
Jüngst bat mich ein Freund, ihm mein Geheimnis zu verraten, wie ich einen Artikel nach dem anderen quasi aus dem Ärmel schüttle. „Am besten“, meint er, „du schreibst mal einen Artikel über dich und wie du schreibst.“
Bitteschön:
Während meiner letzten Station als Angestellter verpasste mir einer meiner Mitarbeiter den Ehrentitel „Schriebtäter“, weil es mir gelungen ist, Entscheidungsvorlagen für den Vorstand so zu formulieren und zu begründen, dass ich damit praktisch immer durchgekommen bin. Das liegt nun auch schon wieder mehr als fünfundzwanzig Jahre zurück, aber die Titulierung „Schriebtäter“ ist in meinen Erinnerungen hängengeblieben.
Warum ich schreibe, wie ich schreibe? Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Lassen Sie mich mit meiner vielleicht kompliziertesten Eigenart beginnen:
Ich denke in Worten. In den Klangbildern der Worte. Ich höre jeden meiner Gedanken mit meiner eigenen Stimme über einen Mechanismus in meinem Gehirn, der mir diese gesprochenen Worte vorspielt.
Aus den gedachten Worten beziehe ich Assoziationen. Nicht, oder nur ganz selten aus Bildern.
Wenn ich „Elefant“ denke, sehe ich keinen Elefanten vor mir. Daher assoziiere ich als nächstes eher „elegant“, statt „Stoßzähne“ oder „Rüssel“. Mit Elefant und elegant schlägt dann aber auch sofort meine Neigung zu reimen zu: „Der Elefant, höchst elegant, auf einer leeren Tonne stand.“
Julie kann bestätigen, dass ich ihr mindestens drei mal täglich solch einen Reim unterbreite. Meistens sind sie besser, und dann brechen wir beide in schallendes Gelächter aus.
Mit dem Elefanten auf der Tonne bin ich im „Zirkus“ und vom Zirkus ist es nur eine Millisekunde bis „Bundestag“. Und so geht das weiter. Meine innere Datenbank ist primär relational organisiert und ermöglicht frei floatende Gedanken auf Basis verbaler Assoziationen quer über alle Themen hinweg. Von daher ist es nicht verwunderlich, wenn mir gestern zum neuen „Wachstumsbooster“ unmittelbar der „Wachstumspupser“ in den Sinn gekommen ist.
Diese Freiheit ist der erst Ast, auf dem ich sitze, wenn ich schreibe.
Der zweite Ast hat etwas damit zu tun, dass es mir nicht darum geht, als besonders klug zu erscheinen und meine Umwelt in Erstaunen zu versetzen, sondern, im Gegenteil, ich mir grundsätzlich die Frage stelle, wie viel Vorwissen ich zu einem Thema bei meinen Lesern voraussetzen kann und wo und wie ich beginnen muss, die Grundlagen zu erläutern oder zumindest anzureißen, um im Hauptteil von möglichst vielen verstanden zu werden, ohne die einen zu überfordern und die anderen zu langweilen.
Dabei hat es mir sehr geholfen, dass ich schon ganz jung – neben meinem eigentlichen Job – zum Ausbildungsleiter unserer (bis zu zwanzig) kaufmännischen Lehrlinge gemacht wurde und dazu als einer der Ersten im Lande eine intensive Schulung in Pädagogik (Didaktik, Methodik) und Lernpsychologie erhalten durfte. Das waren, glaube ich, insgesamt vier Wochen mit einer strengen Abschlussprüfung vor der IHK München (Ausbildereignungsprüfung), als Voraussetzung für diese Tätigkeit.
Wer viel bei mir liest, weiß, dass ich oft drei bis vier Absätze brauche, bis ich auf den Punkt komme. Diese Einleitung ist zumeist etwas abseits vom Thema gehalten und soll helfen, den Fokus von vornherein etwas weiter zu setzen, also auch beim Leser gedankliche Spielräume zu schaffen, statt ihn quasi mit dem ersten Satz schon unausweichlich festzunageln.
Diese früh erlernten Fähigkeiten bilden den zweiten Ast.
Der Rest ist eine Mischung aus Interesse und Fleiß. Auch das will ich ein bisschen näher erläutern.
Mein Tag beginnt nach dem ersten Kaffee und der ersten Zigarette auf der Terrasse (vorher bin ich nicht aufnahmefähig) mit einem ersten Nachrichtenüberblick, wobei ich bis zu zwanzig Nachrichtenportale und Blogs abgrase und vierzig bis fünfzig Artikel lese, bzw. anlese. Daraus formt sich ein Bild, im Grunde ein Stimmungsbild, aus dem zwei oder drei Themen oder Ereignisse besonders hervorstechen. Während des Frühstücks konkretisiert sich dieses Bild. Ich weiß dann, was heute wichtig ist. Ich weiß auch schon ungefähr, welche Thematik von wem bereits gut und gründlich behandelt wurde, ich weiß, welche Aspekte nicht beleuchtet wurden, und da, wo ich meine, einen besonderen Beitrag leisten zu können, nimmt die Idee dazu während der Zigarette nach dem Frühstück Gestalt an. Es bilden sich erste Sätze, Beispiele und Analogien fallen mir ein und irgendwie entsteht der Beschluss: Ja, das ist heute mein Thema.
Allerdings gehe ich dann in einer zweiten Runde noch einmal die Nachrichten und neuesten Blogbeiträge durch. Das ist wichtig, weil ich hier entweder die Bestätigung für diesen Beschluss finde oder auf ein ganz anderes Thema stoße, das mir noch wichtiger ist.
Egal wie, so gegen 9.30 spätestens fange ich an zu schreiben. Immer mit der Überschrift, die ich selten später noch einmal ändern muss. Dabei kreise ich zuerst das Thema ein und beginne dabei auch, die notwendigen Recherchen durchzuführen. Ich habe ja beileibe nicht alles im Kopf, was ich in meinen Artikeln an konkreten Daten verwende. Was ich im Kopf habe, sind eher Relationen, sowohl in Bezug auf Größenordnungen, als auch in Bezug auf Verbindungen zwischen Ereignissen oder Personen oder Kennzahlen. In der Regel weiß ich ganz genau, dass das, was ich grob im Kopf habe, durch meine Recherchen bestätigt werden wird. Ist das einmal nicht der Fall, kann es sein, dass ich meine Argumente dennoch vortragen kann. Es kann aber auch sein, dass ich mir sage: „Aha, Wolfgang, da wärst du jetzt ganz schön in die Falle gelaufen. Gut zu wissen. Aber mit diesem Artikel wird das nun nichts mehr.‘“ Alle paar Wochen passiert mir das einmal. Wenn bis dahin schon zu viel Zeit vergangen ist, gibt es an solchen Tagen gar keinen Artikel. Wenn noch Zeit ist, gibt es einen anderen Artikel zu einem anderen Thema.
Steht der aktuelle Artikel online, geht es wieder ans Lesen und Informationen sammeln. Ich habe dann auch eher Zeit, mir einmal ein längeres Video anzusehen, vor allem aber auch Mails zu beantworten und mich mit den an mich herangetragenen Gedanken zu beschäftigen.
Das wäre dann der dritte Ast gewesen.
Hinzu kommt mein ausgeprägter Sinn für Komik. In meinen Texten schlägt sich das dann als eher subtiler Humor nieder, und ich weiß, dass das vielen Lesern gefällt.
Wie es dazu gekommen ist? Weiß ich nicht. Ich war da schon immer interessiert und auch experimentierfreudig. Ich erinnere mich daran, dass ich – es war wohl in der vierten Klasse – als Hausaufgabe einen Aufsatz mit dem Titel „Was zieht die Menschen ins Gebirge?“ schreiben sollte. Natürlich wusste ich ganz genau, was der Lehrer da erwartete, aber, wie es eben so ist, wenn man „ziehen“ hört und „Pferdekutsche“ assoziiert – ich habe mich daran gemacht, die Frage wörtlich zu verstehen und vom Auto über den Traktor und den Pferdewagen alles geschrieben, was die Frage beantwortet, und natürlich auch die Lokomotive der Eisenbahn und das Zugseil der Drahtseilbahn.
Ich habe das erst meiner Mutter gezeigt, ob ich das wohl abgeben könne. Sie meinte, ja, das gibst du ab. Das ist gut. Der Lehrer meinte humorlos: Thema verfehlt. Fünf.
Ich habe früh Satirezeitschriften abonniert, die Pardon, und den für kurze Zeit wiedererstandenen Simplicissimus, habe den Karl Valentin von hinten bis vorne gelesen, auch lustige Anekdoten aus meiner Heimat, wie sie z.B. Albert Arnold veröffentlicht hat, und natürlich den Wilhelm Busch in den gesammelten Werken und den Zille-Bildband oft und oft durchgeblättert. Später habe ich keinen Hildebrandt-Scheibenwischer verpasst, den Schramm geliebt, die Anstalt in ihren Anfängen, und dabei nie genug bekommen von den feinen Pointen, wie sie auch in den Münchner Kultserien, wie „Kir Royal“, „Irgendwie und sowieso“ oder beim „Monaco Franze“ reichlich zu finden waren.
Kleines Geständnis: Ich sehe heute noch gerne, auch in der Wiederholung, die Tatorte mit Liefers, Prahl und Urspruch, gerne auch Hubert und Staller, allein wegen der Dialoge, selbst wenn sie ins Slapstickhafte abgleiten. Vermutlich bin ich pointensüchtig. Von daher vergeht auch kein Tag, an dem ich nicht mindestens einmal bei Bernd Zeller vorbeischaue. Der bringt die Dinge nicht nur auf den Punkt, der ist auch hochintelligent und von großer Weitsicht, und zudem auch noch ein erfreulich guter Cartoonist.
Soviel zum vierten Ast.
Sehr wichtig für mein Schreiben sind auch Sie, meine Leser. Lob, von dem ich viel erhalte, motiviert dazu, nicht nur weiterzuschreiben, sondern dabei auch ein gewisses Niveau zu halten und mich, wenn möglich, noch zu steigern. Damit in Verbindung stehen oft auch Anregungen und häufig Fragen. Anregungen nehme ich gerne auf, und Fragen versuche ich zu beantworten. Das bringt mich oft an Stellen, die auch für mich neu und hochinteressant sind. Manchmal ergeben sich daraus kurze Mailwechsel, manchmal zieht sich ein Thema zwischen einem Leser oder einer Leserin auch über Wochen hin, und aus alledem wachsen dann wieder neue Gedanken für neue Artikel.
So, auf fünf Ästen gelagert, lässt sich leicht ein stabiles Baumhaus errichten. Weiß ich, habe ich auch schon gemacht. Ohne den Baum mit Nägeln oder Schrauben zu verletzen und ohne es vom Boden her zu stützen, in etwa drei Metern Höhe.
Vielleicht ist der Ausguck vom Baumhaus aus sogar ein Sinnbild für meine Rolle als Blogger.
Was natürlich noch dazu kommt, ist eine gewisse Routine. Ich „blogge“ seit über zwanzig Jahren. Das verschafft ein hohes Maß an Sicherheit beim Schreiben. Da ist keine Besorgnis mehr, am Thema vorbei, oder unverständlich, zu viel oder zu wenig zu schreiben. Da laufen Automatismen ab, die ich längst nicht mehr bewusst erlebe, und in Bezug auf meine Finger und die Tastatur gilt das Gleiche. Das tippt sich vollautomatisch und mit bemerkenswerter Geschwindigkeit.
Ja, gut. Mehr ist da nicht. Kein Geheimnis, keine Hexerei …