Das in der Nacht von Halloween auf Allerheiligen in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz hat zwar einer Minderheit neue Rechte eingeräumt, was – um mit dem ehemaligen Regierenden Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, zu sprechen – auch gut so ist, doch damit kann man es doch nicht schon gut sein lassen. Dem ersten Schritt muss der zweite folgen!
Jedes Gesetz, das ausschließlich einer Minderheit neue Rechte gewährt, auch wenn diese Rechte bei Anwendung juristischer Spitzfindigkeit auch von allen nicht Betroffenen wahrgenommen werden könnten, ist ein Akt der Diskriminierung weiterer Minderheiten und nicht zuletzt auch der schweigenden Mehrheit.
Was kann denn selbst bestimmen, wer Mann ist und dies auch bleiben will, wer Frau ist, und mit seinem Geschlecht zufrieden? Nischt!
Der Titel „Selbstbestimmungsgesetz“ ist eine Mogelpackung. Erst wenn man checkt, dass das Gesetz tatsächlich so heißt:
„Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“,
wird seine eng gefasste Wirksamkeit erkennbar, und damit auch die Notwendigkeit, eine Vielzahl weiterer Selbstbestimmungsgesetze auf den Weg zu bringen, um das Ideal des selbstbestimmten Bürgers endlich auch in Deutschland zu verwirklichen.
Fragen Sie jetzt nicht, wo es sonst schon verwirklicht ist, „endlich auch in Deutschland“ klingt einfach viel zu schön, um darauf verzichten zu können.
Ein längst überfälliges, weil in der Praxis längst geübtes, aber theoretisch noch illegales selbstbestimmtes Recht, auf die Rückerstattung nicht gezahlter Steuern, könnte ohne lange Debatten sehr schnell auf den Weg gebracht und
„Selbstbestimmungsgesetz in Bezug auf die Cum-Ex-Besteuerung“
genannt werden. In diesem Falls sollten, zur Entlastung von Untersuchungsausschüssen und Gerichten, bei Inkrafttreten auch alle in der Vergangenheit selbstbestimmt entgegengenommenen Erstattungen als legale Handlungen in vorweggenommener Eigenverantwortung angesehen werden. Besonders Empfängern besonders großzügiger Erstattungen und deren Unterstützern sollten eventuell sogar Bundesverdienstkreuze für den langjährigen Kampf für das Selbstbestimmungsrecht umgehängt werden. Damit wäre wieder eine Minderheit bestens bedient.
Eine Mehrheit würde sich hingegen über ein
Selbstbestimmungsgesetz in Bezug auf Familienstand und Steuerklasse
freuen. Natürlich hätten auch hier wieder jene das Nachsehen, die als Verheiratete bereits vom Ehegattensplitting profitieren. Alle Ledigen jedoch, die dann die Steuerklasse III und eine beliebige Anzahl von Kindern eintragen lassen können, werden dem Staat und seinen Repräsentanten sehr viel mehr Hochachtung entgegenbringen, anstatt sich in Beschwerden über die Steuerlast zu delegitimierenden Äußerungen hinreißen zu lassen. Ich frage mich schon lange, ob die Unterscheidung zwischen verheiratet und ledig von Staats wegen überhaupt noch aufrecht erhalten werden kann, nachdem der sehr viel deutlicher zu erkennende Unterschied zwischen männlich und weiblich der Selbstbestimmung überlassen wurde und damit irrelevant geworden ist.
Wer will noch mal, wer hat noch keins? Ich hätte da noch ein
Selbstbestimmungsgesetz in Bezug auf das (Renteneintritts- und sonstige) Alter
in petto. Natürlich bleibt es vorläufig beim abschlagsfreien Renteneintritt mit 67. So ein im Gesetz gesetztes Datum ändert man nicht so einfach. Warum aber nicht jedem, ab vollendetem 14. Lebensjahr das Recht zugestehen, sein Alter von da an selbst zu bestimmen. Der 14-Jährige wird da zuerst die 18-Jahres-Hürde nehmen, falls er den Staat davon entbinden möchte, ihn nach dem Jugendschutzgesetz zu schützen. Bei Wiedereinführung der Wehrpflicht könnte dann das Alter 45 gewählt werden, denn wer das 45. Lebensjahr vollendet hat, wird nicht mehr eingezogen. Zuletzt kommt dann die Sache mit der Rente mit 67. Wer meint, genug Beitragspunkte gesammelt zu haben, erklärt sich für 67 und geht abschlagsfrei in Rente, bei unbegrenztem Hinzuverdienst.
Auch hier handelt es sich um ein Selbstbestimmungsgesetz, das weit vordringlicher erscheint als das jetzt in Kraft getretene. Man muss der Legislative aber zugestehen, dass mit solchen Selbstbestimmungsgesetzen erst einmal Erfahrungen gesammelt werden müssen. Da ist es zu verstehen, dass der Bundestag erst einmal ganz klein angefangen hat.
Ganz groß wäre hingegen das noch aussstehende
Selbstbestimmungsgesetz in Bezug auf das Führen mutmaßlich tödlicher Waffen in der Öffentlichkeit.
Gerade Neubürger, die aus toleranteren Gesellschaften als der unseren gekommen sind, fühlen sich durch das deutsche Waffenrecht in erheblichem Maße diskriminiert und in ihrer freien Entfaltung eingeschränkt. Da diese Gesetze sowieso nur bei jenen durchgesetzt werden können, die tödliche Waffen lediglich zu jagdlichen oder sportlichen Zwecken verwenden, und Gesetze, die nicht durchgesetzt werden können, ihren Zweck verfehlen, sollte sich jeder, der es will, einen Waffenschein und eine Waffenbesitzkarte selbst ausstellen können. Formulare können im Internet zum Herunterladen als PDF angeboten werden. Dieses Vorgehen würde erhebliche Ressourcen bei Ämtern und Behörden freisetzen und damit den Steuerzahler entlasten. Wer von diesem Recht nicht Gebrauch macht und unbewaffnet Opfer von Gewalt wird, hat dazu quasi eingeladen und verliert daher jeglichen Rechtsanspruch auf Entschädigungsleistungen. Es ist wie mit dem Fahrradhelm. Der ist auch freiwillig, aber es gibt nicht in jedem Fall die erhofften Versicherungsleistungen, wenn jemand – ungeschützt – vom Rad herunter auf den Kopf gefallen ist.
Wenn schon Selbstbestimmung bei der Bewaffnung, dann muss auch das
Selbstbestimmungsgesetz in Bezug auf das Führen von Kraftfahrzeugen
kommen. Da erübrigen sich alle weiteren Ausführungen. Eine Schande für den Rechtsstaat, dass hier immer noch die subjektive Wahrnehmung so genannter „Prüfer“ ausschlaggebend sein darf, ob jemand ein Kfz führen darf oder nicht. „Freie Fahrt für freie Bürger!“, dieser Wahlspruch aller Deutschen muss endlich vollumfänglich erfüllt werden.
Der ganz große, jeden und jede betreffende Selbstbestimmungs-Befreiungsschlag muss jedoch einem
Selbstbestimmungsgesetz in Bezug auf die hierarchische Position
vorbehalten bleiben. Hier sind noch erhebliche Abstimmungsbedarfe abzuarbeiten, bevor die sprichwörtlichen Nägel ohne Köpfe gemacht und eingeschlagen werden können, um die es hier geht. Wir kennen das doch alle: Der Lehrling fragt sich, warum er nicht Geselle ist, der Geselle, warum er nicht Meister ist. Der Schüler hält sich für den besseren Pädagogen und möchte gerne Lehrer oder gleich Schuldirektor sein. Jeder kleine Finanzbeamte wäre lieber Finanzminister, jeder Ministrant wäre lieber Kardinal oder Papst, kein Stadtrat, der nicht lieber Bürgermeister wäre, und so weiter, und so weiter. Bisher ging mit dem Streben nach Selbstbestimmung allerdings auch die Einsicht einher, dass es zwar viele Katholiken, aber eben immer nur einen Papst geben kann, und dass auch ein täglicher Wechsel der Person auf dem Stuhl Petri nichts daran ändern würde, dass immer nur ein winziger Bruchteil der Katholiken diesen Platz erringen könnte.
Die Partei „Bündnis 90 Die Grünen“ hat daher vor vier Jahren einen experimentellen Prozess aufgesetzt, mit dem das Selbstbestimmungsgesetz in Bezug auf die hierarchische Position auf eventuell mögliche und unvorhersehbare Risiken und Nebenwirkungen untersucht werden sollte. So beschloss man damals, vor rund vier Jahren: Egal ob jemand von Hühner, Schweine, Kühemelken oder aus dem Völkerrecht, ob vom Kinderbuchmanuskript oder direkt vom Trampolin kommt, jeder soll selbst bestimmen können, ob er ein Ministeramt bekleiden will und welches das sein soll. Auch ein Veganer, so er denn selbstbestimmt über die Landwirtschaft im Lande bestimmen will, soll daran nicht gehindert werden können.
Der Erfolg hat den Grünen zweifellos recht gegeben. Ist es ihnen mit der selbstbestimmten Personalwahl doch nicht nur gelungen, die ganze Fortschrittskoalition zu dominieren, sondern eben auch die Realität mit bisher unvorstellbar ambitionierten Projekten derart hart zu konfrontieren, dass die Folgen noch weit über diese Legislaturperiode hinaus fortwirken werden. An der Nachhaltigkeit dieses Vorgehens ist also schon einmal kein Zweifel mehr möglich.
Ob es neben der Nachhaltigkeit noch weitere Kriterien gibt, an denen das Experiment gemessen werden soll, darüber schweigen sich die Grünen noch aus. Insofern ist es auch schwierig, den Rücktritt der beiden Vorsitzenden richtig einzuordnen. Aber schließlich schließt die Selbstbestimmtheit in Bezug auf die hierarchische Position ja neben dem Aufstieg auch den Abstieg ein. So wie in Bezug auf den Geschlechtseintrag ein jährlicher Wechsel möglich ist, müsste das ja auch bei Parteivorsitzenden und Ministern möglich sein. Erst hinauf an die Spitze, und dann wieder zurück ins Glied. Eventuell sogar noch öfter als nur einmal jährlich.
Ergänzung:
Das Selbstbestimmungsgesetz regelt nichts in Bezug auf das Geschlecht selbst. Das bleibt unberührt. Es geht lediglich um einen bürokratischen Akt, um den Eintrag ins Register und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen.
Bei der hier vorgeschlagenen Auswahl weiterer Selbstbestimmungsgesetze soll das nicht anders sein. Es geht um den Schein auf dem die Bescheinigung dokumentiert wird. Ändern muss sich in der Realität deswegen nichts. Es sind lediglich die Rechtsfolgen, die neu bestimmt werden.