
Sozialversicherungsbeiträge auf Kapitalerträge – da muss doch was zu holen sein.
Sicherlich ist da was zu holen.
Warum nicht auch gleich noch die Kfz-Haftpflicht einschließen? Sind da die Beiträge nicht inzwischen auch viel zu hoch?
Nicht gleich protestieren, bitte. Beides sind Versicherungen, beides sogar gesetzlich vorgeschriebene Pflichtversicherungen. Wenn da an einer Stelle neue Beitragsquellen erschlossen werden können, warum dann nicht auch an allen anderen?
Ich habe mich nicht vergewissert, ob Habecks Plan nur die gesetzliche Krankenversicherung betreffen soll oder auch die Renten- und die Arbeitslosen- und die Pflegeversicherung. Ist aber nicht so wichtig, wenn das bei der GKV gelingen sollte, dann wären die anderen Sozialversicherungen nach kürzester Zeit auch dran.
Die Idee ist für die Finanzierung der Gesundheitskosten sowieso nicht wichtig, sondern nur für den Wahlkampf der Grünen, die damit einen neuen Gerechtigkeitspopanz aufgeblasen haben, mit dem jene ziemlich dummen und/oder neidgierigen Zeitgenossen, die nicht sowieso schon grün wählen, noch für die Habeck-Truppe begeistert werden sollen.
„Neidgierig“ ist ziemlich klar und muss nicht tiefschürfend erläutert werden. Das sieht man doch auch ohne Brille, dass die Reichen viel zu viel haben. Wer denen etwas wegnimmt und es den Armen gibt, ist ein Held, und der wird gewählt.
„Ziemlich dumm“ ist hingegen eine Kategorie, die im Kontext der Krankenkassenbeiträge eher erklärungsbedürftig ist.
Warum soll man denn ziemlich dumm sein müssen, um Habecks Vorstoß gut zu finden? Es gibt doch Beispiele, wo das prima funktioniert. Zahlen nicht in der Schweiz alle, auch die Reichsten, Beiträge zur Krankenversicherung? Und funktioniert das nicht prima?
Ja.
In der Schweiz zahlen alle sich in der Schweiz aufhaltenden Personen Beiträge zur „gesetzlichen“ Krankenversicherung.
Aber:
Dafür erhalten auch alle die Leistungen aus dieser Krankenversicherung.
Und: Die Beiträge zur Krankenversicherung werden in der Schweiz nicht einkommensabhängig ermittelt. Sie werden von den jeweiligen Krankenversicherungen innerhalb eines gesetzlich vorgeschriebenen Korridors als einheitliche Kopfprämien festgelegt.
Dass Habeck das schweizer Modell übernehmen will, davon habe ich allerdings nichts gehört oder gelesen. Da hätte er ja auch zugeben müssen, dass deutsche Geringverdiener den gleichen Kassenbeitrag aufzubringen hätten wie deutsche Großverdiener, was die Geringverdiener deutlich belasten, die Großverdiener – auch innerhalb der Beitragsbemessungsgrenze – jedoch entlasten würde, mit dem Effekt, dass beide die Leistungen der Grundversorgung in Anspruch nehmen können, die Großverdiener aber bei der Finanzierung ihrer privaten Zusatzversicherungen durch den niedrigeren Grundbeitrag sogar gegenüber ihrem derzeitigen Status noch entlastet würden.
Also haben Sie davon etwas gehört? Habeck? Schweizer Modell? Dann lassen Sie es mich bitte wissen.
Nun zur Leistungsseite:
Ich habe auch nichts davon gehört, dass Habeck den „Reichen“, die auf Kapitalerträge Kassenbeiträge zahlen sollen, den Weg in die gesetzliche Krankenkasse öffnen will. Das könnten sich die Gesetzlichen nämlich gar nicht leisten. Doch, das ist so.
Weil das so ist, ist es dem privat Krankenversicherten in Deutschland nämlich per Gesetz schon längst grundsätzlich verwehrt, in die gesetzliche Krankenversicherung zurückzukehren. Die PKV orientiert ihre Prämien nämlich nicht am Einkommen, sondern am versicherten Leistungsumfang und alle Jahre neu an der Schadensquote, also daran, wieviel Geld die Versicherung als Versicherungsleistung im jeweiligen Tarif auszahlen musste. Das führt regelmäßig dazu, dass Kohorten von älteren und kränkeren Versicherten in Tarifen sitzen, in die keine neuen, jungen, gesunden Versicherten mehr aufgenommen werden, so dass die Beiträge im Alter massiv ansteigen. Da würde so mancher gerne wieder in die GKV mit ihren doch eher kommoden Tarifen zurückkehren. Geht aber nicht.
Pflichtversicherung mit Beitragspflicht für alle kann aber nur auch Leistungspflicht der Versicherung für alle bedeuten – und schon wäre der Salat angerichtet.
Zumal sich ein Vermögen von, sagen wir, 500.000 Euro, bei einer Verzinsung von 4 Prozent auf ein monatliches Einkommen aus Kapitalerträgen von 1.670 Euro beliefe, woraus wohl – irgendwie – der volle Beitragssatz von 15 Prozent fällig würde, was der Kasse monatlich 250 Euro einbrächte. Nehmen wir an, der angekündigte „hohe Freibetrag“ würde bei 6.000 Euro jährlich festgesetzt, wären schon nicht mehr 1670 Euro beitragspflichtig, sondern nur noch 1.170, die Krankenkassen erhielten daraus nur noch 175 Euro – müssten aber für die Leistungen aufkommen, die diesen Betrag wahrscheinlich dauerhaft (also nachhaltig) übersteigen werden, weil ein 500.000 Euro Vermögen eben eher bei schon älteren und krankheitsanfälligeren Menschen zu erwarten ist. Die Ausnahmen machen dabei das Kraut nicht mehr fett.
Wollte man, und ich fürchte, Habeck hat sich das so vorgestellt, einfach Geld abgreifen ohne auch Leistungen zur Verfügung zu stellen, würde es sich nicht mehr um einen Versicherungsbeitrag handeln, sondern um eine zusätzliche Steuer. Da hätte es Habeck doch viel einfacher, wenn er die 25-prozentige Abgeltungssteuer auf 26 oder 27 Prozent anheben würde. Aber da gerät er an Vermögen, deren Inhaber sich das Geld nicht mehr so einfach wegnehmen lassen. Von einer Steuerbemessungsgrenze, wie sie die GKV als Beitragsbemessungsgrenze kennt, ist im Steuerwesen meines Wissens noch nie die Rede gewesen. Man kann doch nicht Kapitalerträge bis 100.000 Euro jährlich mit Steuern belasten, was darüber hinausgeht aber nicht … ! Weitergedacht müsste das dann zweifellos auch für Einkommen aus abhängiger Beschäftigung gelten.
Ja. Entweder man hat eine Steuersysstematik oder man hat keine. Für die Beschäftigung unserer obersten Gerichte wäre wieder einmal gesorgt.
Wenn es also ein Versicherungsbeitrag sein soll, und wenn aus dem Versicherungsbeitrag ein Leistungsanspruch erwächst, dann muss dem ziemlich dummen Wähler, der sich dafür erwärmen kann, noch ein anderes Phänomen des deutschen Gesundheitswesens erläutert werden.
Deutschlands Gesundheitswesen, die Haus- und Fachärzte, die Kliniken, die Apotheken und die Pharma-Industrie, die Physio-Therapeuten und Hilfsmittelproduzenten, leben allesamt von den Beitragszahlungen der gesetzlich Krankenversicherten und der privat Krankenversicherten. Setzen wir die Kosten dieses Systems mit 100 Prozent an, dann verändern sich diese durch Habecks Vorschlag nicht.
Was die Ärzte und Kliniken betrifft, ist jedoch festzustellen, dass 90 % gesetzlich versicherte Patienten der Ärzteschaft höchstens 80 % der Einnahmen bringen, während die 10 % der privat versicherten Patienten mindestens 20 % zum Umsatz der Praxen und Kliniken beitragen, weil den Privatpatienten für die gleiche Leistung sehr viel höhere Honorare in Rechnung gestellt werden als gegenüber den gesetzlichen Kassen abgerechnet werden dürfen.
Die de facto Abschaffung der PKV durch die Einführung einer Beitragspflicht auf Kapitalerträge würde folglich bedeuten, dass Ärzten und Kliniken bei gleichem Arbeitsanfall 10 bis 15 Prozent ihrer Einnahmen wegbrechen, was wiederum dazu führen würde, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung deutlich erhöht werden müssten, soll die Finanzierungslücke der GKV durch die Erschließung neuer Beitragszahler und Leistungsempfänger nicht noch weiter wachsen.
Ist aber kein Wunder. Das mit dem grünen Stahl war ja eine ähnliche Erfolgsgeschichte zur Begeisterung der damit ansprechbaren Wähler. Bricht halt gerade in sich zusammen, die Stahlindustrie, ganz ohne vorher zu ergrünen.