Keine Ausreise-Erlaubnis – woran erinnert mich das bloß?

Wer hinter dem antikapitalistischen Schutzwall saß, und nicht nachweislich absolut antikapitalistisch eingestellt war, hatte die dauerhafte Erlaubnis, dort zu bleiben wo er war. Wie schon so oft gehört: Es war nicht alles schlecht in der DDR – und diese Dauererlaubnis muss sogar als großartig-großzügige Errungenschaft des Sozialismus besonders hervorgehoben werden.

Nur, dass dafür dummerweise eine negativ konnotierte Bezeichnung gewählt wurde, dass von Ausreiseverbot oder versagter Ausreiseerlaubnis die Rede war, das hat dem Ganzen doch ein bisschen den Charme genommen. Ich hätte nicht gedacht, dass ein solcher Fehler so bald noch einmal wiederholt werden könnte.

Zumal die Rechtslage ziemlich eindeutig ist.

Es gibt da den Artikel 21 im Vertrag über die Arbeitsweise der EU, der da lautet:

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

Nun war man wohl bei der Formulierung dieses Artikels davon ausgegangen, dass möglicherweise ein EU-Staat A die Bürger eines EU-Staates B darin hindern wollen könnte, sich auf seinem Staatsgebiet aufzuhalten, wohl kaum aber dürfte man in Erwägung gezogen haben, dass Staat B ggfs. einen Anlass sehen könnte, seinen Bürgern den Aufenthalt im Staat A zu untersagen.

Es müssen findige Juristen gewesen sein, die auf die Idee gekommen sind, dass zwar kein EU-Bürger daran gehindert werden dürfe, sich in Italien aufzuhalten, dass dies aber keinesfalls bedeute, dass auch jeder Deutsche die Freiheit besäße, nach Italien zu reisen.  Insofern könne bei einem (Aus-)Reiseverbot von einem Verstoß gegen EU-Recht nicht die Rede sein. Es stünde ihm ja weiterhin frei, sich in Italien aufzuhalten. Dass es ihm nicht gelingt, Deutschland zu verlassen, ändert an seinem Recht, sich in Italien aufzuhalten, nicht das Geringste. So wie das Fehlen institutionalsierter Organe das Deutsche Reicht zwar zur Handlungsunfähigkeit verdammt, aber seinem Fortbestand in keiner Weise im Wege steht, so jedenfalls sieht das das Bundesverfassungsgericht.

Würde es sich um Personen handeln, die sich in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug befinden, hätten diese natürlich ihre Italienreise so zu planen, dass sie bei Reisebeginn wieder auf freiem Fuße sind.

Es handelt sich konkret aber um acht Personen deutscher Staatsbürgerschaft, die derzeit weder einsitzen, noch per Haftbefehl gesucht werden, von denen allerdings bekannt ist, dass sie dazu neigen, Meinungen zu vertreten, deren Angesiedeltsein unterhalb der Strafbarkeitsgrenze immerhin in der Lage ist,  die Besorgnis des starken Staates zu wecken, sie könnten dem Ansehen Deutschlands schaden.

Wie das mit den Anhängern ausschweifender Malle-Besäufnisse und dem Ansehen Deutschlands in der Welt aussieht, soll hier ebensowenig betrachtet werden, wie die teils doch irritierenden Auftritte mancher offizieller Vertreter Deutschlands im In- und Ausland.

Die betroffenen acht Bürger abweichender Meinung dürfen nun jedenfalls nicht nach Italien, auch nicht nach Österreich oder in die Schweiz, und natürlich müssen sie sich täglich persönlich bei der Polizei melden, damit diese feststellen kann, dass sie eben nicht in Italien sind.

Dushan Wegner hat dem Ganzen einen einfühlsamen Artikel gewidmet, den ich dringend zur Lektüre empfehle.

Ich schließe vorher mit Pfarrer Niemöller:

… als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

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