Von der Arroganz der Macht

L’État, c’est moi

Ludwig XIV., auch als der „Sonnenkönig“ bekannt, hielt die absolute Macht in seinen Händen und ging klug und zielstrebig damit um. Dass er selbst sich als „den Staat“ begriffen hat, ist m.E. nicht verwunderlich. Der König war vielseitig gebildet, intelligent und erfolgreich. Seine Regierungszeit darf als die Blüte der absolutistischen Monarchie angesehen werden, innerhalb derer seine Überzeugung „L’État, c’est moi – Der Staat bin ich“ weniger Ausdruck von Arroganz als vielmehr ein grundsätzlich gerechtfertigtes, weil den Gegebenheiten enstprechendes Selbstverständnis war.

Zu den für mich bezeichnenden Gebräuchen unter seiner Herrschaft gehörte der Umgang mit dem Volk.

Im Prinzip stand jedem Untertan das traditionelle Recht zu, dem König Bittgesuche (placets) zu überreichen. Seit 1661 hat Ludwig XIV. jene Praxis reglementiert, zugleich aber auch gefördert. Der Monarch sah darin eine willkommene Möglichkeit, sich mit den unmittelbaren Sorgen und Nöten seiner Untertanen vertraut zu machen. Später wurde in Versailles jeden Montag im Raum der Garde des Königs ein großer Tisch aufgestellt, auf dem die Bittgesuche von ihren Überbringern deponiert wurden. Bis 1683 war der Marquis de Louvois, Staatssekretär für das Kriegswesen und Minister, für die Weiterleitung dieser Gesuche verantwortlich. Sie wurden danach von den zuständigen Staatssekretären bearbeitet und alsbald – mit einem entsprechenden Bericht versehen – dem König vorgelegt, der dann jeden Fall persönlich entschied. … 

( Klaus Malettke: Ludwig XIV. von Frankreich. Leben, Politik und Leistung. 1994, S. 75f., gefunden bei Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_XIV.)

Bedenkt man, dass Frankreich seinerzeit etwa 20 Millionen Einwohner hatte, und vergleicht dies mit den 83 Millionen Einwohnern der Bundesrepublik Deutschland heute, so fällt auf, dass die Verpflichtung zur öffentlichen Beratung einer Eingabe an den Petitionsausschuss erst bei 30.000 Mitunterzeichnern gegeben ist. Es fällt zudem auf, dass bei der letzen Reform des Petitionswesens die Forderung der Unionsparteien,

bei Petitionen, die mit dem höchstmöglichen Votum „zur Berücksichtigung“ überwiesen wurden, die Bundesregierung zu verpflichten, grundsätzlich in einer Ausschusssitzung zu erklären, warum sie – entgegen der Auffassung des Parlaments – keinen Handlungsbedarf sieht,

von der Regierungsmehrheit der Ampel-Fraktionen abgelehnt wurde.

Gerade weil die Bundesrepublik Deutschland seit über hundert Jahren keine Monarchie mehr ist, sondern eine parlamentarische Demokratie, dessen Parlament die Vertretung des Souveräns, also des gesamten Volkes sein soll, sich aber weitgehend zum Akklamationsapparat der Regierung entwickelt hat, weil die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive nur theoretisch, faktisch aber keinen Bestand hat, wird hierin ein Zipfelchen der Arroganz der Macht sichtbar:

  • Petitionen einzelner Bürger wird die öffentliche Beratung ihres Anliegens schon vom Petitionsausschuss verwehrt.
  • Dem Petitionsausschuss, der hier stellvertretend für das Parlament steht, darf die Regierung die Auskunft verweigern, warum sie – entgegen der Auffassung des Parlaments – keinen Handlungsbedarf sieht.

Im Jahresbericht 2023 des Petitionsausschusses, der vom Server des Deutschen Bundestages als PDF heruntergeladen werden kann, findet sich auf Seite 107 die tabellarische Aufstellung der 11.265 in diesem Jahre behandelten Petitionen nach Art der Erledigung. Zu 52 Prozent davon, nämlich 5.864 Petitionen, fand keine parlamentarische Beratung statt. In 774 Fällen wurde dem Anliegen entsprochen – was immer das heißen mag – während 123 Petitionen mit der höchsten Gewichtung „zur Berücksichtigung“ an die Bundesregierung überwiesen wurden. Was aus denen geworden ist, wird nicht ausgewiesen. Wir wissen aber, dass die Bundesregierung auch in diesen Fällen lediglich erklären kann, keinen Handlungsbedarf zu erkennen, ohne dies begründen zu müssen.

So sehr dies die landläufige Meinung bestätigt, dass Petitionen in der Regel sinnlos sind (nicht weil die Petition sinnlos wäre, sondern weil sie nichts bewirkt), sind wir bei der Würdigung der Arroganz der Macht doch erst bei jenem einen Schneeflöckchen angekommen, das als oberste Spitze des Eisbergs in Erscheinung tritt.

Bevor jedoch das betrachtet werden soll, was unter diesem Schneeflöckchen aufzufinden ist,  bedarf es noch einiger Gedanken zum Magnetismus der Macht.

Es gibt Menschen, die sich von der Macht angezogen fühlen, die Nähe der Macht suchen, sich der Macht andienen, sich unterordnen und eingliedern und der Macht damit das geben, was sie braucht, um ausgeübt zu werden, nämlich ihre Wirksamkeit. Es gibt andere Menschen, die sich von der Macht abgestoßen fühlen, die ihren Einflussbereich meiden oder gar versuchen ihn zurückzudrängen. Doch je größer die beherrschende Macht bereits geworden ist, je mehr ihr bereits anhängen, desto weniger gelingt es, eine Gegenmacht zu bilden.

Die einen geben dabei ihre Freiheit, ihren eigenen Willen in Teilen auf, und erhalten dafür materielle und ideelle Sicherheit. Die anderen kämpfen um ihre Freiheit und ihren eigenen Willen und nehmen dafür Risiken in den Konfrontationen mit der Macht in Kauf.

Demokratie wurde ersonnen, um einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen möglich zu machen, doch tendiert die Demokratie dazu, sich entweder in Richtung einer arroganten Macht, oder in Richtung Ziellosigkeit, Lähmung und Dekadenz zu entwickeln. Gelegentlich kommt sogar beides gleichzeitig zu voller Blüte.

Die letzten Tage der Zeit zwischen zwei Regierungen können durchaus Aufschluss darüber geben, in welche Richtung sich Deutschlands Demokratie bewegt. Entsteht eine neue arrogante Macht, die Außen- und Innenpolitik prägen wird, oder wird der Trend des Niedergangs seine Fortsetzung finden?

Außenpolitisch sind durchaus Ansätze für eine Fortsetzung und Verstärkung dessen zu beobachten, was Annalena Baerbock mit ihrer gradlinigen, die Diplomatie durch (arroganten) Feminismus ersetzenden Politik begonnen hat, was von Olaf Scholz gerade noch soweit eingebremst werden konnte, dass die Ukraine noch keinen Taurus auf Moskau feuern konnte, dass Xi immer noch deutsche Unternehmen in China produzieren lässt und Donald Trump Deutschland mit seiner Zollpolitik immer noch ziemlich privilegiert davonkommen lässt.

Die neue Regierung wird ihre Außenpolitik unter dem Motto „Kriegstüchtigkeit“ gestalten und lässt kaum einen Zweifel daran, sich schon heute im Glanz der künftigen Kriegstüchtigkeit zu präsentieren und dabei mit Frankreich und Großbritannien gegen Gott und die Welt, vor allem aber ohne die USA, gegen Russland zu paktieren. Inwieweit hier die Grenze  zwischen Fehleinschätzung und Arroganz bereits überschritten ist, wird sich erst zeigen, wenn die Regierung beginnt zu arbeiten. Da können harte Fakten durchaus zur schnellen Ernüchterung beitragen.

Finanzpolitisch hat schon die alte Regierung versucht, sich durch Tricksereien Freiräume zu verschaffen. Da absehbar war, dass damit gegen das Grundgesetz verstoßen wurde, war es einigermaßen arrogant, den Versuch dennoch zu wagen, in der Hoffnung, damit irgendwie durchzukommen. Das Bundesverfassungsgericht hat Einhalt geboten und damit auch viele teure Träume des Energiewendeministers platzen lassen, was u.a. den Sudden Death der E-Mobil-Kaufprämien nach sich zog.

Die neue Regierung hat in einer kaum zu überbietenden Dreistigkeit, noch gar nicht im Amt, noch ganz ohne Koalitionsvertrag, nicht nur das bereits abgewählte Parlament benutzt, um sich quasi unbegrenzte Mittel zu beschaffen, der künftige Kanzler hat damit in ebenso beispielloser Dreistigkeit, seine wichtigsten Wahlversprechen gebrochen. Die Dreistigkeit selbst war noch nicht von Arroganz gekrönt. Doch deutet vieles darauf hin, dass dem Dammbruch an der Schuldenbremse Akte der Arroganz im Abruf und in der Verwendung der Mittel folgen werden, wie auch – trotz der Geldschwemme – Steuererhöhungen und Einschnitte in die  Systeme der sozialen Sicherheit bald aus dem Raum der Andeutungen ihren Weg in den Gesetzgebungsprozess finden werden.

Die Arroganz der alten Regierung in Bezug auf die rigide Durchsetzung der Energiewende, beginnend mit der Abschaltung der letzen drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke, dem vorgezogenen Ausstieg aus der Kohleverstromung, dem abenteuerlichen Gebäude-Energiegesetz, der Festschreibung der Steigerung der CO2-Abgabe, und der Übernahme sämtlicher  EU-Richtlinien, jedoch in für Deutschland verschärfter Form, während der Rest der Welt sich kopfschüttelnd über den Selbstmord Deutschlands lustig machte, hätte man in dieser gnadenlosen Form allenfalls von Herrschern totalitärer Systeme erwartet.

Die neue Regierung hat beschlossen, den Weg zur CO2-Neutralität bis zum bitteren Ende weiter zu gehen und spielt auf der internationalen Bühne mit ihrer Anti-Trump-Attitüde ein gefährliches Spiel. Den Zugang zu günstigem Gas und Öl aus Russland haben wir uns selbst verbaut, die neue Abhängigkeit von US LNG aus Frackingförderung aber noch gar nicht begrifffen, sonst würde man Trump, der die Hand eben nicht nur an der Zollschraube hat, sondern auch an unserem Gashahn drehen kann, durchaus etwas freundlicher behandeln. Ist es Arroganz, was daran hindert?

Arroganz, Abgehobenheit, Hochmut ist ja leicht mit Dummheit zu verwechseln. Es ist aber nicht eine Dummheit des Nichtwissens und des fehlenden Verstandes, es ist eine Dummheit, die – mit Wissen und Verstand – aus einer Mischung aus Trotz und übersteigertem, falschen Stolz erwächst und bis zur Selbstvernichtung führen kann, wobei sie der Dummheit des Naiven, der das Krokodil doch nur streicheln wollte, bisweilen zum Verwechseln ähnlich sieht.

Das Machtkartell im Bundestag, das mit der Errichtung der Brandmauer gegen die AfD die Idee der Demokratie geradezu ad absurdum geführt hat, besteht über den Regierungswechsel hinaus unverändert fort. Was ist das anderes als unverhohlene Arroganz?

Verteidigung demokratischer Werte? Kann man die Demokratie retten, indem man sie in zwei Demokratien teilt, und einen Teil davon zu „unserer Demokratie“ erklärt. Tu ich mir schwer damit, das nachzuvollziehen.

Rettung der freiheitlich demokratischen Ordnung? Was ist die denn wert, wenn der Meinungskorridor darin so eng ist, dass man im Gegenverkehr nicht mehr aneinander vorbeikommt? Diesen Zustand hat aber weder das Grundgesetz so bestimmt, noch hat ihn die AfD aus der Opposition heraus geschaffen.  Wer Elon Musk verdammt, weil er X weitgehend zensurfrei gemacht hat, wer überall, wo Kritik aufkommt, nur Hass und Hetze zu sehen vermag, macht sich schlecht in der Rolle des Retters der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Ich wiederhole hier ein paar Sätze zum Magnetismus der Macht:

Es gibt Menschen, die sich von der Macht angezogen fühlen, die Nähe der Macht suchen, sich der Macht andienen, sich unterordnen und eingliedern und der Macht damit das geben, was sie braucht, um ausgeübt zu werden, nämlich ihre Wirksamkeit. Es gibt andere Menschen, die sich von der Macht abgestoßen fühlen, die ihren Einflussbereich meiden oder gar versuchen ihn zurückzudrängen. Doch je größer die beherrschende Macht bereits geworden ist, je mehr ihr bereits anhängen, desto weniger gelingt es, eine Gegenmacht zu bilden.

Die einen geben dabei ihre Freiheit, ihren eigenen Willen in Teilen auf, und erhalten dafür materielle und ideelle Sicherheit. Die anderen kämpfen um ihre Freiheit und ihren eigenen Willen und nehmen dafür Risiken in den Konfrontationen mit der Macht in Kauf.

„Demokratische Werte“ und die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ sind für das Machtkartell womöglich nur Worthülsen, die geschmeidig von der Zunge gehen, die innerhalb des Machtkartells auch weder hinterfragt noch explizit erklärt werden müssen, weil die tagesaktuelle und situationsgerechte Festlegung des Inhalts „unserer“ Demokratie, von Schuldenbremse bis Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, von Rentenkürzung bis Diätenerhöhung, sonst gar nicht möglich wäre.

Hinter den Worthülsen geht es natürlich auch um die ideelle und materielle Sicherheit. Die Gewissheit, zu den Guten zu gehören, innerhalb der Guten gut vernetzt zu sein, unterstützt und gefördert zu werden. Dafür gibt man durchaus Prinzipien und gelegentlich auch die Selbstachtung auf. Hauptsache: Die Macht ist mit mir.

Zu Zeiten Ludwig XIV soll der Hofstaat in Versailles bis zu 20.000 Köpfe gezählt haben. Der König war die Macht, der sie sich angedient und untergeordnet haben, und der König war die Macht der ihnen die materielle und ideelle Sicherheit gegeben hat.

Die Bundesregierung entspricht einem Hofstaat von ungefähr gleicher Größenordnung. Hier die Zahlen von 2018, als Antwort auf eine kleine Anfrage, veröffentlich in der Drucksache BT-Drucksache 19/7138. Inzwischen dürfte der Personalbestand gewachsen sein.

Ein König, dem sie sich angedient und untergeordnet haben, ein König, der die Macht verkörpert und ihnen materielle und ideelle Sicherheit bietet, existiert nicht. Dem Volk, das als Souverän an seine Stelle hätte treten sollen, wurden die Zugänge zur Macht so gut es geht versperrt. Alle paar Jahre einmal auf Wahlversprechen reagieren, die nicht eingehalten werden, das hat nichts mit Souverän zu tun. Keine Chance zu haben, über Volksabstimmungen Einfluss zu nehmen, weil diese schlicht und mit abenteuerlichen Begründungen verweigert werden, das hat auch nichts mit Souverän zu tun, und wo das Volk – gewitzt – sich eine neue Partei schafft, die als Alternative auftreten und das Machtkartell auflösen soll, stellt man das Parteiverbot in Aussicht, was mit Souverän schon gar nichts mehr zu tun hat.

So, ganz ohne König und ohne wahren Souverän, bieten sie sich eben selbst ihre ideelle Sicherheit, indem sie sich untereinander verschwören, die Guten zu sein, und versorgen sich – in hierarchischer Abstufung – aufgrund eigener Machtvollkommenheit selbst mit der erwünschten materiellen Sicherheit.

Wer wollte da noch behaupten, so etwas wie eine Arroganz der Macht gäbe es nicht.