Zapfenstreich praecox – Scholz kanzlert weiter

Kommt ein Vogel geflogen
Da zischt er ab ...
NACHTRAG

Während der spannenden Stunden des heutigen Tages hat sich die Informationslage immer wieder verändert. Nun ist – den reuigen Abweichlern sei Dank – wieder Friede eingekehrt im Land, und Friedrich noch dazu. Der Schuss vor den Bug wird die gesamte Kanzlerschaft des Friedrich Merz überschatten, denn die Botschaft: „Du hast keine sichere Mehrheit, also versuch es gar nicht erst, …“, war überdeutlich.

 

Von großen und überraschenden Ereignissen erfährt man am besten aus dem Autoradio.

Wegen der notwendigen Konzentration auf den Straßenverkehr dringt die Überraschung nur langsam ins Bewusstsein, und so hat man wirklich mehr davon.

Jedenfalls ist es mir heute so ergangen.

So schrittweise.

Julia Klöckners Stimme zählte die abgegebenen Stimmen auf, das waren schon weniger als 630, die Ja-Stimmen, die Nein-Stimmen, die Enthaltungen und dann der Satz: „Damit ist Friedrich Merz zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nicht gewählt.“

Danach die Erkenntnis, dass ihm ja nur sechs Stimmen fehlten,

und dann die Erkenntnis dass es nicht sechs Stimmen waren, die ihm fehlten, sondern 18.

Der frisch unterschriebene Koalitionsvertrag schon an jenem Tag, der der erste sein sollte, gebrochen.

Der nächste Hammer: Es gibt heute keinen zweiten Wahlgang mehr. Dem hätten alle Fraktionen zustimmen müssen, auch die AfD hinter der Brandmauer. Mit denen wird aber nicht abgestimmt. Nie und nimmer. Die AfD hat die demokratische Mitte, einschließlich Heidi Reichinnek, dann aus der Zwickmühle erlöst und selbst erklärt, nicht für einen zweiten Wahlgang am 6. Mai zu stimmen. Da dürften vielen viele Steine vom Herzen geplumpst sein.

Jetzt sieht es nach Freitag, 9. Mai aus. Welch ein geschichtsträchtiger Termin. Putin nimmt in Moskau die Parade zum 80. Jahrestag des Sieges über die Wehrmacht ab, und in Berlin wird Friedrich Merz womöglich ein zweites Mal nicht Bundeskanzler.

Der schon mit Respect zapfenbestrichene Olaf Scholz muss mindestens bis Freitag weiter ran. Habeck bleibt Klimaminister, Baerbock bleibt Völkerrechtsministerin, Lauterbach bleibt Impfminister …

Ist das noch Politik, oder ist das schon Staatskomödie?

Wenn man bedenkt, dass das Parlament zwei Wochen Zeit hat, um noch dutzende Versuche zu unternehmen, einen zweiten Wahlgang erfolgreich abzuschließen, sollte man sich vorsorglich mit Popcorn eindecken.

Ich erinnere da an Peter Haisenko, der kürzlich die AfD (-Fraktion) dazu aufgerufen hat (Macht sie fertig, wählt ihn!), ihre Stimme Friedrich Merz zu geben, so dass er mit rund 450 Stimmen zum Bundeskanzler gewählt würde. Dürfte er dann die Wahl überhaupt annehmen?

Gut, dass es so kommt, ist eher unwahrscheinlich.

Aber was ist wahrscheinlicher?

Das lässt sich natürlich nicht herausfinden, zumal nicht herauszufinden ist, wer Merz in der geheimen Wahl die Stimme verweigert hat.

Meine innere Glaskugel sagt mir: Die Abweichler kommen ungefähr zu gleichen Teilen aus beiden Fraktionen, und es handelt sich jeweils um Gruppen, die sich über ihr Verhalten bei der Wahl abgestimmt haben, in der Annahme, damit die Kanzlerschaft von Friedrich Merz nicht zu verhindern, aber seine Machtposition als Kanzler zu beschädigen, weil man auf beiden Seiten davon ausgegangen ist, die jeweils andere Fraktion würde vollständig für Merz stimmen. 

Meine innere Glaskugel sagt mir obendrein: Die 18 fehlenden Stimmen werden die Abweichler nicht zur Vernunft bringen, sondern etliche weitere Merz-Zweifler ermutigen, im zweiten Wahlgang auch Flagge zu zeigen, zumal auch das eine geheime Wahl sein wird.

Ob Friedrich Merz selbst ähnliche Erwartungen hegt, weiß ich natürlich nicht. Was ich gesichert zu wissen glaube, ist das: Friedrich Merz ist kein Kämpfer. Er war noch nie ein Kämpfer und er war bis zum Abschluss der Koaltionsverhandlungen kein Kämpfer. Von daher sehe ich eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er schon zum zweiten Wahlgang nicht mehr antritt und eine nahezu hunderprozentige Wahrscheinlichkeit, dass er sich der Schmach, im dritten Wahlgang mit einer einfachen Mehrheit, deutlich unterhalb der Kanzlermehrheit gewählt zu werden, um dann bis zum Bruch dieser von ihm nicht beherrschbaren Koalition vorzustehen, nicht aussetzen wird.

Kommt es so, dann wird auch ein Lars Klingbeil nicht auf die Kanzlermehrheit hoffen dürfen und ein Markus Söder erst recht  nicht.

Dann bleibt nur noch eines, was Alice Weidel bereits gefordert hat, nämlich Neuwahlen anzusetzen.

Friedrich Merz bleibt immerhin der Trost der gehabten Vorfreude.

Letzte Meldung: Vielleicht passiert heute doch noch was …