Wieviel Arbeit ist genug?

Ein etwas aufmüpfiger Leser, von dem ich hin und wieder Post erhalte, hat mir gestern mitgeteilt, er habe – ohne bisher eine Antwort zu erhalten – die folgende Frage sowohl an Marcel Fratzscher, den Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, als auch an die Wirtschaftsweise Veronika Grimm gerichtet:

 

Guten Morgen (Frau Grimm, bzw. Herr Fratzscher),

wir hören ständig von Ihnen, dass wir mehr arbeiten sollen.
Wozu? Was muss denn noch produziert werden? Was fehlt denn noch?

Das BIP kennen Sie. Ich suche noch meine 50.000 Euro.
Wissen Sie, wo die sind?

Gruß

G. H.

Natürlich war diese Frage auf dem Berg von Ärger gewachsen, den die Politik, insbesondere die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik bei all jenen aufgetürmt hat, die „ein Leben lang hart gearbeitet haben“. Klingbeil bringt diese Floskel immer besonders geschmeidig ’rüber, aber nicht wenige fühlen sich davon inzwischen auf den Arm genommen, hat doch die SPD lange genug mitregiert und genau jene Politik mitgetragen, deren Ergebnis sich heute kaum noch schönreden lässt.

Kein Wunder, dass darauf nicht geantwortet wurde. Der gute Mann hat seine Frage dann auch noch an den Bund der Steuerzahler gerichtet, und als er von da auch nichts gehört hat, hat er den ganzen Kladderadatsch in eine Mail kopiert und oben drüber geschrieben:

Der Bund der Steuerzahler weiß auch nichts, aber der Egon könnte es wissen.

Meine erste Reaktion war es auch, einmal kurz zu grinsen und die Mail dann zu löschen. Eine kleine Weile später dachte ich mir allerdings: „So trivial ist diese Frage gar nicht.“ Also habe ich die Mail wieder aus dem Papierkorb geholt, mir die Fragestellung noch einmal durchgelesen und überdacht, und dann die nachstehende Antwort geschrieben.

Es geht darin ganz nüchtern und ohne Schnörkel um das Prinzip des arbeitsteiligen Wirtschaftens in einer Volkswirtschaft. Politische Dummheit, die zu Verwerfungen führt, wird dabei nur insoweit angesprochen, als es erforderlich ist, Entwicklungen zu erklären, die aus dem reinen Prinzip heraus nicht erklärt werden können.

Hallo, zusammen.

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach, man muss die Aufforderung, mehr zu arbeiten, nur richtig verstehen.

Zunächst einmal heißt es da: „WIR“ müssten wieder mehr arbeiten. Mit „WIR“ ist nicht speziell Frau Müller, Herr Meier oder Herr Kreutzer gemeint, sondern das Potential der Erwerbstätigkeit in der Volkswirtschaft.

Dieses Potential umfasst innerhalb der gesamten Bevölkerung, einschließlich der Zuwanderer, alle jene, die nicht mehr zur Schule gehen und noch nicht im Rentenbezug sind, und gesund und fit genug, um einer Arbeit nachzugehen.

Dabei ist Arbeit ja nicht Selbstzweck, Arbeit hat ihren Sinn auch nicht darin, dass es dafür einen Lohn gibt, obwohl das wichtig ist.

Der Zweck der Arbeit ist, dass Nützliches entsteht,

zum Beispiel Brot, Schuhe, Stühle, Autos, usw., bzw., dass nützliche Dienste verrichtet werden, zum Beispiel ärztliche Versorgung, Haare schneiden, Post zustellen, usw.

Nützliche Waren und nützliche Dienste sollten von den Erwerbstätigen in dem Umfang hergestellt werden, wie es dem Bedarf der Gesamtbevölkerung entspricht. Ideal wäre es, wenn am Ende jeder davon so viel erhalten würde, wie es der Leistung entspricht, die er selbst für die Gemeinschaft erbracht hat. Dafür fehlt uns leider ein vernünftig anwendbarer Maßstab, weshalb wir das Geld (Löhne und Preise) stattdessen als Maßstab nutzen. Das hat zwar erhebliche Schwächen, erfüllt seinen Zweck aber immer noch hinreichend.

Es ist eigentlich nicht schwer zu verstehen, dass eine Gesellschaft, die viel arbeitet und viel Nützliches hervorbringt einen höheren Wohlstand erreichen wird als eine Gesellschaft in der niemand mehr arbeitet, die also von Hilfslieferungen und Spenden abhängig ist.

Der Anteil der wirklich produktiv Tätigen, die also Nützliches erzeugen, und derjenigen, die nützliche Dienste verrichten, ist auf etwa 25 Prozent der Bevölkerung zurückgegangen, wobei gerade bei den Dienstleistern die Abgrenzung zwischen nützlich und notwendig, bzw. überflüssig und kostspielig schwierig wird.

Es ist aber die Wertschöpfung jener 25 Prozent, und es sind die daraus entstehenden Einkommen, von denen sowohl jene, die noch nicht oder nicht mehr arbeiten können, sowie jene, die nicht arbeiten, obwohl sie könnten, versorgt werden müssen.

So weit verstanden?

Dann kommt jetzt der schwierigere Teil.

Es heißt ja nicht einfach so:

Wir müssen mehr arbeiten.

Dazu gibt es ja eine Begründung, und die lautet:

… wenn wir unseren Wohlstand halten
oder sogar wieder steigern wollen.

Es wird den meisten leicht fallen, Beispiele dafür zu finden, wo unser Wohlstand geschrumpft ist. Ein Teil davon findet sich in der Inflation. Seit Einführung des Euro als Bargeld hat diese Währung schon 60 Prozent ihrer Kaufkraft verloren. Der Anstieg der Löhne hat mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. Es sind aber auch die maroden Straßen, die kaputte Bahn, die einstürzenden Brücken, die maroden Schulen, die geschlossenen Krankenhäuser, und überhaupt die gesamte öffentliche Infrastruktur, die verfällt. Auch das zählt zum schrumpfenden Wohlstand und darf bei dieser Betrachtung nicht vergessen werden.

Wie ist es dazu gekommen?

Da gibt es zwei Aspekte, die berücksichtigt werden müssen:

1. Die Produktivität und die Innovationskraft
Produktivität ist eine Kennzahl dafür, wie viel Wertschöpfung pro „Aufwand“ entstanden ist. Die Arbeitsproduktivität gibt die Wertschöpfung pro Arbeitsstunde an. Die Produktivität ist von Branche zu Branche unterschiedlich und innerhalb der Branchen von Betrieb zu Betrieb. Sie lässt sich aber auch als ein Durchschnittswert für eine ganze Volkswirtschaft ermitteln. Grundsätzlich gilt, dass da, wo sehr viel Handarbeit erforderlich ist, also zum Beispiel bei einem Reinigungsunternehmen, in dem hundert Frauen nachts mit dem Staubsauger durch Büroetagen ziehen, die Wertschöpfung pro Stunde gering ist und kaum über den Stundenlohn der Beschäftigten hinausgeht. Anders in der Chemie-Industrie, wo eine Handvoll Leute in einer Schaltwarte sitzen und von da aus Prozesse in riesigen, hochkomplexen Anlagen steuern und Tag für Tag Millionenwerte schaffen. Da erreicht die Wertschöpfung pro Stunde leicht das Hundert- oder Tausendfache dessen, was die Stunde der Reinigungskraft auf die Waage bringt. Auf den Mix kommt es an, ob eine Volkswirtschaft eine hohe oder eine niedrige Produktivität aufweist.

Das ist aber noch nicht das Problem. Das Problem stellt sich ein, wenn die Produktivität sinkt. Das ist in Deutschland – über alle Branchen hinweg gesehen – inzwischen der Fall. Die Ursache: Die Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung verschwinden, Stichwort „Deindustrialisierung“, stattdessen gibt es immer mehr Arbeitsplätze in „Billigbranchen“, vor allem heutzutage im Bereich der Paket- und Lieferdienste.

Damit sind wir auch schon beim ebenfalls zu berücksichtigenden Stichwort „Innovationskraft“. Deutschland ist in Bezug auf Erfindungen und Neuheiten international zurückgefallen. Gerade im Bereich der IT und insbesondere auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz spielen wir bestenfalls in der zweiten Liga. Was wir einst besonders gut konnten und immer noch können, beherrschen inzwischen auch unsere Konkurrenten. Das hat unsere Rolle auf dem internationalen Markt negativ beeinflusst, wobei auch im Binnenmarkt auf vielen Gebieten Importwaren in den Handel kommen und darüber wieder ganze Branchen in Deutschland untergehen. Denken Sie nur an die Unterhaltungselektronik, an Smartphones, an Solarzellen, an Windmühlenflügel … Kommt fast alles aus Fernost.

Unter allen Strichen entsteht in Deutschland weniger Nützliches, von dem die Bevölkerung ihren Wohlstand bezahlen könnte. Und von den Erlösen der geschrumpften Produktion fließt immer mehr an die ausländischen Exporteure ab.

2. Die Kostenentwicklung
Die zweite Ursache für den sinkenden Wohlstand finden wir in der Entwicklung jener Kosten, die nicht als Kosten der Arbeit zu Buche schlagen. Hier ist ganz besonders auf die Entwicklung der Energiekosten zu achten. Anders als die meisten Industrienationen dieser Welt hat Deutschland bereits vollständig auf die Nutzung der Kernkraft verzichtet. Die Kernkraftwerke haben einst etwa ein Viertel unseres Strombedarfs zuverlässig und sehr preisgünstig gedeckt. Mittlerweile sind wir emsig dabei, auch unsere Kohlekraftwerke abzuschalten und in die Luft zu sprengen. Zudem beziehen wir kein billiges Erdgas mehr aus Russland, sondern teures Fracking-Gas aus den USA. Und während wir viel Geld in Photovoltaik-Anlagen und Windmühlen investieren, sowie deswegen gigantische neue Stromtrassen bauen müssen, planen wir den Bau von rund 70 neuen Gaskraftwerken, für den Fall, dass Wind und Sonne nicht die Strommengen liefern, die wir brauchen.

Alle energieintensiven Branchen, wie Stahl, Papier, Zement, Düngemittel, Aluminium und viele andere, schließen Produktionsstätten und/oder wandern ins Ausland ab. Die steigenden Kosten für Benzin, Diesel und Heizöl belasten aber auch die privaten Haushalte stark, was dazu führt, dass in deren Budgets weniger Geld für andere Dinge übrig bleibt, was wiederum die Umsätze des Einzelhandels drückt.

Wer dennoch auf nichts verzichten will, muss mehr einnehmen, und das heißt für die meisten schlicht und einfach, dass sie mehr arbeiten müssen, wenn sie ihren Wohlstand halten und das Klima retten wollen.

 

Das sind die beiden ausschlaggebende Gründe dafür, dass in Deutschland wieder mehr Arbeit geleistet werden muss, wenn der Wohlstand erhalten oder sogar wieder gesteigert werden soll.

Aus diesen beiden Ursachen erwächst jedoch ein dritter Grund. Das ist die immer stärkende anwachsende Staatsverschuldung. Weil wir eben längst nicht mehr alles selbst produktiv schaffen, was wir alle miteinander verkonsumieren (und in Teilen auch noch investieren), sind wir dazu übergegangen den Unterhalt der staatlichen Verwaltung, der staatlichen Infrastruktur und des Sozialstaats auf Punp zu finanzieren. Staatsverschuldung zerstört aber zwangsläufig den Wohlstand von morgen, und darf daher nicht fahrlässig ausgeweitet, sondern muss radikal gebremst und auf das Unabwendbare begrenzt werden.

Zu erkennen ist mit den bisher genannten Ursachen aber auch, dass so ungefähr die Hälfte der Notwendigkeit, mehr zu arbeiten, auf die Regierungspolitik der letzten Jahre zurückzuführen ist, wie auch die Schuldenorgie, die Friedrich Merz jetzt veranstaltet, als Folge der Regierungspolitik, vor allem auch seiner eigenen, angesehen werden muss

Doch selbst,  wenn eine Regierung an die Macht käme, die fast alles richtig macht, bleibt immer noch unser technologischer und wissenschaftlicher Rückstand, der an unserem Wohlstand nagt. Dagegen anzukämpfen ist ein langwieriger Prozess, der für sich alleine noch einmal verdammt viel Anstrengung erfordert, und zwar Anstrengung von uns allen. Aus der deutschen Bevölkerung heraus müssen für Forscher und Ingenieure die Bedingungen geschaffen werden, die sie davon abhalten, jenen rund 200.000 gut ausgebildeten Experten und Fachkräften zu folgen, die jährlich unserem Land den Rücken kehren, weil sie anderswo weitaus bessere Voraussetzungen vorfinden. Nicht nur höhere Gehälter, auch schöne Wohnungen in sicheren Gegenden, gute Schulen für ihre Kinder, aber auch weniger, viel weniger Bürokratie, niedrigere Steuern und ein hohes Maß an persönicher Freiheit.

Es ist eine Gemeinschaftsanstrengung erforderlich, wenn es wieder vorwärtsgehen soll. Begriffen haben das, außer den LINKEn und den Grünen wohl inzwischen alle.

Es darf nicht verwundern, wenn auch die AfD diese Anstrengung fordern wird, ja fordern muss, sollte sie eines Tages (mit-) regieren. Allerdings wird der Zwang zur Mehrarbeit etwas gelinder ausfallen, weil die AfD auch bereit ist, da zu sparen, wo Milliarden verpulvert werden, ohne, dass die Deutschen einen Nutzen davon hätten. Beispiele dafür gibt es viele.

Union und SPD werden, das ist meine Einschätzung, die notwendige Kehrtwende von der  woken „Work-Life-Balance“ zu einer neuen „Leistungsgesellschaft“ nicht hinbringen. Zu groß die Angst, ihre Wählerklientel könnte ihnen von der Fahne gehen, wenn sie das, mit der Anstrengung und der Arbeit ernsthaft politisch umsetzen wollten. Stattdessen wird das Schuldenwachstum ungebremst weitergehen, sonst geht ja nichts, solange man nicht bereit ist, die ideologischen Scheuklappen abzulegen und den Tatsachen ins Auge zu sehen.

 

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