Identitätsraub

Als Menschen sind wir, anders als das Internet, in der glücklichen Lage, vergessen zu können. Besonders leicht fällt es uns, das Unangenehme abzuhaken und möglichst nie wieder daran zu denken.

Sorry. Ich muss Sie heute an Unangehmes aus dem Sommer des letzten Jahres erinnern.

Da gab es diese Drohbriefe. Politiker haben sie erhalten, und nicht mit politischen Ämtern gestrafte Mitmenschen ebenfalls.

Diese Drohbriefe, besser gesagt: „Droh-E-Mails“, unterzeichnet mit „NSU 2.0“, waren aber nicht nur Drohbriefe, sondern zugleich angefüllt mit so viel Hass und Hetze, dass die Staatsanwaltschaft nicht anders konnte, als sich der Sache anzunehmen.

Als hätten sie es darauf angelegt, erwischt, angezeigt, verurteilt und bestraft zu werden, waren diese Mails nicht nur mit „NSU 2.0“ unterzeichnet, sie enthielten dazu den Namen einer real existierenden natürlichen Person, die dazu passende Anschrift, wie auch die Telefonnummer – und waren sogar von der Mail-Adresse dieser Person aus versandt worden. 

Rumms!

Am 24. Juli 2020 stand die Staatsgewalt mit Durchsuchungsbeschluss auf der Matte und durchsuchte die Wohnung jenes pensionierten Polizeibeamten und seiner Ehefrau, dessen Name, Adresse und Telefonnummer aus den Droh-Mails bekannt waren.

Da half es nichts, dass beide Beschuldigten jede Schuld, ja jegliches Mitwissen weit von sich wiesen. Wer so blöd ist, seine persönlichen Daten mit Hass-Hetze-Droh-Mails zu versenden, den trifft die ganze Härte des Staates. Beide wurden vorübergehend sogar festgenommen. Womöglich zum Zwecke der Feststellung der Personalien.

Seit dem 24. Juli 2020 beschäftigten sich nun die IT-Spezialisten des Hessischen Landeskriminalamtes mit den beschlagnahmten Computern Mobilfunkgeräten und sonstigen Datenträgern. Vermutlich wurde jedes Bit und alle Bytes fein säuberlich extrahiert, gereinigt und elektronenmikrospisch begutachtet, bis nach 16 Monaten und 17 Tagen zu dem Ergebnis gekommen werden konnte, dass die beschlagnahmten Beweismittel nicht auch nur den geringsten Hinweis auf die Täterschaft des Ex-Polizisten und seiner Ehefrau ergeben hätten.

Man wolle nun die Suche nach dem wahren Täter mit neuem Elan fortsetzen.

Geht Sie nichts an?

Das hätte Ihnen ebenso passieren können!

Es ist ja nur ein ganz, ganz einfacher Fall von Identitätsdiebstahl. So etwas schafft ein Hacker mit links, bevor er beschließt, einer werden zu wollen.

Stellen Sie sich einfach vor, Sie sitzen gemütlich beim Frühstück, beißen genussvoll in Ihr Marmeladebrötchen – und dann wird an die Tür geklopft, und es dröht: „Aufmachen! Polizei!“

Da bleibt einem doch der Bissen im Halse stecken. Und dann wird die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt, der Kühlschrank ebenso inspiziert wie die Kleiderschränke und das Wäschepuff, während andere Exekutivkräfte Ihre Hard- und Software abbauen und in Wäschekörben oder Pappkartons verstauen und triumphierend abtransportieren.

Die Nachbarn, neugierig geworden, werden Augen- und Ohrenzeugen des Geschehens. Sehen auch, wie man Sie im Polizei-Auto abtransportiert, und machen sich so ihre Gedanken. Auch wenn Sie nach den ersten Verhören wieder zu Hause sind, werden Sie von argwöhnischen Blicken begleitet. Manch einer wechselt die Straßenseite, wenn er Sie auf sich zukommen sieht.

Wie lange warten Sie auf die Rückgabe der beschlagnahmten Geräte? Wann kaufen Sie ein neues Smartphone, einen neuen Laptop? Nach zwei Wochen, nach zwei Monaten, nach einem halben Jahr?

Es ist schwer vorstellbar, dass es weit mehr als ein Jahr dauern muss, bis Ihre Unschuld festgestellt wird.

Aber genau das ist geschen. Nach mehr als 16 Monaten sind Sie rehabilitiert. 16 Monate, in denen Sie für Ihre Nachbarschaft als ein ganz schlimmer Nazi gelten.

Das ist das Problem.

Ob es am fachlichen Unvermögen der Behörde liegt oder an der Arbeitsüberlastung, sei dahingestellt. Generell muss die Frage gestellt werden, ob es überhaupt ein hinreichendes Interesse daran gab, die „Beweismittel“ schnellstmöglich zu überprüfen und die Beschuldigten gegebenenfalls zu rehabilitieren.

Der Strafverteidiger des pensionierten Polizisten hat eine Pressemitteilung herausgegeben, und diverse Medien, die sich an der Berichterstattung über den „Drohbrief-Skandal“ beteiligt hatten, direkt angeschrieben und darum gebeten, nun auch über die Rehbilitation seiner Mandanten in gleicher Aufmachung zu berichten.

Weil ich mir nicht sicher bin, dass das so geschehen wird, habe ich die Presseerklärung gesichert und für Sie hier verlinkt: Presseerklärung RA Weiler.

Was ich Ihnen mit alledem nahelegen will:

Schützen Sie Ihre internetfähigen Geräte so gut es geht. Aktivieren Sie die Firewall, nutzen Sie Schadsoftware-Erkennungssoftware! Das sollte genügen, um Ihnen Sicherheit vor nichtstaatlichen Angriffen zu verschaffen.

Ein Hacker im zweiten Lehrjahr würde zwar versuchen, die von den Kriminalisten gesuchten Beweise auf Ihren Geräten zu hinterlassen, ohne dass Sie davon etwas bemerken würden, aber ein gutes Antivirenprogramm würde das erkennen und verhindern.

Gegen den Staatstrojaner, der ja nicht nur Daten abgreifen und verschicken, sondern auch Daten auf Ihren Geräten verändern könnte, ist allerdings kaum ein frei zugängliches Kraut gewachsen. So lange Sie sich jedoch als „staatstragendes Element“ erweisen, droht Ihnen von da keine Gefahr.