Syrien – was war das denn? Blitzkrieg? Putsch? Verschwörung?

Heute Morgen frisch aus dem Ticker:
Damaskus ist gefallen.

Noch am Freitag habe ich mit einem Syrer über den Überfall auf Aleppo und das Vorrücken der

Rebellen/Aufständischen/Terroristen/Gotteskrieger, Djihadisten und ISIS-Kämpfer

auf Homs gesprochen, die sich unter einer neuen Bezeichnung anschickten, Syrien zu erobern/befreien/unterwerfen, und mein Gesprächspartner meinte, was sich da ereigne sei vollkommen unvorstellbar und könne nicht mir rechten Dingen zugehen. „Das ist abgesprochen“, meinte er, „anders ist es nicht zu erklären.“

Nun sind die bärtigen Barfußsoldaten also am Ziel. Es gibt eine Proklamation, mit der ein neues, Assad-freies Syrien in Friede, Freude und Eierkuchen verheißen wird, und ich denke, nicht nur ich reibe mir verwundert die Augen.

Man stelle sich vor, dass eine bis an die Zähne mit modernsten Waffen hochgerüstete israelische Armee ein ganzes Jahr damit zu tun hatte, den lächerlich kleinen Gaza-Streifen unter Kontrolle zu bringen, und da ziehen – niemand weiß, wie viele – Kämpfer mit praktisch ungeschützten Pickups im Handumdrehen durch ganz Syrien und nach nicht ganz zwei Wochen haben sie es geschafft. Assad ist geflohen, Syrien ist ihnen wie ein reifer Apfel in die Hände gefallen.

Klar ist lediglich, dass diese Kämpfer von der Türkei unterstützt wurden. Unklar ist aber, wie weit diese Unterstützung reichte. Man muss davon ausgehen, dass Erdogan für die Bewaffnung gesorgt hat, man kann unterstellen, dass das türkische Militär logistische Hilfestellung geleistet hat, aber es sieht nicht so aus, dass türkische Truppen direkt eingegriffen hätten.

Von der anderen Seite her dürfte dieser Angriff von Israel durchaus gebilligt, wenn nicht begrüßt worden sein. Man glaubt vielleicht, man hätte es, wenn man vom Golan aus auf Syrien schaut, jetzt nicht mehr mit der vom Iran aufgerüsteten Hisbollah zu tun, sondern mit einem anderen, leichter zu beherrschenden Gegner.

Aber was da passiert ist, dieses Totalversagen der syrischen Armee, die nicht erkennbare Unterstützung durch Russland, die nicht erkennbare Unterstützung durch den Iran, über die vor wenigen Tagen noch so spekuliert wurde, dass der Iran und eventuell auch der Irak mit Bodentruppen zu  Hilfe eilen werde, das ergibt alles keinen Sinn, es sei denn, die syrische Armeeführung hätte sich mit den von Norden her einrückenden Kämpfern vorab verständigt, keinerlei Widerstand zu leisten. Es gab ja auch keine nennenswerte Berichte über Kampfhandlungen. Berichtet wurde nur vom Vorrücken, und jetzt, im Nachhinein betrachtet, muss es sich tatsächlich um so etwas wie eine Spazierfahrt nach Damaskus gehandelt haben.

Die Ansage, Russland hätte keine Kräfte zur Verfügung gehabt, um einzugreifen, halte ich für eine ausgesprochen naive Annahme. Russland hätte trotz des Ukraine-Krieges immer noch mehr als genug Kräfte zur Verfügung, um seine beiden Mittelmeerstützpunkte in Syrien zu verteidigen. Nach bisherigen Informationen wurden diese allerdings auch gar nicht angegriffen. Womit denn auch?

Alles in Allem neige auch ich dazu, dass es sich um eine Verschwörung zum Sturz Assads handelt, die im ersten Schritt gelungen ist. Im zweiten Schritt dürften die syrischen Generäle im Verein mit den „Rebellen“ in Syrien die Macht übernehmen und versuchen, das Land zu stabilisieren. Welche Zugeständnisse im Vorfeld an die Türkei gemacht wurden, wird sich noch herausstellen müssen. Es sieht jedenfalls so aus, dass nach der Niederschlagung der Hamas im Gazastreifen und der Niederschlagung der Hisbollah im Libanon, nun die bewaffneten Vorfeldorganisationen des Iran in Syrien ebenfalls entmachtet werden.

Dies lässt die Vermutung aufkommen, dass nicht nur die Türkei, sondern auch die USA in Planungen und Vorbereitungen involviert waren.

Was die russischen Mittelmeerstützpunkte anbelangt, könnte es sich um die bevorstehende Inszenierung von „Krim 2.0“ handeln.

 

Was mir bei alledem im Hintergrundrauschen durch den Kopf ging, war die Frage, wie ein hypothetischer Angriff von einigen Zehntausend leicht bewaffneter, aber hochmobiler Gotteskrieger, die sich in Rendsburg versammelt hätten, um gänzlich unerwartet  loszustürmen, erst Hamburg, dann Frankfurt am Main einzunehmen und weiter auf die heimliche Hauptstadt München zu stürmen, von der Bundeswehr zurückgeworfen worden wäre. Da stellt sich natürlich zuerst die Frage nach den Entscheidungen der politischen Führung, dann aber sofort die Frage nach den Ressourcen der Bundeswehr und den logistischen Möglichkeiten, sie gegen die Angreifer in Stellung zu bringen. Man bedenke: Dieses Szenario dürfte in den strategischen Planspielen der Bundeswehr noch nicht vorgekommen sein. Es träfe uns – anders als Syrien, wo die in Idlib konzentrierte Gefahr bekannt und berücksichtig war – weitgehend unvorbereitet.