Künstliche Intelligenz – Todesdroge der Menschheit?

PaD 16 /2025 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad16 2025 Künstliche Intelligenz Todesdroge der Menschheit

Die Frage, was die KI mit der Menschheit anstellen könnte, wird von zwei Lagern unterschiedlich beantwortet. Es gibt die eine Fraktion, die annimmt, die KI werde irgendwann ein eigenes Bewusstsein entwickeln und auf der Basis eines diesem Bewusstsein inhärenten Wertesystems damit beginnen, die Weltherrschaft zu übernehmen. Die andere Fraktion nimmt an, die KI werde zu einem immer besseren Werkzeug der Menschheit, mit dessen Hilfe bisher unlösbare Aufgaben gelöst werden könnten, was dazu führt, dass die Menschheit in immer größerem Umfang frei wird von Routineaufgaben und in nahezu göttlicher Vollkommenheit mit Hilfe der KI völlig neue Welten erschaffen könne.

Beide Lager neigen dazu, die KI als einen geschlossenen, einheitlichen Block anzusehen, zu dem die bisher bekannten Einzelanwendungen unweigerlich zusammenwachsen werden, dessen Bewusstsein  das Bewusstsein eines einzigen und alleinigen „Wesens“ sein werde (Lager 1), oder (Lager 2), dessen Benutzeroberfläche so einfach und zugleich universell gestaltet wäre, wie Aladins Lampe, wenn man das „Reiben“ an der Lampe mit dem „Wischen“ am Display übersetzt und dies mit der Spracheingabe des Smartphones kombiniert.

Mit der KI-zentrierten Betrachtungsweise, die beide Lager pflegen, wird die künftige Rolle der Menschheit bereits nur noch als Ausdruck und Form einer von der KI erzwungenen Anpassung angesehen. Ob es sich bei dieser Anpassung um die Unterwerfung unter die Herrschaft der KI handelt, die sich möglicherweise einer Form des chinesischen Social Score Systems bedienen wird, oder ob diese Anpassung zum glorreich-glücklichen Versinken in ein Schlaraffenland führt, spielt keine Rolle. Beides sind – zu Ende gedacht – dystopische Vorstellungen.

Die Gewissheit, dass es so kommen wird, die bei den Bedenkenträgern den Ruf nach vorsorglichen Beschränkungen der KI immer lauter werden wird, während die von den bisherigen Erfolgen berauschten Entwickler stürmisch weiter auf die „Vollendung“ hinarbeiten, teile ich nicht.

Der ganze KI-Hype wird nach spätestens 20 Jahren wieder in sich zusammenbrechen. Vielleicht auch schon deutlich früher. Das, was dem Publikum heute noch weitgehend kostenlos angeboten wird, weil darin ein Weg gefunden wurde, die KI mit Hilfe von Millionen von neugierigen Freiwilligen kostensparend zu trainieren, wird nach und nach verschwinden, bzw. nur noch als kostenpflichtiges Feature zu haben sein, wobei gleichzeitig das neugierige Interesse an den Hervorbringungen der KI nachlassen wird. In Bezug auf die KI-generierten Bilder stelle ich für mich persönlich längst eine Übersättigung dar. Staunen und Bewunderung sind längst abgeschliffen, die Bilder sind auf ihre KI-eigene Weise zwar perfekt, aber nicht echt. Das wird sich totlaufen, wenn der Neuigkeitseffekt weg ist und das Schicksals der Tamagotchis erleiden.

Meine eigenen Erfahrungen mit der Herstellung KI-generierter Illustrationen für meine Artikel sind durchweg negativ. 

Der zeitliche Aufwand, eine Illustration zu erzeugen, die der eigenen Vorstellung einigermaßen nahekommt, ist sehr hoch. Die KI versteht die „Prompts“, mit denen die Wünsche mitgeteilt werden, häufig auch nach der zehnten  Neuformulierung einfach nicht.  Effizienter, weil mit geringerem Aufwand näher am gewünschten Ergebnis, ist es immer noch, in Bilddateien, wie z.B. im kostenlos Pixabay-Archiv nach einer passenden Abbildung zu suchen, und sogar das etwas mühsamere Zusammenfügen mehrerer Bildausschnitte zu einer Collage ziehe ich inzwischen dem Bildgenerator der KI vor, weil ich damit zielstrebig auf meine eigene Vorstellung hinarbeiten kann. Dankbar bin ich nur jenem Teil der KI, das mit ziemlicher Präzision Hintergründe aus Bildern entfernt, weil ich die so freigestellten Objekte besser in meine Collagen einpassen kann.

Meine Erfahrung mit KI-erstellten Texten sind ebenfalls durchweg negativ.

Natürlich ist es erstaunlich, was die KI zu einer Fragestellung oder einem vorgegebenen Thema so zusammenträgt. Aber wenn man erst einmal fünf von ChatGPT erstellte Texte gelesen hat, ist man hinreichend trainiert, um das Muster zu erkennen, das von den Programmierern für die Ausgabe vorgegeben wurde. Die Ergebnisse von Google-Suchen sind ehrlicher und ermöglichen es, sich eine eigene Meinung zu bilden. ChatGPT liefert die penetrante Ausgewogenheit von „sowohl als auch“, bewegt sich dabei gerne auch im Konjunktiv und lenkt damit eher vom Gegenstand des Interesses ab. Auch das wird sich totlaufen und nur in chronisch unterfinanzierten Redaktionen eine Anwendungsnische finden.

Zwei Bereiche, die als KI bezeichnet werden, haben meiner Meinung nach mit „Intelligenz“ nichts zu tun. Das sind medizinische Diagnosetools, die aus bildgebenden Verfahren oder Messwerten heraus eine Diagnose ableiten, und es sind die Anwendungen der Gesichtserkennung. Beides sind schlicht Verfahren des Vergleichens von aktuellen Mustern mit gespeicherten Mustern, die als Ergebnis den Grad der Übereinstimmung abliefern.

Autonome und teilautonome in Echtzeit vernetzte Waffensysteme bilden ein Zwischenstadium zwischen reiner Mustererkennung plus Reaktion und den Vorhersagetools, weil abhängig von der bekannten Gefechtslage, der erkannten Gefahr und den Fähigkeiten der verbundenen Waffensysteme eine Optimierung des Waffeneinsatzes und der Zielauswahl stattfindet.

Anders ist es bei den sogenannten „Vorhersage-Tools“. Ob es um das Wetter der nächsten drei Tage, die Kursentwicklung an den Börsen oder die Wahrscheinlichkeit einer Straftat geht, diese Vorgänge sind weit komplexer, obwohl auch bei ihnen am Anfang die Mustererkennung, also ein Vergleichsverfahren steht, wird die Zahl der zu berücksichtigenden Umgebungsvariablen und damit verbundener „Gesetzmäßigkeiten“ immens hoch, was die Wahrscheinlichkeit des Zutreffens der Prognosen rapide mindert, je weiter der Prognosezeitpunkt in der Zukunft liegt.

Die kurze, keineswegs vollständige Liste von Anwendungsmöglichkeiten macht bereits deutlich, dass ein Zusammenwachsen der  KI zu einem einzigen globalen System sehr unwahrscheinlich ist. Die Waffen-KI braucht kein Lyrik-Modul um dem Gegner Gedichte in den Schützengraben zu expedieren und die Bilderzeugungs-Software braucht kein Wettermodell, um Licht und Schatten in den Abbildungen zu berücksichtigen. Wenn es auch immer um Vergleichen und Reagieren geht, um Mustererkennung und Schlussfolgerungen: Die Einzelanwendungen werden vielleicht unter dem Dach eines einzigen Entwicklungsunternehmens existieren, bei den Anwendern wird es jedoch immer nur einen autonom einsetzbaren Ausschnitt davon geben. Dies schon alleine deshalb, weil der Anwender stets nur das bezahlen wird, was ihm einen Nutzen bringt, und nur soviel, wie der Nutzen wert ist.

Dass Softwarepakete der künstlichen Intelligenz von alleine auf die Idee kommen könnten, sich gegenseitig ineinander zu integrieren, um ein unschlagbares System zu bilden, das jeder menschlichen Intelligenz in jeder Hinsicht überlegen ist, halte ich für eine Science Fiction Erzählung, deren Zeit noch nicht gekommen ist und vermutlich auch nie kommen wird.

Es ist nicht zu bestreiten, dass die Entwicklung der KI erst am Anfang steht, vor allem, dass noch längst nicht alle Anwendungsbereiche auch erschlossen sind. Es kann zudem auch nicht bestritten werden, dass der Einsatz der KI mindestens eine von zwei gewichtigen Zielsetzungen verfolgt.

  • Erkenntnisse zu gewinnen und Lösungen zu finden, die mit anderen Mitteln nicht, nicht schnell genug oder nicht mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand hergestellt werden können, und
  • durch den Einsatz von Technik anstelle von Menschen, Kosten zu sparen, also einen Wettbewerbsvorteil zu erringen.

Beide Zielsetzungen weisen ihre jeweils eigenen, schwerwiegenden Probleme auf.

Im Bereich der anders nicht findbaren Lösungen und Erkenntnisse

wird sich herausstellen, dass die von der KI angebotenen Lösungen und Erkenntnisse sich der Möglichkeit einer Nachprüfung auf anderem Wege entziehen. Man wird folglich entweder im blinden Glauben an die KI jene Maßnahmen ergreifen, die sich aus den Aussagen der KI ergeben und erst im Nachhinein feststellen können, ob – und welche – positiven oder negativen Folgen daraus entstanden sind.

Nehmen wir eine für eine Regierung speziell für Fragen der Wirtschaftspolitik entwickelte KI, die aus den aktuellen Statistikdaten Gefahren für die konjunkturelle Entwicklung erkennen und daraus Maßnahmen ableiten soll, die ein jährliches Wirtschaftswachstum im Zielbereich von 2 bis 4 Prozent sicherstellen.

Welche Basis steht dieser KI zur Verfügung? Womit wurde sie trainiert? Vielleicht gibt es einen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, dem dies vom Hersteller mitgeteilt wurde und der es auch begriffen hat. Sicher ist das allerdings nicht. Es ist auch ziemlich egal, welche Volkswirtschaften mit ihrer Entwicklung über welche Zeiträume in die Wissensbasis der KI einbezogen sind, ebenso ist egal, welche Lehrsätze welcher Nationalökonomen irgendwo in den Algorithmen ihren Niederschlag gefunden haben.

  • Entscheidend ist, dass alles, worauf sich diese KI abstützen kann, Wissen aus der Vergangenheit ist. Selbst wenn EU-Verordnungen, die erst in drei Jahren in Kraft treten, schon berücksichtigt sein sollten, handelt es sich um Wissen aus der Vergangenheit, das sich in der Zukunft als falsch herausstellen kann, weil die Verordnungen vor ihrem Inkrafttreten modifiziert oder ganz gestrichen werden können.
  • Entscheidend ist weiter, dass die KI für nichts, was sie als Ergebnis herausgebracht hat, Verantwortung tragen kann, während der zuständige Minister stets in Versuchung steht, sich mit Verweis auf die KI aus der eigenen Verantwortung herauszumogeln, zumal er auch nicht in der Lage wäre, zu begründen, warum die KI irrt, denn die Prozesse, die innerhalb der KI zu einer Entscheidung führen, sind selbst von den Entwicklern nicht mehr nachzuvollziehen.

Es ist abzusehen, dass das Vertrauen in derartige KI-Ergebnisse über die Zeit eher abnehmen als zunehmen wird, und dass, sollte es doch zunehmen, der Schock beim ersten Anzeichen einer Rezession, die mit Hilfe der KI ja vermieden werden sollte, umso verheerender ausfallen wird. Solche Systeme sind durchaus mit den Orakeln der Antike zu vergleichen. Sie liefern bestenfalls selbsterfüllende Prophezeihungen, in der Regel irrelevanten Murks, in manchen Fällen aber auch die Zutaten für eine blutige Tragödie. Selbstverständlich stehen Entscheidern, die sich alleine auf ihre menschliche Intelligenz verlassen müssen, auch keine besseren Daten zur Verfügung, im Gegenteil, sie werden in ihre Entscheidungsfindung nur einen Bruchteil dessen einbeziehen können, was die KI „bedenkt“. Dafür steht ihnen aber ein weit über das Fachgebiet hinaus reichendes Bild der Welt zur Verfügung, verbunden mit jenen archaischen Programmen, die über Millionen von Jahren das Überleben der Art gesichert haben und nun als  Bauchgefühl in Erscheinung treten, und darüber hinaus jenes menschliche Prinzip, das sich durch Algorithmen nicht wirklich nachbilden lässt, nämlich das Verantwortungsgefühl.

Im Bereich derjenigen KI-Lösungen, die Personalabbau möglich machen,

liegt das Problem im Personalabbau selbst. Wir sprechen hier ja nicht mehr nur über Mitarbeiter mit gleichartigen Routinetätigkeiten, die größenteils schon in vorangegangenen Rationalisierungs- und Automatisierungsschritten durch IT-Anwendungen ersetzt wurden. Wir sprechen über Menschen, die auch außerhalb von starr vorgegebenen Richtlinien Entscheidungen zu treffen hatten und daher über Fachwissen, Erfahrungen und auch über ein gewisses Gespür für die Tragweite ihrer Entscheidungen verfügten, und über alles dies hinaus auch über den Mut, unter besonderen Umständen auch einmal völlig außergewöhnliche Entscheidungen zu treffen.

Wir sprechen hier zum Beispiel von den Sachbearbeitern und der untersten Führungsebene in den Schadensabteilungen der Versicherungswirtschaft. Sind die weg, ist nicht nur ein erheblicher Kostenfaktor eingespart, es ist auch ein riesiger Erfahrungsschatz eliminiert. Stattdessen existiert ein stark vereinfachtes Abbild dieses Erfahrungsschatzes in den Akten der Schadensabteilung, die wiederum benutzt wurden, um die KI mit zigtausenden von Fällen zu trainieren. Auch hier begegnen wir dem Phänomen, dass zwar sehr viele Informationszusammenhänge erfasst wurden, um der KI zu ermöglichen, ein passendes Muster zu erkennen, dass es sich dabei aber um reine Vergangenheit handelt, und um bloße Ergebnisse, über deren Zustandekommen jedoch bestenfalls fragmentarische Informationen überliefert sind.

Diese Informationsmenge veraltet. Natürlich wird man versuchen, aktuelle Urteile in Schadensersatzverfahren in die Wissensdatenbank der KI einzupflegen, aber schon die Frage, welche Relevanz, welches Gewicht diesen Urteilen in Bezug auf das eigene Verhalten in der Schadensregulierung beigemessen werden sollte, ist ohne die eingesparten Experten nur noch schwer zu beantworten. Was daraus folgt ist ein Prozess, den ich „Versprödung der Organisation“ nennen möchte und der sich in immer schablonenhafterem Vorgehen zeigt und mit höchster Wahrscheinlichkeit die Zahl der streitigen Verfahren und der Urteile zu Lasten der Versicherung ansteigen lassen wird. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, an dem die KI die Richter der Amts- und Landgerichte ersetzt.

Solche Nachteile lassen sich verkraften, solange die Personalkostenersparnis größer ist als die Kosten aus verlorenen Prozessen. Dies lässt sich verkraften, solange das Neugeschäft nicht leidet, weil der Ruf der Versicherung durch ihre Haltung bei der Schadensregulierung nicht beschädigt ist.

Stehen in beiden Bereichen die Ampeln auf rot, wird man die Schadensexperten nicht mehr fragen können, wo das Problem liegt, die gibt es nämlich nicht mehr. Deshalb schlägt dann die Stunde der Marketingleute und der Werbeagenturen mit ihren KI-Texten und KI-Bildern. Das Ergebnis ist Kosmetik. Das Problem wird zugekleistert, statt es zu identifizieren und zu lösen. Das kostet viel Geld und hält nicht lange.

Wir stehen vor einem Unternehmen, das sein eigenes Geschäftsmodell nicht mehr versteht. Was wir nun sehen, ist nicht mehr nur Versprödung, es ist bereits der Einstieg in die Verblödung.

Nun übertragen wir dieses Szenario schlicht auf die ganze Republik, auf die ganze EU und am Ende auf die ganze Welt.

Es ist eine Tragödie, die in gewisser Weise den erdgeschichtlichen Massensterben ähnelt. Mit  dem Unterschied, dass es diesmal Wissen und Fertigkeiten sind, die in atemberaubender Geschwindigkeit verlorengehen.

Die Anfänge sind überall bereits zu erkennen, und zwar nicht nur da, wo man an die Arbeit am Bildschirm denkt.

Im Stall bewegen sich die Kühe von alleine in den vollautomatisch digitalisierten Melkstand, der die Qualität der Milch jeder Kuh analysiert und dem Milchwirtschaftsbetreiber für jede Kuh individuelle Empfehlungen für Futtermischung, Fitnesstraining und Anmeldung beim Metzger liefert. Auf dem Feld zieht ein fahrerloser, GPS-gesteuerter Traktor den Pflug in so exakten Bahnen, dass der EU-Subventionssatellit nicht die geringste Abweichung von der vorschriftsmäßigen Flächennutzung erfassen kann.  In den Vorgärten tummeln sich die Mähroboter, in den Wohnzimmern die Saug- und Wischroboter, die, wenn es sein soll, auch die Fenster putzen.

Immer mehr Autos auf den Straßen sind mit raffinierten Assistenzsystemen ausgerüstet, die dem Fahrer auch schon mal „in den Arm fallen“, abgesehen von jenen Modellen, die gänzlich autonom fahren können.

Navigationssysteme, die nicht nur ihren Standort selbständig ermitteln und von da aus den Weg von A nach B finden, sondern auch  abhängig von der aktuellen Verkehrslage die günstigste Route auswählen und zur Not auch Schleichwege kennen, die sonst nur den unmittelbaren Anwohnern bekannt sind, haben längst Karte und Kompass ersetzt.

Aus Japan erreichen uns Berichte von Robotern mit humanoid gestaltetem Äußeren, die in der Kranken- und Altenpflege ihren Dienst tun, und am Himmel ziehen Flugzeuge mit hunderten Passagieren ihre Bahn, während die Piloten sich Ruhe gönnen und dem Autopiloten die Kontrolle überlassen.

Übersetzungsdienste, wie DeepL, schaffen es mit hoher Präzision, in Sekundenbruchteilen Texte aus vielen verschiedenen Sprachen in andere Sprachen zu übersetzen. Streamingdienste liefern automatisch erzeugte Untertitel zu Videos und die gewünschte Übersetzung in die Sprache des Nutzers gleich mit.

Die ersten Ladengeschäfte ohne Bedienungs- und Kassenpersonal haben ihre Pforten geöffnet. Maschinen erkennen den Kunden und was in seinem Einkaufswagen liegt, Maschinen erstellen die Rechnung, Maschinen buchen den Rechnungsbetrag vom Konto ab.

Riesige Hochregallager packen einzulagernde Ware vollkommen ohne System in jene Fächer, die gerade frei sind, und holen sie auf entsprechende Aufforderung dort auch wieder heraus. Die Maschine merkt sich einfach, wo sie was abgelegt hat. Solche Systeme, eine Nummer kleiner, finden sich auch bereits in vielen Apotheken. Der Apotheker läuft nicht mehr selbst ins Lager. Er erfasst das Rezept, und dann klappert es irgendwo hinter dem Tresen und die gewünschten Medikamente fallen aus dem Ausgabeschacht.

Es ist nicht alles künstliche Intelligenz, was ich hier angerissen habe, aber alles hat eine Neigung sich mit künstlicher Intelligenz zu verbinden und dabei noch effizienter zu werden. Der Blutzuckerwerte vom Sensor auf der Haut und die Vitalwerte von der Fitnessuhr, überschreiben inzwischen die natürlichen Funktionen des persönlichen Wohl- oder Missempfindens, und zwar bevor entsprechende Empfindungen überhaupt auftreten. Sie warnen vor zu viel von diesem und zu wenig von jenem, treiben an zu exakt kalkulierter sportlicher Betätigung, empfehlen den Arztbesuch und rufen am Ende die Rettung, wenn die KI einen Notfall erkennt.

Wenn der Mensch, auf die Frage, wie es ihm geht, erst einen Blick auf die „Wie-es-mir-geht-App“ auf dem Smartphone werfen muss, um zu wissen, wie es ihm geht, dann ist der Mensch endgültig vom Subjekt zum Objekt verkommen. Etliche haben diesen Zustand bereits erreicht, viele stehen unmittelbar davor.

Auf vielen Websiten von Unternehmen versuchen ChatBots eine Kommunikation mit den potentiellen Kunden aufzunehmen. Manche sind miserabel unfähig, aber manche sind auch richtig gut, und weil die werkelnde KI so schnell ist, kann ein ChatBot gleichzeitig mit hunderten von Kunden kommunizieren. Da leeren sich allmählich auch die Säle der CallCenter.

Ein Schritt weiter, und es gibt keinen menschlichen Sachbearbeiter mehr im JobCenter.

Wer jetzt in KI investiert, wird im Handumdrehen reich, tönt es überall – und die Lemminge springen über die Klippen, wie immer, wenn schneller Reichtum versprochen wird.

Es wird bald auch in den Finanzämtern keinen menschlichen Sachbearbeiter mehr geben.

Wo in fast menschenleeren Fabrikhallen die Roboter nicht Hand in Hand, aber Greifarm in Greifarm, still konzentriert vor sich hinarbeiten,  und mit gleichbleibend hoher Qualität in der gleichen Zeit das Doppelte und Dreifache von dem schaffen, wofür früher hunderte Menschen erforderlich waren, da scheint das Paradies zum Greifen nahe.

Das Ganze läuft auf einen Kulminationspunkt zu, der dann erreicht sein wird, wenn die Kostenersparnisse durch Personalabbau als schrumpfende Kaufkraft so deutlich sichtbar werden, dass die Geschäftsmodelle reihenweise zusammenbrechen.

Dies ist dann entweder das Ende des Kapitalismus oder der Anfang der Massenverelendung.

Das hier wirksam werdende Prinzip ist ganz einfach:

Grundsätzlich gilt: Wann immer ein Beschäftigter durch Technik, also durch Kapital, ersetzt wird, geht es primär darum die Kosten zu senken. Dem sinkenden Personalaufwand stehen allerdings steigende Kapitalkosten (+Energie, +Wartung, etc.) gegenüber. Das kann beispielsweise so aussehen:

Investitionsvergleich  Technik mit KI  Technik ohne KI
Anschaffungskosten 10.000.000  Euro 8.000.000 Euro
Kalkulatorische Nutzungszeit 10 Jahre 10 Jahre
Jährliche kalkulatorische Abschreibung 1.000.000 Euro 800.000 Euro
Bedienpersonal 4 Personen 8 Personen
Personalkosten 250.000 Euro 500.000 Euro
Gesamtkosten p.a. 1.250.000 Euro 1.300.000 Euro
Mehraufwand Kapitalkosten 200.000 Euro
Einsparung Personalkosten 250.000 Euro
Gesamtersparnis 50.000 Euro

 

Die aus diesem Investitionsvergleich resultierende, rein betriebswirtschaftliche Entscheidung für die Technik mit KI, entzieht dem Markt über die Freistellung von vier Mitarbeitern deutlich mehr Kaufkraft als das per Saldo damit gewonnene Kostensenkungspotential.

Wenn es um die demografische Entwicklung und ihre Folgen für die Rentenversicherung geht, werden die Kommentatoren nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Anfang der 60er Jahre in Deutschland noch sechs Beitragszahler die Rente für einen Rentner aufbringen müssen, während heute nur noch zwei Beitragszahler pro Rentner existieren, womit das baldige Ende der umlagefinanzierten Rente zu erwarten sei.

Wenn es auf der anderen Seite um die Arbeitsplatzverluste durch Rationalisierung und Automatisierung geht, wird jedoch immer schnell abgewiegelt. Auch bei der fortschreitenden Nutzung der KI heißt es schon wieder, da gingen zwar Arbeitsplätze verloren, es würden aber gleichzeitig mehr neue Arbeitsplätze geschaffen. Dies ist allerdings eine stark verengte und letztlich irreführende Sicht. Natürlich kann es sein, dass eine exportorientierte Volkswirtschaft die Kostenvorteile aus der KI-Nutzung in Form von Preissenkungen in Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt verwandelt, was zum Erhalt oder sogar zum Aufbau von Arbeitsplätzen führen kann.

Die andere Seite der Medaille findet sich bei der importierenden Volkswirtschaft. Denn dort gehen die Arbeitsplätze jener Branchen verloren, die wegen der ausländischen Konkurrenz nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. Wer auf das achtet, was Donald Trump sagt und tut, wird zumindest erahnen, dass sich der Ausweg Export nicht nur für China, sondern auch für Deutschland bereits zu schließen beginnt, dass die Ära der Globalisierung dabei ist, in einem weltweiten Handelskrieg unterzugehen.

In weitgehend geschlossenen Volkswirtschaften mit ausgeglichenen Handels- und Zahlungsbilanzen gibt es aber keinen vernünftigen Anreiz, in zusätzliche Arbeitsplätze zu investieren. Es sei denn, die Regierung ist bereit, Investitionen und Konsum mit immer neuen Schulden zu finanzieren, und die Gläubiger, bzw. die Banken, spielen dieses Spiel mit.

Das erscheint Ihnen nicht ganz schlüssig? Dann beantworten Sie doch bitte diese einfache Frage:

Wie viel zusätzlicher Gewinn kann in einer Volkswirtschaft generiert werden, wenn eine Million zusätzlicher Arbeitsplätze geschaffen werden, die bei einem Personalkostenanteil von 50% mit Gesamtkosten von 100 Milliarden Euro nützliche Produkte für den Bedarf im Binnenmarkt herstellen?

Na?

Es geht nicht. Außer die Mehrproduktion geht großteils in den Export, oder die Konsumenten greifen ihr Erspartes an, oder der Konsum wird mit Kredit finanziert.

Die Schätzungen über die Beschäftigungswirkung des forcierten Einsatzes von KI-Systemen gehen noch weit auseinander. Das WEF spricht von 75 Millionen Arbeitsplätzen weltweit, die verschwinden werden, macht aber gleichzeitig Hoffnung auf 133 Millionen neue Arbeitsplätze. Das ist besonders komisch, weil dies auf der Annahme aufbaut, dass Maschinen bisher erst 29 Prozent aller Arbeit verrichten, dieser Anteil künftig aber auf 52 Prozent ansteigen wird. (Hier nachzulesen)

Etwas forscher sind die Analysten von Goldman Sachs in Zusammenarbeit mit den Entwicklern von OpenAI an die Schätzung herangegangen. Bis zu 300 Millionen Arbeitsplätze, überwiegend in den Industrienationen sollen weltweit verschwinden, weshalb in den USA und Europa ein Viertel der (heute noch existierenden) Arbeitsaufgaben komplett von KI übernommen werden könnte. (Hier nachzulesen)

An dieser Stelle nochmals der Hinweis auf das, was Donald Trump sagt und tut. Der Mann ist nicht verrückt. Der Mann hat den Kampf um die verbleibenden Arbeitsplätze in den (westlichen) Industrienationen aufgenommen. In den USA gibt es aktuell rund 160 Millionen Jobs. In der EU sind es rund 215 Millionen. Wenn Goldman Sachs mit den 25 Prozent richtig liegt, dann sind das in wenigen Jahren 40 Millionen zusätzliche Arbeitslose in den USA und mehr als 50 Millionen zusätzliche Arbeitslose in der EU!

Wie würden Sie diese Aussichten interpretieren? Für welche Option würden Sie sich entscheiden: Ende des Kapitalismus oder Beginn der Massenverelendung?