Nie wieder soll von deutschem Boden …

Bei Wikipedia kommt man zu der Annahme, der Satz, mit dem Krieg, der nie wieder von deutschem Boden ausgehen dürfe, stamme von Wilhelm Pieck (der war ein hohes Tier in der SED), ist aber nicht ganz abgeneigt, die hauptsächliche Zuschreibung auch gelten zu lassen – und danach stammt der Satz vom Zentralgestirn der SPD, jenem Herbert Ernst Karl Frahm, der den ersten gelungenen Versuch unternommen hatte, die SPD zu sozialdemokratisieren. Leider ist davon heute nichts mehr übrig.

Am fünfundsiebzigsten achten Mai seit 1945 darf man aber nicht nur Willy Brandts gedenken, man muss sich auch an Günter Grass und „Die Blechtrommel“ erinnern, sowie an Heinrich Böll und „Billard um halb zehn“. Letzterer ersann die Figur des Sprosses einer Architektendynastie, dem es gegeben war, was die Väter errichtet hatten, dank hervorragender statischer Kenntnisse mit minimalem Sprengstoffaufwand derart platt zu machen, dass der Artillerie das von ihm erbetene „Schussfeld“ zur Verfügung stand. Grass ist inzwischen, weil er meinte, sagen zu dürfen, was er meinte sagen zu müssen, geschasst.  Heinrich Böll konnte man nicht schassen, er war zu gewieft, also hat man beschlossen, ihn zu vergessen. Ein Beschluss, der mich zwar erreicht hat, dem ich mich aber nicht unterworfen habe.

Abgesehen davon, dass Willy Brandt den ihm zugeschriebenen und von ihm auch oft verwendeten Satz, heute so nicht mehr sagen dürfte,

handelt es sich beim Begriff „Boden“ doch um einen als „völkisch“ in Verruf geratenen, so dass sein Satz heute also vermutlich lauten würde: „Wir dürfen den Frieden, den wir Dank der EU genießen dürfen, nie wieder mutwillig auf’s Spiel setzen!“,

hätte er womöglich mit Befremden auch die Wahl der neuen Genderbeauftragten der Bundeswehr, Eva Högl, wahrgenommen und sich gefragt, ob Angela Merkel wohl zurücktreten würde, wie er nach der Guillaume-Affäre zurückgetreten ist, wenn sich herausstellen sollte, dass Eva Högl, die viel mit Soldatinnen und Soldaten sprechen will, um zu hören, wo der Stiefel drückt (sie sagte „Schuh“, aber das lernt sie noch), ihre dabei gewonnenen Erkenntnisse (Bedingt abwehrbereit), ausgerechnet gegenüber dem einstigen Sturmgeschütz der Relotiokratie in aller Unschuld ausplaudern sollte, wo doch die Einsatzbereitschaft der Waffensysteme, einschließlich der Flugbereitschaft, schon wieder zur Verschlusssache erklärt wurde.

Arabeske am Rande: Wer Zeit hat, dem hier eingefügten Link zu folgen, wird nicht umhinkönnen, Parallelen zu hochaktuellen Geschehnissen aufzufinden. Dem will ich hier nicht weiter vorgreifen.

Bleiben wir beim Krieg. Irgendwo in Deutschland, Büchel, heißt der Ort, sind Atombomben eingelagert, die von der deutschen Luftwaffe zu den Zielen transportiert und dann abgeworfen werden sollen. Die Nachfolgerin der legendären Verteidigungsministerin von der Leyen, die im Angedenken an die eventuelle Möglichkeit „letzter Aufgebote„, tatsächlich durchsetzen konnte, dass Bundeswehr-Panzer, so sie denn fahrbereit sind, auch noch von hochschwangeren Frauen zum Einsatz gebracht werden können, eben diese AK 47   AKK, hat nun – irgendwie – zugesagt, für den Transport eben dieser in Büchel eingelagerten Atombomben den Ersatz für die veralteten Tornados nicht etwa in Form von Eurofightern bei der Eurofighter Jagdflugzeug GmbH zu bestellen, sondern in Form von (insgesamt) 45  F18-Kampfflugzeugen bei Boeing, in den USA. Der Deal wird roundabout 5 Milliarden Euro verschlingen – und ist völlig für die Katz. Zwischen Büchel und Moskau liegen knapp 2.200 Kilometer Luftlinie. Die F18 schafft 2.345 km, als Einsatzradius sind 720 km angegeben. Eine Atombombe nach Russland zu tragen, erfordert folglich, dass der Pilot nach dem Abwurf der Bomben den Schleudersitz auslösen muss, bevor sein Flieger wegen Treibstoffmangel abstürzt. Ob AKK das weiß? Ob das überhaupt jemand weiß? Ob Eva Högl das weiß? (Bis zum 8. Mai 1945 hieß es: Ob der Führer das weiß?)

Man könnte mit der F18 Warschau bombadieren, oder London, ggfs. auch Paris, Wien, Venedig, aber man kommt nicht in die Nähe der russischen Grenze – und falls doch, dann nicht wieder zurück. Für solche Zwecke gibt es Langstreckenraketen.

Dass ein Waffensystem (einschließlich der neuen Bomben B61-12) mit nicht gerade geringem Aufwand modernisiert werden soll, obwohl es, selbst ohne eine effektive Abwehr des Gegners überhaupt in Betracht zu ziehen, sein Ziel – im wahrsten Sinne des Wortes – gar nicht erreichen kann, wäre eigentlich schon Schildbürgerstreich genug, doch die Frage, welchen anderen Zweck die in Deutschland stationierten Atombomben haben sollten, als als Ziele in russische, von Langstreckenraketen getragene Atomsprengköpfe einprogrammiert zu werden, wird überhaupt nicht gestellt. Jedenfalls nicht vor laufenden Kameras und eingeschalteten Mikrofonen.

Es gäbe da schon noch einen Zweck. Die Beschaffung von Rüstungsgütern, und seien sie noch so überflüssig, hält die Rüstungsindustrie am Leben. Und weil Boeing derzeit keinen Ziviljet verkauft bekommt, müssen halt mehr Militärflieger verkauft werden, und weil Deutschland, der NATO-Partner (Partner?) sowieso neue Flieger braucht, und Airbus gleichzeitig die Flieger, die Boeing sonst hätte bauen können, in den Auftragsbüchern stehen hat, ist halt der deutsche Steuerzahler dran. Schließlich sind wir Partner, die sich gegenseitig aus der Patsche helfen. Aus der Patsche helfen müssen! Aus der Patsche helfen können müssen, so stehts im Beistandspakt. Und wenn die Bundeswehr kein Flugzeug mehr hätte, mit dem es bei einem Angriff Russlands auf die USA den USA aus der Patsche helfen könnte, wäre ja glatt der ganze Beistandspakt Makulatur. So muss man das sehen. Sagt auch Schäuble: „Es wäre der falsche Weg, wenn Deutschland jetzt die nukleare Teilhabe beenden würde.“ Nun glauben Sie bitte nicht, Schäuble hätte nicht gute Gründe für diese Aussage. Schäuble begründet es mit der „Abschreckung“, und weil auch wir Russland abschrecken müssten, weil wir sonst die ganze Bürde der Abschreckung  bei den USA abladen würden. Die Frage von vorhin, ob AKK und die anderen das wissen, glaube ich für Schäuble beantworten zu können: Er hat auch in diesem Falle erfolgreich vergessen, dass er es weiß.

So begehen wir also den fünfundsiebzigsten achten Mai nach 1945 mit einem betonten „Business as usual“ und geben uns alle Mühe, möglichst abschreckend zu wirken, während ARD und ZDF seit Tagen zeigen, wie sich Drehbuchautoren und Regisseure nach kurzer Recherche den Krieg und sein Ende in Deutschland vorstellen. Ein bisschen abschreckend schon, aber abgebrühte Fernseher haben schon soviel Filmblut gesehen, so fürchterliche Waffenwirkungen aus Science Fiction Sagas, solche fulminanten Weltuntergänge, dass so ein richtiger kleiner Krieg, mit echten Soldaten, die ja im Grunde nur spielen wollen, ob in Syrien oder in Mali, oder vor Jahren auf dem Balkan, dagegen doch irgendwie noch vertretbar wirkt, zumal ja Hiroshima und Nagasaki auch wieder aufgebaut und bewohnt sind.

Doch. Ich war zwei Jahre bei der Truppe.  Vom Januar 1969 bis Dezember 1970. Es war Hochzeit des Kalten Krieges und die Bundeswehr war eine Verteidigungsarmee, die überwiegend aus Wehrpflichtigen bestand. Heute noch bin ich überzeugt, dass die Fähigkeit, das Vaterland (mein Gott, wie völkisch!) verteidigen zu können, einen hohen Stellenwert haben muss. So wie es im Grundgesetz geschrieben steht. Selbst die neutrale Schweiz ist sich dieser Notwendigkeit bewusst. Es weiß ja niemand, wer morgen im bis dahin freundschaftlich verbundenen Nachbarland an die Macht kommt.

Alles, was über die Fähigkeit zur Verteidigung des eigenen Landes hinausgeht, ist zu verurteilen. Wie ja auch das Grundgesetz die Beteiligung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges verbietet.

Nun gut. Man kann nicht ständig mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen. Schon gar nicht, wenn Corona ist. Da kann, in dem Land, in dem wir gut und gerne leben, ein Grundgesetz unter dem Arm schon mal als Teil des Jahrmarkts der kruden Ideen aufgefasst werden.

So schaut man verwundert auf das, was in 75 Jahren aus der Befreiung so alles geworden ist.