
Wissenschaft: Auch die Schwerkraft schickt keine Rechnung
Sensationelle Wiederentdeckung im Louvre. Erste Energiewende schon vor 5.000 Jahren. Französische Archäologen sind ganz und gar aus dem Häuschen.
Um die Bedeutung dieses Fundes vollumfänglich ermessen zu können, ist eine kurze Schilderung der Fundgeschichte unumgänglich.
Bei Entrümpelungsarbeiten in den Depots des Louvre entdeckte die Reinigungsfachkraft Marie Dollfaré am 18. September 1982 fünf unscheinbare Zigarrenkisten von sehr hohem Gewicht. Ihre Frage: „Ist das Kunst, oder kann das weg?“, konnte der herbeigerufene Museumsdiener nicht einschlägig beantworten. Erst ein Experte für alte Schriften identifizierte den Inhalt der Zigarrenkisten als vermutlich sumerische Keilschrifttäfelchen und ließ den Fund an sein archäologisches Labor an der Sorbonne überführen. Nach über 40 Jahren intensivster, akribischster Forschung hat das dortige Institut für frühzeitliche Artefakte nun die Bombe platzen lassen.
Relativ einfach war es, darzulegen, wie die Täfelchen ihren Weg in den Louvre gefunden hatten. Napoleonische Geologen unter der Leitung von Michel Francoise hatten bei Explorationen in der inneren Mongolei in einer Tiefe von etwa sechs Metern eine gut erhaltene, vollständig versteinerte Jurte gefunden. In deren Inneren schließlich mehrere hundert Tontäfelchen mit unbekannten Schriftzeichen. An den Abtransport der versteinerten Jurte war nicht zu denken. Die Tontäfelchen jedoch wurden fein säuberlich in genau jene Zigarrenkistchen verpackt, die dann 1982 erstmals wieder geöffnet wurden.
Schwieriger war es, die Keilschrift zu entziffern. Die Zeichen ähnelten zwar den bekannten sumerischen Schriftzeichen, hatten aber offenbar abweichende Bedeutungen, die in mühevoller Detektivarbeit erst noch entschlüsselt werden mussten.
Am Ende war ein in sich schlüssiger Text rekonstruiert, bei dem es sich nach Auffassung aller damit befassten Experten mit höchster Wahrscheinlichkeit um den von Eric dem Dänen lange vorgesagten, bisher jedoch vermissten Anhang A zum so genannten Gilgamesch-Epos handeln müsse, in dem Utnapischtim den Stand der Technik vor der großen Flut für die Nachwelt beschrieben hat.
Dies wäre für sich keine Sensation. Die frühzeitlichen Werkzeuge und Techniken sind uns gut bekannt. Die Sensation steckt in jenem Schlussabschnitt, in dem Utnapischtim vom Heraufziehen eines goldenen Zeitalters berichtet, das sich in erfolgversprechenden Experimenten der führenden Wissenschaftler bereits abzeichnet und allen Menschen ein sorglos-erfülltes Leben ermöglichen würde.
Es ging darin um die Abschaffung von Pferden und Ochsen. Pferde und Ochsen würden immer noch einen Großteil der Nutzpflanzen beanspruchen, weshalb die Menschen gezwungen seien, Tiere zu jagen und zu essen, um nicht zu verhungern. Zudem seien durch den intensiven Gebrauch von Pferden und Ochsen als Zug- und Lasttiere vor allem in den Städten, aber auch in den Dörfern und nicht zuletzt auf allen Straßen unterträgliche hygienische Zustände entstanden, so dass, wer ohne Wagen wandern wollte, knöcheltief durch den Kot waten musste.
Dies war ein Übel, galt aber lange Zeit als Naturgesetz, dem sich die Menschheit beugen müsse, wolle der Mensch nicht wieder selbst schwere Lasten tragen und den Wagen ziehen. Man hat es in Kauf genommen.
Utnapischtim berichtet dann aber von den vergleichenden Lehren des hochgerühmten Gelehrten Abeckulus, dessen Kerzengleichnis alle Köpfe erhellte.
„Des Nachts“, so dozierte er, „gebrauchen wird Kerzen und Öllampen, um uns Licht zu schaffen. Doch des Tags verzichten wir darauf, denn es scheint uns die Sonne, und die Sonne schreibt keine Rechnung.“ Das war klar, dem konnten alle folgen, auch wenn sich die wenigsten dieses Zusammenhangs bis dahin bewusst waren. Doch als der Groschen erst einmal gefallen war, hingen sie alle umso gläubiger an seinen Lippen.
Also fuhr er fort: „Wenn wir also, liebe Leute, Pferde oder Ochsen vor unsere Wagen spannen, damit sie mit ihrer Kraft den Wagen auf den Hügel hinauf ziehen, dann ist das doch nichts anderes, als in der Nacht das Licht von Kerzen und Öllampen zu benutzen. Da fragt man sich doch, warum wir Pferde und Ochsen auch dann noch vor dem Wagen angespannt lassen, wenn es hügelabwärts geht. Die „Fallkraft“, über die in letzter Zeit viel gesprochen wurde, ist doch wie das Licht der Sonne. Sie zieht den Wagen statt der Pferde und Ochsten zuverlässig vorwärts.“
Kritischen Stimmen, die einwendeten, es ginge nun einmal auf den Straßen dieser Welt nicht immer nur bergab, entgegnete er kurz und bündigt:
„Das ist auch gar nicht erforderlich. Jeder Weg, der am Ende zu seinem Ausgangspunkt zurückführt, hat genau so viele Höhenmeter Anstieg wie Abstieg. Wir können also – pauschal betrachtet – die Hälfte unserer Pferde und Ochsen einsparen und damit schon einmal die Hälfte des Mists auf unseren Straßen vergessen. Das Schönste daran aber ist: Es ist alles umsonst. Die Fallkraft schickt keine Rechnung!“
Die Begeisterung kannte keine Grenzen. Schnell wurde eine Versuchsstrecke eingerichtet, draußen vor der Stadt, wo sich ein hübscher Hügel aus der Ebene erhob.
Abeckulus machte den Anfang, ließ sich samt Wagen von seinem Pferd den Hügel hinaufziehen, spannte den Rappen aus und band ihn an einen Baum, um nachher mit Juchhei, nur von der kostenlosen Fallkraft gezogen, den Hügel in Richtung Stadt wieder hinunterzufahren.
Alle wollten es ihm nachmachen, alle spannten ein, fuhren die Hügel hinauf, spannten aus und rollten – wie von Geisterhand bewegt – auch wieder hinunter.
Am Abend, als die Kerzen angezündet wurden, standen um die hundert Pferde, an Bäume angebunden oben auf dem Hügel. Unmut machte sich breit und spöttische Stimmen wurden laut. Aber Abeckulus lachte nur.
„Leute! Das war doch nur der Nachweis, dass es funktioniert! Ihr habt es alle selbst erlebt, wie einfach es ist, das unerschöpfliche Potential der Fallkraft zu nutzen. Natürlich habe ich eine Lösung für das kleine Restproblem. Es muss ein zweiter Wagen für die Pferde mitgenommen werden. Hinauf ziehen die Pferde den leeren Wagen locker mit, und wenn es hinab geht, fahren die Pferde auf dem zweiten Wagen zu Tal. Auf! Lasst uns viele neue Zweitwagen bauen.“
Da zogen sie mit ihren Pferdewagen in die Wälder, schlugen Baum um Baum und bauten daraus ihre zweiten Wagen. Vergaßen dabei auch nicht, Platz für einen gewissen Vorrat an Wasser, Heu und Hafer für die Pferde vorzusehen, und als bis an den Horizont kein einziger Baum mehr zu sehen war, wiederholten sie das Fallkraft Experiment frohen Mutes.
Es zeigte sich, dass ein Pferd alleine an einer besonders steilen Stelle des Hügels nicht ausreichte, um die Last der beiden Wagen zu bewältigen. Weil es die Fallkraft aber ermöglichte, die Hälfte der Pferde einzusparen, erklärte Abeckulus dem Volk, das sei gar kein Problem. „Ihr könnt bedenkenlos zwei Pferde einspannen, um den Hügel hinauf zu fahren. Gar kein Problem. Wenn es den Hügel wieder hinunter geht, spart ihr euch doch auch wieder zwei Pferde ein! Zwei Pferde minus zwei Pferde“, rechnete er vor, „sind null Pferde! Die Fallkraft übernimmt jetzt die ganze Arbeit. Da werden unsere Straßen auch bald ganz frei von Mist sein, denn null Pferde können auch nur null Pferdeäpfel produzieren!“
Ein paar Tage lang vergnügten sich die Menschen nun am Hügel. Hoch mit Pferdekraft, runter mit der Fallkraft, bis ein besonderer Schlaumeier die Frage stellte, warum denn immer noch frische Pferdeäpfel dampfend auf der Straße lägen.
Selbst Abeckulus war verwundert und verordnete sich eine Nacht intensiven Nachdenkens.
Am nächsten Tag trat er wieder auf den Marktplatz und verkündete:
„Es ist der Überschuss an Pferdekraft, der hügelabwärts ungenutzt verpufft. Diese Kraft einzufangen und zu speichern würde es womöglich sogar erlauben, wieder mit nur einem Pferd und der eingefangenen Überschusskraft den Hügel hinauf zu fahren. Man könne ja auf den Pferdewagen ein Laufrad errichten, so wie es auch von den Hamsterrädern bekannt ist, in dem die Pferde bei der Talfahrt laufen und dabei ein großes Schwungrad in Schwung bringen, das trotz gewisser Verluste die Energie speichern werde, die dann bei der Bergfahrt wieder angezapft werden könne.“
Also ging es wieder hinaus in die Wälder hinter dem Horizont und in die Steinbrüche und es wurden Schwungräder geformt und Laufräder gebaut und alles auf neuen, viel größeren Wagen installiert.
Allerdings hatte sich die Last damit mehr als nur ein bisschen vergrößert, so dass nicht daran zu denken war, mit diesem Gespann und nur zwei Pferden den Hügel zu bewältigen. Es mussten vier Rosse her – und dann stelte sich heraus, dass die Laufräder überhaupt nur für ein Pferd ausgelegt waren, so dass am Ende mehr Pferde auf dem Hügel standen als je zuvor und als die heimgeholt worden waren der Mist auf den Straßen den Menschen bis ans Knie reichte.
Utnapischtims Bericht endete in kraftvollen Versen, voll des Lobs für die Bürger, die sich – nicht nur ohne Murren, sondern mit sichtlicher Begeisterung – für den Fortschritt einsetzten und schon die Vier-Pferd-Version der Fallkraft-Nutzung für einen großen Schritt auf dem Weg in eine mistfreie Zukunft begrüßten. Auch Abeckulus wurde ausdrücklich ob seines unerschrockenen Wirkens für die Zukunft gelobt. Jeder andere hätte längst aufgegeben. Aber der Visionär ist durch Rückschläge nicht zu stoppen.
Er, Utnapischtim, müsse nun leider weiterziehen, er sei aber überzeugt, dass das große Ziel der mistfreien Straßen mittels Fallkraftnutzung schon sehr bald erreicht werden könne und wünsche Abeckulus und seinen Freunden baldigen, vollkommenen Erfolg.
Eric der Däne sieht sich in seinen Forschungen bestätigt. Es fehle nun nur noch der Anhang B, in dem fraglos über die tatsächliche Beherrschung der Fallkraft berichtet werde. Doch selbst wenn dieser Anhang nie aufgefunden werden sollte, müsse uns diese frühe Schilderung einer Energiewende steter Ansporn sein, die eigenen Anstrengungen keine Sekunde lang in Frage zu stellen.
Es geht immer weiter! Die Keilschrifttäfelchen aus den Zigarrenkisten im Louvre beweisen es.
Außerdem steht doch außer Frage, dass wir technisch längst viel weiter sind. Unsere Wagen, die schon lange ohne Pferde auskommen, haben in den beliebtesten Ausführungen stattdessen gleich zwei Motoren und zwei Energiespeicher. Das nennt man Hybrid, und weil solche Redundanz teuer ist, zahlt der Staat jedem einen Zuschuss, der sich so ein Wägelchen anschafft.
Dass wir nicht mit Fallkraft, sondern mit Sonnenkraft arbeiten, macht im Grunde keinen großen Unterschied. Das Gleichnis des Abeckulus, bergauf entspreche der Nacht, bergab entspreche dem Tag, beweist seine Gültigkeit noch immer. Den Unterschied macht unsere Speichertechnologie. Der Umwandlungsverlust der beim Speichermedium „Grüner Wasserstoff“ in Kauf genommen werden muss, ist skalierbar. In den ersten zehn Stunden der Speicherung deutlich höher als beim Schwungrad, danach ungefähr gleich und ab 48 Stunden Speicherung deutlich geringer als beim Schwungrad.
Das beweist die Langfrist-Tauglichkeit von grünem Wasserstoff. Es kommt jetzt nur noch darauf an, das Ausdiffundieren der Wasserstoff-Atome aus dem Speicherbehältnis noch in den Griff zu bekommen.
Und wandelte ich auch im finstern Tal, ich fürchte mich nicht.
Die Zukunft kann kommen.
Wichtig ist, dass der Fortschritt auch im neuen Koalitionsvertrag festgezurrt und sicher vertäut ist.