Montag, 25. Januar 2021

Die Sensation ist perfekt. Ganz Deutschland spricht zum ersten Mal seit über einem Jahr über etwas anderes als Corona. Schon am Sonntag hatte die Passauer Neue Presse in ihrer Online-Ausgabe den Gastkommentar des Kandidaten der einstigen Volkspartei veröffentlicht – und nun, am Montagmorgen, lag er auch in der Printausgabe auf tausenden Frühstücks- und Schreibtischen. Markus Söder tobte in der Staatskanzlei nicht weniger als Ralf Stegner, der nach der Lektüre spontan getwitter hatte:

Hoffentlich fällt bald die Entscheidung, die rechtsradikale AfD durch den Verfassungsschutz zu beobachten.
Zwar muss die Auseinandersetzung mit den rechten Hetzern weitgehend politisch geführt werden,
dennoch muß der Rechtsstaat gegen rechte Demokratiefeinde wehrhaft bleiben!“

Erst Minuten später fiel ihm auf, dass der Kommentar, den er soeben gelesen hatte, nicht von Björn Höcke, sondern  vom eigenen Kanzlerkandidaten stammte.

Wir haben die wichtigsten Passagen dieses Aufsatzes hier für Sie zusammengestellt:

Warum die SPD nicht mehr mitspielt

Es ist an der Zeit für eine schonungslose Analyse. Dieses Land, unser Deutschland, braucht eine Partei der Mitte. Dieses Land braucht eine modernisierte SPD, der die Menschen wieder Vertrauen schenken. Wir haben uns in den letzten zwanzig Jahren Stück für Stück von der CDU nach links ziehen lassen. Mit jedem Linksruck haben wir Wähler aus der Mitte verloren. August Bebel und Erich Ollenhauer, denen es gelungen war, dem deutschen Arbeiter, den Müttern der Arbeiterkinder und den Heranwachsenden aus der Arbeiterklasse zu Mut und Stolz zu verhelfen, indem sie ihnen bewusst machten, dass es einzig an ihnen liegt, ob die Räder sich drehen oder stillstehen, müssen wieder zu leuchtenden Vorbildern werden, zu Kristallisationskernen des gesunden Volksempfindens, eines neuen Wir-Gefühls.

(…)

Daher müssen wir uns fragen: Was fühlen diese Menschen? Was erhoffen sich diese Menschen? Was macht sie froh und glücklich?

Ich bin überzeugt: Unseren Mitbürgern, jenen Leistungsträgern der Gesellschaft, ob sie nun in den Fabrikhallen und Büros der Industrie, als Maurer, Dachdecker und Installateure auf dem Bau tätig sind oder als Polizisten, Eisenbahner oder Krankenschwestern ihren Dienst für die Gemeinschaft verrichten, geht es nicht darum, Bürger der Vereinigten Staaten von Europa zu werden, es geht ihnen nicht darum das Weltklima zu retten, sie sehnen sich nicht nach Gendersternchen und politisch korrekten Bezeichungen für Negerküsse, Zigeunersoße und Flüchtlinge. Die wollen anständige Arbeit, wollen genug Geld für eine Wohnung, für ein Auto, für drei Wochen Mallorca und ansonsten wollen sie ihre Ruhe. Sie wollen aber auch begründete Hoffnung haben können, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird und dass ihre Renten sicher sind – und sie wollen eine Regierung, die dafür sorgt, dass sie genau das bekommen. So war es einmal – und so muss es wieder werden.

(…)

Ich sage das nicht nur in Richtung auf meine Partei, sondern zu allen Deutschen guten Willens. Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann! Auch mit noch so vielen Minderheiten ist keine Mehrheit zu gewinnen! Wir dürfen unsere Kräfte und unsere Ressourcen nicht länger an eine in alle Ecken und Winde auseinanderstrebende Vielfalt verschwenden! Konzentration auf das Wesentliche. Erfüllen wir endlich wieder das Versprechen der Inschrift am Reichstag! Dienen wir mit all unserer Kraft dem deutschen Volke!

(…)

Es ist daher das Gebot der Stunde, die Zeit der Animositäten, der taktischen Spielchen, der Ausgrenzung zu beenden. Wir, als SPD, werden mutig vorangehen und unsere Koordinaten in jene Mitte legen, die von vielen Verblendeten immer noch als rechts bekämpft wird. Wir werden diese Mitte gegen jeden linksgrünen Angriff verteidigen und ich werde an vorderster Front für die Renaissance von Volk  und Vaterland kämpfen, so wahr mir Gott helfe!

 

Punkt 14 Uhr stürmte der Kandidat ohne anzuklopfen oder zu läuten in die Räume des Planungsbüros Wunsch & Wille.

„Sind Sie wahnsinnig geworden?“, brüllte er Sabine an. „Ich werde Sie verklagen wegen Rufmord, übler Nachrede, Fake News, Hetze, …“

Sabine setzte ihr breitestes Grinsen auf und wartete ab, bis die Luft raus war. Der Kandidat lief wie der Tiger im Käfig vor ihrem Schreibtisch im Kreis, und als er  merkte, dass sein Auftritt keinerlei Eindruck hinterlassen hatte, holte er tief Luft, trat einen Schritt näher an Sabine heran und sagte:

„Nun sagen Sie doch auch mal was.“

„Guten Tag“, sagte Sabine Gnadenlos-Hempel und streckte dem Kandidaten die Hand zur Begrüßung hin. „Schön, dass Sie pünktlich erscheinen konnten. Ihr Artikel für die PNP hat seine Wirkung nicht verfeht. Markus Söder springt im Dreieck, weil Sie ihm die Schau gestohlen haben. Er hatte ähnliche Aussagen vorbereitet, aber nun, da Sie ihn weit rechts überholt haben, fehlt ihm einerseits der Mut, noch weiter auszuholen, andererseits die Einsicht in das Unvermeidliche.“

„Was verstehen Sie unter „das Unvermeidliche“?

„Das ist doch sonnenklar. Er wird mit Ihnen koalieren müssen, sollte er Kanzler werden. Und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, sollte  er nicht Kanzler werden. Da geht es in der Union am Ende nur darum, wem man zutraut, die meisten Wähler zu gewinnen. Da wird der Herr Laschet ganz von alleine einen Schritt zurücktreten, wenn es um die Kanzlerkandidatur geht.“

„Sie meinen also, die SPD wird auch unter Söder wieder mitregieren können?“

„Nicht die SPD, die Sie kennen. Die neue SPD, die Sie seit heute verkörpern! Wir haben da schon mal eine Agentur beauftragt, ein Plakat zu entwerfen. Ich find’s übrigens affengeil!

 

Sie stehen im Vordergrund, ganz normaler Straßenanzug des kleinen Mannes, den Finger wegweisend erhoben. Dabei ragen Sie klar und deutlich aus dem grünen Dunstkreis heraus, in dem die SPD bis heute verortet wurde  – und dann der Text, „Der linken Dominanz ein Ende setzen!“, das ist genau das, was die Leute wollen, und das bringt das Plakat ‚rüber. Wer das sieht, wird es nie mehr vergessen – und überzeugt sein, dass Sie es praktisch schon geschafft haben. Herrlich!“

„Aber ist denn auch sicher, dass die Union trotzdem noch die Mehrheit bekommt?“

„Nach allen Umfragen, die bei uns einlaufen, ist das garantiert. Aber nun erklären Sie mir mal, warum Sie so aufgebracht bei uns hereingestürmt sind?“

„Das fragen Sie noch?! Ich bin in der Partei doch jetzt vollkommen unten durch! Es war nie die Rede davon, dass der Artikel, den ich nach Ihren Anweisungen geschrieben habe, jemals veröffentlicht werden würde. Ich habe das für eine Übung gehalten, und wollte natürlich Ihren Anforderungen genügen. Aber so etwas hätte ich doch nie öffentlich gesagt!“

„Na, na, na! Sie sind doch selbst Politiker! Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, dass auch nie gesagt wurde, dass der Artikel nicht veröffentlicht werden würde? Hm? Da hätten Sie schon nachfragen müssen, oder sich erklären, dass Sie sich davon distanzieren.“

„Wer rechnent denn mit sowas? Ich habe Wunsch & Wille für eine seriöse Institution gehalten. Jetzt bin ich gespannt, wie Sie diesen Skandal wieder aus der Welt schaffen wollen!“

„Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein! Wir haben Ihnen öffentliche Aufmerksamkeit beschert, in einem Maße, wie Sie Ihnen nie zuvor zuteil geworden ist, und Sie verlangen ernsthaft, das wieder aus der Welt zu schaffen? Nein, nein, mein Lieber, das ist die Basis, auf der Sie Ihren Erfolg errichten. Sie haben die Parteienlandschaft erschüttert. Das soll Ihnen erst mal jemand nachmachen! Haben Sie mal die Reaktionen im Internet verfolgt? Twitter, Facebook, Instagram, wohin man schaut überschlagen sich die Leute – und zwar vor Zustimmung. Würde der Kanzler in Deutschland direkt gewählt, und wäre heute Wahltag, Sie hätten ungefähr sechzig Prozent der Stinmen sicher!“

„Aber die werden mich aus der Partei ausschließen, bevor der Wahlkampf überhaupt richtig begonnen hat!“

„Na und? Stellen Sie sich bloß nicht so an wie Sarrazin! Kommen Sie den Lästerern zuvor! Stellen Sie den Parteivorstand vor die Wahl: Entweder ihr folgt mir, oder ich trete aus und gründe meine eigene Partei! Was meinen Sie, wie denen der Arsch auf Grundeis geht? Sie würden ja nicht nur die Hälfte der fünfzehn Prozent mitnehmen, die immer noch freiwillig SPD gewählt hätten, sondern auch Heerscharen von Unzufriedenen um sich scharen, die sich längst anders orientiert haben, und vermutlich würden Sie Scharen von Nichtwählern mobilisieren. Das wäre der Todesstoß für die SPD!“

„Im Ernst? Ich meine, so habe ich das noch gar nicht betrachtet. Was sagen denn die Herren Wunsch und Wille dazu? Wo sind die überhaupt?

„Die beiden sehen das ganz genau so. Ich soll Sie übrigens grüßen und Ihnen in ihrem Namen zu diesem Aufsatz gratulieren.“

„Danke. Und wann werde ich die beiden selbst wieder einmal zu Gesicht bekommen?“

„Bald. Sehr bald. Ich bin nur für den Grobschliff verantwortlich – und damit bin ich, wie es aussieht, bald fertig. Sie sitzen schon auf dem richtigen Pferd. Dass Sie noch verkehrt herum sitzen, wird sich bald ändern. Und wenn Sie dann dafür reif sind, kommt der Feinschliff. Jetzt gehen Sie aber erst mal nachhause und freunden sich mit der veränderten Situation an. Sie werden oft auf Ihre Wandlung vom Saulus zum Paulus angesprochen werden. Antworten Sie darauf einfach so: Was heißt hier Richtungswechsel, Wortbruch, Nestbeschmutzer? Ich habe doch nur endlich ausgesprochen, was schon längst allen klar war. Das eröffnet Freiräume – und  die will ich ausfüllen!“

„Vielen Dank. Es klingt jetzt tatsächlich irgendwie richtig …“


Die Fortsetzung mit dem Titel „Wochenausklang“ finden Sie hier.