Habeck, der Anführer

Robert Habeck möchte gerne nicht nur führen, sondern anführen, also kein Führer sein, sondern Anführer. Das ist ein Unterschied. Abgesehen davon, dass „Führer“ ein verbrannter Begriff ist, kennen wir Spätgeborenen immer noch die Fahrzeugführer aus der Straßenverkehrsordnung, die Lokomotivführer vom Fachkräftemangel und die Flugzeugführer von den Pilotenstreiks. Macht man die  zu Anführern, schreit das Sprachgefühl schmerzhaft auf: Fahrzeuganführer, Lokomotivanführer und Flugzeuganführer? Wohin soll das führen? Wie klingt das, wie fühlt sich das an? Klingt „Anführer“ nach Seriosität, Legalität und Verantwortlichkeit, oder eher nach Abenteuer, Regelverletzung und Risiko?

Man bedenke: Dem Anführer folgen die Angeführten, und angeführt worden zu sein, führt semantisch durchaus auch in Richtung Betrug und Verrat.

Versucht man der Sehnsucht des Robert Habeck vorsilbengegensätzlich nachzuspüren, gelangt man zu nächst zum Gegensatzpaar „an – aus“. Mit Ausführen verbindet man eher Angenehmes, einen Restaurantbesuch, zum Beispiel, bei dem der ausführende Kavalier die Rechnung übernimmt. Mit „führen“ alleine ließe sich das noch verbinden, mit „anführen“ gerät „ausführen“ allerdings zum Paradoxon oder in die Superpositionszustände der Quantenmechanik, wo „lebend“ und „tot“ gleichzeitig erkannt werden können.

Und überhaupt:  Nach meinem Sprachverständnis gehört „Anführer“ eher zu den abwertenden Begriffen. Als ich noch Kinderbücher verschlungen habe, da gab es auf der einen Seite die Gruppe der Guten und auf der anderen Seite die Bösen, und die Bösen hatten stets einen Anführer. Klassisch darunter der „Egerland“, der Anführer der Realschüler, die Rudi Kreuzkamm im Kohlenkeller folterten, den Erich Kästner in „Das fliegende Klassenzimmer“ hat auftreten lassen. Der Anführer wird in der Regel auch nicht gewählt, er schwingt sich selbst zum Anführer auf und die Methoden, Anführer zu werden, sind meist nicht die feinsten. Räuberbanden und Terroristen haben einen Anführer, ebenso Milizen, Partisanen, marodierende Horden … Bei Wiktionary werden als erstes folgende Beispiele genannt:

[1] Der Anführer der Räuberbande wurde verurteilt und anschließend erhängt.
[1] „Der auf Island verurteilte Totschläger ist nun ein geachteter Anführer der Pioniere, seine Kinder könnten auf Grönland für alle ihre Tage Ansehen und Land beanspruchen.“[1]
[1] „Er war der nominelle Anführer der Rebellion und starb fünf Jahre später in der Verbannung in Burma.“[2]
[1] „Anders als die meisten Anführer gehörte er nicht zur gebildeten Elite.“[3]
[1] „Die Augen der ganzen Versammlung hingen in sprachloser Rührung auf dem jungen Anführer, als er in tiefer Bewegung innehielt.“[4]

Natürlich gibt es in der jüngeren Literatur für Führungskräfte auch die Figur des „Anführers“, die positiv besetzt ist. Ein solcher Anführer soll mit den Methoden der klassischen Anführer informeller Gruppen versuchen, eine formelle Gruppe durch anführerhaftes Gehabe zu motivieren. Ich halte das für einen originellen Ansatz, kann aus meiner beruflichen Erfahrung aber berichten, dass solche Anführer in der Regel von den höheren Hierarchiestufen ausgebremst werden, oder – nach einem erfolgreichem Coup und erfolgter Beförderung – die Attitüde des Anführers ganz schnell wieder ablegen und sich von den von ihnen Angeführten absetzen, ggfs. sogar distanzieren.

Was Robert Habeck dazu bewegt haben mag, sich als Anführer in der Rolle des Bundeskanzlers sehen zu wollen, weiß ich nicht. Möglicherweise hält er sich für den Anführer der Grünen und glaubt,  wer die Grünen anführen kann,  könne auch die ganze Republik anführen. Ich jedenfalls möchte absolut nicht von Robert Habeck angeführt werden.