Wir haben das Planungsbüro Wunsch & Wille exakt in dem Augenblick verlassen, als es endlich den Anschein hatte, es könne jetzt interessant werden. Der Besucher, dessen Name nichts zur Sache tut, hatte erklärt, keinesfalls Kanzler werden zu wollen (Nein, nein. Bloß nicht.)  und war aufgefordert worden, zu erzählen. Aufmerksame Leser werden festgestellt haben, dass der gerade noch verabredete Plan gleich zu Beginn verlassen wurde, denn danach hätte alles damit beginnen sollen, dass dem Kanzlerkandidaten Honig ums Maul geschmiert wird. Stattdessen beginnt die Unterredung nun mit „Zuhören“.

Lauschen wir nun also dem Gespräch, d.h., dem Eingangsmonolog des Kandidaten:

„Was soll ich schon groß erzählen? Ist doch alles vermurkst von Anfang an. Ich weiß ja nicht einmal, wogegen ich sein soll, geschweige denn, wofür. Früher war das einfacher, da stand fest, die Merkel tritt wieder an. Da konnte man sich festlegen, dass wir da wieder mitmachen, der Politik aber unseren Stempel aufdrücken werden, also Gerechtigkeit trotz Merkel, und all so was.

Diesmal ist das ungewiss. Gesagt hat sie zwar, sie will nicht mehr, aber wer weiß das schon. Wüsste ich, dass sie wieder antritt, könnte ich für die Fortsetzung der Koalition sein. Das mögen die Leute. Das kennen sie, und was sie kennen, das wählen sie. Jetzt sind da mindestens vier. Vier, so unterschiedlich, wie man nur sein kann, wenn man Union ist, und ich fürchte, viele unserer Wähler möchten nicht, dass wir auch nur mit einem von denen koalieren. Mit dem Franken schon gar nicht!

Aber es geht ja noch weiter. Auch die anderen halten zwar zwei, drei Gesichter in die Kameras, und jeder bekundet, er traut sich das zu, aber noch steht nix fest. 

Da liegt doch der Hund begraben. Die Bundestagswahl ist doch keine Miss-Wahl, wo es genügt, sich weitgehend zu entblößen und dabei von der vorteilhaftesten Seite zu zeigen.  Gut, einen Intelligenztest müssen die auch bestehen, damit sie nicht gar zu dummes Zeug reden. Bei der Bundestagswahl kommt es darauf an, sich absolut bedeckt zu halten, weil es da keine vorteilhaften Seiten gibt, die man vorzeigen könnte, und möglichst so viel dummes Zeug zu reden, dass das hinterher keiner mehr im Kopf auf die Reihe kriegt und einen darauf festnageln kann. Aber auch das dümmste Geschwätz muss eben ins Verhältnis gesetzt werden, zu den Sprüchen der politischen Wettbewerber. Da muss es Zug um Zug gehen. Da muss man sich übertrumpfen, Fallen stellen und Fettnäpfchen.

Genau das ist aber unmöglich, solange ich alleine dastehe und ich nicht weiß, in welche Richtung die anderen loslaufen werden. Da fehlt mir die Steilvorlage, auf die ich reagieren kann, und das merken die Leute. Bis die Konkurrenz feststeht, kann ich doch nicht immer wieder wiederholen, dass wir auf Sieg spielen. Das wird ja mit jedem Mal unglaubwürdiger. Außerdem die Anstrengung, diese Zuversicht auszustrahlen. Das halte ich nicht mehr lange aus. Keine vier Wochen mehr.“

Wunnibald Wunsch und Wilbrecht Wille hörten sich alles scheinbar interessiert an, während  Sabine Gnadenlos-Hempel in der Teeküche ihr Ohr an die dünne Trennwand zum Besprechungszimmer presste und aufpassen musste, dass sie sich vor lauter krampfhaft unterdrücktem Lachen nicht nass machte. Als Wunnibald Wunsch sich räusperte und dann anfing, dick aus dem Honigtopf aufzutragen, gab sie ihren Lauschposten auf. Sie hatte genug gehört.

 

 

 

„Sie stehen da wirklich vor einem historisch einzigartigen Problem. Um diese Rolle wäre niemand zu beneiden. Aber andererseits haben genau Sie doch das Zeug dazu, diese kritische Phase zu überstehen.  Wir haben Ihre Stärken doch analysiert. Cooles Abwarten und dabei kompetent wirken, auch äußerlich – das können Sie doch. Wir kommen noch darauf zurück, wenn wir uns einig geworden sind. Nur so viel vorab: Mit ihrem Meister-Propper-Image stehen sie das durch. Da können wir sogar die alten Werbespots von Procter & Gamble verwenden. Die Ähnlichkeit mit dem Saubermann aus der Flasche! Das muss Ihnen doch auch selbst schon aufgefallen sein.“

Der Kandidat zuckte unmerklich zusammen. Den Vergleich mit Meister Propper hatte er zu oft zu hören bekommen. Doch dann schob er diese Bedenken beiseite. Wunsch und Wille waren schließlich Profis. Die Stiftung, die alles bezahlen würde, hatte diese Berater ausdrücklich empfohlen, im Grunde gar befohlen, sich unter ihre Fittiche zu begeben und so sagte er nur:

„Ja, dann werde ich wohl ein Abo im Fitness-Studio buchen müssen. Bizepsmäßig stehe ich doch noch ein Stück hinter Meister Propper zurück, und nur auf die Frisur lässt sich diese Figur ja wohl nicht reduzieren.“

 

Wilbrecht Wille produzierte sein berühmtes maliziöses Lächeln.

„Wunderbar! Sie denken mit! Das erleben wir hier selten. Sehr selten. Wir werden Fräulein Gnadenlos-Hempel bitten, für Sie ein diskretes Studio zu buchen. Unter voller Anonymität versteht sich. Mitgliedsausweis und Jahresbeitragsrechnung haben Sie in drei Tagen in der Post. Lassen Sie sich noch einmal ansehen. Vielleicht stehen Sie kurz auf.“

Der Kandidat erhob sich von seinem Stuhl und trat einen Schritt vom Tisch zurück.

„Ja, das ist schön. Ich sehe schon. Sie tragen bereits Schuhe mit erhöhten Absätzen. Aber ein paar Zentimeter gehen da noch. Und wenn Sie den Hals schön lang machen und den Kopf angriffslustig heben, dann sind Sie auch äußerlich der Mann von Format, den sich die Wähler wünschen. Die Wählerinnen vor allem. Nehmen Sie ruhig wieder Platz. Fräulein Gnadenlos-Hempel kümmert sich um alles. Sie wird Sie anrufen. Sie bekommen den perfekten orthopädischen Schuh …“

Der Kandidat wurde  unruhig. Die Beratung hatte er sich anders vorgestellt. Inhalte, nicht Äußerlichkeiten. Aber weil er das nicht so direkt ansprechen wollte, verlegte er sich auf eine Finte. Er hatte ja ein Thema, und das würde er jetzt aus gegebenem Anlass provokativ einsetzen.

„Ich bin ein bisschen irritiert, meine Herren. Warum sprechen Sie Frau Gnadenlos-Hempel stets mit dieser absolut frauenfeindlichen Anrede „Fräulein“ an? Ich hätte mir einen aufgeklärteren, fortschrittlicheren Umgangston mit den Untergebenen erwartet. Seit Elvis Presley Frollein, Frollein gesungen hat, habe ich solche Schmährede in Deutschland nicht mehr gehört. Und selbst Elvis hätte, in Anbetracht des doch etwas fortgeschrittenen Alters von Frau Gnadenlos-Hempel niemals gewagt, sie mit Frollein anzusprechen …“

Wunnibald Wunsch ließ ein glucksendes Lachen vernehmen, wobei sich die Lachfältchen an seinen Augenwinkeln fast bis zum Ohrenansatz verlängerten.

„Es ist nicht zu fassen“, brachte er, jetzt lauthals prustend hervor. „Sie unterstellen uns Rückständigkeit! Hören Sie die ganze Geschichte. Unsere Sabine – intern nennen wir sie beim Vornamen – kam vor drei Jahren ungefähr vom Treffen einer Frauengruppe zurück und erklärte, es sei heutzutage üblich, sein Geschlecht selbst zu bestimmen. Sie habe für sich beschlossen, Fräulein zu sein, und bitte dringend darum, dies zu respektieren und sie in allen offiziellen Angelegenheiten als Fräulein Gnadenlos-Hempel anzusprechen. Intern dürften wir sie gerne weiterhin Sabine nennen, aber nie, nie, nie in Gegenwart von Dritten und Vierten. Damals hat sie uns auch gebeten, für sie eine eigene Toilette einzurichten. Bis dahin hatten wir hier nur eine einzige. Jetzt haben wir drei. Sabine nimmt die für Diverse.“

„Ich kann also davon ausgehen, dass Ihre Beratung auch das weite Themenfeld Frauenrechte und Gender-Mainstream einschließen wird? Ich will das nämlich nicht dem tiefrotgrünen Rand überlassen. Genau da haben wir Potential. Das gilt es auszuschöpfen.“

„Unsere Beratung wird umfassend sein und keinen Wunsch offenlassen. Ihr Wille ist es worauf es ankommt. Wunsch & Wille, verstehen Sie? Daher nun die alles entscheidende Frage: Wollen Sie uns, mich und meinen Partner, bis zum Wahltag als Berater, Coach und Seelentröster engagieren? Wollen Sie uns in guten, wie in schlechten Tagen die Treue halten, bis dass sich alles an der Urne entscheidet? Dann antworten Sie jetzt: Ja, ich will!“

Der Kandidat klappte die Kinnlade wieder hoch,  nahm eine aufrechte Haltung an, und sagte mit fester Stimme: „Ja, ich will!“

Fräulein Gnadenlos-Hempel wurde gerufen. Sie möge doch bitte den Vertrag vorlegen. Der Kandidat unterschrieb alle drei Exemplare und legte dann seine flache Aktentasche mit den 500 500-Euro-Scheinen vor sich auf den Besprechungstisch, ließ die Messingbeschläge aufschnappen, hob den Deckel und schob die Anzahlung seinen neuen Freunden zu.

Man verabredete sich für den nächsten Montag. Bis dahin sollten die groben Züge der Kampagne erarbeitet, und natürlich die Reaktionen auf neue, aktuelle Geschehnisse festgelegt sein. Ansonsten könne er jederzeit anrufen.

„Wir stehen Gewehr bei Fuß!“

Als der Kandidat seinen Mantel zurückerhalten und die Räumlichkeiten von Wunsch & Wille wieder verlassen hatte, trat Wilbrecht an Sabines Schreibtisch. „Du hast das Wichtigste gehört, nehme ich an.  Lass uns morgen darüber sprechen.“

(Fortsetzung hier)