Theaterdonner an den Börsen

Als es noch keine digitalen Tonkonserven und Mehrkanal-Lautsprechersysteme gab, hatte auch das kleinste fürstliche Landestheater für theatralische Szenen das Donnerblech in petto. Wirklich ein größeres Stück Blech, das so in Schwingung versetzt werden konnte, dass das Publikum dem akustischen Eindruck eines echten, mitunter gtefährlich lauten Gewitterdonners ausgesetzt wurde und manche zarte Seele ängstlich zusammenzuckte.

Donald Trump hat mit seiner Zollankündigung an den Börsen übers Wochenende einen ähnlichen Effekt ausgelöst. Die zarten Seelen der so genannten „Investoren“ zuckten ängstlich zusammen und trennten sich in Panik von den zuletzt auf Höchstkurse getriebenen Papieren, dass es den Händlern an den Börsen den Angstschweiß auf die Stirne getrieben hat. Als sich am Dienstag die Wogen glätteten und das Schlimmste überstanden war, hatte der DAX die Hälfte seiner Gewinne aus den letzten acht Monaten wieder verloren, die andere Hälfte war nach wie vor in trockenen Tüchern.

17.024 Punkte am  6. August 24, (100%)
23.476 Punkte am 18. März 25,   (138%)
20.160 Punkte am  8. April 25   (118%)

Wo ist die Tragödie?

Dass Anleger sich von Aktien trennen, obwohl der aktuelle Kurs unter dem seinerzeit gezahlten Einstandskurs liegt, ist deren Problem. Jeder einzelne wird seinen Grund dafür gehabt haben, einen Verlust zu realisieren. Wie hoch der Anteil solcher Verkäufe beim jetzigen Kursrutsch war, wird kaum herauszufinden sein. Es erscheint mir jedoch sicher, dass der Anteil jener Verkäufe, die erfolgten, um den zwischenzeitlich erzielten Kursgewinn zu realisieren, bevor die Kurse unter den Einstandskurs fallen, deutlich größer war.

Börsengeschäfte sind nun einmal eine Sonderform des Glücksspiels.

Der Spieler kauft sich Lose, die von bestimmten Veranstaltern emittiert wurden, in der Annahme, diese Lose im richtigen Augenblick mit Gewinn an andere Spieler weiterverkaufen zu können. Der richtige Augenblick ist der Zeitpunkt, zu dem er glaubt, den höchsten – auf absehbare Zeit – erzielbaren Preis dafür zu bekommen. Sein Verkauf ist eine Wette mit dem Käufer, dass der Preis nicht weiter steigen oder sogar fallen wird. Der Käufer hingegen wettet darauf, dass der Preis noch steigen wird.

Wo ist die Tragödie?

Nette Menschen, sogar der nette Herr Markus Gürne von der ARD Börsensendung „Wirtschaft vor acht“, erzählen immer davon, dass „der Mensch“ Finanzwissen brauche, um sein Vermögen nicht nur vor der Inflation zu retten, sondern sogar durch geschickte Anlage noch zu vermehren. Das ist nicht einmal falsch, es stimmt halt nur nicht wirklich.

Um diese Einschätzung nachvollziehen zu können, ist es wichtig, den Unterschied zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft zu erkennen. Das sind zwei Sphären, die lediglich auf dem Weg des Geldtransfers von der einen in die andere Sphäre miteinander verbunden sind. Dieser Geldtransfer findet permanent in beide Richtungen statt, wobei der Saldo aus Zu- und Abflüssen in beiden Sphären das Verhältnis zwischen Angebot und Kaufkraft (Nachfrage) verändert.

In der Regel überwiegt der Abfluss von Geld aus der Realwirtschaft in die Finanzwirtschaft den umgekehrt gerichteten Geldfluss, weil realisierte Gewinne aus der Produktion von Waren und Dienstleistungen nicht konsumiert oder in Produktionsmittel reinvestiert werden, sondern in Finanzanlagen aller Art fließen.

Dieser Prozess wirkt spürbar dämpfend auf die Inflation in der Sphäre der Realwirtschaft. Klar, wenn Kaufkraft abfließt, wird der Spielraum für Preiserhöhungen kleiner. Dieser Kaufkraftabfluss belief sich in Deutschland 2024 netto – also nach Abzug von Abschreibungen – auf etwa 300 Milliarden Euro, was etwa 11 Prozent der  Einkommen der privaten Haushalte entspricht. Wären diese 300 Milliarden bei unverändertem Warenangebot in den Konsum geflossen hätte das die Inflationsrate bis zu diesen 11 Prozent in die Höhe schießen lassen. Es ist allerdings anzunehmen, dass andererseits das Warenangebot zugenommen hätte, u.a. durch vermehrte Importe, so dass die tatsächliche inflationäre Wirkung kleiner ausgefallen wäre. Dennoch: Der Effekt als solcher muss berücksichtigt werden.

Noch wichtiger ist der umgekehrte Effekt in der Finanzsphäre. Gerade der Handel mit Aktien ist ja auf eine bestimmte Anzahl emittierter Stücke begrenzt, die nur durch Börsenneulinge oder Kapitalaufstockungen bestehender Aktiengesellschaften hin und wieder etwas vergrößert wird. Einem ziemlich konstanten Angebot steht so eine alljährliche wachsende Menge anlagesuchenden Kapitals gegenüber. Wobei das frische Kapital durchaus bereit ist, höhere Kurse zu akzeptieren. Natürlich „atmet“ dieses Kapital, zieht sich gelegentlich in die Märkte der Festverzinslichen, der Derivate, der Termingeschäfte und der Edelmetalle zurück, kommt dann aber auch wieder an den Aktienbörsen zum Einsatz, so dass als gesichert angenommen werden kann, dass der langjährige Aufwärtstrend an den Aktienbörsen den aus der Realwirtschaft abgezogenen Geldüberhang als Inflation der Finanzanlagen zum Vorschein kommen lässt. Die Gewinne der Aktiengesellschaften sind nicht in einem Ausmaß gestiegen, dass sich die Kursgewinne der Aktien aus den zur Ausschüttung gelangenden Dividenden begründen ließen.

Üblicherweise wird das, was dabei entsteht, eine „Blase“ genannt. 

Spezialisten schaffen es, ungeahnt riesige Gebilde aufzublasen.

Der besondere Vergrößerungseffekt an der Börse entsteht nun noch dadurch, dass der gesamte Aktienbestand mit dem zuletzt erreichten Kurs bewertet wird, der in Wahrheit aber nur jenem Bruchteil der zuletzt gehandelten Stücke entspricht. Würden alle Aktionäre ihre Aktien eines bestimmten Unternehmens gleichzeitig zum Verkauf anbieten, der Kurs würde unmittelbar vollständig zusammenbrechen. Das Unternehmen selbst würde davon allerdings in keiner Weise berührt. Es bliebe unverändert produktiv und unverändert rentabel.

Der Begriff „Börsenkapitalisierung“ ist – außer vielleicht am Tag einer Neu-Emission – eine vollkommen sinnlose, irreführende Kennzahl, die weder etwas über den Wert eines Unternehmens noch über den tatsächlichen Wert seiner Aktien aussagt. Es ist eine Projektion einer Laune der Anleger, sonst nichts.

Was hat Donald Trump nun angerichtet, mit der großen Zollankündigung?

An den Börsen wurde eine vollkommen sinnlose, irreführende Kennzahl korrigiert. Ein kleiner Teil der Anleger hat, ob aus Angst oder aus einer Notlage heraus, mit Verlust verkauft. Ein anderer kleiner Teil der Anleger hat versucht, die seit dem Ankauf verzeichneten Kursgewinne durch schnellen Verkauf noch zu mitzunehmen. Der größte Teil der Anleger hat seine Aktien nach wie vor im Depot und kann weiter auf den richtigen Augenblick warten, bis er seinen Mitspielern eine Wette auf fallende Kurse anbietet und diese zum gewünschten Preis zuschlagen.

Dass einige besonders schlaue Verrückte ihre Aktien als Kreditsicherheit verpfändet haben und nun nachschießen müssen, oder die Aktien gleich auf Pump erworben haben und nun mit der Bedienung des Kredits in Schwierigkeiten kommen, dafür kann Donald Trump nichts. Wer ins Risiko geht, muss mit Turbulenzen rechnen.

Was Trump angestoßen hat, und was seine Wirkung erst mittel- bis langfristig entfalten soll, ist ein Umbau der globalen Waren- und Geldströme, sowohl im Bereich der Realwirtschaft als auch in der Sphäre der Finanzwirtschaft.

Was kaum jemand begreifen will, ist die Tatsache, dass er das alte Geschäfts- und Wohlstandsmodell der USA beenden will. Er will erreichen, dass die Exportnationen in aller Welt nicht mehr länger mit grün bedrucktem Altpapier bezahlt werden, sondern mit in den USA produzierten Waren.

Er will eine weltweite Vermehrung des Wohlstands herbeiführen, weil in seiner Vision nicht mehr 300 Millionen Amerikaner in aller Welt auf Pump einkaufen, sondern wieder deutlich mehr zur weltweiten Produktion und damit zum weltweiten Wohlstand beitragen.

Das ist eine wunderbare Vision!

Die USA bezahlen nicht mehr mit Schuldscheinen, sie bezahlen mit ihrer Leistung. Dass heißt, dass die Amerikaner wieder mehr arbeiten müssen, um ihren Lebensstandard zu erhalten, und das heißt, dass in den USA die notwendigen Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Es heißt nicht, dass diese in Konkurrenz zu anderen Volkswirtschaften entstehen sollen, sondern zur Entlastung anderer Volkswirtschaften.

Das ist ein vollkommener Paradigmenwechsel.

Und es ist die Rückkehr zu volkswirtschaftlicher Vernunft und zum Ziel ausgeglichener Leistungs- und Zahlungsbilanzen. Volkswirtschaften mit hoher Produktivität werden nicht mehr (zu Dumpingpreisen) fremde Märkte überschwemmen, sondern bei hohen Löhnen zu kürzeren Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeiten gelangen.

Darauf mit einem Kurssturz an den Börsen zu reagieren, ist ein Signal des alten Denkens, des „Nichts-abgeben-Wollens“: keinen Gewinn, keinen Marktanteil, nicht einmal die Arbeit …

Ich will das heute noch nicht weiter ausmalen. Das Ding ist zu groß, um es in ein paar Zeilen eines Tageskommentars abzuhandeln. Ich möchte Sie aber dazu animieren, Trumps Politik einmal unter diesem Aspekt zu überdenken.

Dabei sollte es gleichgültig sein, was ihn dazu bewegt haben mag. Ob die Angst um den Dollar als Leitwährung, ob die Sorge um das Zusammenbrechen der USA unter der Schuldenlast von Staat und Privaten, ob es einfach nur sein Versprechen, Amerika wieder groß zu machen, gewesen sein mag – das erkennbare Ziel weist weit über alles das hinaus.