Wer bäckt eigentlich noch Brot?

Es ist nicht nur die Industrie, die schleichend von der Bildfläche verschwindet. Auch „Unser täglich Brot“ ist auf dem Rückzug. Es sind aber nicht nur die kleinen inhabergeführten Handwerksbäckereien, auch die Filialketten und sogar industrielle Großbäckereien verschwinden. Eine kleine, keineswegs vollständige Dokumentation:

 

Bäckereien, die in den letzten beiden Jahren
aufgegeben haben.

Jüngste Meldung oben

 

 

Name, Ort, Erläuterungen Mitarbeiter  Summe MA
Discher, Öhringen, Bäckerei, gibt auf 50 50
Verweyhen, Ahaus, Bäckerei, hat aufgegeben geschätzt
30
80
Nagorny, Glaucha, Filialbäckerei, hat Insolvenz beantragt geschätzt
30
110
Glockenbrot (REWE), Frankfurt, Bäckerei, das Werk in Frankfurt wird geschlossen 500 610
Wiskandt, Pforzheim, Bäckerei, stellt den Betrieb nach Insolvenzantrag ein 50 660
Schlereth, Knetzgau, Filialbäckerei, hat Insolvenz angemeldet 40 700
Henningsen, Husum, Filialbäckerei, hat Insolvenz angemeldet, 25 dürfen noch weiterbacken, 33 müssen gehen 33 733
Genussmanufaktur, Wildenheid, Bäckerei, hat Insolvenz angemeldet geschätzt
10
743
Lyck / Restez, Kiel, Bäckereien, haben Insolvenz angemeldet geschätzt
25
768
Schaefer, Illingen, Bäckerei, hat Insolvenz angemeldet mit 13 Filialen geschätzt
40
808
Krachenfels, Villingen-Schwenningen, Filialbäckerei, hat Insolvenz beantragt 210 1018
Ritz, Stulln, Filialbäckerei, hat Insolvenz angemeldet geschätzt
25
1043
Mäschle, Laupheim, Bäckerei, steht mit 14 Filialen im Insolvenzverfahren geschätzt
60
1103
Brothandwerker, Sulz, Filialbäckerei, ist insolvent geschätzt
15
1118
Kadel, Birkenau, Bäckerei, ist insolvent 35 1153
Sachse, Dohna, Bäckerei, das Unternehmen bäckt nicht mehr, die Filialen bleiben geschlossen 50 1203
Humpert, Werl, Bäckerei/Konditorei, steht in Insolvenz 80  1283
Sternenbäck, Hechingen, Großbäckerei, hat Insolvenz beantragt. Betroffen sind 123 Filialen mit 1000 Mitarbeitern 1000 2283
12 Monate von 06 24 bis 06 25
Back-Hans, Helbra, Bäckerei, das Insolvenzverfahren ist eröffnet, 40  2323
Kirsamer, Laichingen, Bäckereikette, Insolvenz in Eigenverwaltung, Rettung derzeit sehr schwierig geschätzt
65
2388
Stangengrüner, Lengenfeld, Großbäckerei, steckt seit Monaten in Schwierigkeiten und seit Februar im Insolvenzverfahren in Eigenverwaltugne, 550 Mitarbeiter in Produktion und 93 Filialen sind betroffen. Ich rechne damit, dass etwa die Hälft davon die Insolvenz überleben wird, weil das Bäckereigewerbe inzwischen zu weit abgestorben ist, als dass auf viele weitere Bäcker und ihre Filialen verzichtet werden könnte. geschätzt
250
2638
Schickentanz, Dortmund, Bäckerei, ist insolvent. Es wird nicht mehr gebacken. Die letzten Filialen sind dicht geschätzt
50
2688
Kayser, Neuenrade, Bäckereikette, hat Insolvenz beantragt 120 2808
Gehri, Titisee-Neustadt, Bäckereikette, ist dicht 160 2968
Derks, Kleve/Kranenburg, Bäckereikette, hat Insolvenz angemeldet 100 3068
Morgenstern, Mansfeld, Bäckerei (Back-Hans), hat Insolvenz beantraget 40 3108
Lila Bäcker, im wilden Osten, Bäckerei, mit 270 Filialen und 1600 Mitarbeitern, wollte sich per Insolvenz neu aufstellen. Am 24.10. habe ich geschätzt, dass dabei rund 400 Jobs entfallen werden. Nun ist Schicht im Schacht. Die Mitarbeiterzahl ist inzwischen auf 900 gesunken, und am 1.2. wird alles dichtgemacht. insgesamt
1600
 4708
Geiger, Villingendorf, Landbäckerei, ist insolvent und wird geschlossen gechätzt
40
4748
Zorn, Mannheim, Bäckerei, hat Insolvenz angemeldet geschätzt
20
4768
Biebelhausener Mühle, Ayl, Großbäckerei, hat Insolvenz beantragt. 550 5318
Heil, Saarbrücken, Bäckerei, ist insolvent geschätzt
20
5338
Brand, Kirchheim-Bolanden, Bäckerei, macht die Backstube und sieben Filialen dicht 60 5398
J&F Backmanufaktur UG +  Naukorn Manufaktur +  Bäckerei Buck + Adelbert, Ulm und um Ulm herum, Bäckereien, der Ofen ist definitiv aus. Die letzten 8 Mitarbeiter werden entlassen 8 5406
Stadtbäckerei, Achim, Backwaren, hat Insolvenz beantragt, in Zentrale und 32 Filialen sind 330 Mitarbeiter betroffen 330 5736
Moll, Kirchheim, Bäckereikette, macht mit 20 Filialen dicht, betroffen sind auch 30 Azubis geschätzt
117
5853
24 Monate von 06 23 bis 06 25
Ich könnte hier noch drei weitere Jahre mit der Dokumentation des Bäcker-Sterbens weitermachen. Es sieht genauso aus.

 

Nostalgie an

Als ich Kind war, gab es in meinem Heimatort, der Kleinstadt Neustadt bei Coburg mit ihren knapp über 13.000 Einwohnern, mindestens fünfzehn Bäckereien und zwei Konditoreien. Ich bringe sie nicht mehr alle zusammen. Es gab mindestens ebenso viele Metzgereien – und fast 100 Gaststätten. Ja. Tatsächlich. Die Gastronomie habe ich vor 60 Jahren einmal aufgelistet und gezählt. Teils winzig, mit nur drei Tischen und Flaschenbierausschank, wie der „Alte Fritz“, teils mit Saal für 500 und mehr Menschen, wie das „Schützenhaus“. Es gab auch drei Kinos und drei Brauereien, ein Krankenhaus, vier oder fünf Allgemeinärzte, zwei Zahnärzte und einen Augenarzt.

Aber ich will bei den Bäckereien bleiben.

In der Schützenstraße, wo wir wohnten, brauchte ich nur über die Straße zu gehen, um beim Fischers Beck einzukaufen, gegenüber gleich die Metzgerei Knauer und ein paar Schritte weiter der Milchladen, wo es wirklich nur Milch (und Sahne) gab, die aus dem großen Milcheimer in die mitgebrachte Milchkanne mit Messbechern aus Zinn abgemessen wurde.

Ging ich die Schützenstraße nicht hinauf, sondern hinab, stieß ich nach weniger als 100 Metern auf die Bäckerei Roos, deren Inhaber zugleich einen Kohlenhandel betrieb. 150 Meter weiter die Heubischer Straße hinunter lockte der Pik (Spitzname), also die Bäckerei Süßengut mit ihren feinen Kuchen und Torten, Brot und Brötchen. Der Pik ist wohl noch da, hat aber den Besitzer gewechselt. Daneben gibt es heute noch zwei andere: Der Oberender in der Austraße, wo meine Mutter einst ihre Christstollen im Backofen hat backen lassen, ist auch noch da, dazu jemand, der „Beiersdorfer Landbrot“ – wohl in der Filiale – verkauft, und natürlich die Großbäckereifiliale in der Edeka.

Nostalgie aus

Die Zeiten ändern sich. Bäckereien, die zu klein waren, oder kein ansprechendes Sortiment anbieten konnten, sind verschwunden. Die Einkaufs- und Verzehrgewohnheiten haben sich geändert. Es wird weniger Brot gegessen. Jeder kleine Lebensmittelladen hat inzwischen einen Ofen von Rational oder Wiesheu oder einer weniger bekannten Marke, in dem tiefgekühlte Rohlinge fertig aufgebacken werden. Spart den Weg zum Bäcker. Es wird auch kaum mehr zu Fuß zum Einkaufen gegangen, da spielt es keine Rolle, ob das Brot aus dem Laden über der Straße kommt, oder ob man sowieso ein paar Kilometer fahren muss und das Brot dann halt da mitnimmt. Der allgemeine Konzentrationsprozess hat auch vor den Bäckereien nicht halt gemacht.

Für das aktuelle Bäckersterben – und ich bin sicher, dass ich in meiner Arbeitsplatzvernichtungstabelle nicht einmal 10 Prozent der geschlossenen Bäckereien erfasst habe, weil eben nicht jede Betriebsaufgabe auch gleich einen Artikel in der Regionalzeitung mit sich bringt – gibt es allerdings drei andere Gründe:

  • Die katastrophale Energiepolitik, die jeden energieintensiven Betrieb in Schwierigkeiten bringt, 
  • der Personalmangel, weil Bäcker nun einmal Nachtarbeiter sind und körperlich schwer arbeiten müssen, und junge Leute, die sich für eine Ausbildung bewerben, entweder nicht die Mindestvoraussetzungen dafür mitbringen, oder die Lehre bald wieder abbrechen,
  • die Bürokratie, die auch den Bäcker in die Knie zwingt, was von der HACCP, mit ihren tausend Dokumentationspflichten bis zur Kassenzettelpflicht für ein einzelnes Brötchen reicht. Dazu die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze, die zu berücksichtigen sind, und auch der Mindestlohn. (Natürlich ist der Mindestlohn Bürokratie!).

Weil nach den Beschlüssen von CDU und SPD im Koalitionsausschuss auch hier wieder nur die große Backindustrie von den Energiekosten entlastet wird, wird es auch mit dem Bäckerhandwerk weiter abwärts gehen.

Ein Bäcker, der solchen Pfusch abliefert, würde schnell untergehen.

Die leichtgewichtige Politik schwimmt oben.

Den Bäcker kann man von einem Tag auf den anderen wechseln.

Von der regierenden oder mitregierenden SPD konnten wir seit 1998 gerade mal für vier Jahre befreien.

Eins noch:
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