Sehr geehrter Herr Bundespräsident

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

in Ihrer Ansprache zum Weihnachtsfest mahnen Sie eine Kultur des Zuhörens und den Streitens an.

„Raus aus der Filterblase! Rein in die bundesdeutsche Realität!“, könnte man Ihren Aufruf auf den Punkt bringen.

Natürlich ist eine Weihnachtsansprache nicht die passende Gelegenheit, um die tannenbaumseligen Deutschen mit der Nase auf die im demokratischen Diskurs zu lösenden Probleme zu stoßen. Von daher ist es verständlich, ja vielleicht sogar lobenswert, dass Sie sich auf wenige, kaum wahrnehmbare Andeutungen beschränken. Da wünsche ich mir doch – und mit mir sicherlich auch viele andere Deutsche, baldmöglichst eine Nachlieferung. Zum Jahresausklang ist die Rednertribüne ja von Angela Merkel besetzt, doch wie wäre es am Dreikönigstag. Einfach einmal frisch von der Leber weg aussprechen, wo in Deutschland der „Schaum vorm Mund“ zu beobachten ist.

Es ist Ihnen ja sicherlich nicht entgangen, dass die öffentliche Diskussion bestimmter Themen nicht mehr möglich ist. Was Franz Josef Strauß noch 1985 über Tamilen und Kanaken sagen konnte, ohne mit der vollen Härte der politisch korrekten Meinungswächter und der Antifa rechnen zu müssen, wird heute schon freiwillig von niemandem mehr gesagt. Es ist Ihnen sicherlich nicht entgangen, dass das öffentliche Überschäumen ob der „Hetzjagd“ in Chemnitz noch weit über die (berechtigte) Empörung über das Fanal von Hoyerswerda (1991) hinausging und den Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz das Amt kostete, nur weil er, als einer der wenigen ohne Schaum vorm Mund, den Vorfall redlich und nüchtern bewertete.

Auch dass Sie, ohne nähere Spezifizierung von einem „Wir-alle-in-diesem-Land“ sprechen, ist zu Weihnachten angemessen. Maria und Joseph waren schließlich auch fremd in Bethlehem und fanden dennoch eine  Bleibe für die Nacht. Gut so. Hilfsbereitschaft, auch wenn sie über den Stall weit hinausgeht, ist gegenüber Menschen in Not zweifellos angezeigt. Aber gehören wirklich „Wir alle“ zu diesem Land? Fehlt nicht irgendwo der Hinweis, dass eben nicht alle, die sich hier aufhalten, zu diesem Land gehören? Meinen Sie nicht auch, dass etliche hundert Gefährder, bekannte (und unbekannte), geduldete und ausreisepflichtige, ganz bestimmt nicht zu diesem Land gehören, sondern „Fremdkörper“ in diesem Lande sind? Wo bleibt Ihre Stellungnahme zum Flüchtlingspakt, zum Migrationspakt und zum Einwanderungsgesetz? Können Sie den Garantien  des „rechtlich unverbindlich“ ihren präsidialen Segen erteilen? Müssten Sie nicht, noch nachdrücklicher als es vor Monaten Horst Seehofer tat, im Interesse des deutschen Volkes, dem Sie ja vorstehen, so etwas wie eine Grenze der Belastbarkeit, die zugleich auch eine Grenze der Gerechtigkeit im neuen Umverteilungskarussel – von unten nach ganz unten – sein sollte, anmahnen?

Ja, es ist Weihnachten, und Friede und Freude bei den Engeln und bei den Hirten auf dem Felde.

Dennoch gleitet Ihr Blick über die Landesgrenzen. Sie sehen brennende Barrikaden in Paris – sehen Sie auch die Ursachen? Oder sehen Sie nur einen niederzuschlagenden Aufstand?  Sie sehen tiefe politische Gräben in den USA – sehen Sie auch die Verursacher? Oder sehen Sie nur Donald Trump als Enfant terrible im Porzellanladen des militärisch-industriellen Komplexes? Sie sehen Großbritannien vor dem Brexit – erkennen Sie auch die Sehnsucht der Befürworter? Oder Sie sehen Sie nur die Interessen der deutschen Exportindustrie? Sie sehen Zerreißproben für die EU (Sie sagen natürlich statt EU lieber Europa) und verweisen auf Ungarn und Italien – sehen Sie auch, welche Abstoßungskräfte in Brüssel auf Polen, Ungarn, Österreich, Italien und weitere Mitgliedsstaaten wirken? Oder sehen Sie nur Politiker, die wider alle Brüsseler Interessen nationale Interessen bewahren? Sie erinnern lieber nicht an Griechenland, das von der EU, statt solidarische Hilfe zu erhalten, zu Gunsten seiner Gläubiger – im übertragenen Sinne – „geschächtet“ wird. Warum nicht? Ist dort jetzt schon alles gut? Oder soll das Schicksal der Griechen, jetzt wo die Medien schamhaft dazu schweigen, lieber nicht mit der EU und dem IWF und Wolfgang Schäuble und Angela Merkel in Zusammenhang gebracht werden?

Sie können mich nicht sehen. Daher muss ich betonen, dass es bei mir keinerlei Anzeichen für Schaum vor dem Mund gibt. Was ich hier von Ihnen als Staatsoberhaupt einfordere, nämlich Orientierung zu geben, trage ich in der Klarheit vor, in der ich die Dinge sehe, nüchtern, sachlich, aber mit Nachdruck.

Ich würde mich freuen, wenn Sie nach der alles einebnenden Vanillesoße zum Weihnachtsfest im neuen Jahr so etwas wie „Tacheles“ auf den Tisch bringen würden.

Ihnen ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest!

 

Mit besten Grüßen

Egon W. Kreutzer