Recht ist, was durchgesetzt wird

PaD 34 /2024 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 34 2024 Recht ist, was durchgesetzt wird

 

Es gibt  eine wunderschöne Idee, die damit beginnt, dass alle Menschen gleich sind, vor allem vor dem Recht, das sich eben diese  gleichberechtigten Menschen nach gründlicher Diskussion unter Einhaltung demokratischer Spielregeln gegeben haben, mit dem Ziel, den Frieden zu wahren, Gerechtigkeit in allen Belangen walten zu lassen und jene, die sich weigern, die Spielregeln einzuhalten, mit sanftem Druck auf den rechten Weg zurückzuführen.

Diese Idee entstammt einer Philosophie der Schwäche.

Damit sei nicht gesagt, dass diese Idee verwerflich sei. Wo Schwache sich darauf einigen, ihre Schwäche hinter einer allgemeinen Moral der Friedfertigkeit zu verbergen, in der gleich Schwache sich zugleich gleich stark fühlen, weil sie sich allgemein gültige Regeln gegeben haben, weil sie untereinander auf Mittel der Gewalt verzichten, so dass Schwäche und Stärke nicht gegeneinander antreten, sich nicht miteinander messen, noch nicht einmal vergleichen, könnten wahrhaft paradiesische Zustände eintreten. Es funktioniert nur nicht.

Die Menschen sind weder gleich, noch freiwillig friedfertig. Deshalb  sahen die Schwachen und die Friedfertigen sich bald gezwungen, ihre Idee zu erweitern, um jene Regel, die besagt, dass Gewalt, wo sie zur Wahrung des Friedens der Friedfertigen unumgänglich ist, in die Hände einiger weniger Starker aus ihren Reihen gelegt werden müsse, um die Masse der Friedfertigen davor zu bewahren, selbst Gewalt anwenden zu müssen.

Dass mit der Schaffung dieses Gewaltmonopols die Grundfesten der Philosophie  der Gleichheit bereits in sich zusammengebrochen sind, dass damit anerkannt wurde, dass es selbst unter den friedfertigen Schwachen Starke gibt, ja geben muss, weil es ohne die nicht möglich ist, die Einhaltung der Regeln zu erzwingen, hat man sich damit schöngeredet, dass nur so die Schwäche der Schwachen gewahrt werden und ihre Friedfertigkeit verherrlicht werden könne. Außerdem tröstete man sich mit der nächsten, wunderschönen Idee, dass es nämlich, falls die Starken sich nicht im gewünschten Sinne verhalten sollten, jederzeit gelingen könne, mittels Wahlen oder Abstimmungen, diese Starken durch andere, bessere Starke zu ersetzen. Dass dabei vorausgesetzt wurde, abgesetzte Starke würden sich widerstandslos wieder als Schwache unter die Schwachen einreihen, und falls nicht, würden die neu eingesetzten Starken sie in ihre Schranken weisen, zeugt ganz besonders von der Harm- und Arglosigkeit der Schwachen, mit der sie sich ihre Ideen schönredeten, um sich bloß nicht selbst zur Wehr setzen zu müssen.

Es gibt einen Namen für den Beschluss,
freiwillig wehrlos zu werden:

Kapitulation.

Wer kapituliert hat, ist rechtlos geworden. Das ist den Schwachen jedoch nicht bewusst geworden, denn ihre Entrechtung hat sich so geäußert, dass die ursprünglich verabredeten demokratischen Regeln Stück für Stück verändert wurden, weil die Starken diese Veränderungen einforderten, mit der Begründung, nur so die Schwachen besser, bzw. überhaupt noch schützen zu können. Was wollten die Schwachen dagegen tun? Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihre fortschreitende Entrechtung klaglos hinzunehmen, denn Kritik an den Starken war schon bald verboten, was es praktisch unmöglich machte, mittels Wahlen oder Abstimmungen neue, bessere Starke an die Macht zu bringen.

Die Schwäche mutierte zur wehrhaften Demokratie.

Tatsächlich aber handelte es sich um die Okkupation der Demokratie durch die Starken, die zwar dafür sorgten, dass Regelverletzungen der Schwachen geahndet wurden, sich selbst aber längst als Gestalter der Regeln und somit über dem Gesetz stehend betrachteten. Die seit dem Ende des Feudalismus vergessene Spruchweisheit: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, tauchte im Flüstern der Schwachen wieder auf, und wenn doch einmal die Ausnahme zu beobachten war, dass nämlich ein Starker von den Starken zur Strecke gebracht wurde, dann nur, weil er anderen Starken ins Gehege  gekommen war.

Die bisherigen Ausführungen beziehen sich nicht auf ein bestimmtes Land, einen Staat oder eine Nation, sie sind überall zu beobachten, wenn auch in unterschiedlich fortgeschrittenen Stadien, und sie sind auch da zu beobachten, wo sich aus der Euphorie der Demokratien nach dem Sieg über Deutschlands „Drittes Reich“, unter Führung der Starken die Weltgemeinschaft in den Vereinten Nationen organisierte, um das gleiche Spiel auf globaler Ebene zu etablieren, was – wie konnte es anders sein – zum gleichen Ergebnis führte.:

Die Starken bestimmten die Regeln,
die Kleinen hatten sich zu fügen.

Wobei die Einteilung in Starke und Schwache den eigentlichen Wesenskern der UNO bildet. Die Kleinen dürfen in der Vollversammlung ihre Reden schwingen, die Kleinen dürfen in der Vollversammlung ihre Resolutionen verabschieden, und die Großen bestimmen im Sicherheitsrat darüber, was davon relevant ist und wer mit wem gegen wen in den Krieg ziehen darf.

Die ganz Großen hingegen ignorieren selbst den Sicherheitsrat, erkennen  den Internationalen Gerichtshof nicht an, sondern tun ausschließlich das, was in ihrem Interesse liegt und mit ihren Machtmitteln durchsetzbar ist.

Weil es den Großen und Starken dabei gutgeht, während die Schwachen dafür mit Hab und Gut, mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben bezahlen, besteht eine gewisse  Neigung unter den Schlaueren der Schwachen darin, sich den Großen und Starken als Helfer und Helfershelfer anzudienen, auf dass auch sie am Wohlergehen der Starken teilhaben dürfen. Man kann es ihnen nicht verdenken. Jeder hat das Anrecht auf sein persönliches Streben nach Glück, das muss man eben da suchen, wo es zu finden ist, und nicht unter der Laterne, wo es zwar hell, aber ansonsten öd und leer ist.

Bertold Brecht, ein aufmüpfiger und dabei vermutlich selbstloser Freund der Schwachen, hat sich der Verachtung, dem Hohn und Spott der Starken ausgesetzt, weil er den vergeblichen Versuch unternommen hat, die Funktionsweise des Systems sichtbar zu machen. Seine, in meinen Augen wichtigste, exakt auf den Punkt gebrachte und zeitlos gültige Aussage an die Verdammten dieser Erde lautet:

Wer kämpft, kann verlieren.
Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Nun ist der Begriff „Kampf“ längst weichgespült und seines ursprünglichen Sinnes durch inflationären Gebrauch beraubt. Wo der Begriff „Kampf“ heute umgangssprachlich verwendet wird, fehlt das Element des Todes des Besiegten in den meisten Fällen vollständig, wie auch der Wille des Siegers, den Kontrahenten physisch zu töten nicht erwähnt, und wo er zu erkennen wäre, schamhaft verschwiegen wird.

Im Boxkampf, dem kastrierten Nachfolgespektakel altrömischer Gladiatorenkämpfe, dem der Ruch halbseidener Unterweltvergnügungen anhängt, ist davon noch etwas zu verspüren. Doch der bürgerliche Bürger kämpft nicht mehr. Er kämpft nicht um seinen Arbeitsplatz, nicht um seinen Lohn, auch wenn die Gazetten mit zentimeterhohen Überschriften vom Arbeitskampf sprechen. Er kämpft auch nicht um die Durchsetzung seiner Interessen in den Parlamenten, sondern greift, nachdem der so genannte Wahlkampf mit viel Eigenlob und noch mehr Konkurrenzbeschimpfung beendet ist, zur Fernbedienung, um in Erfahrung zu bringen, was das Ergebnis der Auszählung (der Auszählung!) erbracht hat. Weiß er das, dann weiß er das, und das war es dann.

Diese Art von Kampf wird Brecht meines Erachtens nicht gemeint haben, was zugleich bedeutet, dass Brecht in dem Irrtum verhaftet war,  alle Menschen seien gleich, und insbesondere gleich stark, und wenn schon nicht gleich stark, so dass doch eine Koalition von Schwachen in der Lage wäre, die Starken zu besiegen.

Hat sich eine Koalition der Schwachen gebildet, als in der Corona-Zeit sich die Stärksten die Taschen füllten und die Starken im Hochgefühl grenzenloser Macht die Grundrechte außer Kraft setzten? Ja. Koalitiönchen haben sich gebildet und wurden auseinandergetrieben, ihre Anführer verfolgt, ihre Sprecher angeklagt und verurteilt.

Hat sich eine Koalition der Schwachen gebildet, als die Grenzen geöffnet, die Sozialsysteme und die Staatskasse geplündert, der Wohnungsmarkt verwüstet und die öffentlichen Straßen und Plätze zur Bühne für Messermorde und Gruppenvergewaltigungen gemacht wurden? Ja. Koalitiönchen haben sich gebildet. PEGIDA nannten sich welche, die auseinandergetrieben und als Extremisten und Rassisten gebrandmarkt wurden, und wo aus den Koalitiönchen dann doch Koalitionen wurden, da tragen sie das Stigma des „gesicherten Rechtsextremismus“ und das Damoklesschwert des Parteiverbots hängt am seidenen Faden über jenen Köpfen, die schon vor den Kadi gezerrt werden, wenn sie nur bekennen, mehr als nur ein bisschen für Deutschland eintreten zu wollen.

Die Weltgeschichte lehrt, und die aktuellen Geschehnisse bestätigen es:

  • Wo der Starke auf Schwache trifft, genügt sein Wille, um sie zu unterwerfen. Schamhaft erzählen sie dann lieber Geschichten, wie die von einer kleinen Segeljacht auf der Ostsee, und von deren Besatzung, die man gerne vor Gericht stellen würde, könnte man ihrer denn habhaft werden, als sich ihrer Schwäche zu schämen, weil sie sich von der Scham nicht dazu bewegen lassen wollen, den Kampf aufzunehmen, den sie innerhalb von Stunden verlieren würden. Alles daran zu setzen, innerhalb von wenigen Jahren selbst stark zu werden, übersteigt ihr Vorstellungsvermögen, vielleicht auch, weil dies schon einmal versucht wurde und schiefgegangen ist.
  • Wo Starke auf Starke treffen, wird der Kampf irgendwann unausweichlich. Der Krieg im Nahen Osten, seit Jahrzehnten als vernichtender Schlag gegen den Iran erwartet und immer wieder hinausgezögert, ist ein solcher Kampf. Israel ist so weit, dass der eigene Überlebenswille dazu antreibt, den ersten schweren Schlag zu setzen, im Vertrauen darauf, dass die Freunde aus den USA im eigenen geostrategischen Interesse den Rest übernehmen. Mit der Attacke auf tausende von Hisbollah-Kämpfern, der zugleich das Rückgrat der Kommunikation zwischen Führung und Einsatzkräften gebrochen hat, wurde ein Mittel gewählt, das im deutschen Strafrecht kaum als Notwehr, sondern eher als heimtückischer Mord in einigen Fällen und Mordversuch in rund 3.000 Fällen angesehen werden müsste. Doch es geht hier nicht ums Strafrecht, es geht um einen – meinens Erachtens auf Augenhöhe geführten – Kampf auf Leben und Tod, und da entscheidet kein Strafrecht, sondern alleine die Geschichtsschreibung des Siegers darüber, ob es sich um eine Heldentat oder ein Kriegsverbrechen gehandelt hat.

Beim anderen Großkonflikt, in dem sich die NATO, vertreten durch die Ukraine, und Russland nur vertreten durch sich selbst, mit militärischen Mitteln beharken, sehe ich eine andere Situation.

Ja, Russland ist stark, keine Frage, aber will Putin auch wirklich kämpfen? Die Antwort  hat er selbst gegeben. Er spricht nicht vom Krieg, sondern lediglich von einer militärischen Spezialoperation. Er will die Ukraine nicht wirklich um jeden Preis niederwerfen. Er will eigentlich nur den Donbas und, dass die Ukraine nicht Mitglied  der NATO wird. Die NATO hingegen will Russland besiegen, in Kleinstaaten zerbrechen und diese wiederum unter ihre Kontrolle bringen. Die „Vordenker“ haben dies oft genug zum Ausdruck gebracht, und Leute wie Kiesewetter und Hofreiter sprechen dies nach, weil sie gerne zu den Starken gehören wollen,  ohne auch nur daran zu denken, dass mit Russland auch ganz Westeuropa verwüstet würde.

So ist es einerseits als klug einzuschätzen, dass Putins Ziele nicht über den Erfolg seiner Spezialoperation hinausgehen, während  es andererseits gefährlich erscheint, weil sein Verhalten dem Verhalten der Schwachen zum Verwechseln ähnlich ist, und nur die Kühnheit der Starken auf der anderen Seite herausfordert. Man ist sich inzwischen einig darin, dass es sich bei Putins „roten Linien“ nur um leere Drohungen handelt, denen keine Taten folgen, schon gar keine, die über das Gebiet der Ukraine hinaus Wirkungen zeigen.

Angriffe mit NATO-Präzisionswaffen auf Ziele weit im russischen Hinterland häufen sich. Drohnen über Moskau sind dabei das eine, mehr psychologische Kriegsführung als wirksame Angriffe, brennende Munitionslager, brennende Raffinerien und Tanklager sind das andere, und die haben vermutlich größere Wirkungen auf die Fähigkeiten  der russischen Streitkräfte,  als es die spärlichen Nachrichten der westlichen Medien vermuten lassen.

Anders als zu Napoleons und Hitlers Zeiten ist Russland kein weites Land mehr, in das sich die Truppen zurückziehen können, um den vorstoßenden Gegner, dessen Nachschublinien längst überdehnt sind, aus der Tiefe des Landes heraus zurückwerfen zu können.

Die Erde ist geschrumpft, und Russland mit. Satelliten kundschaften permanent jeden Quadratmeter der Fläche aus, erkennen lohnende Ziele, und weitreichende Waffen schlagen dort nach minimalen Vorwarnzeiten vernichtend ein. Der Konflikt in der Ukraine, der anfänglich im Wesentlichen als Grabenkrieg der Infanterie geführt wurde, ist, auch wegen der ukrainischen Verluste an Personal, doch bereits in diesen Krieg der weitreichenden Waffen hineingewachsen. Warum sich eine Schlacht mit Panzern auf dem eigenen Gebiet liefern, wenn die Panzer auch mit einem präzisen Drohnenangriff vor Erreichen der Kontaktlinie stillgelegt werden können, weil ihnen der Sprit ausgeht?

Nach meiner Einschätzung nähert sich der Konflikt mit Riesenschritten der letzten roten Linie Russlands, deren Überschreiten den Einsatz der russischen Nuklearstreitkräfte auslösen wird.

Es muss gefragt werden, wie es so weit kommen konnte.

Die strategischen Winkelzüge der Weltpolitik nachzuvollziehen, ist nicht besonders schwer. Spätestens als Brzeziński die Welt als Schachbrett und die Ukraine darin als die entscheidende, zu knackende Position des Gegners beschrieben hat, hat sich alles dieser Sichtweise und diesem Ziel entsprechend entwickelt. Das ist aber nicht die Antwort auf die Frage, wie es so weit kommen konnte.

Es ist so weit gekommen, weil die Schwachen zu viel von ihrer Macht an die Starken abgegeben haben. Es ist so weit gekommen, weil die Schwachen in den USA, in England, in Frankreich, in Japan, natürlich auch in Deutschland und in vielen anderen Staaten der Welt, mit der Errichtung des Gewaltmonopols für ihre selbstgewählten Starken, je nach Lesart, entweder die Entscheidung über ihr Schicksal fahrlässig aus der Hand gegeben haben, oder ihr Schicksal vertrauensvoll in die Hände ihrer Starken gelegt haben.

Wir erkennen, dass es auf die Lesart nicht ankommt, wenn das Ergebnis – und diesem Fall der dritte Weltkrieg – so oder so zustande kommt, weil die Starken es so wollen.

Es hapert überall, ob nun in Demokratien oder Diktaturen, an der Möglichkeit, die jeweiligen „Starken“ hinreichend zu kontrollieren und sie daran zu hindern, ihren Untertanen Schaden zuzufügen.

Das funktioniert auch da nicht, wo es den Untertanen erlaubt ist, in der Öffentlichkeit scharfe Waffen zu tragen.

Es könnte allenfalls da funktionieren, wo eine starke, nicht korrumpierte Opposition existiert, wo das Volk gewillt und in der Lage ist, beide Seiten zu hören, sich in Freiheit über das Gehörte auszutauschen, und eine per Saldo als schädlich erkannte Regierung abzulösen.

Es ist diese Möglichkeit, die den Charme der Demokratie ausmacht, während die Unerreichbarkeit dieses Ideals schon so manchen glühenden Demokraten in die Verzweiflung getrieben hat.

Der in Deutschland von der Regierung ausgerufene Kampf für die Demokratie, der sich bei Licht betrachtet als ein Kampf gegen die Meinungsfreiheit und das Aufkommen einer starken Opposition herausstellt, wird uns dieser Möglichkeit nicht näher bringen.

Alles was hilft, ist es, uns unserer Schwäche bewusst zu werden, und dann, im Bewusstsein dieser Schwäche mit dem Training zu beginnen, um sie zu überwinden und stärker zu werden.

Es kann doch nicht so bleiben, dass das, was gegen den Willen der Bürger durchgesetzt wird, schon alleine deshalb Recht ist, weil es durchgesetzt werden konnte.