Melanie und Sabine sind verschwunden. In der bayerischen Staatskanzlei ist das nicht weiter aufgefallen, mag sein, dass man es erst nach ein paar Monaten bemerken und dann die Gehaltsüberweisungen stoppen wird. Im ersten Obergeschoss, wo das Planungsbüro Wunsch & Wille residiert, machte sich Sabines Fernbleiben sehr wohl bemerkbar.

Es war am Mittwoch letzter Woche, als Wunnibald Wunsch, wie von Sabine noch angeordnet, punkt acht Uhr morgens vor der Tür stand, aber nicht hineinkonnte, weil Sabine noch nicht aufgeschlossen hatte und er seinen Schlüssel zu den Büroräumen nur noch in Ausnahmefällen, im Grunde nie, bei sich trug. Ins Grübeln versunken, ob er nun hier vor der Türe warten , oder unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen sollte – was blieb einem im Lockdown sonst schon übrig, auch Starbucks war ja dicht – verging die Zeit zwar langsam, aber eben doch. Gegen neun Uhr traf Wilbrecht Wille ein.

„Moin, Wunni. Was’n los?“

„Ich fürchte, das Planungsbüro Wunsch & Wille hat dichtgemacht.“

„Blödsinn. Wenn jemand systemrelevant ist, in dieser kaputten Republik, dann doch wohl wir!“

„Hast du deinen Schlüssel dabei, Wilbrecht?“

„Ich glaube, ich hab gar keinen Schlüssel. Was ist denn mit Sabine?“

„Keine Ahnung. Wird sich verspäten.“

Wilbrecht Wille zückte sein Handy, arbeitete sich über das Menü bis zur Telefonfunktion und zum Adressbuch durch, meinte zwischendurch zu seinem Compagnon: „Ich fürchte, ich brauche einen neue Brille. Wo ist die denn, die Sabine, verdammt!“

„Du musst unter „G“ suchen, wie „Gnadenlos!“

Als Wille endlich das Smartphone am Ohr hatte, traute er seinem Gehör nicht mehr.

„Guten Tag. Dies ist der Anschluss von Melanie Huml und Sabine Gnadenlos-Hempel. Wir sind sehr beschäftigt. Bitte rufen Sie später wieder an.“

„Das gibt’s doch nicht! Das darf doch nicht wahr sein“, zischte er wütend durch sein wütendes Zähneknirschen hindurch ins leere Treppenhaus.

Nachdem beiden klar geworden war, dass es keinen Zweck hatte, noch länger auf Sabine zu warten, und Wunni von seinem letzten Telefonat mit ihr berichtet hatte, auch dass Mr. Hands eine Botschaft für Billy Wille hinterlassen habe, war Wilbrecht Wille nah daran, die Türe zu den Büroräumen einzutreten. Schlussendlich beschloss man aber, Wunnibalds Schlüssel zu holen, zumal Wunni, im Gegensatz zu Wilbrecht, ziemlich sicher war, sich zu erinnern, wo in seiner Wohnung er den Büroschlüssel aufbewahre.

Eine Stunde später saßen beide in Willes Büro und starrten auf Sabines Zettel:

„Hands hat angerufen.
Kandidatenpanne ist abgehakt.
Der Bayer hat höchste Priorität.
Du sollst das nicht auch noch versemmeln.
Wunni ist alarmiert.
Ich bin dann mal weg.

Sabine“

„Damit sind wir keinen Schritt weiter. Mehr als sie dir schon am Telefon gesagt hat, ist das ja auch nicht. Was machen wir denn jetzt?“, geriet Wilbrecht Wille nun schon zum zweiten Mal an diesem Morgen ins Grübeln.

„Es gibt noch einen Hinweis. Sabines Anrufbeantworter. Die sonderbare Ansage, der Anschluss von Melanie Huml und Sabine Gnadenlos-Hempel … Das sollten wir klären, vielleicht ist das ja die Fährte, auf der wir weiterkommen.“

„Dann rufst du jetzt in der Staatskanzlei an, und versuchst, die Huml zu erreichen, oder jemanden, der wissen könnte, wo sie steckt. Ich mach uns inzwischen einen Kaffee.“

„Bayerische Staatskanzlei, Kommunikationszentrale. Bitte wählen Sie die 1, wenn sie um einen Termin beim Ministerpräsidenten nachsuchen wollen. Sollten sie ein anderes Anliegen haben, wählen sie die 2. Trifft nichts von beidem zu, wählen sie die 3.

Wunnibald Wunsch dachte blitzschnell nach: „Einen Termin bei Söder wollen, das führt jetzt nicht weiter. Ein anderes Anliegen? Auch keine gute Idee. Ich fahnde nach der Huml …“, und schon hatte er die 3 gewählt. 

„Bist du des, Andy. Ich hab grad wenich Zeid. Also mach fix!“

„Entschuldigung, Herr Ministerpräsident. Hier spricht Wunnibald Wunsch vom Planungsbüro Wunsch & Wille.“

Verdammt noch mal, wie sind Sie denn an meine absolude Geheimnummer gekommen? Egal, klär ich später. Was liegt an? Ich hab’s eilich.“

„Es hat sich eine neue Lage ergeben, Herr Ministerpräsident. Order von ganz oben. Sie müssen – und da gibt es keinerlei Entschuldigung, Sie kennen das Geschäft – Sie müssen ganz kurzfristig zu uns nach Berlin kommen. Geänderte Strategie. Dringend. Bevor wir Sie nicht gebrieft haben, am besten  kein einziges Wort mehr in der Öffentlichkeit.“

„Mein Godd! Deswegen rufen Sie extra auf meinem roten Telefon an? Kenn ich meinen Derminkalender? Warum klären Sie das nicht mit der Melanie?“

„Frau Huml ist, das ist der Stand unserer Recherchen, wohl zum Teil des Problems geworden. Wissen Sie, wo wir Frau Huml finden können?“

„Wieso? Is die weg?“

„Die nicht alleine. Fräulein Grnadenlos-Hempel ist ebenfalls weg. Wir befürchten ein Komplott. Doppel-Doppel-Agentinnen, was weiß ich. Ein Grund mehr, dass Sie baldmöglichst bei uns aufschlagen.“

„Bleib dran und hör mit, Wunsch. Ich reechel des jedzd.“

Herrmann!
Großfahndung. LKA,BKA, Verfassungsschutz,Interpol, FBI, alles was geht!
Die Melanie is abgängich. Ja, die Kühlboxen-Huml. Dod oder lebendich!
Aber lebendich wär besser. Zack-zack!

 

Biebl!
Schorsch!
Mein‘ Kalender her. Ich muss dringend nach Berlin. Dauert vielleicht zwei Stunden.
Am Montag? Zwischen elf und eins. Moment, Schorsch ..

„Hallo Wunsch. Alles klar. Montag um elf bin ich bei euch. Um eins muss ich weiter. Basst doch, oder?“

„OK. Wir werden vorbereitet sein. Danke.“

„OK. Bis Montach!“

„Moment noch!“

„Ja.“

„Wenn’s Neues gibt von der Huml ..“

„Dann gibt der Herrman euch Bescheid. Ehrensache! Also, Tschüssla!“

Während Wunnibald Wunsch seine Aufgabe mit Bravour gelöst hatte, war es auch Wilbrecht Wille gelungen, die Kaffeemaschine in Gang zu setzen, Wasser und fettarme Milch an den richtigen Stellen einzufüllen und zwei Cappuccinos anzufertigen.

Es schlossen sich Tage der Ratlosigkeit und Tristesse an. Regelmäßige Versuche, Sabine am Telefon zu erreichen, blieben ergebnislos. Den beiden Strategieexperten wollte ohne die inspirierende Anwesenheit Sabines einfach nichts einfallen. Klar war ja nur, dass Söder nicht Kanzler werden durfte, Nicht ganz so klar war, was Söder selbst wirklich wollte. Zuzutrauen war ihm alles. Als am Freitagnachmittag die Papierkörbe überquollen von zerfetzten Strategie-Entwürfen, weil niemand da war, der zwischendurch ihren Müll weggeschafft hätte, einigten sie sich darauf, nach allen Seiten offen in das Gespräch mit Bayerns Ministerpräsident zu gehen und sich voll auf Intuition und Spontaneität zu verlassen. Dem Mr. Hands würde man, falls es schiefgehen sollte, schon beibringen, dass gegen einen Markus Söder selbst ein Hexer keine Chance gehabt hätte. Das klang allerdings weit mehr wie das Pfeifen im Walde als nach dem Mut der Verzweiflung.

Montag, 15. März 2021, 11.03 Uhr

Wie der „Rauchende Colt“ persönlich, stürmte Markus Söder hinauf in den ersten Stock. Noch bevor Wille und Wunsch auch nur ein Wort der Begrüßung herausbringen konnten, sprudelte der Bayer los:

„Eine einziche Sauerei, des! Die Wahlen gestern, das war doch ein Tiefschlag, mitten ins Herz der Union. So gehd des ned weider. Mir müssen uns grundlechend – und wenn ich sache, grundlechend, dann meine ich grundlechend, und vollkommen neu aufstelln. Des sieht doch inzwischen selbst der letzte Freie Wähler, dass es Mehrheidden gibt, jenseits der Union, dass es längst nicht mehr sicher ist, dass die Union den Kanzler stellt. Da muss man jetzt doch Entschlossenheit zeigen. Und ich sach euch, Wille und Wunsch, ich sach euch, ich bin entschlossen bis zum Ledzden.“

„Aber Herr Söder! Wer  wird sich den gleich so echauffieren? Jetzt gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Und: Guten Tag, erst einmal.“

„Der is ned gut der Tach. Der wird auch nimmer gut, der Taach. Des is so a Tach, wo man eichentlich gleich im Bett bleibn sollt.“

Wille erkannte schnell, dass es nicht gelingen würde, den Bayern mit höflichen Beileidsbekundungen und tröstlichen Worten zu beruhigen. Also ging er gleich in die Vollen und warf, scheinbar innerlich vollkommen unbeteiligt, den ersten vergifteten Brocken in das Gespräch.

„Ich weiß nicht, Herr Ministerpräsident. Im Grunde läuft doch alles nach Plan. Die Grünen grünen und blühen, die SPD wittert Morgenluft, da kann es sich die CDU doch gar nicht leisten, Sie als Kandidaten aufzustellen. Das käme ja einer bedingungslosen Kapitulation gleich, ein Eingeständnis des Totalversagens. Sie wollen nicht wirklich Kanzler werden, und Sie werden es nun auf gar keinen Fall mehr werden.“

„Hör’n Sie mir ned zu, oder was? Grundlechend neu aufstell’n. Grundlechend neu aufstellen, des heißt doch auch, dass jedzd alles in Frache gestellt werden muss. Nein. Ich will und ich muss jedzd Kanzler wer’n. Des is der ledzde Ausweech. Und wenn ich dann Kanzler bin, dann gibt’s nach vier Jahren die bundesweite CSU – und von der CDU is nichts mehr übrig. So wahr ich Markus Söder heiße!“

„Was sagst du jetzt dazu, Wunni? Verspürst du auch so einen Hauch von Größenwahn? Hat der Herr Ministerpräsident schon vergessen, wo die Nornen sitzen und die Schicksalsfäden spinnen?“

„Ich denke, Wilbrecht, dass der Herr Ministerpräsident halt gerade ein bisschen in Rage ist. Das ist halt sein Temperament. Vielleicht sollten wir ihm ganz offen sagen, was Mr. George-Invisible Hands ganz über Markus Söders Kopf hinweg beschlossen hat.“

Doch mit boshafter Ironie war Markus Söder nicht beizukommen. Das tropfte an ihm schneller ab als an Angela Merkel, aber merken würde er sich das. Also antwortete er cool und überlegen:

„Spielt keine Spielchen mit mir, Freunde! Euer Mr. Hands kann viel beschließen. Meine Dienste haben mir erzählt, dass sich der Hands nicht mehr lange halten wird. Da gibt’s schließlich auch noch den Mr. SpaceX-Bitcoin-Tesla. Der soll gerade ganz, ganz mächtig aufmischen. Außerdem ist der Hands sowieso nur die Sockenpuppe vom Dings, ihr wisst schon. „

„Tut mir leid“, fuhr ihm Wilbrecht eiskalt und mit stahlharter Stimme in die Parade, „Sie haben unterschrieben. Vergessen Sie das nicht!“

„Ich weiß genau, was ich unterschrieben habe. Aber was soll’s. Es gibt eine Ausstiegsklausel – und die werde ich ziehen, wie der Rose in Gladbach.“

„Sie erinnern sich aber schon, dass Sie nicht ohne Ablöse davonkommen. Es stehen, wenn ich mich recht erinnere, glatte 10 Milliarden im Raum. Die werden Sie nicht aus der Portokasse bezahlen können.“

„OK! Wunsch & Wille! Jedzd hört mir genau zu. Es gibt heut für Deutschland keinen besseren Kanzler als mich. Der Laschet ist nach den Wahlen von gestern kaputt. Der ist doch auch kein Parteivorstand. Der ist doch bloß gewählt worden, weil es keine echte Führungsfigur mehr gibt, in der CDU, und weil er unter denen, die wollen, aber nicht können, das kleinste aller Übel ist.. Der Hamburger Rote Riese wird es auch nicht, weil die Esken lieber die Baerbock zum Kanzler macht, als eine schwarz-grüne Bundesregierung möchlich zu machen. Klaro! Also mach ich schwarz-grün. Und wenn ich damit rechtzeitig rauskomme, dann ist es mit dem Höhenfluch von dene Grünen vorbei. Dann krebsen die bei der Wahl wieder bei acht, neun Prozent rum. Kapiert ihr das?“

„Nun ja, abwegig sind Ihre Spekulationen nicht,“ versuchte Wunnibald Wunsch sich elegant aus der Affäre zu ziehen.
Wilbrecht Wille ging darauf ein und meinte: „Stimmt, abwegig ist das nicht, aber wie wollen Sie aus Ihrem Vertrag rauskommen? Da liegt doch der Hase im Pfeffer.“

„Genau deswechen bin ich heut doch überhaupt in Berlin. Ich weiß, Ihr habt auch beim Hands unterschrieben, wahrscheinlich bei allen anderen auch noch – durchtriebene Bande! -aber das ist mir egal, wenn euch dadraus jemand einen Strick dreht. So was wie euch brauch ich jedzd. Ihr werdet jedzd und hier und heute und noch vor eins bei mir unterschreiben.“

„Warum sollten wir?, fragten Wunsch und Wille wie aus einem Mund.

„Weil ich euch in der Hand hab.“

„Davon wüsste ich aber etwas“, entgegnete Wilbrecht mit einem fragenden Unterton. „Erzählen Sie, Herr Ministerpräsident. Was liegt an?“

„Erschtens: Hab ich eure Sabine. Die Melanie übrichens auch. Die schenk‘ ich euch beide, wenn ihr unterschreibt. Sonst …  ihr wisst schon.
Zweidens: Hab ich Mitschnidde von euren Telefonaten mit dem Hands. Der Schlaumeier denkt, er spricht über abhörsichere Leidungen. Der Herrmann – a Hund isser scho, der Herrmann – der hat nämlich einen Undercover-Mann in der NSA.
Driddens: Kennt ihr  Kir Royal? Mario Adorf zu Franz Xaver Kroetz? Kennt ihr? Da sag ich jedzd: Euch scheiß ich sowas von zu, mit meinem Geld …!“

„Drittens, drittens klingt sehr interessant, lieber Herr Söder. Können Sie das konkretisieren?“

„Kann ich. Hier Ihr Vertrag. Die Summe steht ganz unten. Allerdings gibt es keine Vorauszahlung. Außerdem ist es eine Erfolgsprämie. Die Kohle fließt sobald Markus Söder den Amtseid gesprochen hat.“

Wunsch und Wille sahen auf die unglaubliche Summe von 150 Millionen Euro, blickten sich in die Augen, und nickten. Das wollten sie sich nicht entgehen lassen, auch wenn es ein Kampf gegen Tod und Teufel, gegen Invisible Hands und alle anderen nicht Gewählten werden sollte, die immer noch das Sagen haben.

„Zwei Bedingungen“, sagte Wilbrecht Wille schließlich, „als Gegenleistung für unsere Zusage geben Sie uns unsere Sabine unverzüglich frei, die werden wir nämlich brauchen, um uns die Erfolgsprämie zu verdienen. Außerdem: Ich werde meinen Namen erst unter dieses Dokument setzen, wenn Sie nachgewiesen haben, allen Ihren persönlichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Die Milliarden für die Ablöse natürlich zu allererst.“

„Dann sind wir uns praktisch schon einig“, meinte der MP aus Bayern. „Eure Sabine sitzt noch heute Abend im Flieger nach Berlin. Und was das andere betrifft, da seht mal her!“

Damit rief er auf seinem Tablet ein gold- und honigfarbenes, vor Pracht strahlendes Bild auf, das hier aus urheberrechtlichen Gründen leider nicht eingefügt werden kann, in dessen Mitte jedoch der Ministerpräsident höchstselbst, der mit ausgebreiteten Armen auf die Fülle der Schätze  zeigte.

„Ich, Markus Söder, bin der Hüter und letztgültiger Erbe des Bernsteinzimmers. Franz Josef Strauß hat es seinerzeit auf abenteuerliche Weise an Land gezogen. Seither ist es die letzte Rückversicherung der CSU, sowas wie das SED-Vermögen von den Linken, für den Fall, dass es einmal ganz eng werden sollte.

Die Stunde der Not ist da.

Wunsch & Wille: Euer erster Job ist es, das Bernsteinzimmer vollkommen geräuschlos zu versilbern. Was da an Kohle reinkommt, das reicht allemal!“

Minuten später waren die Unterschriften geleistet und der selbsternannte Kandidat wieder auf dem Rückweg.

 

 

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