Merz hat doch keinen einzigen Wähler getäuscht …!

Zynischer Entwurf für die Begründung einer Klageabweisung

Mathias H. Markert, ein Rechtsanwalt zu München, hat einen verstaubten Paragraphen des Strafgesetzbuches ausgegraben, von dem wohl niemand auf Anhieb zu sagen wüsste, ob er überhaupt jemals bereits zur Anwendung gekommen ist. Diesen da:

Strafgesetzbuch (StGB)

§ 108a Wählertäuschung
(1) Wer durch Täuschung bewirkt, daß jemand bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen nicht oder ungültig wählt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.

Eine kleine Recherche ergab allerdings, dass bereits 1985 das erste Urteil im Zusammenhang mit dem §108a StGB ergangen ist, und seitdem 35 weitere, zuletzt im Januar 2025.

Darunter findet sich ein schönes Beispiel dafür, was unter strafwürdiger Wählertäuschung zu verstehen ist.  Lesen Sie selbst in der FAZ vom 11.06.2018.

Kurzfassung:

Die Beschuldigten hatten Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund, die kaum der deutschen Sprache mächtig waren, dazu bewegt, Briefwahlunterlagen anzufordern. Diese füllten die Beschuldigten dann teils selbst aus und fälschten auch Unterschriften. Das Urteil: Bewährungsstrafen zwischen 7  und 18 Monaten, eine Geldstrafe über 2000 Euro.

Wie gesagt, das war nur ein Beispiel. Sie dürfen daraus nicht schließen, der Münchner Anwalt habe die CDU beschuldigt, die Briefwahl auf diese Weise manipuliert zu haben. Darauf ist er gar nicht eingegangen.

Stattdessen hat er die Wählertäuschung darin gesehen, dass Friedrich Merz seine Wahlversprechen gebrochen habe. Das ist natürlich Unfug.

Wahlversprechen kann man frühestens brechen, wenn man in das Amt eingeführt wurde, aber selbst das ist noch kein Beweis für gebrochene Wahlversprechen. Darüber kann frühestens am Ende der Amtszeit geurteilt werden, denn bis dahin hat der Gewählte Zeit, seine Versprechen zu erfüllen.

Beim Bundeskanzler ist das nicht anders. Selbst wenn er als Wahlkämpfer erklärt haben sollte, dass er schon am ersten Tag seiner Amtszeit dies und jenes in die Wege leiten werde, kann dies doch nicht als vorsätzliche Wählertäuschung aufgefasst werden, wenn er diese ernstgemeinte Absicht unter den sich in unserer Zeit schnell verändernden Umständen zu Gunsten anderer Notwendigkeiten zurückstellen muss.

Und überhaupt: Eine Wahl ist doch kein Vertrag. Ein Wahlversprechen kein Antrag (Angebot) zum Vertragsschluss, an den der Wahlkämpfer gem. §145 BGB gebunden wäre. Selbst wenn, käme immer noch §154 BGB zum Zuge, wo es heißt: „Solange nicht die Parteien sich über alle Punkte eines Vertrags geeinigt haben, (…) ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen.“

Eine solche Einigung über alle Punkte eines Wahlversprechens kann vor Wahlen gar nicht stattfinden, zumal der Wahlkämpfer keine Ahnung hat, wer unter den Wählern ihm seine Stimme geben wird und auch nach der Wahl allenfalls in Einzelfällen in Erfahrung bringen kann, wer ihn gewählt hat.

Sogar eine Lotterie, wo ja in der Werbung Millionen über Millionen versprochen werden, die große Mehrheit der Loskäufer aber immer wieder vollkommen leer ausgeht, unterscheidet sich juristisch betrachtet von der vertraglichen Bindungswirkung noch ganz erheblich vom Wahlversprechen. Denn mit dem Kauf des Loses hat der Loskäufer das Anrecht darauf erworben, dass sein Los an den Ziehungen teilnimmt. Wenn auch die Chance, dass ihn der Hauptgewinn trifft, nur bei 1 : 10 Millionen liegen mag, er hat, anders als der Wähler, genau diesen Anspruch und damit Grund zur Hoffnung.

Bei Wahlen hat der Wähler ja nicht einmal ein Anrecht darauf, dass die von ihm Gewählten überhaupt in den Bundestag einziehen. Wie sollten die denn ihre Wahlversprechen einhalten, wenn sie an der 5-%-Hürde gescheitert sind?

Daraus ergibt sich zwingend, dass auch kein anderer Wähler ein Anrecht darauf haben kann, dass die Wahlversprechen der Partei, die er gewählt hat auch eingelöst werden.

Freie, gleiche und geheime Wahlen bedeuten eben nicht nur, dass alle Wähler das gleiche Stimmrecht ausüben können, es bedeutet auch, dass alle die gleichen – in diesem Fall eben keine – Ansprüche darauf erwerben können, dass ihre Wahl auch zum versprochenen Ergebnis führt. Damit ist klar, dass über den Kreis der Wähler der Kleinparteien hinaus, die wegen der 5-%-Hürde nicht in den Bundestag gelangen, auch die Wähler jener Parteien, die sich am Ende in der Opposition wiederfinden, nicht verlangen können, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen.

Es wäre grob ungerecht und widerspräche dem Gleichheitsgrundsatz eklatant, wenn dann ausgerechnet jene Wähler, deren Stimmen zufällig für eine Regierungsmehrheit ausreichen, einen solchen Anspruch erheben können sollten.

Im Gegenteil. Der Gerechtigkeit wird nur genüge getan, wenn exakt niemand nach der Wahl das bekommt, was er sich mit seiner Stimmabgabe auf Basis von Wahlversprechen erhofft hat.

Wer darauf abhebt, Wahlversprechen seien einzulösende vertragliche Leistungen, verkennt den Charakter unserer Wahlen. Nur wenn die Wähler, statt ihre – im materiellen Sinne wertlose – Stimme abzugeben, den Parteien und/oder Kandidaten einen ausreichend großen Geldbetrag im Wahlumschlag in die Urne werfen würden, könnten sie unter Umständen ein Anrecht auf die verprochene Gegenleistung geltend machen.

So, wie es heute läuft, geht das nicht.