Hochstapler – ein unzeitgemäßer Begriff

Im deutschen Strafrecht gibt es keinen Paragraphen, der jemanden mit Strafe bedroht, der vorgibt, mehr, oder auch sehr viel mehr, zu sein als er ist. Hochstapeln – und damit weit und hoch kommen – darf also jeder nach Lust, Laune und intellektueller Leistungsfähigkeit, solange sein Umfeld seine Erzählungen für wahr, respektive aus-hält.

Es weiß ja niemand, was die Ursache für das übersteigerte Geltungsbedürfnis ist.

  • Fragt man einen Psychiater, wird der entweder eine narzisstische oder eine histrionische Persönlichkeitsstörung vermuten, die – je nach Ausprägung – durchaus als behandlungsbedürftige Krankheit eingestuft werden kann. Krankheit ist nicht strafbar, weil – im Normalfall – Strafe genug. Inwieweit im Ausnahmefall der Hochstapler seine Krankheit als Strafe oder eher als einen Segen ansieht, soll hier nur als Frage aufgeworfen, aber nicht abschließend beantwortet  werden.
  • Fragt man in seiner Verwandtschaft, dürfte das Urteil weniger nachsichtig ausfallen. „Der spinnt doch hochgradig. Bin froh, wenn er nicht bei uns auftaucht. Gibt an, wie zehn nackte Neger und hat noch nicht einmal einen ordentlichen Abschluss in irgendwas. Hören Sie mir auf, mit dem. Ich habe dazu nichts zu sagen.“
  • Man könnte auch bei seiner Bank nachfragen, bei einer seiner Ex-Freundinnen, beim Vermieter… Wer nur einigermaßen nahen Kontakt zu ihm hat, wird ihn früher oder später durchschauen und versuchen, eine möglichst große Distanz aufzubauen. Wehren kann sich niemand dagegen, weil Hochstapelei als solche schlicht nicht strafbar ist. Man muss dem schon aus dem Weg gehen. Nötigung ist es deshalb aber auch noch nicht.

Ganz anders sieht es aus, wenn der Hochstapler so weit geht, dass er Titel oder Berufsbezeichnungen missbräuchlich verwendet, oder einen Akt der Amtsanmaßung begeht, bzw. schlicht und einfach seine Hochstapelei nutzt, um andere, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, einfach nur zu betrügen. Das ist von der Rechts-Systematik her vollkommen in Ordnung. Es kommt primär auf die schädigende Tat an. Der modus operandi ist zweitrangig oder gänzlich irrelevant.

Ich bin mit dieser Rechtslage trotzdem nicht einverstanden.

Ich wünsche mir, dass Hochstapelei als solche als strafwürdiges Vergehen aufgefasst und als Offizialdelikt verfolgt wird.

Warum?

Ich konstruiere da mal den hypothetischen Fall, in einem Paralleluniversum gäbe es ein Deutschland mit einem Ministerium für Astrologie und Esoterik. Also Sterndeuterei, Horoskope, Heilsteine, und so was …

So ein Ministerium bräuchte, wie auch die anderen Ministerien, ob Finanzen, Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Äußeres, und so weiter, einen Minister, der zumindest befähigt ist, das, was ihm seine hochqualifizierten Fachleute über Astrologie und die Aufgabe des Ministeriums erklären, soweit zu verstehen, dass er in der Lage ist, politisch so zu handeln, dass die von ihm politisch vertretenen Astrologen und Esoterikerinnen ihr Auskommen haben, aber auch keine grob falschen Ansagen in die Welt setzen.

Nun stellen Sie sich vor, da gäbe es einen Hochstapler, meinetwegen auch eine Hochstaplerin, der oder die schon lange herumerzählen, sie hätten Astrologie studiert und in einem fernen Land einen Abschluss in Astrologie gemacht, der mehr wert ist als jeder hierzulande mögliche Abschluss. Ein bedingt eloquenter Beau, der außerdem erzählt, seine Horoskope seien zuverlässiger eintreffend als der Sonnenaufgang am Morgen, weshalb er sie geheim halten müsse, verkündet, immer noch verdammt hoch stapelnd, wenn er zum Minister für Astrologie und Esoterik ernannt werde, wolle er nicht zögern, das, was die Sterne ihm auch immer verraten werden, vollständig, eins zu eins und unverzüglich zum Wohle des Landes einzusetzen.

Seine Anhängerschaft, die längst eine Partei gegründet hat, hängt an seinen Lippen und saugt jedes seiner Worte auf wie Honigseim, hält ihn für den Erlöser dieses Deutschlands im Paralleluniversum, und als sich einst die Gelegenheit bot, in einer Koalition einige Ministerposten zu besetzen, wurde unser Kandidat tatsächlich zum Minister für Astrologie und Esoterik ernannt.

Er beschaffte sich sofort den teuersten auf Staatskosten beschaffbaren, animierten holografischen 3-D-Himmelsatlas, behängte die Wände mit den jeweils aktuellen Ephemeriden-Tabellen und zeichnete den ganzen Tag mit vielfältig-bunten Stiften auf vorgedruckten Horoskop-Tafeln die Stellungen der Himmelskörper ein. Das Dumme dabei: Er hatte keine Ahnung, von dem was er da tat, sah sich aber gezwungen, mindestens jede Woche einmal vor die Mikrofone und Kameras zu treten und astrologische Empfehlungen von höchster Qualität abzugeben.

Alle Medienvertreter lauschten begeistert seinen Worten und gaben sie, nicht ohne den Minister dabei in den höchsten Tönen zu loben, brühwarm an die Menschen zu Hause hinter den Zeitungen, an den Bildschirmen und vor den Lautsprechern wieder.

Das Land, verkündete er eines Tages, schwebe in höchster Gefahr vom giftigen Schweif  eines Wandelsterns getroffen zu werden. Dies ließe sich abwenden – denn der Schweif werde ausschließlich von Elektrosmog angezogen – wenn nur bis zum Eintreffen dieses Sterns und seines Schweifs in 11 Jahren, 3 Monaten und 17 Tagen von dem Lande, dem zu dienen er die Ehre haben, nicht das allerkleinste Wölkchen – Null-Zero – Elektrosmog mehr ausgehe – und in den nachfolgenden zwölf Jahren ebenfalls nicht.

Die Astrologen im Lande schüttelten den Kopf, und die Astronomen sich vor Lachen, denn von einem herannahenden geschweiften Komenten war nicht das Geringste zu erkennen, und dass der Minister einen Wandelstern nicht von einem Kometen zu unterscheiden wusste, war zwar wirklich nicht lustig, aber doch zum Kringeln komisch.  Allerdings beschlossen die Astrologen, denen es mit ihrem Minister ja recht gut ging, vorsichtshalber nicht zu widersprechen, denn schließlich war er es, der die meiste Ahnung und auch einzig zu entscheiden hatte, wer im nächsten Jahr die Forschungsgelder erhalten sollte. Um die Bevölkerung nicht zu verunsichern, erklärte man kurzerhand alle Astronomen zu Feinden der Astrologie und richtete Meldestellen für antiastrologische Äußerungen ein, um gemeldeten oder sonstwie verdächtigen Ketzern jeweils morgens um halb sechs einen Besuch der Staatsgewalt angedeihen zu lassen und den Banken aufzuerlegen, jedem solchen Ketzer mit kürzest möglicher Frist alle Konten zu kündigen.

So nahm die Sache ihren Lauf und die Ministerkollegen des Ministers für Astrologie und Esoterik taten, was sie konnten, um den Elektrosmog schnell und gründlich zu eliminieren, aber so einfach war das nicht. Schließlich handelt es sich beim Elektrosmog nicht um Abgase im Nebel, wie in London, wo der Begriff Smog geprägt wurde, was unser Minister wohl angenommen hatte, sondern um elektromagnetische Wellen, die nicht die Eigenschaft haben, sich bei Sonnenschein in Wohlgefallen aufzulösen, sondern überhaupt nur zum Verschwinden  gebracht werden können, wenn der sie induzierende Strom abgeschaltet wird. Aller Strom, und das dauerhaft im ganzen Land.

Unser Minister für Astrologie und Esoterik, gefragt, wo und wie man denn wohl am besten gegen den Strom vorgehen könne, und in welcher Reihenfolge, beschied den Fragenden, er werde die Lösung dieser Frage, wenn die Fachministerien schon nicht in der Lage seien, selbst dazu beizutragen, in den Karten finden. Da meinten die besorgten Frager, er spreche von speziellen Landkarten mit Kraftwerken, Leitungen, Stromflüssen und Smog emittierenden Verbrauchern, er meinte jedoch, und beschwor das später auch, die Tarot-Karten, die er bei Amtsantritt für sein Büro hatte beschaffen lassen, weil die bei solchen Kleinigkeiten, wie er es nannte, präzisere Detailanweisungen herausgeben würden und dabei ebensowenig lögen, wie die Sterne.

Nun, ich muss das nicht weiter ausführen. Jeder mag sich selbst vorstellen, was in einem solchen Lande mit einem fiktiven Ministerium für Astrologie und Esoterik als Nächstes und Übernächstes geschehen würde.

Sie verstehen nun wahrscheinlich, warum ich es für falsch halte, dass Hochstapelei, nur weil sie nicht mit den klassischen Delikten wie Amtsanmaßung, Titelmissbrauch oder Betrug einhergeht, straffrei bleiben darf.

Der Minister im fiktiven Ministerium für Astrologie und Esoterik hat sich das Amt nicht angemaßt. Diese Anschuldigung geht ins Leere. Es wurde ihm übertragen und der Bundespräsident hätte ihm, auch in unserem Universum, gäbe es ein solches Ministerium in der real existierenden Republik denn, die Ernennungsurkunde in die Hand gedrückt. Alles legal, nur einfache Hochstapelei, ob nun von klinischer Relevanz oder nicht, ganz egal. Es spricht nichts dagegen. Freie Entfaltung der Persönlichkeit, oder so.

Der Minister im fiktiven Ministerium für Astrologie und Esoterik hat seinen Doktortitel auch nicht unberechtigt geführt. Keine Chance, ihn damit zu Fall zu bringen. Er hat korrekt promoviert, bloß halt nicht in Astrologie, wie er es schweigend glauben machte, oder wenigstens in Esoterik, sondern an einer geisteswissenschaftlichen Fakultät von allenfalls anekdotischer Relevanz (Relevanz, nicht Evidenz). Alles legal, noch nicht einmal richtige Hochstapelei. Nur im Zusammenhang mit dem Amt hat es halt doch, wie der Schwabe sagt, ein „Gschmäckle“.

Der paralleluniversitäre Minister im fiktiven Ministerium für Astrologie und Esoterik hat auch niemanden betrogen, jedenfalls nicht im Sinne von Betrug nach §263 StGB, er hat nur astronomisch (astronomisch, nicht astrologisch) hoch gestapelt, und das ist, wie könnte es im Lande der Geschlechtswechsler anders sein, selbstverständlich erlaubt.

Nun stellen Sie sich vor, es ginge nicht um ein fiktives Ministerium für Astrologie und Esoterik – das kann man ja noch auf die leichte Schulter nehmen und mit einem Zucken derselben darüber hinwegsehen, weil es nur in der Fantasie existiert – sondern um ein richtiges, wichtiges Ministerium, und wenn schon um eines, warum dann nicht gleich um zwei oder drei oder noch mehr?

Entsetzliche Vorstellung, oder?

Grundsätzlich gäbe es zwei Wege, um dem vorzubeugen.

A) Man unterwirft die grundsätzlich qua Alter Wahlberechtigten einer Prüfung auf staatsbürgerliche Zuverlässigkeit, Intelligenz und Allgemeinwissen, und lässt nur jene überhaupt an die Urne, von denen man nach erfolgter Prüfung annehmen kann, sie wüssten, was sie tun und wem sie ihre Stimme geben, oder

B) Man unterwirft die zur Wahl stehenden Kandidaten einer Prüfung auf staatsbürgerliche Zuverlässigkeit, Intelligenz und – in Relation zur Verantwortung – mindestens befriedigendes Fachwissen, bevor sie sich als Abgeordnete zur Wahl stellen oder in ein Ministeramt berufen werden können.

Natürlich ist es schlimm, ein solches Prozedere überhaupt in Erwägung ziehen zu müssen, doch die Abnutzungserscheinungen an den allgemeinen Moral- und Wertvorstellungen in weiten Kreisen der Gesellschaft, die von den Begriffen wie Ehre, Fairness, Selbsterkenntnis, Demut und Bescheidenheit kaum noch das nackte Gerippe übrig gelassen haben, sind eben auch zu einer jederzeit real werden könnenden Bedrohung für unsere Demokratie geworden, die einem Minister für Astrologie und Esoterik, wie im Beispiel beschrieben, ebenso schutzlos ausgeliefert wäre, wie das gesamte Volk, ganz unabhängig vom Aszendenten im Geburtshoroskop.

Ich finde, das sollte in unser aller Interesse vermieden werden, schon um Schaden vom deutschen Volke abzuwenden.