ändert nichts daran dass die geforderten Fahrpreise den Fahrgästen die Tränen in die Augen treiben.

Der bayerische Personenschienennahverkehr ist, das muss festgehalten werden, nicht näherungsweise kostendeckend zu betreiben.

Das wahre Ausmaß dieses Kostenfiaskos wird aber erst deutlich, wenn berücksichtigt wird, dass die BEG neben den Besteller-Entgelten für die Zugbetreiber auch noch die Infrastrukturgebühren  für die Gleisanlagen und die Bahnhöfe aufzubringen hat, die wiederum der DB Netz AG und der DB Station & Service AG zufließen, wobei der Bund das Finanzkarussell am Laufen hält, indem er den Ländern wiederum „Regionalisierungsmittel“ zur Verfügung stellt, aus denen Bestellerentgelte und Infrastrukturgebühren finanziert werden sollen.

Noch ist nicht klar, ob gestern in München das (vielleicht vernachlässigte) Gleis der DB Netz AG dazu geführt hat, dass der Regionalzug aus demselben gesprungen ist, oder ob ein (vielleicht vernachlässigter) Radsatz des geborgten Zuges seine Kompatibilität mit dem Gleis verloren hat, ob ein Stellwerksweichenstellcomputer versagte oder einfach ein Weichenstellantrieb den Geist aufgegeben hat. Das ist letztlich auch egal, denn das werden die Beteiligten schon irgendwie untereinander unter dem Tisch halten.

Die genauen aktuellen Zahlen der Regionalisierungsmittel und der Infrastrukturabgaben für Bayern habe ich (noch) nicht herausfinden können. Es sieht aber so aus, dass für jeden Euro, den die Bahnfahrer im bayerischen Schienenpersonennahverkehr als Fahrpreis zahlen, nicht nur ein, sondern mindestens zwei Euro Steuergelder zugeschossen werden müssen, um die Kosten des bayerischen Schienenpersonennahverkehrs zu decken.

Der Pkw-Fahrer finanziert sein Fahrzeug  selbst und liefert weit mehr an Kfz- und Mineralölsteuer beim Finanzminister ab, als dieser für den Ausbau und Unterhalt des Straßennetzes benötigt. Es ist kein Witz, es steht im Regionalisierungsgesetz von 1993, dass die Regionalisierungsmittel, die den Ländern zur Subventionierung des Schienenverkehrs zufließen, aus der Mineralölsteuer aufgebracht werden.

Es gibt keinen ernsthaften Grund zur Annahme, dass mit dem aus ökologischen Gründen geforderten Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs der Subventionsbedarf sinken könnte. Es gibt jedoch jeden Grund zu der Annahme, dass mit der Verteufelung des Verbrennungsmotors das Aufkommen der Mineralölsteuer zurückgehen wird, und zwar von einem bald erreichbaren Kipppunkt aus umso stärker, je höher die Steuerlast pro Liter Sprit ansteigt.

So wird neben den bereits offenkundigen Unzulänglichkeiten des Schienenpersonennahverkehrs auch seine Unbezahlbarkeit offenkundig werden.

Kümmert’s jemand?
Nee. Dauert ja noch ein Weilchen, bis dahin.