Die Semantik ist eine Wundertüte. Wenn man lange genug schüttelt, kommt heraus, dass auch eine Brechstange ein Brechmittel sein kann.
Nach dem Skandal um die SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, in dessen Verlauf nicht nur die Kandidatin aufgrund ihrer Einstellungen und ihres Wertekanons trotz vorheriger Absprachen und dem Versuch, sie per Fraktionszwang durchzusetzen, gottseidank – und dies im Sinne der christlichen Lehre – vom konservativen Kern der Unionsparteien standhaft abgelehnt wurde, will die SPD es nun mit der Brechstange erzwingen.
Mir fällt dazu die Begegnung mit einer Bereichsleiterin eines DAX-Konzerns ein, die ihren – in meinen Augen obsönen – Wahlspruch „Zähigkeit geht vor Fähigkeit“ wie eine Standarte vor sich hergetragen hat. „Du musst nichts können, nur dranbleiben. Vorne anstellen. Hier schreien. Die unterdrückte Frau raushängen lassen. Immer wieder. Nie aufgeben. Dann klappt das mit der Beförderung.“
Mir war dies zum Fremdschämen peinlich. Sie war stolz, diesen Trick für das persönliche Fortkommen entdeckt zu haben. Und, ja, da war sie nun Bereichsleiterin geworden. Dumm und dreist gefiel sie sich in ihrer Machtfülle und trieb ihre Untergebenen langsam aber sicher in den Wahnsinn.
Ich weiß nicht, ob Frauke Brosius-Gersdorf aus dem gleichen Holz geschnitzt ist, und von sich aus versucht, das ihr gestern noch sicher scheinende Amt mit aller ihr zur Verfügung stehenden Zähigkeit zu erringen, oder ob es Lars Klingbeil ist, der mit seiner Rolle als eigentlicher, aber im Hintergrund wirken müssender Bundeskanzler nicht zufrieden ist, ob es die grünen Fraktionsvorsitzendinnen Dröge und Haßelmann sind, die auf die Professorin einwirken, jedenfalls soll die Unionsfraktion nun mit der leibhaftigen Frauke Brosius-Gersdorf konfrontiert werden, in der Hoffnung, dass es die den Konservativen immer noch innewohnende Höflichkeit unmöglich machen wird, dieser Frau gegenüber offen auszusprechen, was man von ihr hält.
Ist dieser linke Trick gelungen, so hofft man, werde einer, der sich vor Frauke in den Staub geworfen hat, bei der nächsten Abstimmung nicht mehr in der Lage sein, sich für den Widerstand gegen diese Besetzung zu erheben.
Es ist so fies.
Jede Frau, die unter Schmerzen ein Kind geboren hat, jeder Vater, der stolz in der Entbindungsklinik erstmals das eigene Kind in den Armen gehalten hat, der voller Rührung und Liebe erstmals spürte, wie sich eine winzige Hand um seinen Finger schloss, muss alleine das Aussprechen des Gedankens, ein solches kleines, hilfloses Wesen in all seiner Vollkommenheit kurz vor der Geburt noch zu ermorden und mit dem Klinikmüll zu entsorgen als ein abscheuliches Verbrechen ansehen. Das hat nichts mit Kirche und Religion, nichts mit den Vorstellungen alter weißer Männer zu tun, nichts mit Frauenfeindlichkeit, nichts mit Hass und Hetze. Das ist alleine Menschlichkeit und Liebe.
Es mag Schwangere geben, deren Lebensumstände tatsächlich so schrecklich und aussichtslos sind, dass sie nicht in der Lage sein werden, die Belastungen, die ein Kind natürlich auch mit sich bringt, zu tragen. Da ist die 3-Monatsfrist der straffreien Abtreibung ein Weg, wenn auch der schlechtere, die Adoption, zur Not die Babyklappe, stellen den anderen, besseren Weg dar. Sich aber sorglos schwängern zu lassen, schon mit dem Vorsatz: Wenn’s schief geht, wird halt abgetrieben, ist eine Einstellung, die ich nicht nachvollziehen kann und will.
Zum Glück – und das ist jetzt Zynismus – vereint Frauke Brosius-Gersdorf die Idee der Straffreiheit der Abtreibung bis zur Geburt mit der Idee, die AfD mit der aus der Luft gegriffenen Anklage, es gäbe verfassungswidrige Bestrebungen, mal eben schnell verbieten zu lassen. Letzteres alleine hätte die Unionsfraktion vermutlich nicht zum Widerstand getrieben, wobei ich immer noch hoffe, mich in dieser Einschätzung zu irren.
Liebe Unions-Abgeordnete in der Sommerpause, lasst euch nicht einlullen. Ein durch und durch auf links getrimmtes Verfassungsgericht wird sich nicht nur gegen die AfD wenden. Denkt an Bonhöfer:
„Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte …“
