Selenski – aufgelaufen

Gehe nie zu deinem Fürst,
wenn du nicht gerufen wirst.

Die Inszenierung im Oval Office, samt dem finalen Knalleffekt, ist insgesamt nur als bedingt schlüssig einzuordnen. Es ist noch nicht einmal klar, wessen Plan aufgegangen und wessen Plan gescheitert ist.

Die Ausgangslage, wie sie der Welt verkündet worden war, sah ja so aus, dass eine Absichtserklärung unterzeichnet werden sollte, dahingehend, dass ein Vertrag auszuarbeiten sei, in welchem geregelt werden sollte, auf welche Weise die USA in Zukunft zur Sicherheit der Ukraine beitragen werden und auf welche Weise die USA von der Ukraine für die bisher geleisteten militärischen und nichtmilitärischen Hilfen entschädigt werden sollten. Bei der Ausgestaltung der Entschädigungsleistungen sollte es im Kern um den Zugriff der USA auf die in der Ukraine vermuteten Bodenschätze gehen.

Der Wortlaut dieser Absichtserklärung war so weit ausverhandelt, dass er von den Medien bereits verbreitet werden konnte.

Es bestand nach dieser Informationslage nicht der geringste Anlass, damit zu rechnen, dass der Besuch Selenskis bei Trump und Vance im Eklat enden könnte.

Insofern handelt es sich bei dieser Inszenierung um eine perfekte Überraschung, die Frage ist nur, wer sich diese Überraschung für wen ausgedacht haben mag. Ich habe dazu drei Theorien, die ich hier kurz vorstellen möchte.

  1. Donald Trump hatte die Absicht, aus einer Position absoluter Stärke heraus Druck auf Selenski aufzubauen, um ihn für die Detailverhandlungen über das weitere Vorgehen so richtig weichzuklopfen. Dafür spricht, dass Selenski schon ganz zu Beginn des Treffens wegen seines pseudomilitärischen Freizeit-Outfits als Underdog ohne Manieren verspottet wurde. Doch statt die ihm zugewiesene Rolle anzunehmen und unterwürfig den Bittsteller zu geben, hat er den Fehde-Handschuh aufgenommen und sich zu einigen unangemessenen Äußerungen und Verhaltensweisen hinreisen lassen, die sich Trump und Vance nun ganz und gar nicht gefallen lassen konnten, wollten sie sich nicht vor laufenden Kameras von Selenski vorführen lassen und das Gesicht verlieren. Das Ergebnis war dennoch ganz im Sinne der US-Interessen. Selenski gedemütigt und mit eingezogenem Schwanz abgezogen, wohl wissend, dass er wiederkommen muss, um erst um Entschuldigung und dann um weitere Hilfe zu bitten.
  2. Selenski hatte die Absicht, den Termin platzen zu lassen, weil er zu der Überzeugung gelangt war, er solle mit der schnellen Unterschrift über einen Tisch gezogen werden, von dem noch nicht einmal die Abmessungen zu erahnen waren. Also gab er sich patzig und provokant, wohl auch in der Überzeugung, dass niemand wagen würde, ihn, den großen Kriegshelden und Verteidiger der westlichen Werte, in dieser Rolle, die von den USA eigens für ihn geschrieben worden war, ernsthaft anzugreifen. Er wollte, dass dieses Treffen scheitert. Sein Kalkül: Die Interessen der USA an der Ukraine als Rohstoffquelle und geostrategischem Brückenkopf seien viel zu groß, um seinen Maximal-Forderungen am Ende nicht doch nachzugeben. Das Ergebnis war letztlich ganz in seinem Sinne. Die erlittene Demütigung kann er leicht wegstecken, weil er damit rechnet, dass sich seine Verhandlungsposition verbessert hat, weil nun die USA mit besseren Angeboten wieder auf ihn zukommen müssen, um den Fuß in der Ukraine zu behalten.
  3. Beide Seiten haben sich an ein zuvor abgesprochenes Drehbuch gehalten, um dem Rest der Welt, vor allem aber den Europäern zu signalisieren, dass die Ukraine die Unterstützung der USA verliert, was zwangsläufig dazu führen wird, dass Russland die gesamte Ukraine besetzen wird. Damit ginge für die EU und GB der bereits fest ins Auge gefasste Anteil an der Beute verloren und weit über hundert Milliarden Euro „Investitionen“ in die EU-Mitgliedschaft der Ukraine müssten abgeschrieben werden. Das wiederum mit dem Ziel, eben diesen Europäern den letzten Tritt in den Hintern zu geben, der noch fehlt, um sich wirklich mit aller Kraft und ohne US-Hilfe in das Abenteuer eines neuen großen Krieges auf europäischem Boden zu begeben. Gewirkt hat das zumindest in Deutschland sehr stark, denn die Wahrscheinlichkeit, dass der alte, abgewählte Bundestag noch einmal zusammentreten wird, um eine Grundgesetzänderung zu beschließen, die neue, große Spielräume für die Kriegsfinanzierung bietet, ist von gestern auf heute von etwa 30 auf nahezu 100 Prozent gestiegen.

Vielleicht haben Sie dazu noch andere Theorien. Es würde mich nicht wundern. Die Situation ist nach wie vor undurchsichtig. Von daher fällt es mir auch schwer, Wahrscheinlichkeiten für die hier beschriebenen Szenarien zu benennen.

Im ersten Fall steht die etwas exaltierte Persönlichkeit Trumps im Vordergrund, dem ich ein derartig theatralisches Vorgehen zutraue, obwohl er sich auch ganz ohne solche Späßchen gegen Selenski in jeder Weise hätte durchsetzen können.

Im zweiten Fall sind es die verzweifelten Versuche eines vollständig in die Ecke gedrängten ukrainischen Präsidenten, über dessen Kopf hinweg Trump und Putin verhandeln, die eine solche Strategie, alles auf eine Karte zu setzen, wahrscheinlich erscheinen lassen, obwohl das Risiko, abgewiesen zu werden, erkennbar hoch war.

Im dritten Fall hätte sich an den Verhandlungspositionen für eine bilaterale Verabredung nichts geändert. Dennoch hätten beide Seiten etwas gewonnen, nämlich den verstärkten Einsatz der Europäer in der Ukraine, was das US-Budget entlastet und die ukrainischen Truppen weiter im Spiel hält. Dies allerdings würde den Friedensbemühungen Trumps in seinen Gesprächen mit Putin widersprechen.

Es bleibt ein Rätsel.

Gewissheit gibt es nur darüber, dass alles, was geschehen ist, auch so geplant gewesen sein muss.