Als sich die Turbulenzen der letzten Wochen endlich gelegt hatten, kehrte wieder Ruhe ein im 1. OG.

Die von den Greifertruppen des bayerischen Innenministers in Samarkand aufgespürten Personen, Frl. Sabine Gnadenlos-Hempel und Frau Melanie Huml, beide übrigens in Reitstiefeln aus rotem Juchtenleder, waren gemäß des zwischen Markus Söder und Wilbrecht Wille abgeschlossenen Vertrages, von Markus Söder aus der Geiselhaft entlassen und nach Berlin überstellt worden.

Olaf Scholz, der aus seinem Coaching „Wie vermeide ich Kanzler zu werden ohne das Gesicht zu verlieren“ hochkant hinausgeworfen worden war, tingelte seither ohne höheren Rat im alten Genossenstil durch die Lande und versprach in regelmäßigen Abständen neue, milliardenschwere Hilfsprogramme und die zwangsläufig erforderliche milliardenschwere Neuverschuldung.

Es wäre alles so schön gewesen.

Hätte es da nicht jenen Orakelspruch gegeben, demzufolge Angela Merkel irgendwann zwischen Ende März und Anfang April den Löffel ab und den Stab an Karl Lauterbach übergeben werde, während andererseits Markus Söder das gesamte bayerische Tafelsilber daran setzen wollte, um mit Unterstützung des Planungsbüros Wunsch & Wille aus eigener Kraft das Kanzleramt zu erringen.

Es war Donnerstag  letzter Woche gewesen, als Fräulein Sabine Gnadenlos-Hempel wieder an ihrer Wirkungsstätte im ersten OG auftauchte und darauf bestand, dass für ihre Freundin Melanie Huml, die sie – feste händchenhaltend – gleich mitgebracht hatte, unbedingt mindestens eine Praktikantenstell im Planungsbüro Wunsch & Wille geschaffen werden müsse, weil sie – ebensowenig wie Melanie – nicht mehr in der Lage sei, auch nur eine Stunde des Getrenntseins von der Busenfreundin zu überstehen. Wilbrecht hatte nach langem Zögern eingewilligt, die beiden über den aktuellen Stand der Situation informiert und dann wieder nach Hause geschickt, weil momentan sowieso alles ganz von alleine seinen Gang gehe.

 

„Du, Sabine?“

„Ja, Melanie, Liebes. Was gibt’s?“

„Ich hab das immer noch nicht verstanden, was ihr hier im Planungsbüro Wunsch & Wille eigentlich macht. Du hast mir zwar schon viel erzählt, was hier für Leute ein- und ausgehen und als Klienten auch jede Menge Geld da lassen, aber warum, und warum die euch dafür auch noch bezahlen …“

„Ach Melanie! Das ist doch ganz einfach. Der Scholz, der Söder, der Laschet, der Habeck, und wie sie alle heißen, die wollen doch alle nichts anderes, als ein schönes Amt zu bekommen und möglichst zu behalten.“

„Ja, ja. Aber dafür machen die ja auch Wahlkampft und denken sich Reformen aus, damit sie gewählt werden und das Amt auch bekommen.“

„Aber denk doch mal nach, Melanie“, meinte Sabine und strich ihrer Freundin sanft übers Haar, dass es dieser heiß und kalt über den Rücken lief. “ Das wäre doch fürchterlich. Das gäbe doch ein totales Chaos, wenn jeder, der will und vielleicht sogar kann, auch Minister oder Regierungschef werden könnte. Nein, nein. So ist das nicht. Die Leute, die gebraucht werden, um einen bestimmten Job zu machen, die werden lange vorher ausgewählt, aus einigen Tausend auf der ganzen Welt, die geeignet erscheinen, und dann beobachtet und gefördert werden. Keiner von denen kommt dabei schon mit einer eigenen Idee an, dass und was er reformieren will.

Das hätte dir doch auffallen müssen, wie sich da die Kandidaten für die Kommissionpräsidentschaft im Wahlkampf abgearbeitet haben, völlig umsonst! Weil jemand ganz anderes ausgewählt worden ist.“

„Na klar. Da hat’s unseren Niederbayern von der CSU total zerbröselt. Dabei hatte der so viele eigene Ideen, was er alles reformieren will. Danach hat er sich geschworen, sich einen langen Bart wachsen zu lassen und sich erst wieder zu rasieren, wenn die von der Leyen wieder weg ist, vom Fenster.“

„… und ist dir das gar nicht komisch vorgekommen?“

„Da war doch nichts komisch. Der Markus war sowieso dagegen, dass der Weber was wird. So wie unser Horstl immer dagegen war, dass der Markus was wird. Ich denk‘, das ist woanders auch nicht anders, oder?“

„Natürlich ist es anderswo ganz genau so. Aber es ist anders als es aussieht. Erklär ich dir gleich. Verdammt es ist ja schon zehn. Eigentlich sollte der Lauterbach seit einer halben Stunde hier sein. Heute ist doch der 29. März, oder?

„Freilich ist heute der neunundzwanzigste. Wahrscheinlich hat der vor lauter Inzidenz und dritter Welle einfach die Sommerzeitumstellung verpasst. Du wirst sehen. Punkt halb elf steht der auf der Matte.“

„Gut, Melanie. Ich denke, Wilbrecht und Wunnibald haben keine Lust, dem Lauterbach heute über den Weg zu laufen. Unser Büro hat nämlich den Job, den Lauterbach fit zu machen, damit er das Amt des Bundeskanzlers übernehmen kann, sobald die Angie aus den Latschen kippt und nicht mehr kann. Aber gleichzeitig haben wir den Auftrag, deinen Markus fit zu machen, dass er Kanzler wird.

„Und von wem bekommt ihr die Aufträge?“

„Du bist jetzt dabei und gehörst dazu. Also solltest du fragen, von wem“wir“  die Aufträge bekommen, Liebes. Also: Beim Markus ist das ganz einfach. Der bezahlt uns selbst, irgendwie auf Kosten des Freistaats, aber das wird niemand herausbekommen. Erklär ich dir auch später. Beim Lauterbach ist es sehr kompliziert. Der weiß ja selbst noch gar nichts davon. Ich kann dir nur soviel verraten: Die Melinda und Bill Gates Stiftung steckt da auch mit drin.“

„Mein Gott! Das ist doch alles …, das ist doch alles viel schlimmer als meine Kühlboxen-Geschichte. Und ich habe noch nicht einmal eine Provision bekommen …“

„Ja, mein Schatz. So ist die Welt. Und damit du merkst, was unser Job ist, und wie hart wir unser Geld hier verdienen. Wirst du dich nachher um den Lauterbach kümmern.“

„Iiiich? Und, was soll ich da machen?“

„Du machst ihm einfach klar, dass er auserwählt ist, der nächste Kanzler zu werden. Glaub mir, das hört der so gerne, dass er dir aus der Hand frisst, wenn du ihm erklärst, was er tun muss, damit es auch klappt und er es nicht versiebt. Keine Angst, er wird es sowieso nicht, weil es ja der Söder werden wird. Du kannst also nichts falsch machen.

 

Ziemlich exakt eine halbe Stunde später stand tatsächlich  Karl Lauterbach in der Tür, sah sich vorsichtig um, und sagte dann in seiner unnachahmlichen, halb nasalen, gedehnten Sprechweise: „Guten Tag, die Damen. Lauterbach, mein Name, Karl Lauterbach. Meine Agentur hat hier einen Termin für mich vereinbart …“

Sabine unterbrach das Gesäusel und meinte trocken: „Sie sind etwas spät, Herr Lauterbach.“

„Bin ich auch spät, so bin ich nun doch da. Es ermangelt mir, wie ich jüngst öffentlich gemacht habe, an einer liebenden Frau. So blieb ich heute – die Sommerzeit war’s und nicht die Nachtigall – etwas zurück in der Zeit. Nun aber hurtig! Wo ist die Maskenbildnerin, ich denke, man sollte mich wenigstens noch abpudern, bevor ich vor der Kamera stehe.“

„Sie sind heute hier im Planungsbüro Wunsch & Wille!“, donnerte Sabine los. Hier gibt es keine Kamera, kein Inzidenz-Gedöns und keine dritte, vierte und fünfte Welle. Hier gibt es mich, wenn ich mich vorstellen darf, Fräulein Sabine Gnadenlos-Hempel, und meine Kollegin, Melanie Huml. Melanie wird sie gleich in die Huml …, Entschuldigung, … in die Mangel nehmen. Sie haben einen Coaching Termin, Herr Lauterbach!“

„Das wüsste ich aber“, versuchte Lauterbach wieder die Oberhand zu gewinnen. Doch Sabine ignorierte diesen Einwand. „Melanie“, sagte sie, „nimm den Herrn mit ins Besprechungszimmer und sag ihm, was er wissen muss. Ich komme so in einer Viertelstunde dazu.“

 

„Nehmen Sie doch Platz, stehen Sie nicht so unkommod herum“, forderte Melanie ihren ersten Klienten auf, der sich, so ganz ohne das gewohnte Bild der auf ihn gerichteten Kameras und Mikrofone ziemlich unsicher zu fühlen schien.

„Sie sind also Herr Lauterbach“, eröffnet sie das Gespräch. „Können Sie sich ausweisen?“

„Das hat mich, seit ich Gesundheitsexperte bin und die Sars-Cov-2-Covid-19-Corona-Pandemie herrscht, niemand gefragt. Man erkennt mich an der Fliege, Frau Huml.“

„Stimmt. Davon habe ich gelesen. Und Sie sind Gesundheitsexperte, sagen Sie. Das wird Ihnen nicht weiterhelfen. Das ist einfach nicht genug. Können Sie sonst noch was?“

„Äh – Nein. Wozu? Ich komme als Gesundheitsexperte doch ganz gut zurecht im Leben.“

„Aber nicht als Bundeskanzler. Die Pandemie wird vorbei sein, wenn im Herbst alle geimpft sind. Dann braucht es andere Qualitäten. Dann muss gelockert werden. Schulen öffnen! Fußball nur mit Publikum. Kneipen auf. Home Office zu. Da braucht es keinen Gesundheitsexperten, sondern einen Lebensexperten. Keine Leichenbittermiene, sondern Zuversicht, Hoffnung, Aufbruch! Verstehen Sie?“

„Was reden Sie denn für einen Käse, mit Verlaub. Diese Pandemie wird nie enden. Den Gesundheitsexperten Karl Lauterbach wird es für alle Zeiten brauchen. Und überhaupt: Was heißt hier Bundeskanzler. Noch ist Frau Dr. Merkel Bundeskanzlerin unter mir. Ich bin doch karrieremäßig längst am Regierungschef vorbeigezogen.“

„Mäßigen Sie sich, Herr Lauterbach. Sie werden, schneller als Sie es für möglich halten, die Richtlinienkompetenz in diesem unserem Lande in Händen halten. Widerspruch ist zwecklos. Die Würfel sind gefallen. Und ich werde Sie für diesen Job fit machen. Machen Sie mal eine Raute mit den Händen! — Eine Raute! Kein Herzchen, Sie Herzchen.“

Karl Lauterbach kam sich vor, wie im falschen Film, einem schlechten noch dazu, was einen seiner seltenen Geistesblitze auslöste und ihn fragen ließ: „Das ist aber nicht Versteckte Kamera? Oder?“

Melanie lachte herzhaft. „Wenn das versteckte Kamera wäre, und der Film jemals im Fernsehen gezeigt würde, dann wären Sie für alle Zukunft die größte Lachnummer aller Zeiten. Also noch viel größer als sowieso … Entschuldigung. War nicht so gemeint. Aber alleine diese Fliege …“

Karl Lauterbach kochte innerlich ob dieser Insubordination. Doch dann dämmerte ihm etwas. Sein Chauffeur hatte ihm doch heute Morgen etwas zugesteckt. Direkt aus der Parteizentrale. Das müsse er unbedingt lesen. Eine Offenbarung. Bestes Material für eine völlig neue Strategie. Endlich einmal Argumente mit Hand und Fuß, hatte General Klingbeil im Begleitschreiben formuliert.

„Deswegen bin ich also hier“ dachte er sich, zog das Buch aus der Sakko-Innentasche, was seine Figur sogleich noch schmächtiger wirken lies, und hielt es Melanie freudestrahlend hin.

„Ist es das?“, fragte er. „Bin ich deswegen hier?“

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