
PaD 5 /2025 – Hier auch als PDF verfügar: Pad5 2025 Selbstbesinnung eines Protokollanten
Sie haben heute von mir einen Paukenschlag erwartet.
Ich weiß, ich habe diese Erwartung selbst geweckt.
Paukenschlag am Donnerstag. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich damit begonnen habe. Mehr als zehn Jahre ist es sicher her.
Manches Mal, wie heute, ist es eine Last.
Da sind zwar tausend Themen, zu denen ich mich auslassen könnte oder sollte, aber alle öden mich an.
Können Sie sich das vorstellen?
Es gibt ja nichts Neues unter der Sonne.
Die großen Konstanten, die Dummheit und die Gier, kleiden sich doch immer nur in neue Gewänder, um ihr ewiges Theater als neu erscheinen zu lassen, während ihre Kontrahenten, die Vernunft und die Bescheidenheit, dabei regelmäßig untergehen. Der Unterschied liegt in der Aggressivität.
Vor langer Zeit, als die Meetings noch Sitzungen hießen, und Sitzungen dazu da waren, Entscheidungen zu treffen, die für einige Zeit, wenn nicht gar auf Jahre hinaus Bestand haben sollten, war mir – neben dem, was ich selbst vorzutragen hatte – die Rolle des Protokollführers ziemlich sicher. Dabei erarbeitete ich mir schon früh den Ehrentitel „Schriebtäter“.
Das oft ins Unreine gesprochene, emotional befrachtete Wort von zwanzig und mehr Verantwortungsträgern so in einen geschriebenen Text zu verwandeln, dass nichts Wichtiges unerwähnt blieb, sich daraus dennoch eine Rangreihe der Argumente ergab, die letztlich logisch zu den getroffenen Entscheidungen hinführte, obwohl dies gerade nicht den Absichten der Wortführer der Diskussion entsprach, war die Kunst des Protokollführers, die letztlich auch die Unterlegenen beim Lesen des Protokolls darin bestärkte, eine wichtige Rolle gespielt und zu einer guten Entscheidung beigetragen zu haben.
Auch damals gab es Sitzungen, die mich anödeten. Die Probleme waren bekannt. Die Standpunkte der Vertreter der involvierten Bereiche waren bekannt. Die möglichen Lösungen lagen auf dem Tisch. Es musste halt noch einmal alles heruntergebetet werden, damit der Direktor, der letztlich alleine die Gesamtverantwortung getragen hat, seine längst feststehende Entscheidung verkünden konnte, als hätte er sich erst in der Sitzung nach Abwägung aller Argumente dazu durchgerungen.
Irgendwann erkannte ich, dass es sich bei diesen Sitzungen um Rituale handelt, die notwendig waren, um den Betriebsfrieden zu erhalten, indem die Rolle des Chefs dadurch gefestigt wurde, dass er seine Entscheidung nicht einfach per Rundschreiben verkündetete, sondern den Sitzungsteilnehmern das Gefühl gab, gehört worden zu sein, was es diesen wiederum ermöglichte, ihre vorher ablehnende Haltung ohne Gesichtsverlust zu korrigieren.
Als ich gestern, angeödet von der ach so „historischen“ Bundestagsdebatte formulierte:
… leistet sich eine mehrstündige Bundestagsdebatte, in denen sich die Vertreter der unterschiedlichen Parteien gegenseitig schwere Beschuldigungen an den Kopf werfen, ohne auch nur im Geringsten auf die Argumente der Gegenseite einzugehen.
Einigkeit bestand nur darin, dass die Vorfälle von Magdeburg und Aschaffenburg schrecklich waren.
Ich brauche solche Debatten nicht. Daher werde ich weder aus den Redebeiträgen zitieren, noch konkrete Aussagen kritisieren.
Es ist beim Verlauf dieser Debatte schwer vorstellbar, dass da irgendjemand in den Plenarsaal gegangen ist, um sich seriös mit Argumenten auseinander zu setzen. Es ist schwer vorstellbar, dass auch nur ein einziger Abgeordneter sich durch die redenden Kollegen in seiner Abstimmungsabsicht hat umstimmen lassen.
Warum also nicht einfach ohne Aussprache abstimmen?
Da war es tatsächlich das Fehlen des verantwortlichen Entscheiders, das mich so betroffen und zornig gemacht hat, dass ich mich nur schnellstmöglich von diesem Trauerspiel abwenden wollte. Ich hätte so gerne, wie in meinen jungen Jahren, ein Protokoll dieser Sitzung geschrieben, in dem die widersprüchlichen Argumente angeführt, aber dennoch so eingeordnet und gewichtet gewesen wären, dass die am Ende getroffene Entscheidung als Befriedung der Kontroverse hätte wahrgenommen werden können.
Allen Reichsbürgern, die überzeugt sind, die Bundesrepublik Deutschland sei in Wahrheit eine Firma, ins Stammbuch:
Ein Unternehmen, dessen Führungskräfte sich so gut über die drängendsten und zugleich wichtigsten Fragen zu verständigen vermöchten, wie die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, hätte längst sein Kapital verspielt und müsste sich vor dem Insolvenzgericht wegen Konkursverschleppung verantworten.
In einem Unternehmen fänden sich auch Personen als verantwortliche Entscheider, die persönlich straf- und zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten. Wo, im Deutschen Bundestag, sitzt auch nur ein Abgeordneter, der für den Kurs, den das Hohe Haus der Republik vorgibt, persönliche Verantwortung zu tragen hätte? Weder auf den Bänken, noch im Präsidium. Da ist nichts.
Es herrscht das Recht der Mehrheit.
Dass mir dieses Recht der Mehrheit in seiner Anwendung aktuell so vorkommt, als hätten die Wähler den Mehrheitsparteien die Lizenz zur Ausübung des Faustrechts erteilt, und als würde dies – in Zeiten unklarer Mehrheitsverhältnisse – von allen Parteien für sich in Anspruch genommen, mag meine spezielle Einzelwahrnehmung sein. Doch von dem Redebeitrag von Heidi Reichinnek, Die Linke, fühle ich mich in dieser Wahrnehmung bestätigt. Sie sagte, ach was, sie rief in höchster emotionaler Erregung:
„Die Brandmauer in diesem Land, das sind immer noch wir. Wir alle werden auf die Straße gehen, wir alle werden an die Wahlurnen gehen. Gebt nicht auf, sondern wehrt Euch. Leistet Widerstand! Auf die Barrikaden!“
Das, in einer Vorstandssitzung eines Unternehmens, als Replik auf eine soeben getroffene Entscheidung, hätte unmittelbar zum Ausschluss und zur Aufhebung des Arbeitsvertrages geführt. Frau Reichinnek wird ihre Diäten so lange weiter beziehen, wie sie Mitglied des Bundestages ist.
Soll ich mich nun darüber freuen, dass der Deutsche Bundestag nach hitziger Debatte mit hauchdünner Mehrheit einen unverbindlichen Entschließungsantrag mit vernünftigen Forderungen verabschiedet hat, um den sich die amtierende Minderheitsregierung in ihren letzten Wochen mit Sicherheit nicht kümmern wird? Frau Haßelmann, Grüne, hat es nach der Abstimmung kaum weniger deutlich zum Ausdruck gebracht als Frau Reichinnek – und mir sind bei ihrer Einlassung tatsächlich kalte Schauer den Rücken hinunter gelaufen, ob dieser als Haltung bezeichneten Verbohrtheit, in der die Sache, um die es allen Abgeordneten hätte gehen sollen, in der wütenden Feindseligkeit bis zur Unsichtbarkeit untergegangen ist.
Es ödet mich an.
Da tönen sie allenthalben „Respekt! Respekt!“, und bringen doch selbst kein Jota davon auf. Da fordern sie, die sie alle und jeder Einzelne im Hohen Hause als Vertreter des gesamten Volkes angetreten sind, „Zusammenhalt!“, „Zusammenstehen!“, „Unterhaken!“, und meinen doch nur den eigenen Klüngel, der sich Kraft der Mehrheit und des Faustrechts nicht nur moralisch überlegen, sondern auch im Besitz der einzigen Wahrheit fühlt, obwohl sich die Realität da draußen im Lande mit dieser Wahrheit schon lange nicht mehr in Deckung bringen lässt.
Es ödet mich an.
Morgen, am letzten Tag der letzten Sitzungswoche soll nicht über einen Entschließungsantrag, sondern über ein Gesetz abgestimmt werden. Ob es wirklich dazu kommen wird, wage ich nicht mit Sicherheit zu behaupten. Wie das Ergebnis aussehen wird, falls abgestimmt wird, steht völlig in den Sternen. Dass diese Übung nichts bewirken wird, was nicht auch nach den Wahlen mit gleicher Wirksamkeit bewirkt werden könnte, macht die Qual, diesem Hauen und Stechen zusehen zu müssen, nicht kleiner.
Es ödet mich an.
Vergessen Sie dabei bitte nicht: Es war nicht die AfD, die diese Bundestagsdebatten zu verantworten hat.
Es war Friedrich Merz, dem es gelungen ist, den Bundestag in all seiner bunten Farbigkeit so prachtvoll vorzuführen.
Es war Friedrich Merz, der hoffte, SPD und Grüne, seine einzig möglichen Koalitionspartner nach den Wahlen, schon im Wahlkampf auf seine Seite zu zwingen.
Die aber haben ihn heimtückisch hängen lassen und versucht, ihn als die zweite AfD darzustellen. Hofften wohl darauf, Merz mit der AfD als Verlierer der Abstimmung dastehen lassen zu können, um der Vision von einer schwarz-blauen Koalition schon weit im Vorfeld den Stecker zu ziehen.
Beide haben sich verspekuliert.
Es gibt keinen Grund zur Freude.
Es ödet mich an.
Deshalb gibt es heute auch keinen Paukenschlag. Nur diese wenigen Sätze der Selbstbesinnung.
Auch die hohe Kunst des Protokollierens hilft nichts mehr, wenn die Uneinigkeit nicht nur den Weg betrifft, sondern auch die Ziele astronomisch weit auseinander liegen.
Es ödet mich an.