PaD 41 /2024 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 41 2024 Scherbenhaufen
War es gestern am Morgen noch Hoffnung, so können heute tatsächlich bereits die Trümmer der Ampel besichtigt werden. Es liegt noch verdammt viel Staub in der Luft und die Befürchtung, dass einige Fässer mit hochtoxischem Giftmüll beim Zusammenbruch beschädigt wurden, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Annäherung an den Scherbenhaufen sollte also mit äußerster Vorsicht geschehen. Zugleich muss aber die Suche nach Verschütteten aufgenommen werden. Das Rufen und Klopfen unter den Trümmern darf jetzt nicht einfach überhört werden, auch wenn noch nicht durchgezählt werden konnte und niemand weiß, wer da unverhofft in eine äußerst unglückliche Lage geraten sein könnte.
Aber von vorne und vom Kopf her:
Olaf Scholz ist endlich gelungen, was die ganze Zeit über erfolglos von ihm gefordert wurde. Er hat endlich geführt, und zwar: sich auf.
Als habe er jahrelang tief geschlafen, von allen Verwerfungen und Problemen, die sich da an- und aufgestaut haben, vom verzweifelten Gegensteuern seines Finanzministers nie etwas mitbekommen, hat er, auf den sich bis an den Bruchpunkt biegenden Balken seiner Koalition sitzend, nur verwundert und erbittert zugleich, dem Rumpelstilzchen ähnelnd, die Feststellung getroffen, Lindner habe sein Vertrauen gebrochen.
Das ist übrigens eine sonderbare, neue deutsche Redewendung.
Du hast mein Vertrauen gebrochen! Nach meinem Sprachverständnis ist es ebenso unmöglich, ein fremdes Vertrauen zu brechen, wie eine Industrienation ausschließlich mit Strom aus Sonne und Wind am Leben zu halten. Es sind Versprechen, Zusagen, Verabredungen, die man brechen kann, und wer das tut, der verliert das Vertrauen des Partners. Der Partner kann ihm auch das Vertrauen entziehen, schlimmstenfalls vertraut der sich betrogen Fühlende dann überhaupt niemandem mehr. Aber in Kopf und Psyche eines Menschen einzudringen und das dort wohnende Vertrauen – ob nun vorsätzlich oder fahrlässig – zu brechen, das geht nicht. Der Noch-Kanzler hat mit dieser „Konstruktion“ lediglich versucht, sogar noch die Verantwortung für sein Vertrauen weit von sich zu weisen. |
Worin bestand nun das Vertrauen des Kanzlers?
Ich kann diese Frage beim besten Willen nicht beantworten, nur aus den unvollständigen Indizien heraus ein Bild entwerfen, das ungefähr so aussieht wie das Innenleben einer Räuberbande, die ihrem Hauptmann felsenfeste Treue und sich untereinander geschworen hat: „Alle für einen, einer für alle!“
Doch da war eben einer darunter, der zwar unter der Flagge der Liberalität segelte, sich aber zugleich soviel konservatives Gewissen bewahrt hatte, wie es in der ganzen Koalition sonst nicht mehr zu finden war. Dem hatte man, weil man ihn für so ehrlich hielt, wie es unter Räubern nur möglich ist, die Kasse anvertraut. Als die Zeiten für die Räuber schlecht geworden waren, weil aus Angst überfallen zu werden, niemand mehr den Weg durch ihren Wald nahm, außer es war gar nicht anders möglich, leerte sich die Kasse schnell, denn sie waren es gewohnt, das Geld mit vollen Händen auszugeben. Almosen für die Armen, um sie sich gewogen zu halten, aber eben auch reiche Gaben für die Fürsten, die man sich damit zu Freunden machte. So fühlte man sich sicher. Wie beim Skat hieß es: Mit vollen Hosen ist gut stinken! Das alles drohte zusammenzubrechen als die Kasse leer war und man nicht einmal mehr für ein Jahr sorgenfrei in die Zukunft blicken konnte. Also forderte der Hauptmann den Kassenwart ultimativ auf, eine große Menge Geld aus der Kasse zu nehmen, das gar nicht mehr drin war.
Den Rest kennen wir. Der Finanzminister weigerte sich, die Schuldenbremse außer Kraft zu setzen. Es handelt sich dabei wohlgemerkt um jene Schuldenbremse, die – wie die Meinungsfreiheit und die Würde des Menschen – im Grundgesetz verankert ist, also nicht etwa um etwas, was der Finanzminister sich ausgedacht hatte, um seine Koalitionspartner zu ärgern. Der Kanzler, der fest darauf vertraut hatte, dass Lindner sich auch dieses Mal würde breitschlagen lassen, geriet in Zorn und setzte den Finanzminister vor die Tür.
Von da an wurde es unübersichtlich.
Der Kanzler hätte ja auch gleich vor das Parlament treten und die Vertrauensfrage stellen können, nachdem offenbar geworden war, dass ihm die Kanzlermehrheit verloren gegangen war und er diese mit dem Hinauswurf der FDP aus der Regierung auch noch selbst besiegelt hat. Kein Zweifel, dass er die Vertrauensfrage verloren hätte, womit der Bundespräsident die Gelegenheit gehabt hätte, Neuwahlen anzusetzen.
Olaf Scholz hat aber verkündet, er werde – dann ohne jeden Bezug zu den aktuellen Ereignissen – erst am 15. Januar die Vertrauensfrage stellen, weil ihm dann wahrscheinlich danach sein werde. Dann könne im März neu gewählt werden. Bis dahin aber wolle er, zusammen mit den Grünen, weiterregieren auf Teufel komm ‚raus und noch so viele Regierungsprojekte wie irgend möglich umsetzen oder unumkehrbar auf den Weg bringen, wobei er damit rechnet, die benötigte Parlamentsmehrheit über „Leihstimmen“ aus der Union zu erhalten, was erkennen lässt, dass es 2025, nach vorgezogenen Neuwahlen, mit einer Neuauflage der GroKo weitergehen soll.
Man nennt so etwas, wenn man höflich bleiben will, einen schlechten Verlierer.
Etwas weniger höflich könnte man von Besessenheit sprechen, oder, was auf das Gleiche hinausläuft, von vollständigem Realitätsverlust.
Dieses Land, diese Deutschen, haben das Gehampel der Ampel satt. Und, vollkommen unvoreingenommen betrachtet, haben sie damit vollkommen recht. Noch nie seit 1949 hat eine Regierung die Bundesrepublik in jeder Hinsicht derart beschädigt, wie die Ampel unter Scholz. Das ist nur vordergründig die wirtschaftliche Misere in die man uns hineingeritten hat, es ist vor allem das gesellschaftliche Klima, das unvereinbar zerfallen ist in die Arroganz der Macht und des Machtapparates, bis in die Redaktionsstuben der regionalen Käseblätter hinein, und auf der anderen Seite in die Sorgen und die Angst der breiten Masse der Bevölkerung, wo die Sorge, wie die Miete und die Rechnungen noch bezahlt werden sollen, sich mit der Angst abwechselt, versehentlich verbotene Worte und Meinungen am falschen Ort zu laut auszusprechen. Mit allem könnnten wir fertig werden, auch mit der Angst, bestimmte Orte aufzusuchen, wenn uns die Regierung und ihre privaten Hilfsorganisationen nicht noch mehr Angst davor einjagen würden, darüber offen und lösungsorientiert zu sprechen.,
Dies alles soll nun mit Hochdruck noch bis in den März und – bei dem zu erwartenden langwierigen Prozess der Bildung der nächsten Regierung – bis weit in den Sommer hinein noch so weiter getrieben werden?
Da haben wir auf das Ende mit Schrecken gewartet, und kaum ist es vermeintlich eingetreten, soll daraus erst recht ein Schrecken ohne Ende werden?
Die verrückteste Idee, die sich noch am frühen Morgen des 7. November gehalten hat, war es ja, nach dem Ausscheiden Lindners, Habeck zum Finanzminister, den Hirtengott Pan der Klimamythologie also zum Gärtner zu machen.
Das soll nun doch nicht sein. Stattdessen wird Jörg Kukies demnächst die Finanzen verwalten. Als Staatssekretär im Kanzleramt war Kukies im Schatten des Kanzlers praktisch unsichtbar, was ein weiteres Indiz dafür ist, wie tief die Sonne der Ampel bereits gesunken ist, wenn selbst Scholz einen so großen Schatten werfen kann. Kukies hat den Vorteil, etwas von Finanzen zu verstehen, denn seine Sporen hat er sich bei Goldman Sachs verdient, einem Unternehmen, dem man nicht nachsagen kann, sein Hauptinteresse läge in der nachhaltigen Sanierung von Staatsfinanzen. Das ist auch Sarah Wagenknecht aufgefallen, die sich einen kleinen Seitenhieb auf diese Personalie nicht verkneifen konnte.
Eine zweite Personalie erfordert aber noch mehr Aufmerksamkeit.
Der Minister für alles, was schnell sein könnte, was in Deutschland aber lahmt, Volker Wissing, bis gestern noch FDP, ist aus der Lindner-Partei ausgetreten. Er möchte sich selbst treu bleiben, sagt er, und bleibt – nun ohne Parteibuch – einfach weiterhin der Minister, der er bereits war und bleibt damit zunächst einmal Olaf Scholz treu. Wenn er dabei auch sich selbst treu bleibt, dann war er schon vorher Olaf Scholz treuer ergeben als Christian Lindner, womit ihm von Historikern späterer Jahre durchaus der Titel „Scholzens U-Boot in der FDP“ zuerkannt werden könnte.
Wiewohl Scholz damit rechnet, mit Duldung durch die Union bis in den nächsten Sommer hinein einigermaßen komfortabel weiterregieren zu können, tönt der Sauerländer mit gewohnt energischer Kraftlosigkeit, Scholz dürfe mit der Vertrauensfrage nicht so lange zuwarten. Er müsse sie im Laufe von vierzehn Tagen stellen.
Ich sehe das spitzbübische Grinsen des Kanzlers detailgetreu vor meinem inneren Auge. Niemand kann ihn zwingen, die Vertrauensfrage zu stellen. Der Merz will sich doch nur die Chance nicht entgehen lassen, im Getöse der Sonder- und Eilmeldungen selbst einen Platz in den Schlagzeilen einzunehmen. Es ist ja auch das falsche bis grottenfalsche Vorgehen für den Oppositionsführer, der sich davor fürchtet, über das konstruktive Misstrauensvotum, das sein Job wäre, eine Mehrheit zu organisieren, eine Mehrheit, die ihm sogar sicher wäre, weil ein großer Teil der Mehrheit nämlich freudig aus den Landen hinter der Brandmauer losstürmen würde, um die Ampel jetzt, heute, oder nächste Woche vollständig zu beenden. Aber diese Mehrheit will er nicht. Die müsste er rückgängig machen, wenn er mit einem konstruktiven Misstrauensvotum antreten würde, und deshalb lässt er es. Der Kanzler, der das weiß, hat gut grinsen.
Als Habeck und Baerbock gestern Abend – nach dem Kanzler und kurz vor Lindner – vor die Kameras traten, waren da zwar auch die abgedroschenen Worthülsen von der deutschen Verantwortung für die Weltrettung mitten im Klima und vom unmittelbar bevorstehenden Aufschwung durch Klimavorreiterschaft die Rede, aber was bei mir schwerpunktmäßig hängengeblieben ist, das war etwas anderes.
Der Wirtschaftsminister Deutschlands und die Außenministerin Deutschlands – ich schreibe bewusst nicht vom deutschen Wirtschaftsminister und von der deutschen Wirtschaftsministerin – ergingen sich im Wehleiden um die völkerrechtswidrig angegriffene Ukraine, der Lindner die weitere Unterstützung verweigert habe, indem er sich dem „Überschreitungsbegehren“ widersetzt habe, und, dass aber wegen Trump da nun erst recht gehandelt werden müsse, um Putin in alleiniger europäischer Verantwortung auf die Finger zu hauen, bis er sie zurückzieht und die schon sicher geglaubte Beute wieder loslässt.
Holla!
Diese Pirouette ist schon erstaunlich. Das muss man erst einmal hinbekommen. Ich möchte wetten, dass dies nur der Staatssekretärin Obamas im Außenministerium Baerbocks eingefallen sein kann. Nicht wegen der grünen Wirtschaftszerstörung und dem sich daraus auftuenden Billionengrab zur Rettung der deindustrialisierten Leiche einer einst blühenden Volkswirtschaft soll Lindner hingeworfen haben. Nicht deshalb. Sondern weil er nicht länger verbergen konnte, dass er als Putin-Unterstützer nur darauf aus ist, den Sieg Selenskis durch fiskalpolitische Sabotage zu verhindern …???
Booah! Das haut rein!
Da drängt sich doch unmittelbar die Frage auf, wie lange es dauern wird, bis die kriegerische Friedensstifterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ihrem Parteikollegen Wissing mit wehenden Fahnen ins rot-grüne EU- und Nato-Erweiterungslager folgen wird. Und falls nicht, warum dann nicht?
Es sind heute aber sowieso zu viele Fragen offen, um der um Frau Strack-Zimmermann allzu großes Gewicht beizumessen.
Alleine die Frage, wie geht es jetzt weiter, könnte nur über die ganze Bandbreite zwischen einem worst-case und einem best-case Szenario abgedeckt werden. In beiden Fällen handelt es sich um Träume. Um einen schnell platzenden Milchmädchentraum im besten Fall, um einen nicht enden wollenden Albtraum im schlimmsten Fall.
Ich stelle meine Prognose so unspektakulär wie möglich.
Die Welt, wie wir sie kennen, wird weder durch Trumps Wiederwahl noch durch Scholz’s Regierungsumbildung nach Verlust des Koalitionspartners untergehen. Die Schwungmasse ist einfach zu groß und zu träge, um plötzliche Veränderungen zu erwarten. Es haben sich lediglich die Antriebskräfte verändert. In den USA sind sie zweifellos gewachsen, so dass sich das große Rad dort bald schneller drehen wird, in Deutschland haben sie nachgelassen, was dazu führen wird, dass hier alles – trotz aller hektischen Betriebsamkeit der Verantwortlichen – allmählich in den Leerlauf übergehen wird.
Kanzler Scholz wird sein Ding durchziehen, ohne dabei erkennbare neue Ziele für das Land zu setzen. Die Abwanderung der Industrie wird sich fortsetzen, weil die Ereignisse dieser Woche keinen Aufbruchsimpuls gesetzt haben, der die Republikflucht beenden könnte. Die Energiepreise werden, wie gewollt, weiter steigen, die Staatsverschuldung ebenfalls. Die Grenzen werden so offen bleiben, wie die Abschiebe-Flieger leer. Alles, was aus Brüssel kommt, von neuen Grenzwerten für Automobil- und Rinder-Auspuffe, von neuen Grenzwerten für die Meinungsfreiheit per Digital-Services-Act, wird zügig übersetzt und in Kraft gesetzt. Davon zu reden, es würde in deutsches Recht übernommen, ist inzwischen ein Euphemismus, der suggeriert, es gäbe noch ein wirksam durchsetzbares, originäres deutsches Recht.
Wahrscheinlich wird der Kanzler tatsächlich im Januar die Vertrauensfrage stellen, was Neuwahlen im März zur Folge hätte. Sicher ist das aber nicht. Sollte Scholz zu der Überzeugung gelangen, dass es mit einer rot-grünen Minderheit auch geht, wird er sich fragen, wie er je auf die Idee kommen konnte, die Vertrauensfrage stellen zu wollen und einfach auf die regulären Bundestagswahlen im Herbst zusteuern.
Im Grunde ist das auch völlig egal. Ein halbes Jahr hin oder her? Das ändert nun auch nichts mehr.
Der Zug rollt. Das Rumpeln, das bei Lindners Entlassung im Zug zu spüren war, das war nicht der Ruck, der durchs Land ging, das war nur die Weiche, die man hätte stellen müssen, um auf ein anderes Gleis zu gelangen. Doch niemand hatte die Kraft, die Weiche umzustellen, und niemand hatte den Mut, die AfD, die die Kraft mitgebracht hätte, um Hilfe zu bitten.
Jörg Schönenborn ist nicht müde geworden, uns zu erklären, der Wahlsieg Trumps sei hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Leute sich gefragt hätten, ob es ihnen heute besser oder schlechter geht als vor vier Jahren und hätten sich dann – egoistisch, statt weitsichtig – für den vermeintlichen individuellen Vorteil entschieden. Sollte diese Einschätzung richtig sein, dann müsste sie sich auch auf Deutschland übertragen lassen.
Wie viele Wähler werden wohl, egal ob jetzt im März oder erst im September zu der Überzeugung gelangen, am Ende der Ampel ginge es ihnen besser als vor deren Amtsantritt? Die Demoskopen (INSA und FORSA) sehen SPD und Grüne (Stand 5.11.) zusammen bei nur noch 26 Prozent. Das dürfte schnell noch deutlich weiter schrumpfen. Wie will die SPD, mit 16 Prozent – und am Wahltag eher noch deutlich weniger – ernsthaft noch einmal den Kanzler stellen wollen? Wer wird, wenn die SPD nicht die Regierung führt, ernsthaft die Grünen noch einmal in eine Koalition holen wollen? Da muss doch auch Friedrich Merz das große Grauen überkommen, wenn er sieht, wie schnell und gründlich es denen gelungen ist, das Land an den Abgrund zu führen.
Es bleibt gar keine andere Möglichkeit und es führt kein Weg mehr daran vorbei:
Die AfD wird Teil der nächsten Bundesregierung sein.
Ein Pendel starr am linken oberen Totpunkt zu halten, ist statische Haltearbeit, und die wird für den Menschen sehr schnell schmerzhaft. Gilt für den rechten oberen Totpunkt übrigens ebenfalls.