Die Zinseszins-Story

Gestern habe ich beim Fassadenkratzer (Herbert Ludwig) einen Artikel über die Wirkungen der Zinseszins-Spirale in Verbindung mit der Geldschöpfung aus dem Nichts gelesen.

Gut, dass immer wieder jemand darauf aufmerksam macht, wie rasant sich verzinslich angelegtes Geld selbst dann vermehrt, wenn es nur als aus dem Nichts geschaffenes Guthaben existiert.

Weil ich doch einige wichtige Kleinigkeiten etwas anders sehe, erzähle ich das, was ich über den Zinseszins und die Geldschöpfung weiß, lieber noch einmal selbst.

Den Anfang macht die leidige Geschichte mit der Geldschöpfung aus dem Nichts, nach der einfachen Formel: 

Nichts = 1 Million minus 1 Million.

Die eine der beiden Millionen schreibt die Bank dem Kunden als Guthaben aufs Konto, die andere schreibt sie ihm als Schuld ins Kreditkonto. Fertig.

Der gute Mann hat nach wie vor „nichts“, weil sich Guthaben und Schuld bei ihm aufheben. Dennoch kann er eine Million ausgeben. Zurückgeben muss er sie erst später, wenn die Tilgungsraten fällig werden.

Die Frage, wie viele solcher Kredite eine Bank bis zu welcher Gesamthöhe vergeben kann, wird leider immer wieder falsch beantwortet, indem auf den Mindestreserve-Satz verwiesen wird. Die Mindestreserve, die eine Bank als Guthaben bei ihrer Zentralbank zu halten hat, bezieht sich nämlich nicht auf die Summe der Kredite, die eine Bank ausreicht, sondern auf die Summe der Guthaben, die Anleger bei der Bank halten. Die Mindestreserve soll sicherstellen, dass die Bank in der Lage ist, Guthaben wieder auszuzahlen, wenn dies – vertragsgemäß – gefordert wird. (Ich muss gestehen, vor 20 Jahren hatte ich damit auch noch meine Propbleme.)

Wenn es einer Bank also gelingt, sich nur solche Kreditkunden an Land zu ziehen, die ihren Kredit sehr schnell verwenden und damit das gerade erhaltene Guthaben von dieser Bank abziehen, dann spielt die Mindestreserve in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle.

Beschränkend für die Kreditvergabe ist stattdessen die Eigenkapitalquote. Details können bei der Bundesbank nachgelesen werden.

Hier dazu nur soviel:

Das Eigenkapital der Bank wird den Risiken der Bank, einschließlich dem Kreditrisiko, gegenübergestellt und muss einen gewissen Prozentsatz des Gesamtrisikos übersteigen.

Mit jedem vergebenen Kredit erhöht sich das Kreditrisiko. Reicht das Eigenkapital nicht mehr aus, um die erforderliche Eigenkapitalquote darzustellen, sollte die Bank keine weiteren Risiken eingehen, oder das Eigenkapital aufstocken, um nicht von der Bankenaufsicht gerügt zu werden.

Bei der Eigenkapitalquote liegen also tatsächlich die Grenzen der Kreditgewährung, nicht bei der Mindestreserve.

 

Nun soll die Zauberformel der Geldschöpfung noch einmal bemüht werden, um die Überlegungen zum Zinseszins auf eine sichere Grundlage zu stellen.

Nichts = 1 Million minus 1 Million.

Bei der Kreditgewährung wird das „Nichts“ ebenso mathematisch wie buchhalterisch in eine negative und eine positive Million zerlegt. Die positive Million macht sich auf den Weg in die Welt, bezahlt Rechnungen, Steuern, Löhne, Wetteinsätze und was auch immer, während die negative Million als Forderung in den Büchern der Bank stehenbleibt.

Sie bleibt dort so lange stehen, bis es zu „Wiedervereinigung“ mit der positiven Million kommt, bis also der Kredit – zur Gänze oder anteilig – getilgt wird. Was kann aber daraus nur entstehen, wenn die negative und die positive Million wieder zusammenkommen? Richtig: Das alte Nichts, aus dem beide entstanden sind.

Es wäre ja auch höchst verwunderlich, hätte die Bank nach der Tilgung eines Kredits, den sie aus dem Nichts erschaffen hat, eine reale Million als Gewinn in den Büchern. Das geht nicht. Das geschieht auch nicht.

Was die Bank nach der vollständigen Tilgung eines Kredits in den Büchern stehen hat, das sind die Zinsen und Gebühren, die der Kreditnehmer aufgebracht hat. Dies ist für die Bank in gleicher Weise „Umsatz“, wie die 30 Euro, die der Frisör für einen Herrenhaarschnitt mittlerer Güte einnimmt.

In beiden Fällen handelt es sich aber nicht um Gewinn, sondern erst einmal nur um Einnahmen, denen Ausgaben für den Geschäftsbetrieb gegenüberstehen. Bei den Banken sind das im Wesentlichen die Kosten für  das Personal, die IT-Infrastruktur und die Bewirtschaftung der Gebäude, in denen die Banken residieren. Hinzu kommen Kreditausfälle, die abgeschrieben werden müssen und Verluste aus eigenen Spekulationsgeschäften. Ist dies alles ordnungsgemäß verbucht und auf das Kreditgeschäft eingegrenzt, steht die Höhe des Gewinns fest. Dies ist der Teil des Zinses, der der Bank verbleibt und nun verzinslich angelegt werden müsste, um die Zinseszinsspirale in Gang zu setzen.

Zum Teil geschieht das natürlich. Ganz unbestritten.

Bei der Zinsausschüttung der Bank an ihre Einleger ist das relativ wahrscheinlich. Bei den Gewinnen, die von der Bank den Rücklagen zugeführt werden, ist es weniger wahrscheinlich, weil die Investmentbanker nach rentableren Anlagemöglichkeiten Ausschau halten. Ob sie nun Aktien erwerben oder sich im Terminhandel mit Schweinehälften oder Kakao eindecken, spielt keine Rolle. Die Rendite kommt dabei eben nicht aus irgendeinem verzinslich angelegten Guthaben, sondern aus anderen Quellen.

Um den Hauptpunkt des Interesses nicht aus dem Blick zu verlieren, hier eine kleine grafische Darstellung:

Es ist wichtig zu erkennen, was jeder weiß, was aber beim Gedanken an den Zinseszinseffekt gerne vergessen wird:

Auf getilgte Kredite wird kein Zins mehr fällig.

Was noch öfter vergessen wird:

Der von den Banken erhobene Kreditzins hat mit den von den Banken an die Einleger gezahlten Guthabenzinsen kaum mehr als den Namen „Zins“ gemeinsam.

Einlagen ermöglichen der Bank, damit Geschäfte zu machen. Aus den Gewinnen dieser Geschäfte wird der Guthabenzins gezahlt.

Kredite sind ein Teil der Bankgeschäfte, aber längst nicht alles.

Das heißt: Zinsen auf Einlagen werden in erheblichem Umfang außerhalb des Kreditgeschäftes erwirtschaftet. Wie sich die Ertragsquellen der Banken zusammensetzen, aus denen Einlage-Zinsen generiert werden, ist von Institut zu Institut unterschiedlich.

 

Wichtig!

Nur jene Zinsen, die von den Kreditnehmern aufzubringen sind, sind für die Betrachtung des Zinsbelastung einer Volkswirtschaft relevant.

Betrachtet man hier weder die Konsumentenkredite, noch die Staatsverschuldung, sondern alleine die Unternehmenskredite, weil nur deren Zinsbelastung in die Kalkulation der Preise eingeht, muss zwischen Umsatz und Kapital, zwischen Umsatzrendite und Kapitalrendite unterschieden werden.

Kapital ist der Wert, der im Unternehmen steckt, und zum Teil aus dem Vermögen der Eigentümer, zum Teil durch Kredite bezahlt wurde.

Umsatz ist das, was das Unternehmen beim Verkauf seiner Produkte einnimmt. Mit dem Umsatzerlös sollen alle Kosten des Unternehmens bezahlt werden können, und möglichst soll dann noch etwas übrig bleiben, was als Gewinn aus der Geschäftstätigkeit verbucht werden kann. Dieser Gewinn sollte so hoch sein, dass die Rendite des eingebrachten Eigenkapitals ein Stück weit über der Rendite eines Sparbuchs liegt. Sonst macht es keinen Sinn, Kapital in ein Unternehmen zu stecken.

Wäre es also sinnvoll, ein Unternehmen zu betreiben, wenn der Umsatz gerade die gleiche Höhe erreicht, wie die Zinslast der Schulden?

Das ist vollkommen unmöglich. Dieses Unternehmen wäre so pleite, dass selbst ein hartgesottener Insolvenzrichter sich auf der Stelle totlachen müsste.

Nun heißt es, dass in den Preisen für den Endverbraucher wegen des Zinseszins-Effektes bis zu 50 Prozent Zinsaufwendungen der Unternehmen stecken, die von den Kunden am Ende aufgebracht werden müssen..

Aber auch die Vorstellung, dass der Umsatz zur Hälfte dazu verwendet werden müsste, um die Kreditzinsen zu bezahlen, führt direkt in die Insolvenz-Hölle.

Man muss das am Zahlenbeispiel erläutern:

Jahresumsatz:
10 Millionen
50 Prozent Zinslast p.a.:
   5 Millionen
Das entspräche bei einem Zinssatz von 4 %
einem Schuldenberg von nicht weniger als
125 Millionen

Selbst bei einer Umsatzrendite von 10 Prozent, blieben nicht mehr als
1 Million Euro als Gewinn übrig. Von diesem Gewinn müsste allerdings die Tilgung bezahlt werden. Selbst wenn nur 1% jährliche Tilgung vereinbart wäre, würde der Gewinn dafür nicht ausreichen. Keine Bank würde ein solches Geschäft jemals finanzieren. Außerdem hätte der Unternehmer längst Insolvenz wegen Überschuldung anmelden müssen, weil es bei diesen Zahlen kaum gelingen dürfte, nachzuweisen, dass die Vermögenswerte des Unternehmens ausreichen, um die Schulden zu decken.

Betrachten wir die Geschäftszahlen eines real existieren Unternehmens, nämlich der Zulieferer-Gruppe „Schaeffler“ für das Geschäftsjahr 2023:

Eigenkapital:
7,7 Mrd. Euro
Verbindlichkeiten:
 17,6 Mrd. Euro  Zinsen 0,55 Mrd. :
3,1 %
Umsatzerlöse:
15,5 Mrd. Euro
  Zinsen vom Umsatz: 3,6 %
Jahresüberschuss:
  0,4 Mrd. Euro  Umsatzrendite:
2,7 %
 Eigenkapitalrendite: 5,5 %

Nicht 50 %, nicht 25 % vom Umsatz sind auf Zinskosten zurückzuführen, sondern magere 3,6 Prozent.

Natürlich gibt es auch noch die „Lieferkette“. Schaeffler hat im betrachteten Geschäftsjahr Lieferungen und Leistungen von anderen Unternehmen bezogen. Diese Zahlen gibt der Geschäftsbericht nicht her, aber selbst wenn wir annehmen, dass die Einkäufe 50 % des Umsatzes ausmachen, und die Lieferanten ähnliche Zinslasten zu stemmen haben, dann erhöht sich der Wert für die Zinsen im Umsatz nur auf 5,4 Prozent, und wenn deren Vorlieferanten nochmals mit 50 % berücksichtig werden, dann landen wir bei einer Gesamtzinslast von 6,3%, bezogen auf den Umsatz.

Damit ist das absolute Ende der Fahnenstange in greifbare Nähe gerückt. Selbst wenn berücksichtigt wird, dass mit den vom Unternehmen bezahlten Steuern auch noch die Zinsen der Staatsschuld finanziert werden müssen:

Von einer Zinslast von 50 Prozent
in den Preisen kann keine Rede sein.

 

Noch eine wichtige Tatsache:

Die Zinslast in den Preisen
ändert sich durch den Zinseszinseffekt nicht.

Die Schuldner lassen sich ihre Zinsschulden ja nicht anschreiben, was die zu verzinsende Kreditsumme erhöhen würde. Da spielen schon die Banken nicht mit. Deren Begeisterung hält sich im Rahmen, wenn ein Schuldner um eine „Ratenpause“ (Moratorium) bittet. Da wird eher der gesamte Kredit sofort fällig gestellt als abzuwarten, bis der Schuldner definitiv zahlungsunfähig ist.

Die meisten Zinsen werden pünktlich gezahlt und können daher auf der Kreditseite gar keinen Zinseszinseffekt auslösen.

Effekte, die die Zinslast verändern, gibt es natürlich auch:

  • Allgemeine Veränderungen der Zinssätze führen zu einer verzögert einsetzenden – weil nur auf Neukredite bezogenen – Erhöhung oder Senkung der Zinslast.
  • Veränderungen des Kreditvolumens führen – parallel zur Veränderung des Volumens – ebenfalls zur Erhöhung oder Senkung der Zinslast. Da Ausweitungen des Kreditvolumens in der Regel eine Phase des konjunkturellen Aufschwungs anzeigen, verteilt sich die Zinslast auf ein steigendes Umsatzvolumen, was den Zinsanteil in den Preisen deutlich weniger verändert. Umgekehrt kann im Abschwung der Zinsanteil in den Preisen steigen, weil sich die Zinslast auf schrumpfende Umsätze verteilt.

Die Prozesse auf der Kreditseite finden sich spiegelbildlich auch auf der Seite der Guthabenzinsen wieder. Hier schlagen sinkende Zinssätze auf die Verzinsung durch, wenn nach Ablauf vertraglicher Fristen neue verzinsliche  Anlagen gesucht werden. Die Veränderung des Kreditvolumens spielt eine untergeordnete Rolle, weil es keine direkte Beziehung zwischen Einlagen und Krediten gibt.

 

Grundsätzlich richtig ist, dass die Verschuldung von Unternehmen, privaten und öffentlichen Haushalten weltweit stetig wächst. Daraus lässt sich ableiten, dass das Volumen der Neuverschuldung höher ist als das Volumen der gleichzeitig erbrachten Tilgungsleistungen. Dies ist, ganz abgesehen von der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung, erforderlich, um die im Markt der Realwirtschaft vorhandene Liquidität zu erhalten, die durch mehrere Prozesse ständig reduziert wird:

  • Tilgungen reduzieren liquide Geldmenge und Schulden
    (Nichts = 1 – 1)
  • Zinszahlungen, die in die verzinsliche Wiederanlage fließen, reduzieren die liquide Geldmenge, weil die Zinsen bei Kreditgewährung nicht mitgeschaffen werden (Nichts  1+Zins – 1)
  • Gewinne, die in die verzinsliche Anlage fließen, reduzieren die liquide Geldmenge
  • Zahlungen ans Ausland reduzieren die liquide Geldmenge im Binnenmarkt

Werden diese Liquiditätsabflüsse nicht durch neue Geldschöpfung kompensiert, treten Geldmangel-Erscheinungen auf, die in eine verheerende Deflation münden können.

Die steigende Verschuldung führt jedoch weder zwingend zu einem Ansteigen der Zinslasten bei den Schuldnern, noch zum Ansteigen der Zinserträge bei den Gläubigern. Hier kommt es darauf an, welche Entwicklungen die Zinssätze nehmen.

Es sei abschließend noch darauf hingewiesen, dass die großen privaten und institutionellen Anleger auf Veränderungen der Zinssätze mit Umschichtungen ihrer Anlagen reagieren.

  • Bei hohen, bzw. steigenden Zinsen stehen festverzinsliche Wertpapiere im Mittelpunkt des Interesses,
  • Bei niedrigen, bzw. sinkenden Zinsen sind Aktien (und Derivate) interessanter.

Daraus wiederum lässt sich ableiten, dass „das Kapital“ versucht, eine gewisse Mindestrendite zu erzielen, deren Ertragsquellen wechseln, je nachdem, ob Zinsen oder Unternehmensgewinne gerade die höhere Rendite versprechen.

Daraus wird deutlich, dass es nicht um den Zins, sondern um die Erträge des Wirtschaftens insgesamt geht, unabhängig davon, ob sie in Form von Zinsen und meinetwegen auch Zinseszinsen als indirekte Gewinnbeteiligungen oder in Form von Dividenden als direkte Gewinnbeteiligungen an das Kapital ausgeschüttet werden. Ob diese Beteiligung des Kapitals an der Wirtschaftsleistung gerechtfertigt ist, mag jeder für sich entscheiden.

Es wird aber ebenfalls deutlich, dass der dafür zur Verfügung stehende Betrag immer nur in einer volkswirtschaftlich „erträglichen“ Relation zur Wirtschaftsleistung, und schon gar nicht, wie es die Zinseszins-Formel vermuten ließe, unbegrenzt wachsen kann.

Hier setzt die endliche Realität der Unendlichkeit der Theorie harte Grenzen, zum Beispiel indem sie über die Funktion der Inflation die Balance zwischen Geldmenge und Warenangebot bewahrt und damit die Kaufkraft der durch Zins und Zinseszins nominal gewachsenen Vermögen begrenzt.

Der Josephspfennig bleibt ein Märchen.