
Entschuldigen Sie die überspannte Überschrift, aber manchmal muss man die Ereignisse einfach auf eine andere Ebene ziehen, um darin wenigstens noch einen Rest von verhaltenspsychologischer Logik zu entdecken.
Es war einmal, als die Ampel frisch zerbrochen war, da zog die Union, wohl auf Geheiß ihres Kandidaten, einen Gesetzentwurf zur Migrantenabwehr an der Grenze zurück, weil er nie, nie, niemals das Vernünftige in die Wege leiten werde, wenn die falschen Stimmen eine Zufallsmehrheit zustande bringen könnten.
Wenig später sitzt Friedrich Merz wie Humpty Dumpty ganz oben auf der Brandmauer der Anbeter Ihrerdemokratie und verspricht seinen Rücktritt für den Fall, dass in der Union zu viele Stimmen zu laut werden, die eine Koalition mit der AfD fordern.
Anderntags erklärt der gleiche Friedrich Merz seine Bereitschaft für ein Fernsehduell mit der Kanzlerkandidatin der AfD und rudert auch nicht auf der Stelle zurück, wie man das hätte erwarten sollen, als diese sich ohne Zögern bereit erklärt, öffentlich mit ihm zu diskutieren.
Andertags verbreitet er seine Erkenntnis, dass man so eine Partei in einer Koaltion nicht einhegen könne, sondern dass, wer sich so eine Natter an den Hals legt, von dieser erwürgt werde.
Zu guter Letzt, wenn man denn von einer „guten Letzt“ sprechen kann, lehnt er sich deutlich weiter als seine 1,98 m Körpergröße aus dem Fenster, verkündet dass er schon am ersten Tag seiner Kanzlerschaft alle Grenzen zu allen Nachbarländern streng kontrollieren lassen und keinen Illegalen mehr hereinlassen werde. Der seidene Faden, an dem er da frei schwebend vor dem Fenster hängt ist vollkommen unsichtbar, vielleicht gar nicht vorhanden. Man fragt sich, ob Merz in seiner Jugend nicht doch einmal ein Jahr in Rishikesh zugebracht und dort die Kunst der Levitation erlernt hat.
Sage niemand mehr, dieser Wahlkampf entbehre jeglicher Spannung, weil sowieso klar ist, dass Merz in einer Koaltion mit Grünen und SPD der nächste Kanzler wird, von dem man sich einen neuen Kurs, selbst wenn er selbst es wollte, nicht versprechen dürfe.
Ist es nicht erstaunlich und erheiternd zugleich, wie dieser Friedrich Merz, der kleine Millionär mit Privatflugzeug, eifersüchtig versucht, sich zwischen den großen Milliardär mit seinen Raketen und die des Mandarin mächtige Alice Weidel zu drängen. Wie früher auf der Dorfkirchweih! Wo die Burschen aus Hinterniederödendorf von den Burschen aus Obervorderödendorf verprügelt wurden, wenn sie versuchten, sich an die Obervorderödendorfer Lies heranzumachen. „Die Lies ist unsere!“, hieß es dann, und: „Auf sie mit Gebrüll!“
Mögen es diese archaischen Triebe gewesen sein, die Merz wonnetrunken um ein Gespräch bei Alice Weidel anhalten ließen, oder doch einfach nur eine nicht rational nachvollziehbare, ans Licht drängende Eingebung: Das Ergebnis bleibt allemal das gleiche. Friedrich Merz hat sich, wie ein Malerlehrling, der zum ersten Mal alleine zum Fußbodenstreichen geschickt wurde, hoffnungslos in die Ecke gepinselt. Allensbach hat zwar gestern noch verzweifelt 34 Prozent für die CDU/CSU an die Tafel geschrieben, aber bei INSA und Yougov steht die Union schon unterhalb der 30-Prozent-Marke. Der Versuch, unübersehbar rechts zu blinken, um in letzter Sekunde doch noch links abzubiegen, kann als gescheitert betrachtet werden. Die Union verliert, die AfD legt zu.
Vor ein paar Tagen, in angeregter Gesprächsrunde, waren wir uns einig: „Wenn nichts mehr geht, tritt er zurück.“
Damit rückt der nächste Kandidat in der Thronfolge der Union ins Rampenlicht. Söders Situation ist allerdings auch nicht besser. Er hat jegliche Koalition mit den Grünen so kraftmeierisch abgelehnt, dass er, sollte die CSU die bundesweite 5%-Hürde überspringen, entweder die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU kündigen und zur Opposition überlaufen, oder gleich ein Koalitionsangebot an die AfD richten müsste, wollte er nicht etwas tun müssen, was in den Genen der CSU nicht vorgesehen ist, nämlich eine Minderheitsregierung zu bilden, und dies mit der abgehalfterten SPD.
So vor die Wahl gestellt, gemeinsam mit der AfD entweder die Oppositionsbank zu drücken oder auf der Regierungsbank zu sitzen, hätte Söder meines Erachtens nicht das geringste Entscheidungsproblem – und wer hilft ihm dabei noch aus den Niederugen des gesicherten Rechtsextremismus aufs Pferd? Höcke. Höcke zieht sich zurück. Wenn das kein Argument für eine Söderwende ist, was denn dann?
Zugegeben, die Vision vom Dream Team Weidel-Söder hat durchaus erhebliche Schönheitsfehler, aber es ist verrückt, dass man sich nach drei Jahren Ampel und vier Wochen vor der vorgezogenen Bundestagswahl eine solche Konstellation ohne jede satirische Anwandlung überhaupt ernsthaft ausmalen kann.