Sturmvogel und Haselnuss

Klingt fast wie ein Märchen.

Dabei handelt es sich in beiden Fällen um Waffensysteme mit furchterregenden Eigenschaften. Die Haselnuss, eine weitreichende hyperschallschnelle Rakete mit einzeln steuerbaren Sprengköpfen, gegen die noch kein westliches Kraut gewachsen sein soll, der Sturmvogel, ein Marschflugkörper von unbegrenzter Reichweite …

Unbegrenzte Reichweite?

Da klingeln doch alle Fake-News-Glocken. Unbegrenzte Reichweite kann es gar nicht geben. Irgendwann muss doch der Treibstoff zu Ende gehen. Ein Marschflugkörper bleibt doch innerhalb der Atmosphäre. Da ist doch immer noch der Luftwiderstand zu überwinden, die Gravitation noch dazu. Aber vielleicht haben die Russen ja was Neues erfunden. Was sagen sie selbst dazu? Sie sagen, dieser Marschflugkörper, der gegnerischer Luftabwehr ausweichen kann, sei atomgetrieben.

Wie aber bringt man die Energie der Kernspaltung dazu, den Schub für einen Flugkörper zu erzeugen? Da entsteht doch erst einmal nichts als Hitze. Klar, die Hitze kann man nutzen, wie bei der Dampfmaschine. Da wird Wasser in den gasförmigen Zustand überführt, das Volumen vergrößert sich, erzeugt Druck, der dann Maschinen antreibt …

Es ist tatsächlich so. Statt Wasser nimmt man allerdings Wasserstoff, und statt einem Kohlefeuer das atomare Feuer, so dass der Wasserstoff bei Temperaturen von 2.500 bis 3.000 Grad Celsius ganz enorm expandiert und dann über eine Düse ausströmt, wodurch zugleich der Antriebsimpuls für den Flugkörper erzeugt wird.

Der Burewestnik – so heißt der Sturmvogel auf russisch – muss also nicht nur einen kleinen Reaktor mit einer kleinen, aber ausreichenden Menge spaltbaren Materials mitführen, sondern auch eine gewisse Menge Wasserstoff, der aber nicht verbrannt wird, um Antriebsenergie zu erzeugen, sondern nur ganz enorm erhitzt.

Dieser Wasserstoff-Vorrat, der im Flugkörper mitgeführt wird, wird allerdings im Flugbetrieb verbraucht. Auch wenn der Kernbrennstoff im Reaktor für tausend Jahre Betrieb ausreichen sollte: Wenn der Wasserstoff alle ist, geht auch der Burewestnik in eine ballistische Flugbahn über und fällt vom Himmel. 

Die Frage, die mich beschäftigt hat, war die nach dem Wasserstoff-Verbrauch. Natürlich ist noch kaum etwas bekannt über die technischen Daten des Sturmvogels, man muss also mit Annahmen hantieren, die sich auf die Masse der Nutzlast, also des Sprengkopfes beziehen, die Masse des Reaktors, die Masse des Raketenkörpers und seiner sonstigen Innereien, man muss aerodynamische Berechnungen anstellen, um die benötigte Antriebsenergie für einen Flug mit kontinuierlicher Geschwindigkeit innerhalb der Atmosphäre ermittel zu können, daraus die benötigte Treibstoffmenge pro 100 km, und dann muss man diese mit der gewünschten Reichweite multiplizieren, um auf die erforderliche Größe des Wasserstofftanks zu kommen.

Weil meine Kenntnisse für solche Berechnungen bei Weitem nicht ausreichen, habe ich eine KI in mehreren Iterationen mit dieser Aufgabe gequält. Die war recht widerwillig. Hat mir lieber immer wieder erklärt, dass es zu wenig Informationen gibt, um einen vernünftigen Ansatz für eine solche Rechnung zu finden. Aber schließlich hat sie sich – unter dem Vorbehalt, es sei eine recht grobe Abschätzung und keinesfalls zuverlässig – zu der Aussage hinreißen lassen, dass so ein Marschflugkörper, bei einer konstanten Geschwindigkeit von 2.000 km/h für eine (unendliche) Flugstrecke von 25.000 Kilometern etwa 4,5 bis 5 Tonnen Wasserstoff mitführen müsse. Dazu muss der Wasserstoff allerdings in flüssiger Form vorliegen, also eine Temperatur von unter minus 253 Grad Celsius aufweisen und diese während des gesamten Fluges beibehalten.

Nach meiner Einschätzung ergibt sich daraus ein problematischer Optimierungsprozess, in dem die Wasserstofftemperatur bei der Betankung und die Wärmeisolation des Tanks der Rakete gegen die Zeit zwischen Betankung und Start abgewogen werden müssen. Die Konsequenz daraus ist nach meiner Einschätzung, dass der Sturmvogel erst unmittelbar – im Bereich weniger Minuten – vor dem Start betankt werden kann, was den Einsatz als mobile, landgestützte Waffe unmöglich machen dürfte. Es kommen nur fixe Startplätze mit fest installierter Wasserstoff-Infrastruktur in Frage. Wo sich diese Startplätze befinden ist irrelevant, weil die „unbegrenzte“ Reichweite von überall aus jedes Ziel erreichbar werden lässt.

Das Problem dabei ist nur, dass diese Startplätze, sollten sie vom Gegner entdeckt werden, zum leichten Ziel werden, das wiederum mit massivster Luftabwehr geschützt werden muss.

Wenn Putin also sagt, es müssen jetzt die Einsatz-Szenarien festgelegt und die Infrastruktur für den Einsatz bei der Truppe hergestellt werden, dann handelt es sich dabei nicht um eine Routine-Angelegenheit, sondern um ein Riesenproblem, dessen praktikable Lösung noch einmal Jahre in Anspruch nehmen dürfte. Ein Problem, das sich allerdings als unlösbar herausstellen würde, sollte Russland aus Klimaschutzgründen ausschließlich „grünen Wasserstoff“ zum Einsatz bringen wollen.

Hier die russische Meldung über der ersten erfolgreichen Textflug des Sturmvogels.