Wohlstandsvernichtung durch Aufrüstung

Das Handelsblatt schwärmt gleich von mehreren Studien, in denen

„Wachstum durch Aufrüstung“

gefeiert wird.

Zitiert dann aber nur aus der Analyse von EY (früher Ernst & Young) in der im Auftrag der Dekabank herausgefunden wurde, dass unter den europäischen NATO-Partnern ein BIP-Wachstum von 0,66 Prozent geschaffen werden könnte, würden die Verteidigungsausgaben nur von 2 auf 3 % des BIP erhöht.

Das kann man so hinrechnen. Auch, dass dabei 660.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, muss gar nicht in Abrede gestellt werden, um die Freude am Wachstum durch Aufrüstung bei allen zu zerstören, die nicht vom Boom der Rüstungsindustrie profitieren.

Wachstum, das sich aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ergibt und als Steigerung des BIP ausgewiesen wird, ist ja nicht per se gut und nützlich.

Ein Beispiel:

Herr Maier hat sein Auto ohne Fremdbeteiligung in einen Graben gesetzt. Ohne Vollkasko-Versicherung hat er die Reparaturkosten in Höhe von 3.000 € selbst zu tragen. Natürlich erhöht die Leistung der Werkstatt das BIP. Wäre Herr Maier nüchtern gefahren und nicht im Graben gelandet, wäre das BIP um diese 3.000 Euro niedriger ausgefallen.

Gewachsen ist aber außer dem BIP nichts. Das Auto sieht nach der Reparatur nicht anders aus als kurz vor dem Unfall und ist auch nicht wertvoller geworden.

Das Beispiel lässt sich aber noch verlängern.

Herr Maier hatte seiner Frau eine schöne neue Couch  versprochen, die hätte auch 3.000 Euro gekostet. Nun muss er sie auf nächstes Jahr vertrösten.

Das BIP wäre mit der Couch zwar auch um 3.000 € gestiegen, aber dabei hätte sich auch der Wohlstand der Maiers um eben diese schöne neue Ledercouch vermehrt.

Der Vergleich zwischen einem Auto, das nach wie vor fünf Sitze hat und dem Wohnzimmer der Maiers, in dem eine neue Couch steht, lässt erkennen, dass ein BIP-Wachstum nicht immer nur die helle Freude sein muss.

Gehen wir in die zweite Verlängerung:

Frau Maier, bitter enttäuscht, bricht in Tränen aus, und weil Herr Maier seine Frau nicht leiden sehen kann, kauft er die Couch trotzdem. 12 Monatsraten á 270 Euro werden fällig.

Das BIP steigt noch einmal um 3.000 Euro. Jedenfalls dann, wenn die Couch im Dezember gekauft wird und die erste Rate erst im nächsten Jahr fällig wird.

Im nächsten Jahr dürfte das BIP dann allerdings wieder sinken, und zwar um 3.240 Euro, weil Familie Maier ihre Konsumausgaben für 12 Monate um 270 Euro einschränken muss.

Nun sind die europäischen NATO-Staaten finanziell nicht besser dran als Familie Maier. Da hat kein Finanzminister einen  Milliardenbetrag auf der hohen Kante, der mal eben für noch mehr Rüstung ausgegeben werden könnte. Es bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder gleich sparen, also den Haushalt zu Gunsten der Verteidigung umschichten, was darauf hinausläuft, dass sich das BIP nicht verändert, oder Schulden machen und später sparen. Nun, mit den Staatsschulden ist es anders als mit dem Ratenkredit der Maiers, da will ich uns gar nichts vormachen. Staatsschulden werden nie wirklich getilgt. Man macht neue Schulden, um die alten zu tilgen und sorgt lediglich dafür, dass die Zinsforderungen der Gläubiger bedient werden, was natürlich auch auf dem Wege der Neuverschuldung zu bewerkstelligen ist.

Wenn nun Waffen produziert und eingelagert werden, mag das auf den ersten Blick so ähnlich aussehen, wie die neue Couch der Maiers, aber dieser erste Blick täuscht. Sie sind ja nicht zum Gebrauch bestimmt. Die werden in riesigen Depots gelagert und irgendwann entsorgt, wenn der technische Fortschritt darüber hinweggegangen ist. Da müssten die Maiers ihre Couch schon in den Keller stellen, und zwar in der ungeöffneten Versandverpackung, und sie nach zwanzig Jahren, wenn Leder als Bezugsstoff für Sitzmöbel absolut nicht mehr in ist, zur Sperrmüllabfuhr an die Straße stellen, wenn dieser Beschaffungsvorgang der militärischen Aufrüstung ähneln sollte.

Dass Aufrüstung nicht mehr Wohlstand schafft, dürfte damit bereits zur Hälfte bewiesen sein. Die andere Hälfte steckt in den 660.000 Arbeitsplätzen, die mit der Aufrüstung entstehen sollen. Daraus dürfte eine jährliche Lohnsumme von rund 50 Milliarden Euro resultieren. Das ist doch ein noch gewichtigeres Argument als die Herstellung der Verteidigungsfähigkeit. Da entsteht doch Wachstum ohne Ende! Da füllt sich die Staatskasse über zusätzliche Steuereinnahmen, die Sozialversicherungen freuen sich über 660.000 neue Beitragszahler und der gesamte Einzelhandel freut sich über wachsende Umsätze. Aufschwung!

Man fragt sich ernsthaft, warum noch nie ein Volkswirtschaftsprofessor auf die Idee gekommen ist, dies vorzurechnen. Man muss ja nicht Militarist sein, um auf diese Idee zu kommen. Die 660.000 zusätzlich eingestellten Arbeitskräfte bräuchten ja im Grunde gar nichts herzustellen. Man könnte sie einfach so bezahlen. Es kämen genauso 50 Milliarden zusätzliche Kaufkraft in den Markt. Und kaum ist das festgestellt, folgt die nächste Frage: Warum eigentlich nur 660.000, warum nicht 2 Millionen? Das wären 150 Milliarden zusätzliche Kaufkraft. Warum nicht alle 6 Millionen deutschen Arbeitslosen und Unterbeschäftigten beglücken? Da kämen 450 Milliarden neu in den Markt.

Der Haken ist bei kleineren Zahlen noch geschickt verborgen, bei den größeren Zahlen springt er direkt ins Gesicht: All dieses fantastisch viele Geld kommt nur in den Markt, weil sich der Staat vorher dafür verschuldet hat, und zwar bestenfalls so, dass für eine Milliarde zusätzlicher Lohnsumme nur zwei Milliarden zusätzliche Schulden aufgenommen werden müssen. Vermutlich wird das Verhältnis noch deutlich ungünstiger ausfallen. Denn das BIP der europäischen NATO-Staaten liegt bei rund 20 Billionen Euro. Davon 1 Prozent mehr für Rüstung entspricht 200 Milliarden Euro. Ein nicht exakt bestimmbarer Teil davon wird für Importe ausgegeben werden. Wegen der Anstrengungen, die Abhängigkeit von den USA aufzulösen, dürfte mehr als die Hälfte aus der Binnenproduktion kommen sollen, womit das Verhältnis leicht bis auf 3 : 1 ansteigen könnte.

Wie bereits ausgeführt, werden Staatschulden regelmäßig nicht wirklich getilgt sondern durch Neuverschuldung immer weiter in die Zukunft verschoben. Doch gänzlich ohne Effekte in der Gegenwart bleibt dieses Spiel nicht.

Das Warenangebot wird durch Aufrüstung nicht vermehrt. Es steigen aber die Geldmenge und die Staatsverschuldung.

Die steigende Geldmenge führt zu Inflation. Die steigende Neuverschuldung kann nur mit steigenden Zinsen für die Staatsanleihen realisiert werden, weil die Gläubiger am längeren Hebel sitzen und den Inflationsverlust über die Zinsschraube kompensieren können.

Gewinner der Aufrüstung sind die Rüstungsunternehmen und die Gläubiger.

Verlierer ist das Volk, das einen Teil seiner Leistungsfähigkeit für Rüstungsgüter einsetzt, statt seinen Wohlstand – und sei es in Form von schönen, neuen Sitzmöbeln – zu mehren, und zugleich über die Inflation um den Wert seiner Einkünfte und Ersparnisse gebracht wird.

Um Missverständnissen vorzubeugen:

Ich bin keineswegs Pazifist und nicht so naiv zu glauben, dass Deutschland ohne Militär ein sichererer Platz wäre. Ich glaube ja auch nicht, dass Deutschland durch die Öffnung der Grenzen sicherer geworden sei. Man muss in der Lage sein, sich gegen Erpressungsversuche und Okkupationsgelüste zu wehren. Dazu gehört ein gewisses Abschreckungspotential, aber auch der Wille, im Zweifelsfall die Waffen zum Einsatz zu bringen.

Ich bin aber auch nicht so naiv, zu glauben, dass sich der Verteidigungsbedarf eines Landes so einfach in Prozent vom BIP bestimmen lässt, ohne ernsthaft die realistisch möglichen Bedrohungsszenarien durchgespielt und analysiert zu haben.

Das Gerede von 2, 3 oder 5 Prozent vom BIP spiegelt nichts anderes wider als die Geschäftserwartungen der Rüstungsindustrie. Mit tatsächlichen Notwendigkeiten, mit realer Verteidigungsbereitschaft hat das nicht das Geringste zu tun.

Dass Donald Trump ganz aktuell erklärt hat, das Verteidigungsbudget der USA auf etwa die Hälfte zusammenstreichen zu wollen, bestätigt mich darin, dass diese Prozentzahlen frei aus der Luft gegriffen sind und mit den tatsächlichen Notwendigkeiten nichts zu tun haben.

Aufrüstung heißt immer, sich auf anderen Gebieten einschränken zu müssen.
Aufrüstung bedeutet Wohlstandsverlust für die Bevölkerung.
Aufrüstung führt grundsätzlich in die Inflation.

Von daher muss die Ausrüstung der Bundeswehr passgenau auf realistische Bedrohungsszenarien zugeschnitten sein und gewährleisten, dass der Schaden durch die Rüstung den durch Verteidigung vermeidbaren Schaden nicht übersteigt. Letzteres erscheint mir in der aktuellen Diskussion nicht berücksichtig zu werden.