Friedrich Merz steht mit dem Rücken zur Wand. Genauer gesagt, er lehnt mit dem Rücken an der Brandmauer. Das Dumme dabei ist, die Brandmauer ist instabil. Sollte er sich zu fest daran anlehnen und abstützen, könnte sie einstürzen. Er würde umfallen. Das ist die eine Seite des Dilemmas.
Sollte er jedoch versuchen, Abstand von diesem fragilen Gebilde zu gewinnen, und sei es nur in der Hoffnung, aus der Distanz würde sie kleiner erscheinen, überwindbar vielleicht sogar, brächte ihn sein Retirieren in die von der SPD aufgebaute Falle. „Merz verharmlost die AfD“, hieße es dann, „will sogar mit den Faschisten paktieren. Wählt die Rettung, wählt SPD, Grüne und LINKE!“ Das ist die andere Seite des Dilemmas.
Der Ausweg aus dem Dilemma steht sperrangelweit offen.
Dass Merz diesen Ausgang nicht nimmt, liegt nicht daran, dass er ihn nicht erkennen könnte. Es liegt daran, dass ihm ein Satz, wie ihn Konrad Adenauer geprägt hat, als er sagte: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“, niemals selbst einfallen würde. Ich fürchte, er würde sich sogar scheuen, diesen Adenauer-Satz zu zitieren, um sein Handeln zu begründen.
Stattdessen rettet er sich in zwei unhaltbare Aussagen:
- Merz behauptet, die AfD wolle ein grundsätzlich anderes Land und stelle alle Grundsatzentscheidung der Bundesrepublik seit 1949 in Frage.
- Merz behauptet, die von der AfD zur Zusammenarbeit ausgestreckte Hand sei in Wahrheit eine Hand, die „uns“ vernichten will.
Daraus leitet der die Schlussfolgerung ab, die AfD sei – wahrscheinlich – der Hauptgegner der CDU in den kommenden Wahlen.
Dem möchte ich zwei Aussagen der AfD entgegenstellen, die immer wieder geäußert werden, denen aber vorsorglich nicht vehement widersprochen wird, weil damit nur noch mehr Licht auf einen Sachverhalt fallen würde, der lieber im Dunkeln bleiben soll.
- Die AfD behauptet nämlich, und ich sehe das in weiten Teilen genauso, dass die Union und Friedrich Merz die Bundestagswahlen gewonnen haben, weil sie die wichtigsten Themen und die Lösungsvorschläge dazu von der AfD übernommen haben.
- Die AfD behauptet weiterhin, dass ihre politischen Ziele vor wenigen Jahren noch zum Standardrepertoire der Union gehörten, was auch dazu geführt habe, dass viele ehemalige Mitglieder von CDU und CSU, wie auch viele ehmalige Wähler von CDU und CSU den Weg zur AfD gefunden hätten.
Dem unvoreingenommenen Beobachter ist dabei vollkommen klar, dass die Schnittmengen der Union mit der AfD weitaus größer sind als zu jeder anderen im Bundestag vertretenen Partei. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Merz in einer Koalition mit der AfD nahezu alle seine Wahlversprechen hätte einlösen können, die er, mit dem Partner SPD an seiner Seite, eins nach dem anderen fallen lassen musste.
Was treibt Friedrich Merz um?
„Nibelungentreue“, also extreme Loyalität bis in den sehenden Auges in Kauf genommenen Tod kann es nicht sein. Da müsste es ja jemanden geben, dem er in tiefer Überzeugung und bei seiner Ehre die Treue geschworen hat. Da ist aber weit und breit niemand und nichts. Helmut Kohl? Angela Merkel? Gewiss nicht. Barack Obama? Auch nicht. Ursula von der Leyen? Nee. Man arrangiert sich, bestenfalls. Klaus Schwab, Larry Fink, George Soros, Bill Gates …? Glaub‘ ich auch nicht.
Friedrich Merz ist ein Einzelgänger ohne Leitstern, ohne Kompass. Es treibt ihn wahrscheinlich nichts von innen heraus an. Seine Bewegungen tragen alle Zeichen des Ausweichens, und wenn es hoch kommt, entsteht aus dem Ausweichen eine Flucht nach vorn, egal, wo gerade vorn sein mag.
Daraus ergibt sich natürlich die spannende Frage, wem oder was mag er wohl ausweichen? Die ist schon weit schwieriger zu beantworten.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass er scheinbar nicht immer ausweicht, sondern oft sogar den starken Maxe markiert. Zum Beispiel in der Frage des Umgangs mit Russland, in der Frage der Taurus-Lieferungen an die Ukraine. Doch da ist immer eine Distanz von hunderten nautischen Meilen zwischen ihm und dem Ort des Geschehens, und außerdem steht er da auch immer mit anderen Willigen auf dem gleichen Balkon. Da, wo ihm weder Starmer noch Macron oder Selenski unterstützen, wo er also alleine in Berlin Verantwortung für deutsche Innenpolitik übernehmen müsste, da fährt er seine Ausweichmanöver und folgt gerne auch den Anweisungen des Lotsen Klingbeil (und, ja, die Anspielung auf Bismarck ist hier Absicht).
Meine Deutung geht dahin, dass Friedrich Merz Situationen ausweicht, in denen ihm die Gefahr droht, am Ende als Schuldiger, als Alleinschuldiger dazustehen. Einen Coup, wie den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomenergie oder die Grenzöffnung Merkels, würde er nie wagen. Die Schuldenorgie, noch mit dem alten Bundestag verabschiedet, ähnelt dem zwar, aber – großer Unterschied – SPD, Grüne und LINKE haben mitgemacht. Die gesamte UnsereDemokratie war fest entschlossen auf seiner Seite, und die AfD hielt er da noch für halbierbar.
Das scheint das Muster zu sein, an dem sich Merz’sche Entscheidungen erkennen lassen:
Entweder „Weiter so!“, denn was schon die Vorgänger entschieden haben, dafür kann er ja nichts,
oder eben „in der Masse und mit der Masse der Willigen“, denn die waren ja alle auch dafür.
Auch wenn der Schaden für die Union und der Schaden für Deutschland dadurch unermesslich groß werden sollte, ein Amoklauf ist es nicht.
Er weicht ja nur aus.